An der Grenze

Hammer und Sichel

Im Ausland ist Transnistrien vor allem für eines bekannt: Es ist das einzige Land Europas, das noch immer Hammer und Sichel in der Nationalflagge trägt. Journalisten schreiben vom „Freiluftmuseum der Sowjetunion“. Tatsächlich passt das Image von Transnistrien ganz gut in die Kategorie Abenteuerurlaub.

An einem regnerischen Tag im Oktober nehmen wir den Bus nach Tiraspol. Wir haben von mehreren Seiten gehört, dass ausländische Journalisten wegen Nichtigkeiten vom Geheimdienst verhört oder eingeschüchtert werden. Unsere Presseausweise haben wir deswegen im Hotel in Chişinău gelassen.

Der Grenzübergang sieht alles andere als provisorisch aus: zwei Fahrspuren, Schranken, Ampeln. Uniformierte und bewaffnete Grenzsoldaten kontrollieren die Pässe. Hinter dem Grenzposten stehen Panzer und mit Tarnnetzen überspannte Container. Wer Transnistrien betritt, der kann sich auf eine militante Symbolik gefasst machen. Auch deshalb kommen Touristen hierher.

Aufenthalt für maximal zehn Stunden

Die Grenzpolizisten fragen uns, wer wir sind, wohin wir wollen und was wir hier tun. Journalisten, die östlich des Dnister recherchieren wollen, brauchen eine eigene Genehmigung von der Regierung. Wir haben keine. Also zucken wir mit den Schultern und machen auf Touristen.

In der Anmeldestelle kann man sich für maximal zehn Stunden registrieren lassen. Die Beamten sprechen kein Englisch. Sie heben den Zeigefinger und zeigen auf unsere Zettel. Bis 19:45 Uhr müssen wir ausgereist sein, sonst droht eine Verwaltungsstrafe.

An der Wand hinter dem Schalter hängt ein Porträt von Jewgenij Schewtschuk. Seit 2011 ist der 48-Jährige das gewählte Oberhaupt des Landes. Der Westen hat ihn als Reformer bezeichnet und seinen Einsatz für die Demokratie gelobt. Aber stimmt das auch?

Ekaterina Lipovcenko schüttelt den Kopf. Sie sitzt in einem leeren Restaurant der Kleinstadt Parcani, zwanzig Minuten von Tiraspol entfernt. Vor sich hat sie mehrere Mappen mit Dokumenten aufgebreitet, in denen sie pausenlos blättert. Sie hat im letzten Jahr viele Briefe geschrieben und um Hilfe gefleht: an den Präsidenten Schewtschuk, die Regierung in Chişinău, den Kreml in Moskau und auch an die OSZE.

Ihr Sohn Oleksandr, 37, sitzt seit über einem Jahr im Gefängnis. Unschuldig, wie seine Mutter betont. Im März 2016 verurteilte ihn ein Gericht wegen Extremismus zu dreieinhalb Jahren Haft.

Alles begann mit einem Posting im Sozialen Netzwerk „VKontakte.ru“, dem russischen Facebook. „In Transnistrien kann die Ordnung nur noch durch Friedenstruppen der Vereinten Nationen hergestellt werden“, hat Oleksandr online geschrieben. Sein Anwalt betont, dass Oleksandr weder eine öffentliche Person, noch ein Aktivist ist, sondern ein „ganz normaler Bürger“, der seine Meinung äußern wollte.

Während seiner Haft ging der Mann in den Hungerstreik und erkrankte an Hepatitis. Einem Arzt ist der Zugang zu seiner Zelle bis heute nicht gewährt. Als seine Mutter ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er in einem sehr schlechten Zustand, hatte blaue Flecken und wenig Kraft in den Beinen. Vor zwei Wochen wurde er in ein neues Internierungslager versetzt. Nur vier Mal im Jahr darf seine Mutter einen Besuch anmelden. „Ich weiß nicht, ob mein Sohn noch am Leben ist“, sagt sie.