Mit jedem Satz bekomme ich eine Ideologie aufgedrückt, die nicht meinem Wertesystem entspricht: Warum Gendern nervt.
Gendern nervt. Es nervt mich schon lange. Es macht Texte unpräziser, unsere Sprache insgesamt einseitig. Es nervt, dass ich mit jedem Satz eine Ideologie aufgedrückt bekomme, die nicht meinem Wertesystem entspricht.
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Es nervt, dass ich immer nur mitgemeint bin. Es nervt, dass die deutsche Sprache durch und durch gegendert ist. Männlich gegendert. Ich bin dafür, dass wir mit diesem Gendern endlich aufhören.
Deutsch als Menschensprache
Weil Gendern so nervt, fordern Feministinnen seit spätestens den 1970ern (allen voran die legendäre Luise F. Pusch), das generische Maskulinum zu kübeln und Deutsch von einer „Männersprache“ zu einer zumindest etwas realitätsnäheren Menschensprache zu machen. Es gibt in der Praxis viele Möglichkeiten, der Norm des Genderns und der Normsetzung des Männlichen, dem generischen Maskulinum, in der deutschen Sprache etwas entgegenzusetzen; die bekannteste ist das Anfügen eines „innen“ an ein männlich gegendertes Nomen: in Form des Binnen-I (LeserInnen), des Unterstriches (Leser_innen), des Sternchens (Leser*innen) oder des Doppelpunktes (Leser:innen). Oder, wenn mehr Zeichen oder Sendezeit zur Verfügung steht, durch das Nennen der männlichen UND der weiblichen Form: Leserinnen und Leser.
Damit wäre die Angelegenheit recht schnell erledigt, möchte man meinen. Stattdessen kocht alle zwei Jahre (das ist eine optimistische Schätzung, ich fürchte es sind eher alle paar Monate) eine ermüdende Debatte darüber hoch, wie mühsam, nervig oder die deutsche Sprache entstellend der Versuch, diese von ihrer ausschließlichen Fokussierung auf die männliche Form – dieses Ent-gendern wird dann meist fälschlicherweise „Gendern“ genannt – zu befreien ist.
Zweieinhalb Anlässe zur Erregung
In diesem unseren schönen, aber provinziellen Land gab es in den letzten Wochen gleich zweieinhalb Anlässe zur sprachbezogenen Erregung: Da war einerseits der „Gender-Erlass“ in Niederösterreich, der fälschlicherweise gerne „Gender-Verbot“ genannt wird (in dieser Debatte ist nun mal von jeder Seite selten eine vernünftige, faktenbasierte Stimme zu hören), Anlass eineinhalb wäre Udo Landbauer, der sich durch die Betitelung „Landeshauptfraustellvertreter“ in seinem männlichen Stolz beleidigt fühlte. So wichtig ist es ihm, in seiner Männlichkeit wahrgenommen zu werden, dass sich da aber bitte kein „Frau“ auch nur in die Nähe seines Titels zu schleichen hat. Männer müssen im Gegensatz zu Frauen nicht nur immer und überall benannt werden, sie fühlen sich offenbar auch durch die korrekte Benennung von Frauen beleidigt, insbesondere, wenn diese in der Hierarchie über ihnen stehen, das ist dann doppelt frech.
Generisches Femininum. Ein unerhörter Affront!
Der zweite Anlass kam aus dem Justizministerium – Alma Zadič ließ das Gesetz für flexible Kapitalgesellschaften in rein weiblicher Form verfassen. Generisches Femininum also. Ein unerhörter Affront! Da erklären wir den Weibern jahrelang, dass sie in der männlichen Form eh mitgemeint sind und dann kommen die daher und meinen UNS plötzlich mit? Testerische Kommentatoren in diversen Foren diverser Zeitungen antizipierten indes Schnitzelverbot und Zwangsarbeit für Nicht-Genderer als nächste logische legistische Schritte.
Dabei schienen und scheinen sie zu vergessen, dass die weibliche Form die männliche Form fast immer beinhaltet, Männer mit ihr also in aller Regel nicht nur mitgemeint, sondern tatsächlich auch mitgenannt werden. „LeserInnen“ beinhaltet „Leser“. „Leser“ beinhaltet „Leserin“ nicht. Wie sehr genau das die Gemüter erhitzt, durfte ich auch nach der Veröffentlichung meines Buches erfahren, welches genau aus diesem Grund im generischen Femininum verfasst ist. Ganze Rezensionen auf diversen Verkaufsplattformen widmeten sich dem Thema der „dümmlichen Provokation“ meiner Mitbenennung von Frauen. (Ist es nicht. Es ist einfach eine akkuratere Wirklichkeitsabbildung.)
Mitgemeint ist nicht mitgenannt
Die auf Anlässe wie obengenannte wie das Amen im Gebet folgenden Debatten werden mit den immergleichen Argumenten geführt: Der Redefluss würde unterbrochen (gut, das ist mitunter Teil der Strategie, da es einen Irritationsmoment erzeugt, der die sprachliche Normsetzung des Männlichen ausstellt); Frauen seien eh mitgemeint (das ist sehr nett, wir wollen aber auch mitgenannt werden); ich bin eine Frau und es stört mich nicht, als „Leser“ angesprochen zu werden (das ist schön, Gerti, aber du bist nicht die einzige Frau auf der Welt und viele andere stört es schon); meine Frau stört das aber nicht (das ist schön, aber die Gerti ist nicht die einzige Frau auf der Welt und viele andere stört es schon).
Das häufigste Argument für männliches Gendern der deutschen Sprache ist allerdings eigentlich eine Frage: HABEN WIR DENN KEINE ANDEREN PROBLEME? Es ist eine Frage, die Feministinnen gerne von jenen gestellt wird, die alle zwei Jahre (das ist eine optimistische Schätzung, ich fürchte es sind eher alle paar Monate, aber ich zähle nicht mehr mit) Nervenzusammenbrüche im Feuilleton inszenieren, weil sie offenbar keine anderen Probleme haben.
Wir haben, leider, sehr viele andere und sehr viele größere Probleme.
Ich liefere an der Stelle sehr gerne die Antwort, damit die Frage fortan nicht mehr gestellt werden muss: Wir haben, leider, sehr viele andere und sehr viele größere Probleme. Zu diesen zählen in keiner bestimmten Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Altersarmut, Alleinerzieherinnenarmut, Frauenarmut überhaupt, ökonomische Diskriminierung bei der Bezahlung unserer Arbeit, beim Erben und in der Pension, fehlende reproduktive Rechte, sexuelle und sexualisierte Gewalt, Gewalt in Partnerschaften, männliche Gewalt überhaupt, sexistische Frauenbilder in Medien, Misogynie immer und überall, mangelnde Repräsentanz in politischen Machtpositionen, unbezahlte Reproduktionsarbeit, Mental Load, Diskriminierung in der Medizin, zu wenig Geld, zu wenig Anerkennung, zu wenig Sicherheit, zu wenig Zeit, zu wenig Respekt und so weiter.
Wir haben in der Tat viele andere Probleme als jenen, die der Meinung sind, dass Frauen es nicht verdient haben, sprachlich benannt zu werden, angesprochen zu werden, abgebildet zu werden, zu erklären, dass Frauen sehr wohl benannt, angesprochen, abgebildet werden müssen, weil sie Männern gleichwertige Menschen sind oder weil sie überhaupt Menschen sind.
Deshalb schlage ich vor, dass wir aufhören, darüber zu diskutieren, aufhören zu gendern, und Frauen gleichberechtigt mitnennen. Wir haben noch viel Wichtigeres zu tun.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Genese
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
Luise F. Pusch. „Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik.“, Suhrkamp Verlag, 1990.
Luise F. Pusch. „Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik.“, Suhrkamp Verlag, 1991.
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