Antonina Samecka ist wie ein Mammut. So sehen sie ihre Mitmenschen. Wie eine ausgestorbene Spezies, die plötzlich zum Leben erwacht ist. Eingemummt in ihren Poncho genießt die junge Frau mit den dunklen Haaren und den stechend blauen Augen die faszinierten Blicke. Samecka ist Jüdin. Und sie ist Polin.
Die Modedesignerin sitzt in ihrem Büro, im vierten Stock eines Backsteinhauses in der Straße Szpitalna, im Zentrum von Warschau. Hier entwirft die 31-Jährige die Kleidung für ihr Modelabel „Risk“. Darunter ihre ganz spezielle Kollektion: Kapuzenpullover mit dem Davidstern, Krawatten mit der Aufschrift „Lieber Chuzpah statt Charme“ und T-Shirts mit dem Aufdruck „Du hattest mich bei Shalom“.
„Jüdisch zu sein in Polen ist wie Leben in Brooklyn. Früher war es gefährlich. Heute ist es hip“, sagt Samecka und grinst. Ausgerechnet sie, deren Großmutter, eine Holocaust-Überlebende, ihre Enkelin nach deren ersten Israelreise vor zehn Jahren inständig gebeten hat, doch bitte nicht die hübsche Kette mit dem Davidstern zu tragen, da es in Polen zu gefährlich sei, sich als Jüdin zu erkennen zu geben – sie entwirft heute Kapuzenpullis mit riesigen Davidsternen darauf. Pullis, die in der ganzen Stadt getragen werden.
Von Juden und Nicht-Juden. „Wir wollen der jüdischen Identität in Polen ein neues Image geben. Unser Motto: Jüdisch zu sein ist cool und sexy“, erklärt Samecka. Sie weiß um die Bedeutung dieser Kollektion und warum sie es mit ein paar Pullis und T-Shirts auf das Cover internationaler Zeitungen geschafft hat. Weil sie eben mehr sind, als nur ein paar Pullis und T-Shirts.
Sie bedeuten eine neue Zeitrechnung in ihrer Heimat. Eine, in der die Worte Polen und Juden in einem Atemzug genannt werden können, ohne betroffenes Schweigen auszulösen. Eine abseits von Warschauer Ghetto, Treblinka und Auschwitz.
Und eine, in dem Polen für Juden mehr sein will, als eine 312.679 Quadratkilometer große Gedenkstätte, wo der Horror nach dem Zweiten Weltkrieg für die Juden weiterging. Ob in Kielce, wo im Juli 1946 Dorfbewohner 40 jüdische Überlebende ermordet haben. Ob im Radio, im Fernsehen und auf der Straße, wo die kommunistische Partei 1968 mit einer antisemitischen Hetzkampagne die letzten Juden aus dem Land verjagte.