Joe Hampton wurde durch die Netflix-Doku „Last Chance U“ weltweit bekannt. Nun verfolgt der 26-jährige Basketballspieler seinen Traum in der steirischen Provinz.
Joe Hampton steht am Fürstenfelder Hauptplatz, schaut auf ein Schild mit der Aufschrift „I wül wieda ham“ und lacht: „Es gibt ein Lied über Fürstenfeld? Das wusste ich nicht. Ich wusste ehrlich gesagt gar nichts über Österreich. Außer, dass es kalt ist“, sagt der 26-Jährige. Hampton – in Kapuzenpulli, Jogginghose und Schlapfen in der steirischen Kleinstadt unterwegs – ist der bekannteste Basketballer, der je in Österreich gespielt hat. Seit Jänner ist der zwei Meter große US-Amerikaner für die Fürstenfeld Panthers aktiv – mit 29 Niederlagen und zwei Siegen das Schlusslicht der Basketball-Bundesliga. Für Hampton ist die Zeit in Fürstenfeld trotzdem ein Geschenk. „Ich bin sehr froh, dass ich in Österreich meinen Traum verfolgen kann. Aber manchmal ist es tough.“
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Brief an den Richter
Hampton ist einer der Stars der achtteiligen Netflix-Serie „Last Chance U“. Die Dokumentation begleitete im Jahr 2020 junge US-Basketballer, denen eine große Karriere prophezeit wurde. Verletzungen, Kriminalität oder Ungeduld haben ihnen jedoch den Weg nach oben versperrt. In der Basketball-Mannschaft des East Los Angeles College bekommen sie eine letzte Chance, um sich zu beweisen.
Hampton ist bei seiner Großmutter in Washington D.C. aufgewachsen. Der Vater war als Lkw-Fahrer viel unterwegs, die Mutter arbeitete Vollzeit. Als Jugendlicher galt er als großes Basketballtalent, schaffte es nach der High School in die Top-Mannschaft der Pennsylvania State University. Der nächste Schritt sollte die amerikanische Profi-Liga NBA sein. Aber Hampton verletzt sich, betäubt seinen Frust mit Kiffen, verliert sich selbst und verlässt die Universität. „Ich war damals noch ein Teenager und habe schlechte Entscheidungen getroffen“, sagt er und schlapft durch die Fürstenfelder Innenstadt. „Ich war sauer – auf mich und die Welt. Nach ein paar Monaten habe ich mir aber gesagt, dass es das noch nicht gewesen sein kann.“
Er bekommt das Angebot, am niederklassigen College in Los Angeles zu spielen. Das Problem: Er sitzt zu diesem Zeitpunkt wegen Scheckbetrugs wochenlang im Gefängnis. „Mein Coach John Mosley hat sogar einen Brief an den Richter geschrieben, dass er sich um mich kümmern wird.“ Mit Erfolg. Hampton wird Teil des Teams in Los Angeles, lernt, mit seiner Wut besser umzugehen, und wird durch die Netflix-Serie international bekannt. Zudem macht er seinen College-Abschluss. „Ich bin der erste in meiner Familie, der das geschafft hat. Darauf bin ich stolz.“
Nach Stationen in Kolumbien und Ecuador landet er im Jänner 2024 in Fürstenfeld. Die Panthers aus der Steiermark haben zu diesem Zeitpunkt noch kein Ligaspiel gewonnen. Hampton bekommt einen Vertrag für drei Monate, eine kleine Wohnung in Bahnhofsnähe, ein Fahrrad und verdient ungefähr so viel wie ein Junglehrer. Seine Tage sind mit Training, Essen, Spielen und hin und wieder mit Bälle werfen mit Jugendlichen am Freiplatz gefüllt. „Ich weiß jetzt immerhin, wie ein Schnitzel schmeckt. Ich kann mich hier voll und ganz auf Basketball konzentrieren. Aber natürlich vermisse ich meine Familie.“
Von Land zu Land
In den Parks ist Streetball beliebt, Profi-Basketball ist in Österreich kein glamouröser Sport. Gespielt wird in kleinen Hallen, manche Spiele haben nicht mehr als 200 Zuseher:innen. Es ist aber eine leidenschaftliche Community, die vor allem in Kleinstädten wie Oberwart, Traiskirchen, Klosterneuburg, Gmunden oder Fürstenfeld das Sportgeschehen prägt. „Jeder kennt die Spieler, aber die Spieler kennen niemanden. Das ist nicht immer leicht“, sagt Panthers-Coach Pit Stahl.
Der 60-jährige Deutsche kennt den österreichischen Basketball seit 20 Jahren. In den 1990ern war er Jugendtrainer von Dirk Nowitzki, der später zu einem der besten Spieler in der NBA wurde. „Aber wenn die Spieler in Österreich einen guten Eindruck hinterlassen, können sie in eine bessere Liga wechseln“, so Stahl. Das ist auch das Ziel von Joe Hampton. Aber wo er nächste Saison spielen wird, ist ungewiss. Es könnte Bulgarien, Finnland oder Mexiko sein. Die meisten Spieler ziehen bald weiter.
Stars am Spielfeld, Rassismus im Club
In Fürstenfeld spaziert Joe Hampton vorbei am Grillhendl-Stand vor dem Eurospar, drei Jugendliche in weiten Hosen und Basketballschuhen sitzen davor. Als sie den großen Amerikaner sehen, stehen sie auf und schlagen mit ihm ein. Es ist Mitte Februar und die Panthers haben ihr erstes Spiel gewonnen. „Ich bin nach dem Spiel nach Graz ins Casino gefahren“, erzählt der 26-Jährige mit einem Lächeln. Mit 600 Euro ist er zurückgekommen. „Du musst auch die kleinen Erfolge feiern.“
Ich wurde in Graz nicht in einen Club gelassen. Wohl wegen meiner Hautfarbe.Shawn Ray
Zum Feiern von Fürstenfeld nach Graz gefahren ist auch Shawn Ray. Der heute 44-Jährige ist im Jahr 2003 nach Österreich zu seiner ersten Profistation in Oberwaltersdorf gekommen. 21 Jahre später ist er immer noch im Land und hat mit Oberwart, Kapfenberg, Wien und Fürstenfeld alles gewonnen, was es im österreichischen Basketball zu gewinnen gibt, und wurde zum Fan-Liebling. „In den kleinen Städten haben mich alle gekannt. Mir ist es aber auch passiert, dass ich beim Feiern in Graz nicht in einen Club gelassen wurde. Das lag sicherlich an meiner Hautfarbe“, erzählt Ray, der aktuell bei den Wörthersee Piraten in der zweiten Liga spielt. „Österreich hat keine große Basketball-Liga. Aber wenn ich in den USA bin, treffe ich Dutzende Spieler, die alles für so eine Karriere geben würden.“
„Du musst den Sport wirklich lieben“
Fahrt aufgenommen hat der Basketball-Sport in Österreich Anfang der 1990er-Jahre. Es war jene Zeit, als Michael Jordan zum Idol wurde und Nike-Air-Schuhe der letzte Schrei auf dem Schulhof waren.
Was Michael Jordan damals für die NBA war, das war Clarence Swearengen für die österreichische Liga. Als Spieler in Gmunden und Fürstenfeld war er einer der ersten Stars in Österreich. Heute arbeitet der 56-Jährige als Lehrer im US-Bundesstaat Tennessee, wo er auch lang Coach war. „Während meiner Jahre in Österreich habe ich halb Europa bereist. Ich vermisse diese Zeit, die es mir ermöglicht hat, eine Karriere in den USA aufzubauen“, sagt Swearengen fast 30 Jahre nach seiner aktiven Zeit.
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Vieles hat sich seither verändert. „Wenn ich damals mit meiner Familie sprechen wollte, bin ich in das Büro unseres Präsidenten gegangen und habe sein Telefon benutzt“, erinnert er sich. Manches ist aber auch gleichgeblieben.
„Wenn du hier Basketball spielst, musst du den Sport wirklich lieben“, sagt Joe Hampton und macht sich zum Training auf. Ob er nach Saisonende vielleicht „wieda ham“ nach Fürstenfeld will? Hampton lacht: „Ich will sicher noch ein paar Jahre spielen. Aber jetzt freue ich mich darauf, bald meine Freundin und unseren Hund zu sehen.“
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Infos und Quellen
Genese
Joe Hampton wurde durch die Netflix-Doku „Last Chance U“ weltweit bekannt. Nun verfolgt der 26-jährige Basketballspieler seinen Traum in der steirischen Provinz bei den Fürstenfeld Panthers. Zahlreiche Amerikaner verfolgen diesen Traum vom Profisport in Österreich. Abseits des Scheinwerferlichts werfen sie Ball um Ball in kleinen Turnhallen. Oft werden sie gefeiert, manchmal erfahren sie aber auch Rassismus. Wie sieht ihr Leben in Österreich aus? Der freie Journalist Stephan Wabl hat Joe Hampton in Fürstenfeld getroffen, um es herauszufinden.
Gesprächspartner
Joe Hampton: Basketball-Spieler bei den Fürstenfeld Panthers und einer der Protagonisten der Netflix-Doku „Last Chance U“
Pit Stahl: Trainer bei den Fürstenfeld Panthers
Shawn Ray: Spieler bei den Wörthersee Piraten
Clarence Swearengen: Ehemaliger Spieler bei den Fürstenfeld Panthers
Daten und Fakten
Der Österreichische Basketballverband wurde 1948 gegründet, hat 164 Vereine und 22.073 Mitglieder.
In der ersten Basketball-Bundesliga der Männer spielen aktuell zwölf Teams. Diese kommen aus Oberwart, Traiskirchen, Klosterneuburg, Wels, Gmunden, Graz, Kapfenberg, Fürstenfeld, Eisenstadt, St. Pölten und Wien. Die erfolgreichsten Mannschaften der jüngsten Vergangenheit sind die Kapfenberg Bulls (siebenmal Meister) und die Gmunden Swans (sechsmal Meister). Die Saison läuft von Oktober bis Mai. Im Schnitt kommen rund 500 Zuseher:innen zu den Spielen. Bei Spitzenspielen sind es 2.000 Zuseher:innen. Die Vereine haben im Schnitt ein Budget von 500.000 Euro.
Bei den Frauen sind es acht Teams in der ersten Bundesliga. Diese kommen aus Klosterneuburg, Wels, Graz, Wien und St. Pölten. Die erfolgreichsten Teams der jüngsten Vergangenheit sind Vienna United (vierzehnmal Meister) und die Klosterneuburg Duchess (neunmal Meister).
In der ersten Basketball-Bundesliga spielen bei den Männern 168 Spieler. Davon sind 64 Legionäre, davon wiederum sind 32 aus den USA. In der Frauen-Bundesliga spielen 124 Spielerinnen. Davon sind 35 Legionärinnen (keine aus den USA). Anmerkung: Zu den Legionär:innen zählen auch Spieler:innen, die seit ihrer Geburt in Österreich leben, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft haben.
Beide Nationalmannschaften, Männer und Frauen, haben sich bisher noch nie für die Olympischen Spiele oder die Weltmeisterschaft qualifiziert. Auch kein österreichischer Basketballklub hat bisher einen internationalen Titel gewonnen.
Ein Österreicher hat es bisher in die NBA geschafft. Der 28-jährige Wiener Jakob Pöltl spielt bei den Toronto Raptors in der besten Basketballliga der Welt.
Quellen
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Los Angeles Times: Joe Hampton makes the most of one last opportunity
Laola1.at: „Basketball-Boom ist noch nicht auf dem Höhepunkt“
Netflix-Doku : „Last Chance U“