Im Prater blühen die Geschäfte


Schon immer gab der Prater entscheidende Impulse für die gesamte Stadt. Nun werden seine Ränder zunehmend verbaut und privatisiert. Droht die grüne Lunge Wiens zu kollabieren?

Text: Christina Schraml & Matthias Winterer
Fotos: J. Kerviel
Gestaltung & Produktion: Cornelia Hasil


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Die Wiener sind stolz auf ihren Prater. Sie besingen ihn, widmen ihm Gedichte, schreiben ganze Bücher über seine Schönheit. Er gehört zur Stadt wie sonst nur der Stephansdom und die Donau. Das war schon immer so und gilt heuer ganz besonders. Denn der Prater feiert seinen 250sten Geburtstag. Und dafür schöpft die Stadt aus dem Vollen – schließlich soll man die Feste feiern, wie sie fallen. Mit Umzügen, Schaufahrten und Ausstellungen wird das Jubiläum begangen. Doch die Euphorie wirkt befremdlich, die Gelegenheit zu feiern ungelegen. Um den Prater steht es schlechter als jemals zuvor.

Wie ein riesiger See schmiegt sich die sechs Quadratkilometer große Wald- und Wiesenfläche an die Stadt. Sein Ufer zieht eine klare Linie zwischen Urbanität und Natur. Doch der See schrumpft. Die Ausläufer werden zunehmend zugeschüttet und verbaut. An den Stränden legen Immobilienfirmen und Investoren frühmorgens ihre reservierenden Handtücher aus. Sie haben die Stadtviertel um den Prater als Goldgrube erkannt. Seine Ränder werden zunehmend privatisiert.

Peripherie rückt ins Zentrum

Natürlich kommt diese Entwicklung nicht aus heiterem Himmel. Die Stadt setzt bewusst hier den Spaten an. In den vergangenen Jahrzehnten galt der Ring um den Prater als eher unattraktiv. Sozialbauten, heruntergekommene Zinshäuser und Brachen dominierten die Viertel. Eine strukturschwache, isolierte Gegend. Doch in einer wachsenden Stadt gilt es Wohnraum zu mobilisieren.

Auf der Suche nach diesem erkannte man das Potential der Gegend und ernannte sie Anfang der 2000er-Jahre zum Zielgebiet der Stadtentwicklung. „Den Startschuss der Aufwertung bildete der Ausbau der U2, erst - wegen der Fußball-Europameisterschaft 2008 - bis zum Ernst Happel Stadion und später weiter nach Aspern“, sagt Ute Schaller, Programmkoordinatorin im Zielgebiet Donauraum Leopoldstadt – Prater.

Die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz löste eine rasante Entwicklung nördlich des Praters aus. Was früher noch Peripherie war, rückte nun ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf den Gründen im städtischen Eigentum schritt man schnell zur Tat. „Die Messe Wien wurde 2004 kompakter errichtet um im Hinterland Platz für die 2013 fertiggestellte WU zu schaffen. Sonst besitzt die Stadt nur noch die Sport- und Grünflächen. Der Rest gehört überwiegend privaten Investoren“, sagt Schaller.

So auch eine Ansammlung steril wirkender Glasbauten neben der U2-Station Krieau. Ein Immobilienentwickler hat hier in wenigen Jahren ein ganzes Geschäftsviertel hochgezogen. Wie gerendert stehen die kalten Gebäude zwischen den historischen Backsteinbauten. Die halbrunde Konzernzentrale der OMV ragt in der Mitte empor. In den Glasfronten spiegelt sich Wasser. Die 5.000 Quadratmeter große, künstliche Wasserfläche erfüllt rein ästhetische Zwecke. Abkühlen kann man sich hier nicht - dafür sorgen Wachmänner.

Verstädterung der Prater-Ränder

Nur einen Steinwurf weiter dröhnen Schremmhämmer und Bagger. Auf dem Grundstück der historischen Trabrennbahn Krieau entstehen in zwei Bauabschnitten Wohnungen und Büros. Sie werden direkt an das Oval der Rennbahn angrenzen. Um die Bauzone bis zum Äußersten auszureizen, sollen die denkmalgeschützten Stallungen versetzt werden.

Im Jahr 2021 ist die Fertigstellung der letzten Gebäude geplant. Die Eigentümer werben mit den Wäldern und Wiesen des Naturschutzgebietes Prater direkt vor der Haustür. Dessen grüne Ränder werden bis dahin aber wieder um ein Stück verbauter sein.

Die Gegend verändert sich. Wo früher noch Bäume blühten und die Wälder sanft in die Stadt mündeten, stehen heute die Prunkbauten der Stararchitekten. Wie Raumschiffe aus Glas und Beton docken die Gebäude des WU-Campus an den Prater an. Die Stahlkonstruktion am Dach des Messeturms wirft ihren Schatten auf die kubischen Hallen unter ihr. Schon einmal war genau dieser Platz Ausgangspunkt für tiefgreifende Veränderungen in ganz Wien.

Urbanisierungsmotor Weltausstellung

Denn nach Paris und London richtete man 1873 hier die Weltausstellung aus. Die Veranstaltung sollte nachhaltigen Einfluss auf den Urbanisierungsprozess der Stadt ausüben. Der Prater schien als Austragungsort ideal.

In der umliegenden Natur konnten sich die Besucher erholen, im Wurstelprater vergnügen. Um das Gelände für die Weltausstellung zu adaptieren, erfolgte ein massiver Eingriff in die unberührte Auenlandschaft. Zwei Millionen Quadratmeter Wald wurden gerodet, unzählige Teiche und Flüsse zugeschüttet. Über neu angelegte Straßenzüge sollten sich die erwarteten Gästemassen verteilen.

Für rund 53.000 Aussteller aus 35 Ländern war der großzügig dimensionierte Industriepalast als zentrales Ausstellungsgebäude errichtet worden. Die Rotunde – der damals größte Kuppelbau der Welt - bildete sein Herzstück.

Auch außerhalb des Praters gab die Weltausstellung Anstoß für ambitionierte Vorhaben. Anders als Industriepalast und Rotunde prägen sie die Stadt noch heute. Wien sollte in der ganzen Welt als Metropole bekannt und anerkannt werden. Eine wahre Bauwut setzte ein.

Neben der Schleifung der Stadtmauer 1858 und dem Bau der Ringstraße reihten sich vielzählige Großprojekte in diesen Transformationsprozess. Das Streckennetz der Stadtbahn wurde erweitert, die Wiener Hochquellwasserleitung gebaut, der Zentralfriedhof angelegt. Doch vor allem die Regulierung der Donau gab der Stadt ihr jetziges Gesicht.

Sie bescherte so dringend benötigtes Bauland. Ähnlich wie heute erlebte Wien damals einen rasanten demografischen Wandel. Die Bevölkerungszahl vervierfachte sich in wenigen Jahrzehnten auf zwei Millionen um die Jahrhundertwende. Durch die Trockenlegung der Praterauen konnte das Stuwerviertel nördlich der Ausstellungsstraße erschlossen werden.

Vom Schandfleck zur Perle

Seither genießt es eher zweifelhaften Ruf. Schon immer galt das Stuwerviertel als Rückzugsort der Prater-Strizzis, der Halbstarken, Huren und Taugenichtse. Die dunklen Gassen mit ihren verruchten Tschocherln und zwielichtigen Bordellen wurden vom wohlschaffenden Bürger gemieden. Bis jetzt.

Denn seit dem Ausbau der U2 und dem Verbot der Prostitution im Jahr 2011 steckt der Stadtteil inmitten einer gravierenden Imagekorrektur. Plötzlich scheint es schick zu sein im Stuwerviertel zu leben. „Am meisten hat der Vorgartenmarkt profitiert. Früher gab es hier viel Leerstand, ein sterbender Markt. Jetzt hat sogar ein Bioladen eröffnet“, sagt Andrea Mann, Leiterin der Gebietsbetreuung Leopoldstadt. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt.

Der Wandel des Viertels ist den Immobilienentwicklern nicht verborgen geblieben. Sie investieren in die Gegend, kaufen Häuser, bauen Dachböden aus. Die Mieten sind bereits gestiegen. Viele der rund 14.000 Einwohner gehören aber eher einkommensschwächeren Schichten an. „Wir haben leider nur einen befristeten Mietvertrag, der in zwei Jahren ausläuft“, sagt Dominik. Der Student wohnt seit einem Jahr im Stuwerviertel. „Ich glaube nicht, dass ich mir hier dann noch eine Wohnung leisten kann.“

Nobelwohnen im Arbeiterviertel

Diese Entwicklung ist für die Gebiete rund um den Prater symptomatisch. In Arbeitervierteln und Arme-Leute-Gegenden entsteht teurer Wohnraum. Zwischen rechtem Donauufer und Prater zieht sich ein langer, schmaler Streifen – vom nordwestlichsten Spitz des Stuwerviertels bis hinunter zum Freudenauer Hafen. Sechs trostlose Kilometer. Er ist die Heimat von namenlosen Gemeindebauten, mehrgeschossigen Fertigbetonklötzen aus den 1960er-Jahren und vereinzelten Spätgründerzeithäusern. Es ist laut und dreckig.

Im Sekundentakt donnern Lastwagen und Autos über die Bundesstraße. Sie trennt die Gebäude vom Donauufer. Die Promenade ist meistens menschenleer. Doch selbst hier wird kräftig gebaut. Schließlich wirken die Attribute „Praternähe“ und „Wasserzugang“ in den Werbebroschüren der Immobilienfirmen. Anders als die Gegend vermuten lässt, entsteht hier Wohnraum im hochpreisigen Segment. Die sogenannte Campus Lodge richtet sich seit 2013 an wohlhabende Wirtschaftsstudenten und Mitarbeiter der WU.

Bis zu 490 Euro pro Woche kostet hier ein gemütliches „home away from home“, wie die Website verspricht - inklusive Concierge Service und Wellnessbereich, versteht sich. Schön abgegrenzt von der maroden Nachbarschaft durch einen hohen Zaun.

Nebenan fand vergangenen Herbst der Spatenstich zur Donaumarina statt. Das Großprojekt mit 640 Wohnungen wird unter Beteiligung der Stadt gebaut. Mittels einer Überblattung der Bahngleise soll den Menschen künftig ein direkter Zugang zu Wasser und Yachthafen geboten werden. Mit 130 Metern wird der Marina Tower das höchste Gebäude der Leopoldstadt sein.

Praterstern, Sorgenkind der Stadt

Markante Hochhäuser haben in Wien Konjunktur. Auch am anderen Ende des Praters, wo ihn der Donaukanal vom 3.Bezirk trennt, stampft man sie aus dem Boden. Entlang der Erdberger Lände, nördlich des Knoten Praters, plant die Stadt gemeinsam mit privaten Entwicklern ein Hochhausensemble mit Blick ins Grüne.

Anstelle des Asbest-Baus des alten Zollamtsgebäudes werden Drillingstürme in den Himmel wachsen. Daneben soll der sogenannte Orbi Tower - ein 21-geschossiges, 80 Meter hohes Monstrum aus Glas und Beton – als Landmark des neuen Stadtteils dienen. Schon 2019 werden die Riesen den kitschigen Gartenzwergen der Kleingärtner im Prater bedrohlich gegenüberstehen.

Bei all diesen Imagewandlungen und Aufwertungsprozessen an den Rändern des Praters ist den Verantwortlichen jedoch ein Schandfleck nach wie vor Dorn im Auge – der berühmte Wiener Praterstern. Sozialer Brennpunkt, Drogenumschlagplatz, Treffpunkt dunkler Gestalten. Er beherrscht den Boulevard wie eh und je. Das ewige Sorgenkind der Stadt lässt sich auch nach mehreren Adaptierungsversuchen nicht bändigen.

Obwohl Vorplatz und Bahnhof erst 2009 saniert wurden, steht schon die nächste Erneuerung an. Der unübersichtliche Ausgang der U1 wird entschärft, noch mehr Verkaufsflächen sind geplant. So sollen die Wohnungslosen verdrängt werden. Denn der Bodensatz der Gesellschaft will so gar nicht zu kaufkräftigen WU-Studenten und Nobelwohnen passen.

Der Praterstern, das ewige Sorgenkind der Stadt lässt sich auch mit mehreren Adaptierungsversuchen nicht bändigen.

Privatisierung im Innersten des Praters

Es geht also rund, rund um den Prater. An allen Ecken und Enden wird gebaut, saniert und entwickelt. Doch zumindest das Innerste des Praters - die saftigen Wiesen, grünen Wälder, vielfältigen Feuchtbiotope – scheint geschützt zu sein. „Der Prater ist Landschaftsschutzgebiet. Die Gewässer Mauthnerwasser und Krebsenwasser sind sogar Naturdenkmäler“, sagt Ulrike Sima, Umweltstadträtin der Wiener Landesregierung.

Dem Prater selbst können brüllende Motorsägen und quietschende Kräne also nichts anhaben? Tony Rei ist sich da nicht so sicher. Der Obmann des Vereins Wiener Naturwacht spricht von einer schleichenden Ausdünnung des Praters. „Mal werden dort zwei, drei Bäume gerodet, mal da. In Summe ergibt das schnell über 150 Bäume. In Wien gibt es zwar das Baumschutzgesetz, das Ersatzpflanzungen vorschreibt, aber ein Jungbaum am Stadtrand kann keine 60 Jahre alte Eiche im Prater, die 2000 Menschen inmitten der Stadt für einen ganzen Tag mit Frischluft versorgt, ersetzen. Das Gesetz ist zwar gut, wird aber nicht exekutiert“, sagt er.

Tatsächlich finden sich erst in jüngster Zeit Beispiele für eine fortschreitende Privatisierung und Verbauung des Naturerholungsgebiets. 2014 wurden auf der Höhe des Stadions Bäume gefällt, um für ein neues Rugbyfeld Platz zu schaffen. Die Kleingartensiedlungen sind heißbegehrte Baugründe inmitten des Schutzgebiets. Hinter Thujenhecken und Rosensträucher stehen Einfamilienhäuser. Fremde sind in der Gartenidylle nicht gern gesehen. An manchen Zäunen ringeln sich bedrohlich ausladende Schleifen aus Stacheldraht. Sie legen den Vergleich mit den amerikanischen "Gated Communities" nahe.

Auch der Zwang zum Konsum macht vor dem grünen Prater nicht Halt. Das zeigt die Kontroverse um die Kaiserwiese am Fuße des Riesenrades. Eine Bürgerinitiative sieht den Erholungswert der Wiese durch zu lange Veranstaltungen wie das „Wiener Wiesn“-Fest oder die Dinnershow „Palazzo“ gefährdet. Immer häufiger ist die Freifläche der Allgemeinheit nicht zugänglich.

Das erinnert an ganz alte Zeiten. Vor 1766 war der Prater der Hocharistokratie vorbehalten. Sie jagten in seinen naturbelassenen Auwäldern, flanierten an der frischen Luft, fuhren ihre prächtigen Kutschen aus. Joseph II. setzte diesem Privileg ein Ende und öffnete den Prater der Bevölkerung. Ein Akt, dessen grundlegender Gedanke heute wieder Dringlichkeit besitzt: Gewisse Güter, Ressourcen und Gebiete sollten allen Menschen zugänglich sein, anstatt privaten Interessen und Zugangsrechten zu unterliegen. Gerade im Jubiläumsjahr ist es ratsam, sich dem zu besinnen. Damit in 250 Jahren noch etwas da ist, das man feiern kann.