Der kleine Rest

Der Mensch lebt vom Wald. Immer schon. Einst lieferte er Proteine in Form von Wild oder Fisch, später Holz, dann fossile Energieträger und heute wird er auch für Futtermittel, allen voran Soja, genutzt. Rodung bleibt bis heute die verbreitetste Form der Waldnutzung. 80 Prozent des ursprünglichen Waldes wurden in Europa bereits abgeholzt.

Und auch in Österreich, das knapp zur der Hälfte aus Wald besteht, war der Mensch sehr gründlich. Nur mehr ein sehr kleiner Teil, nämlich 8.603 Hektar, das sind 0,15 Prozent der gesamten Waldfläche Österreichs, ist Naturwald.
Ein solcher, so wild er auch erscheinen mag, ist aber nicht mit einem Urwald zu verwechseln. Unter letzterem versteht man Wälder, die seit der letzten Eiszeit ohne Einwirkung des Menschen bestehen. Wurde ein Urwald einmal zerstört, ist er für immer verloren.

Die Urwaldreste in Österreich sind winzig, verstreuen sich vor allem auf die niederösterreichischen und steirischen Kalkalpen und bestehen meist nur aus ein paar Fleckerln Wald.
Ein Teil des Rothwalds im südlichen Mostviertel ist die große Ausnahme: Er ist der größte Urwaldrest Mitteleuropas und mit rund 400 Hektar ein bisschen größer als der 15. Bezirk in Wien. Allerdings dürfen nur wenige Besucher im Jahr im Rahmen von Exkursionen in diese Seltenheit hineinschnuppern.

Wo alles...
...auf allem
...wächst.

Und zu riechen gibt es hier, wo alles auf allem wächst, einiges. Die vielen liegenden Baumstämme sind von Moosen und Flechten bedeckt, aus diesen wiederum treiben kleine Buchen und Fichten aus und dazwischen wachsen Stauden und Farne. Altersschwache, in sich zusammengestürzte Baumgestalten vermodern am feuchten Waldboden.

Und die Düfte? Es riecht nach Pilz, nach Nadeln, holzig und harzig, nach frischem Humus, irgendwie grün. Groß, klein, dünn, dick, alt und jung, abgebrochen, vermodernd – eine unglaubliche Mischung an Holzgebilden, die sich da zeigt: Zerfranste Baumstammriesen bilden bizarre Formen, tief zerfurchte Rinden, die durch die vielen großen Baumschwämme aussehen wie verbeult, während Buchen, Fichten und Tannen meterhoch in den Himmel ragen und mit ihren Blättern und Nadeln dafür sorgen, dass es im Wald doch recht dunkel bleibt.

Baumriesen werden hier bis zu 63 Meter hoch und rund sechs- bis siebenhundert Jahre alt. Totholz liegt und steht herum, es speichert Wasser und ist für die unterschiedlichsten Organismen lebenswichtig. So beherbergt ein toter Baum wesentlich mehr Lebewesen als ein lebender, 95 Prozent aller Fichten des Urwaldes wachsen daraus. Stirbt ein Baum – das Absterben dauert oft mehrere Jahre – gibt er Kohlenstoff an die jungen Bäume, die auf ihm wachsen, weiter. Kadaververjüngung. Nachdem er abgestorben ist, steht der Baum meist bis zu hundert Jahre weiter da. Und an die tausend Jahre dauert es, bis er ganz verschwunden ist.

Es war...
...einmal
...ein Baum.

Zeit spielt im Rothwald keine Rolle, weder beim Wachsen, noch beim Sterben oder beim Verfaulen und Vermodern. Anhand von Bodenanalysen durch Pollen weiß man, dass dieser Teil des Rothwalds rund 6.000 Jahre alt ist und von menschlicher Einwirkung verschont blieb.

Damit das auch so bleibt, ist das Betreten des Urwalds strengstens verboten. Der genaue Standort wird deshalb von der Verwaltung des Schutzgebiets nicht bekannt gegeben. Verbotsschilder und Zäune gibt es aber keine. „Wildnis kann man nicht einzäunen“, sagt Ranger Hans Zehetner, der für die Verwaltung des Schutzgebietes arbeitet.

Hin und wieder verirren sich Wanderer in das Gebiet. An die 30 werden jährlich von den Mitarbeitern des Schutzgebietes im Urwald ertappt, einige laufen in die Fotofallen, so manche haben sich verirrt und sind froh, dass ihnen jemand wieder den Weg hinaus zeigt. Aber so einfach verirrt man sich ohnehin nicht dorthin, man müsste schon eine stundenlange Wanderung durch ein Gebiet auf sich nehmen, das sich weder durch Markierungen noch durch Karten erschließen lässt. Dass der Urwald überhaupt bestehen blieb ist auf verschiedene Umstände zurückzuführen.

Grünspanbecherling
Zunderschwamm

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