Das Quecksilberverbot der EU sorgt für ein unlösbar scheinendes Tarifproblem – und die Sorge, dass es bald noch weniger Kassenzahnärzt:innen geben könnte.
Quecksilber ist ein hochgiftiges Schwermetall – und trotzdem tragen es viele von uns in Form von Amalgamplomben im Mund. „Solange sie dicht ist, keine Beschädigungen aufweist und keine Karies darunter entsteht, kann man eine Amalgamfüllung im Mund belassen, ohne Angst vor einer Vergiftung haben zu müssen“, sagt Günter Gottfried, Vizepräsident der Österreichischen Zahnärztekammer, zur WZ. „Das Problem ist die Entsorgung, wenn das giftige Quecksilber in die Umwelt gelangt.“ Deshalb verbietet die EU ab 1. Jänner 2025 neue Amalgamplomben.
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Der Haken dabei: Derzeit ist Amalgam jenes Füllungsmaterial, das in Österreich von der Kasse bezahlt wird, während alle anderen – etwa Komposit (Kunststoff), Keramik oder Gold – Privatleistungen sind. Deshalb verhandeln Sozialversicherungen und Zahnärztekammer gerade darüber, welches Material künftig zur Kassenleistung werden soll. Während die Österreichische Gesundheitskasse auf WZ-Nachfrage klarstellt, dass „die bundesweite Finanzierung zahnmedizinisch notwendiger Füllungen durch die Sozialversicherung auch in Zukunft sichergestellt“ sein werde, ist Zahnärztekammer-Vizepräsident Gottfried skeptisch und warnt bereits: „Falls es zu keiner Einigung kommt, müssten nach aktuellem Stand alle Alternativen zu Amalgam privat gezahlt werden.“
Keine leistbare Alternative zu Amalgam
Dass es so weit kommt, wünscht sich der Standesvertreter nicht, wie er im Gespräch mit der WZ betont. Nur sieht er derzeit keine sinnvolle Alternative, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung bei Amalgam aus zahnärztlicher Sicht unschlagbar ist: „Amalgam ist jenes Füllungsmaterial, das den niederschwelligen Zugang zur Kassenversorgung offen hält, weil es günstig in der Produktion, einfach in der Verarbeitung, antimikrobiell, dicht, robust und langlebig ist“, zählt Gottfried auf. „Das ist die Anforderung an ein sozial verträgliches Füllungsmaterial.“ Und es kommt auch Patient:innen mit nicht so ausgeprägter Mundhygiene entgegen, „andere Füllungsmaterialien sind pflegeintensiver“. Vor allem aber sind sie teurer. Komposit etwa kostet bei Zahnärzt:innen abseits der Kassenambulatorien mitunter fünfmal so viel wie Amalgam, Keramik oder Gold mehr als das Zwanzigfache. Deshalb liegen die privaten Füllungsleistungen weit über dem Kassentarif. „Selbst Kunststoff wäre für die Kassen nur schwer stemmbar“, meint der Zahnärzt:innenvertreter.
Schon jetzt sei der Kassenvertrag zum Teil nicht mehr kostendeckend. „Zum Beispiel bleiben uns bei einer Zahnextraktion inklusive Lokalanästhesie und Wundversorgung von den 23,30 Euro abzüglich aller Kosten am Ende 3,69 Euro vor Steuer“, rechnet Gottfried vor. „Dafür hebt ein Handwerker nicht einmal das Telefon ab.“ Mittlerweile gebe es in den Praxen oft eine Querfinanzierung aus den privaten Leistungen, um die Kassenordination am Laufen zu halten. Kein Wunder, dass in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Kassenzahnärzt:innen um neun Prozent zurückgegangen und jene der reinen Wahlordinationen um neun Prozent gestiegen ist. „Übrig bleiben dabei die Kassenpatient:innen“, sagt Gottfried.
Warum Kunststoffplomben keine Alternative sind
Er warnt vor Kunststoffplomben als Alternative zu Amalgam auf Kasse: „Würden wir aus einer Privatleistung eine schlecht dotierte Kassenleistung machen, täten wir weder uns noch unseren Patient:innen einen Gefallen, weil dann noch mehr Kolleg:innen ihren Kassenvertrag zurücklegen würden. Das würde die zahnärztliche Grundversorgung der gesamten Bevölkerung ausdünnen, denn die kasseneigenen Ambulatorien versorgen weniger als zehn Prozent, alles andere leistet der niedergelassene Bereich.“ Dort müssten die Privatleistungen dann um ein Vielfaches teurer werden. Und gerade im Zahnbereich sind es nicht nur die Reichen, die lieber mehr Geld für qualitativ hochwertige Füllungen und Mundhygiene ausgeben, um Probleme mit Plomben und Karies zu vermeiden. Es träfe also auch Patient:innen mit niedrigeren Einkommen.
Aus zahnärztlicher und gesundheitlicher Sicht spreche nichts dagegen, weiterhin Amalgamplomben einzusetzen, meint Gottfried: „Eben weil potenziell giftiges Quecksilber enthalten ist, handelt es sich um einen der am besten erforschten Füllungswerkstoffe weltweit. Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand besteht kein begründeter Verdacht, dass ordnungsgemäß gelegte Amalgamfüllungen negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben.“ Und zur Entsorgungsproblematik führt er an, dass Österreich sehr hohe Standards für die Quecksilberabscheidung habe, „da gelangt praktisch nichts in die Umwelt.“
Gefährlich sind die Aerosole
Potenziell gefährlich ist Amalgam beim Legen und bei der Entnahme der Füllung – und zwar weniger für die Patient:innen als vielmehr für die Behandler:innen, weshalb Masken und Handschuhe vorgeschrieben sind. Sie könnten das entweichende Quecksilber nämlich in Form von Aerosolen einatmen. Quecksilber, das durch den Speichel in den Körper gelangt, wird von diesem nicht aufgenommen, sondern wieder ausgeschieden – und gelangt damit in die Umwelt. Dass Quecksilber für diese schädlich ist, bestreiten die Zahnärzt:innen gar nicht. Sie hätten sich allerdings eine Übergangsfrist bis 2030 gewünscht, um der Industrie die Chance zu geben, eine leistbare Alternative zu Amalgamfüllungen zu entwickeln.
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Infos und Quellen
Genese
Mit 1. Jänner 2025 verbietet die EU aus Umweltschutzgründen neue Amalgamplomben. WZ-Redakteur Mathias Ziegler hat zwar selbst keine Amalgamplomben, aber in der Familie gibt es noch die eine oder andere. Deshalb wollte er wissen, wie gefährlich sie tatsächlich sind.
Gesprächspartner:innen
Günter Gottfried, Vizepräsident der Österreichischen Zahnärztekammer
Presseteam der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK)
Daten und Fakten
Am 30. Juli 2024 ist die überarbeitete Quecksilberverordnung der EU in Kraft getreten. In der Folge darf Amalgam (Legierungen mit Quecksilber) für dentale Füllungen ab 1. Jänner 2025 nicht mehr verwendet oder exportiert werden. In Schweden ist dies – ebenso wie der sonstige Gebrauch des giftigen Schwermetalls Quecksilber – bereits seit 2009 verboten, auch Norwegen, Dänemark (mit Ausnahmen) und die Republik Moldau (ohne Ausnahmen) haben Amalgam aus dem Zahngesundheitswesen verbannt. Einige EU-Staaten erhalten bei Bedarf eine befristete Ausnahmeregelung bis 30. Juni 2026 für die Anpassung ihrer Gesundheitssysteme.
Eingestellt werden in der EU auch die Herstellung, die Einfuhr und die Ausfuhr bestimmter quecksilberhaltiger Lampen, je nach Kategorie ab 2026 oder 2027. Bereits im Jahr 2013 wurde im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) die „Minamata-Konvention“ unterzeichnet, in der sich alle Vertragsparteien zur schrittweisen Reduzierung von Dentalamalgam verpflichteten.
Quecksilber spielte lange Zeit auch in der Eisen-, Stahl-, Zement- und Chlorerzeugung eine Rolle. In diesen Bereichen wurden in Österreich Maßnahmen zur Reduzierung getroffen, sodass die Emissionen insgesamt rückläufig sind. Außerdem ist der Einsatz von Quecksilber als Pflanzenschutz- und Holzschutzmittel mittlerweile verboten, und in einer großangelegten Rückholaktion wurden in den Jahren 2007 und 2008 mehr als eine Million quecksilberhaltige Fieberthermometer fachgerecht entsorgt.
Quecksilber und seine Verbindungen sind allerdings – wenn auch in sehr geringen Konzentrationen – in österreichischen Oberflächengewässern nachweisbar. Nach wie vor kommt Quecksilber unter anderem in Leuchtstoffröhren und Energiesparlampen, Batterien, Kosmetika, Elektro- und Elektronikgeräten (Leiterplatten, Relais, Schalter), Messinstrumenten wie Barometern, Katalysatoren und Laborgeräten zum Einsatz. Außerdem wird anorganisches Quecksilber in medizinischen Konservierungsmitteln und Farben verwendet.
In der Umwelt ist das Schwermetall sowohl natürlich (durch Verwitterung von Gesteinen und durch Vulkanausbrüche) als auch durch industrielle Prozesse (etwa im Bergbau oder durch die Verbrennung von Kohle oder Heizöl) vorhanden. In die Nahrungskette gelangt Quecksilber durch Ablagerungen in Boden und Wasser und wird dabei in die viel schädlichere Verbindung Methylquecksilber umgewandelt. Die stärkste Aufnahme erfolgt durch Fischkonsum, es kann aber auch in allen pflanzlichen Erzeugnissen und tierischen Produkten an Land vorkommen. Die flüchtigen Aerosole von Quecksilber gelangen außerdem in die Atmosphäre, wo sie über weite Distanzen auch in abgelegene Gebiete der Erde transportiert werden.
Ja nach Form (metallisch, anorganisch oder organisch) wirkt sich eine Quecksilberbelastung unterschiedlich negativ auf den Organismus auf, ebenso hängt sie davon ab, ob das Gift akut oder chronisch aufgenommen wird. Metallisches Quecksilber wie jenes in Dentalamalgam ist beim Verschlucken nicht gefährlich, da es aus dem Magen-Darm-Trakt praktisch nicht resorbiert wird. Jedoch können die Dämpfe zu Atemnot und schwersten Entzündungen der Atemwege führen. Wegen der giftigen Aerosole sollte man übrigens tunlichst darauf achten, dass im eigenen Haushalt quecksilberhaltige Leuchtstoffröhren nicht aufbrechen. Auch kontinuierlicher Abrieb kann Quecksilber freisetzen. Anorganische Quecksilbersalze wiederum können Nieren, Leber und einige Gehirnareale schädigen. Beim Verschlucken kommt es zu Verätzungen des gesamten Magen-Darm-Traktes und akutem Nierenversagen. Auch organische Quecksilberverbindungen, wie etwa Methylquecksilber, können sich über den Magen-Darm-Trakt, die Haut und die Lunge gleichmäßig im Körper verteilen – und bei Schwangeren in den Embryo gelangen. Sie schädigen in erster Linie das Nervensystem (Seh-, Hör- und Sensibilitätsstörungen). Vergiftungen mit der Organometallverbindung Dimethylquecksilber, die etwa in der chemischen Industrie bei unzureichenden Schutzmaßnahmen vorkommen können, enden beim Menschen meist tödlich; die Symptome treten oft erst nach einigen Monaten auf. Ein wirksames Gegenmittel ist nicht bekannt. Umso wichtiger ist die Abscheidung von Quecksilber, um zu verhindern, dass es in die Umwelt gelangt.
Quellen
Autonome Honorarrichtlinien (pdf)Das Thema in anderen Medien
Kurier: Aus für Amalgam-Zahnfüllungen in der EU: Was zahlt die Kasse künftig?
Spektrum der Wissenschaft: EU einigt sich auf Verbot von Amalgam-Zahnfüllungen
Kleine Zeitung: Amalgam-Verbot: Was zahlt die Kasse künftig?
Zeit Online: Zahnärzte kritisieren Amalgamverbot der EU