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Asyldefizit

4 Min
Georg Renner schreibt jede Woche einen sachpolitischen Newsletter. Am Samstag könnt ihr den Beitrag online nachlesen.
© Illustration: WZ

Im Nationalrat fand diese Woche die letzte Sitzung vor der Sommerpause statt und die FPÖ ließ mit zwei Anträgen das Thema Asyl auf die Tagesordnung setzen. Georg Renner hat sich die aktuellen Asylzahlen genauer angesehen.


Neben den vielen Highlights der Nationalratssitzung – Teilpension, „Dick-Pic“-Paragraph, Messenger-Überwachung, Dutzende Informationsfreiheitsanpassungen, usw. – versucht auch die stimmenstärkste Partei des Landes, die FPÖ, ihr Leibthema unterzubringen: Unter den Titeln „De-Attraktivierung Österreichs als Zielland für illegale Wirtschaftsmigranten und Scheinasylanten“ sowie „strafrechtliche Sanktionierung des illegalen Grenzübertritts nach Österreich“, beides Anträge mit bescheidenen Erfolgsaussichten, lassen die Freiheitlichen die Asylsituation in Österreich diskutieren.

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Ein Kopf auf gelbem Hintergrund

Einfach Politik.

Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.

Jeden Donnerstag

Das kann man schon nachvollziehen; immerhin herrscht in Österreich seit ein paar Tagen Notstand. Übereinstimmenden Beschlüssen der Bundesregierung und des Hauptausschusses des Nationalrats zufolge – „Feststellung der Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit“ – herrscht hierzulande wirtschaftlich, bildungs- und sicherheitspolitisch der Ausnahmezustand. Das ist notwendig, damit die Republik den Familiennachzug von Asylberechtigten aussetzen kann. Diskutiert worden ist über diese Notlage bisher kaum – ob das Argument vor Höchstgerichten hält, wird man sehen.

Beides zusammen ist jedenfalls Anlass genug, einen Blick in die aktuellen Asylstatistiken zu werfen. In Deutschland fürchtet SPIEGEL-Kolumnist Nikolaus Blome angesichts sinkender Zahlen ja bereits, dass der FPÖ-Schwesterparte AFD ihr wichtigstes Mobilisierungsinstrument abhandenkommen könnte. Ich habe da ja meine Zweifel, aber dazu später.

Also, wie sieht es in Österreich aus? Schauen wir in die Asylantragsstatistiken des Innenministeriums:


Statistik: Asylanträge sinken seit Oktober 2023 deutlich
© WZ

Wir sehen hier die Zahlen der neuen Asylanträge in Österreich seit 2023 – die heurigen Zahlen reichen bis Mai, die Junizahlen sind noch in der Erfassung, sagt mir das Innenministerium.

Der Trend ist jedenfalls eindeutig: Seit Oktober 2023 laufen die Asylanträge hierzulande deutlich zurück. Der starke Abfall damals entspricht einerseits einer Kombination politischer Maßnahmen: Einer Vereinbarung mit Indien; stärkeren Grenzkontrollen und einem verschärften Asylregime in Griechenland, unter anderem. Andererseits ist ab November 23 besonders die Zahl syrischer Antragsteller:innen zurückgegangen – diese hatten in Österreich wie in Europa in den vergangenen Jahren den größten Anteil an Asylwerber:innen.

Der Rückgang liegt auch im europaweiten Trend, wie diese Auswertung der EU-Asylagentur EUAA zeigt (sorry für die Augenkrebs-Farbgebung):

Statistik: Bewerbungen für Asyl in der EU+
© Screenshot

Auch EU-weit ist der Peak der Asylanträge 2023 vorerst überschritten, auch hier sehen wir den steilen Abfall der Anträge aus Syrien:

Statistik: Bewerbungen für Asyl in der EU+ aus Syrien
© Screenshot

In Österreich hat das den Behörden Zeit gegeben, ihren Backlog an laufenden Verfahren abzuarbeiten:

Statistik: Entwicklung Offene Verfahren
© Screenshot

Hier sehen wir, dass zwar noch rund 15.000 erstinstanzliche Verfahren anhängig sind – ein guter Teil davon betrifft die vorerst ausgesetzten Verfahren der Syrer:innen -, während der „Überlauf“ aus den vorigen Jahren mittlerweile das Bundesverwaltungsgericht beschäftigt.

Kurz gesagt: Die Zahl der neu dazukommenden Asylwerber:innen steht gerade auf einem langjährigen Tief.

Das macht die Thematik natürlich nicht einfacher, wie man mit jenen zehntausenden Menschen umgeht, die in den vergangenen zehn Jahren auf der Suche nach Asyl nach Österreich gekommen und hier geblieben sind – aber es gibt der Politik und Verwaltung zumindest eine „Atempause“, weil weniger neue Menschen nachkommen. (Was das für die Demografie bedeutet, besprechen wir ein andermal.)

Ob das bedeutet, wie Kollege Blome im oben verlinkten Artikel vermutet, dass den Rechtspopulist:innen demnächst die Luft ausgeht? Nun, ich bezweifle es. Wir steuern heuer, wenn das so weitergeht, auf Asylantragszahlen von um die 15.000 Menschen zu. Schauen wir uns die langjährige Statistik an:

Im Vergleich steuern wir also auf ähnliche Zahlen wie 2011 bis 2013 zu. Und die damalige Situation ist mit der heutigen durchaus vergleichbar: Relativ niedrige Antragszahlen, aber gröbere Integrationsprobleme, damals vor allem mit der tschetschenischen Community. Das hat die FPÖ, damals unter Heinz-Christian Strache, nicht aufgehalten, bei Wahlen Rekordergebnis um Rekordergebnis zu erzielen.

Das ist natürlich keine Automatik. Aber den deutschen Kollegen, die diese Erfahrung noch nicht gemacht haben, muss ich sagen: So simpel ist der Zusammenhang nicht.


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Infos und Quellen

Genese

Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.

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