Der Fahnenflüchtling im Exil

Eineinhalb Jahre sind vergangen, seitdem Gregori auf die andere Seite des Dnister geschwommen ist. Er sitzt in einer Anwaltskanzlei in Chişinău und erzählt, warum er damals geflohen ist. Ein junger, kräftiger Mann mit kurz geschorenem Haar, trainierten Oberarmen und Jogginghose.

„Sie haben uns geschlagen, einfach so zum Spaß“, beginnt er. Blaue Flecken sah man nie, weil die Offiziere ihre Fäuste mit der flachen, linken Hand abfingen. „Dann rammten sie uns ihre eineinhalb Kilo schweren Schuhe in den Bauch“, erzählt Gregori weiter. Wer seine Zigarette wegschnippte, anstatt sie in den Mülleimer zu werfen, musste ein Loch schaufeln. „Grab“ wurde diese Bestrafung genannt. Einer von Gregoris Freunden hat sich erschossen, weil er es nicht mehr ausgehalten hat.

Bevor Gregori mit 21 Jahren zum Wehrdienst einberufen wurde, war er stolz darauf, pro-russisch zu sein. „Schon in der Schule wurde man dazu gedrillt, ein guter Patriot zu sein“, erinnert er sich.

Leben im Exil

Als die Kämpfe in der Ostukraine zu wüten begannen, bekam er es mit der Angst zu tun. Was, wenn man ihn nach Donezk oder Lugansk versetzen würde, um auf der Seite der Separatisten zu kämpfen? Aber der Offizier aus Gregoris Kaserne lachte nur: „Mach dir keine Sorgen. Dein größter Feind ist Moldau.“

Genau dort, eineinhalb Stunden Busfahrt entfernt, lebt Gregori jetzt im Exil. Er ist der erste Fahnenflüchtling, der es geschafft hat, vom transnistrischen Wehrdienst wegzulaufen.

Dieser Heldenstatus bringt ihm heute wenig. Gregori darf weder ausreisen oder arbeiten, noch ein Studium an der Universität beginnen. Seine Geburtsurkunde liegt auf einem Gemeindeamt auf der anderen Seite des Flusses. Gregori kann nicht dorthin zurück, weil ihm bis zu zwanzig Jahre Haft drohen. Wer in Transnistrien vom Militär wegläuft, der begeht ein schweres Verbrechen gegen den Vater Staat.

Dokumentation staatlicher Menschenrechtsverletzungen

Gregoris Geschichte ist einer von vielen Aktenordnern im Büro von Ion Manole. Auf seinem Schreibtisch steht die Statue der Justitia, der römischen Göttin für Gerechtigkeit. Manole ist Jurist bei der Nichtregierungsorganisation Promo Lex. In Transnistrien hat ihn der Geheimdienst zur Fahndung ausgeschrieben, weil er seit Jahren staatliche Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Es geht um Folter in Gefängnissen, Bestechung von Staatsanwälten, Drohungen gegen Journalisten und sogar Mord.

Seit 2004 hat Promo Lex bereits 62 Fälle beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht. Die Dunkelziffer vermutet Manole viel höher, weil es immer wieder passiert, dass Opfer des Regimes aus Angst die Dokumente nicht unterschreiben. Sein Büro steht für all jene offen, die man in Transnistrien nicht haben will: Homosexuelle, politisch Verfolgte, Journalisten, Freidenker.

Warum ist über die Schattenseiten Transnistriens so wenig bekannt? Erstens, weil sich die internationale Gemeinschaft vor allem mit der Lösung des eingefrorenen Konflikts i zwischen den zwei Landesteilen beschäftigt.

Aus Angst, dass Tiraspol den Verhandlungstisch verlassen könnte, „zeigt sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wenig kritisch“, bemängelt Ion Manole von Promo Lex.

Die „Wiener Zeitung“ hat die OSZE-Büros in Warschau, Wien und Chişinău mit den Missständen konfrontiert. Keine Stelle wollte sich zu den Fällen äußern. Thomas Rymer, Sprecher der ODIHR in Warschau, dem „Office for Democratic Institutions and Human Rights“ schreibt: „Leider können wir die Menschenrechtslage nicht kommentieren, da wir zu keiner Zeit Untersuchungen angestellt haben.“ Von Sophia Bellmann, der OSZE-Sprecherin aus Moldau heißt es hingegen, dass es Berichte gibt, die allerdings „streng vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.“

Die Fälle über Folter, Diskriminierung und Freiheitsentzug dürften in Diplomaten-Kreisen also bekannt sein. Warum wird darüber während der Verhandlungen geschwiegen?

Österreichischer OSZE-Vorsitz 2017

Das ist eine Frage, der sich im nächsten Jahr auch österreichische Diplomaten stellen müssen. 2017 übernimmt Wien den OSZE-Vorsitz. Die „5+2“-Verhandlungen werden dann von einem österreichischen Sonderbeauftragen geleitet.

„Österreich wird im kommenden Jahr eine stärkere Rolle bei den von der OSZE geführten Verhandlungen zur Lösung des Transnistrien Konfliktes spielen“, heißt es aus dem Außenministerium. Ziel sei es unter anderem, ergebnisorientiert Lösungsschritte mit den Konfliktparteien zu erreichen, die „den Bewohnern Transnistriens und Moldaus zugutekommen.“

Ein Blick in die Akten von Promo Lex zeigt, was auf das OSZE-Sekretariat in Wien zukommt. Kaum jemand weiß, dass es in Transnistrien immer noch die Todesstrafe gibt. Das international isolierte Regime in Tiraspol bemüht sich, nichts nach Außen dringen zu lassen.

Paolo Bergamaschi, außenpolitischer Berater der grünen Fraktion im EU-Parlament bemängelt, dass die 400.000 Menschen östlich des Dnister in einem rechtsfreien Raum leben würden und sich an niemanden wenden könnten.

Auch die Tatsache, dass der Westen Transnistrien gerne als kuriose Bananenrepublik abstempelt, dürfte dem Regime in die Arme spielen. Was soll schon in einem Land passieren, dass es gar nicht gibt?