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Abtreibung bleibt in Polen verboten

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Trotz politischer Versprechen und Protesten: Polen behält sein strenges Abtreibungsgesetz bei.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Reuters

Polen hat die strengsten Abtreibungsgesetze in der gesamten EU. Auch die neue, liberal geführte Regierung konnte bisher nichts daran ändern.


Es war eines der zentralen Versprechen von Donald Tusk im polnischen Wahlkampf 2023: Der damalige liberale Oppositionsführer und heutige Premier wollte die Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch lockern. Nirgends innerhalb der EU ist sie strenger als im katholischen Polen, Abtreibungen sind bis auf wenige Ausnahmen streng verboten. Geändert hat sich bisher nichts, auch Tusks Regierung scheiterte an einer Reform.

Die letzte Gelegenheit einer Lockerung bot sich am 12. Juli im Sejm, dem polnischen Parlament. Die Linke, die kleinste Partei in der Regierungskoalition, ließ über eine Entkriminalisierung (keine Legalisierung) von Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche abstimmen. Auch Helfende sollten nicht länger strafrechtlich verfolgt werden. Das Gesetz fand jedoch keine Mehrheit, die Abstimmung scheiterte denkbar knapp mit 215 zu 218 Stimmen. Tusk war es nicht gelungen, die Gegner:innen in seiner Regierungskoalition umzustimmen. Die christlich-konservative Bauernpartei (PSL), die mit in der Regierung sitzt und deren Wählerschaft vor allem auf dem Land anzutreffen ist, war von Anfang an gegen eine Liberalisierung.

Zum Abtreiben fahren Polinnen nach Wien

Wie sieht die derzeitige Regelung aus? Seit 1993 herrschte ein weitreichendes Abtreibungsverbot mit nur drei Ausnahmen: Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter, Schwangerschaft infolge einer Vergewaltigung bzw. Inzest sowie zu schwere Missbildungen des ungeborenen Kindes – jener Grund, auf den mehr als 90 Prozent aller offiziellen Abtreibungen zurückgingen. Seit einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs vom Herbst 2020 ist auch die letztgenannte Ausnahme keine mehr. Es bleiben nur die ersten beiden Gründe für eine legale Abtreibung.

Unter der PiS-Regierung ab 2015 sollten die Gesetze gar noch weiter verschärft werden. Dazu kam es jedoch nicht, denn unter dem Namen „Czarny Protest“ (Schwarzer Protest) gingen Hunderttausende Pol:innen auf die Straße. Es war am Ende dem politisch besetzten Verfassungsgerichtshof geschuldet, dass es dennoch zur erwähnten Streichung des wichtigsten Ausnahmegrunds kam. Dass die PiS beim Thema lockerließ, gilt als wichtiger Grund für ihr Abschneiden bei der Wahl im Vorjahr.

Die Regierung hat gewechselt, doch die Lage für die Betroffenen bleibt fatal. Babys mit Missbildungen müssen seit dem Verfassungsgerichtshof-Entscheid 2020 ausgetragen werden. Medizinisches Personal oder Hilfsorganisationen machen sich strafbar, wenn sie Abtreibungen einleiten oder dahingehend beraten. Aus diesem Grund fahren jährlich Tausende Polinnen ins Ausland, um dort legal abzutreiben – auch nach Wien, wo etwa die Organisation Ciocia Wienia („Tante Wienia“) unterstützt.

Doch immer wieder sterben in Polen Frauen, weil ihnen Abtreibungen verwehrt werden und sie ihre ungeborenen Kinder trotz Komplikationen austragen müssen – oder selbst eine mechanische Abtreibung herbeiführen wollen.

Die Macht der Kirche

Warum ist das Thema Abtreibung so umstritten? Das hat einerseits mit der katholischen Kirche zu tun, deren Einfluss in Polen traditionell stark ist. Wenn auch die Zahl der aktiven Kirchgänger:innen stetig abnimmt, bleibt die Kirche ein wichtiger Machtfaktor, mitsamt einflussreichen Mediennetzwerken (etwa Radio Maryja) und engen Verbindungen in die Politik.

Doch es liegt auch an der Spaltung in der Gesellschaft, die sich entlang der Kategorien Geschlecht, Generation und Geografie abzeichnet. Traditionell gilt der Teil Polens westlich der Weichsel als aufgeschlossener, jener östlich davon als konservativer und ländlich geprägter. Während die junge Stadtbevölkerung – und dort vor allem die Frauen – oft progressiv denkt, sind die Wähler:innen am Land konservativer. In Polen ist diese Spaltung deutlicher ausgeprägter als in den meisten anderen EU-Ländern.

Dennoch sieht Antonina Lewandowska, Soziologin an der Universität Warschau und Aktivistin bei der NGO Federa, einen Sinneswandel: „Vor allem nach dem Urteil des Verfassungsgerichts hat sich die öffentliche Wahrnehmung erheblich verändert. Einige repräsentative Umfragen zeigen mittlerweile Zustimmungswerte zwischen 60 und 80 Prozent für die Legalisierung von Abtreibungen.“

Die Regierung hat bereits angekündigt, nach der Sommerpause neuerlich über eine Legalisierung bzw. Entkriminalisierung abzustimmen. „Doch selbst wenn eine Mehrheit zustande kommt, würde Präsident Andrzej Duda (von der PiS, Anm.) ein solches Gesetz wohl nicht unterzeichnen. Seine früheren Wortmeldungen dazu lassen keine Zweifel“, sagt Lewandowska. Auch in anderen Politikfeldern blockierte der Präsident mehrere Gesetzesvorhaben der aktuellen Regierung, vor allem bei einer Rückabwicklung umstrittener früherer PiS-Gesetze im Medien- und Justizbereich.

Immerhin: Unter der vorherigen PiS-Regierung sahen sich Frauenrechtsorganisationen erheblichen Feindseligkeiten ausgesetzt, darunter Überwachung, Drohungen und dem Entzug finanzieller Mittel. Die derzeitige Regierung zeige eine kooperativere Haltung und beziehe NGOs in ministerielle Ausschüsse und beratende Funktionen ein, sagt Lewandowska: „Das allein ist aber zu wenig.“ Sie und ihre Mitstreiter:innen werden auch weiterhin die Regierung an die gemachten Versprechen erinnern.


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Infos und Quellen

Daten und Fakten

  • Die rechtsnationale Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) führte von 2015 bis 2023 die polnische Regierung an. In derselben Zeit und bis heute stellt sie auch den polnischen Präsidenten, Andrzej Duda. Von Anfang an verfolgte die Partei unter ihrem Parteichef Jarosław Kaczyński einen illiberalen Kurs. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk TVP wurde zum reinen Propagandakanal der Regierung, die unabhängige Justiz stark beschädigt, was auch Kritik der EU nach sich zog.

  • Bei der Parlamentswahl im Oktober 2023 landete die PiS immer noch auf Platz 1, wenn auch mit herben Verlusten. Sie fiel von 43,6 Prozent (2019) auf nur mehr 35,4 Prozent. Damit konnte sie keine Regierung mehr bilden, weswegen eine bunte Koalition unter Führung des Liberalen und früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk zusammenfand. Gemeinsam mit der konservativen Allianz „Dritter Weg“, der auch die christlich-konservative Bauernpartei PSL angehört, und dem Linksbündnis führt Tusks „Bürgerkoalition“ (KO) die Regierung an. Das in der Regierung vertretene Parteienspektrum ist jedoch äußerst breit, weswegen viele der geplanten Vorhaben – im Wesentlichen geht es darum, die PiS-Reformen rückabzuwickeln – noch nicht umgesetzt werden konnten.

  • Beispielhaft dafür ist die geplante Liberalisierung von Abtreibungen – ein wichtiges Versprechen nicht nur von Tusks Bürgerkoalition, sondern auch besonders wichtig für die vielen jungen Wähler:innen des Linksblocks. Weil sich die konservative PSL aber nach wie vor dagegen sträubt, gibt es bisher keine Liberalisierung von Abtreibungen.

  • Das war nicht immer so: Von 1932 bis 1956, früher als die meisten anderen Länder, erlaubte Polen Abtreibungen im Fall einer Vergewaltigung oder aus medizinischer Notwendigkeit. Unterbrochen wurde dies nur in der Zeit der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Im Zug einer Novelle 1956 wurden Abtreibungen schließlich in allen Fällen erlaubt, in denen Frauen „schwere Lebensumstände“ erleiden. Anfänglich noch eher restriktiv, wurde dieser Passus in den 1960ern und 1970ern immer liberaler ausgelegt und weit gefasst. Erst nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft 1989 wurde die Gesetzgebung zunehmend restriktiver. Auch der gefeierte polnische Papst Johannes Paul II. (im Amt 1978 bis 2005) setzte sich für ein Abtreibungsverbot ein – mit Erfolg. Im Zug der 1990er wurden Abtreibungen immer weiter erschwert – das hat sich bis heute nicht geändert.

Gesprächspartnerin

Antonina Lewandowska, Soziologin an der Universität Warschau und Aktivistin bei der Frauenrechtsorganisation Federa

Quellen

Das Thema in anderen Medien