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A message to the smallest man who ever lived

7 Min
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine feministische Kolumne zu einem aktuellen politischen Thema für die WZ.
© Illustration: WZ

Die einzig richtige Antwort auf Terror ist die Weigerung, sich terrorisieren zu lassen: Die Swifties zeigen, wie es geht.


Auf sozialen Medien, insbesondere auf Twitter, hat sich in den letzten Monaten in Bezug auf Taylor Swift Folgendes nachhaltig etabliert: Wer als Mann etwas Positives, oder etwas nicht umfassend Negatives, über die von vielen Frauen gefeierte Frau schreiben möchte, muss dies unbedingt mit folgender Relativierung einleiten: „Ich kann mit ihrer Musik nichts anfangen, ABER…“. Das gilt offenbar auch noch, nachdem ein Islamist einen Anschlag auf sie und ihre Fans geplant hat. Selbstverständlich muss sich Männlichkeit auch in einer Notsituation tunlichst von Weiblichkeit und allem, was mit Weiblichkeit konnotiert ist, abgrenzen. In einer misogynen Gesellschaft ist es, insbesondere als Mann, von fundamentaler Wichtigkeit, sich von allem, was mit Weiblichkeit im Allgemeinen und mit Mädchenhaftigkeit im Besonderen zu tun hat, zu distanzieren. Da lässt man auch keinen geplanten Terroranschlag, der möglicherweise hunderte Menschen, vor allem Frauen, die getötet werden sollten, zwischen sich, die eigene Männlichkeitsperformance und die Abwertung von Weiblichkeit kommen. Männer interessieren sich schließlich nur für ernstzunehmende Männerinteressen, bei denen sie auch ernstzunehmende Männergefühle haben können, beispielsweise für große Ballispielevents, mit denen wir vor Kurzem täglich belästigt wurden. Jeder Volksschüler weiß schließlich schon: Was Mädchen cool finden, ist uncool, weil Mädchen uncool sind.

Ground-shaking

Und Mädchen finden Taylor Swift nicht nur cool, sie haben sie zum größten Popstar unserer Zeit gemacht. Sie sorgen dafür, dass sie aktuell so ziemlich jeden davor von Männern aufgestellten Rekord der Musikindustrie bricht und einen derart enormen wirtschaftlichen Impact auf jene Länder und Städte hat, in denen ihre Konzerte stattfinden, dass dafür der Begriff „Swiftonomics“ erfunden wurde. Taylor Swifts Konzerte sind in einem sehr wörtlichen Sinne ground-shaking: Sie lösen nämlich Erdbeben aus – in Seattle wurde letztes Jahr sogar eine Erschütterung von 2,3 auf der Richter-Skala verzeichnet. Swifts Fangemeinde ist fast ausschließlich weiblich und ihre Gemeinschaftskultur atmosphärisch von Schwesterlichkeit geprägt – Symbol dafür sind die selbstgebastelten Freundschaftsarmbänder, die bei jedem Taylor-Swift-Event, oder in den letzten Tagen in ganz Wien, ausgetauscht werden. Taylor Swift hat nie einen Hehl daraus gemacht, Feministin zu sein – weder in ihren Interviews noch in ihren Songtexten. Julia Schramm schrieb Ende Juli über sie: „Taylor Swift […] ist keine Muse, im Gegenteil: Sie dreht den Spieß um, indem sie Männer zu Musen macht. […] Das ertragen nicht alle, und ganz besonders nicht alle Männer.“ Taylor Swift ist wie keine andere mit einem Zentrieren von weiblichen Lebenswelten, mit einem Feiern weiblicher Gemeinschaft und einem völlig ungenierten – und das ist in einer misogynen Welt, in der „Mädchen“ immer noch als Schimpfwort gilt, durchaus eine Errungenschaft – Zelebrieren von „girlhood“ verbunden.

Und: Auf Taylor-Swift-Konzerten schreien zigtausende Frauen und Mädchen Abend für Abend gemeinsam die Worte „Fuck the patriarchy“. Bis die Erde bebt.

Fuck the patriarchy

„Taylor Swift führt sicher nicht den Kampf gegen das Patriarchat an, aber sie etabliert ihn in den Köpfen vieler Menschen und normalisiert ihn“, schreibt Heide Rampetzreiter in der Presse. Tatsächlich muss aus der Perspektive der Patriarchen gerade Taylor Swift besonders bedrohlich wirken. Schließlich hat man sich über Jahrhunderte sorgfältig ein ganzes Repertoire an Abwertungs-Stumpfsinn gegenüber feministischen Frauen und ihren Forderungen zurechtgelegt: fett, hässlich, ungefickt, kriegt keinen Mann ab (weil Punkt eins und zwei), frustriert (weil Punkt drei), kriegt im Leben nichts auf die Reihe (synonym gedacht mit Punkt vier). Wenn jetzt aber auch noch die normschöne, blonde, sexuell sehr aktive (ihre Dating-Geschichte ist ständiges Thema von Boulevard-Medien) Frau mit dem Footballer-Boyfriend, die sanfte Lieder singt und dabei aussieht wie eine Prom-Queen, anfängt, „Fuck the patriarchy!“ zu schreien und dabei dann auch noch so erfolgreich ist, dass sie ganze Volkswirtschaften in der Hand hat, versagt einerseits die übliche mühsam antrainierte misogyne Abwertungsroutine kläglich und andererseits kann man es da schon mit der Angst zu tun bekommen. Die üblichen Feministinnen kann man ja noch verkraften, aber wenn jetzt auch noch die Prom-Queen-Feministinnen dazukommen und sich beide noch dazu nicht gegeneinander ausspielen lassen, ist man endgültig am absteigenden Ast.

Es ist nicht überraschend, dass jene Männer, die sich an ihre Vorherrschaft klammern, bei Taylor Swift und ihrer Fangemeinde Knieschlottern bekommen.

Geplanter Massenfemizid

Mit dem geplanten Terroranschlag in Wien werden Swift und ihre Swifties bereits zum zweiten Mal Anschlagsziel: Erst Ende Juli wurden drei Mädchen im englischen Southport bei einem Swift-Tanzkurs ermordet. Die rhetorischen Distanzierungsversuche von Weiblichkeit, Mädchenhaftigkeit, Frauen, Mädchen und ihren Interessen durch die Distanzierung von Taylor Swift, die viele gerade in ihrem Männlichkeitseifer betreiben, ist insbesondere gerade jetzt besonders peinlich, da Frauenhass Triebfeder und Zentrum von Islamismus und damit jener Ideologie ist, die den mutmaßlichen Täter dazu bewogen hat, einen Terroranschlag auf sie und zigtausende ihrer Fans zu planen. Die Instagrammerin @likegoldendaisies wies in ihren Storys sehr treffend darauf hin, dass der geplante Terroranschlag ein geplanter Massenfemizid war (und die Morde in England leider erfolgreich durchgeführte Femizide). Und um Heide Rampetzeder nochmal zu zitieren: Die Terrorpläne gegen Taylor Swift „sind auch ein Akt des Frauenhasses“. Es ist kein Zufall, dass es nicht Rammstein-Konzerte sind, die wegen Terror-Gefahr abgesagt werden mussten, nicht die Fußball-EM oder die Olympischen Spiele, sondern ganz konkret ein Event, oder eine Eventserie, die klar weiblich konnotiert ist, mit einem fast ausschließlich weiblichen Publikum.

Patriarchen im Allgemeinen und Islamisten im Besonderen hassen nichts mehr als fröhliche, feiernde, tanzende, singende Frauen. Frauen, die zusammenkommen, sich verbünden und ja, „Fuck the patriarchy“ schreien.

Die Weigerung, sich terrorisieren zu lassen

Dieses „Fuck the patriarchy“ haben sich die Swifties übrigens auch durch geplante Terroranschläge nicht nehmen lassen. Gut so. Ganz Wien wurde in den letzten Tagen zur Open-Air-Konzerthalle umfunktioniert und statt im Stadion wurde „Fuck the patriarchy“ auf offener Straße gemeinsam intoniert: beispielsweise auf dem Stephansplatz und in der Corneliusgasse im sechsten Bezirk (die, in Anspielung an den Swift-Song Cornelia Street an den Tagen der abgesagten Konzerte zu einer Art Fan- und Freundschaftsarmband-Zentrale wurde) oder in der Albertina (die Swift-Fans gratis Eintritt schenkte). Die Swifties zeigen uns in den letzten Tagen eindrücklich und berührend, wie cool Mädchen (die man ja so gern uncool findet) und Frauen und ihre Gemeinschaftskulturen sind. Wie resilient und wie widerständig. Die Swifties feiern seit Tagen das Leben, die Freundschaft, die Schwesterlichkeit auf offener Straße, lassen sich ihre Lebensfreude und ihren Platz nicht nehmen. Stattdessen nehmen sie selbstverständlich und lauthals den öffentlichen Raum ein und geben ihn seit Tagen nicht wieder her. Singen und tauschen Freundschaftsbänder aus. Gut so.

Die einzig richtige Antwort auf Terror ist die Weigerung, sich terrorisieren zu lassen.

Spätestens, als dann auch noch ein schwuler Heiratsantrag in der Menge stattfand, musste sogar ich als Antiromantikerin eine Träne zerdrücken.

A message to the smallest man who ever lived

Dass ein Anhänger einer faschistischen Ideologie (denn Islamismus ist Faschismus und Islamisten sind keine armen Hascherl, die nur falsch verstanden werden, sondern gefährliche Faschisten und dementsprechend muss ihnen auch begegnet werden), die auf Frauen- und Schwulenhass (und Judenhass) basiert, dass ein Anhänger des Islamischen Staates, der Frauen steinigt und schwule Männer von Dächern wirft, als Reaktion auf seine geplante Gewalt eine Stadt voller laut in schwesterlicher Verbundenheit und im öffentlichen Raum singende Frauen und schwule Heiratsanträge kriegt, erfüllt selbst mein kaltes Herz mit großer Freude. Wenn es die Swifties nicht gäbe, man müsste sie erfinden. Danke, dass ihr Wien mit eurer Musik gefüllt habt.

Was für eine message to the smallest man who ever lived! Hope you enjoyed the show.

Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Zur Autorin

Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.

Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.

Quellen

Das Thema in anderen Medien