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Trippi Troppi: Verrotte dein Hirn, aber mach es bewusst!

6 Min
Tralalero Tralala
© Illustration: WZ, Bildquelle: TikTok

Brainrot Videos dominieren die Social Media-Welt. Verrotten unsere Hirne? Verkommt Generation Z? Ich habe einen Neurologen gefragt.


    • Brainrot-Videos sind schrille, KI-generierte Clips, die Reizüberflutung kultivieren und viral gehen.
    • Expert:innen warnen vor Suchtverhalten und Realitätsverlust durch Endless Scrolling.
    • Der Trend bietet einen Kontrast zum Influencer-Mainstream und bringt anarchische, unkontrollierte Energie ins Netz.
    • Brainrot-Figuren: z. B. Trippi Troppi, Bombardino Crocodilo, Špijuniro Golubiro
    • Zielgruppe: vor allem Generation Z auf Instagram, TikTok & Co.
    • Begriffsunterschied: Brainrot = schleichende Abstumpfung, Brainfrying = akute Reizüberflutung
    • Zitat Experte Müller-Sarnowski: „Unser Gehirn ist wahnsinnig flexibel und kann sich an solche Situationen anpassen.“
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Es ist hellbraun, so groß wie zwei geballte Fäuste, bestehend aus 50 bis 60 Prozent Fett, ähnelt optisch einer großen Walnuss und beherbergt rund 100 Milliarden Nervenzellen: Die Rede ist vom menschlichen Gehirn. Prunkvoll haust es in unseren Köpfen. Doch was ist das? Eine kleine faulende Stelle. Hier verrottet es.

Der Anblick erinnert an das Bild des verwahrlosten Krabbenburgers aus der Welt von Spongebob Schwammkopf. Schuld daran: Trippi Troppi, Bombardino Crocodilo, Ballerina Cappuccina und Špijuniro Golubiro.


Tralalero Tralala

Es handelt sich um Brainrot-Figuren, die plötzlich auf Social Media Plattformen auftauchen und Influencer:innen die Show stehlen. Sie sind animierte Tierwesen in schrillen Outfits, die in loopenden Clips tanzen, rufen und mit verzerrter, Italienisch-klingender KI-Stimme Phrasen wie „Tralalero Tralala“ oder „Trippi Troppi, Troppa Trippa“ wiederholen – eine Mischung aus Meme, Musikvideo und digitalem Cartoon. Und: Sie werden millionenfach angeschaut und geliket.

Stopp. Viele Leser:innen werden sich jetzt fragen: Was lese ich hier gerade? Verblödet die Generation Z total? Ist die Menschheit verloren? Und noch viel wichtiger: Müssen wir uns Sorgen machen? Andere wiederum werden leise schmunzeln. Endlich stehen die KI-Figuren mal im Rampenlicht, die ihren Social Media-Feed längst übernommen haben.

Reizüberflutung als Routine

Der 29-jährige Georg öffnet seine Instagram-App. Er hat es aufgegeben, die Social Media Plattform aus seinem Leben zu streichen, den Kreislauf von Löschen und Wieder-Herunterladen hat er schon oft durchgespielt. Seine Daumenspitze wandert zur For You Page.

Sein Hirn macht einen Freudensprung. Zu sehen: Ein kleiner blauer Hai in übergroßen Nike Blazers, eine düstere, elegante Taube im Trenchcoat und ein glupschäugiger Katzenkopf mit Hummer-Körper. „Noooo, La Polizia”, dröhnt aus seinem Handy. Es wird bunt, schnell und sinnbefreit. Georg lächelt selig.

„Es ist einfach die ultimative Steigerung von kurz aufs Handy schauen oder E-Mails checken”, sagt Georg. „Es fühlt sich an, wie eine Reizüberflutung. Eine Reizüberflutung, die zur Gewohnheit wird. Ein ständiges Überladen des Gehirns.”

Entspannung für das Hirn?

Brainrot beschreibt primär das Gefühl geistiger Überreizung durch dauerhafte Social Media-Reize. Kurzvideos von Brainrot-Figuren haben es geschafft, dieses Gefühl zu übertreiben und zu perfektionieren. Dieser Reiz wird abrufbar.

Ob ihn das entspannt? „Überhaupt nicht irgendwie”, Georg lacht, es stresse ihn und führe sogar dazu, dass er schlechter schlafen kann.

Felix Müller-Sarnowksi ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe. Er beschäftigt sich mit neurodegenerativen Erkrankungen und mit medizinischer Informatik. Für ihn macht das Verhalten von Georg Sinn. „Der ständige Reiz wird über das sogenannte limbische System vermittelt“, erklärt der Hirnforscher – also den Teil des Gehirns, der automatisch auf Belohnung reagiert. „Der Cortex, unsere Hirnrinde, könnte das zwar übersteuern, aber das kostet viel mehr Energie.“ Kurz gesagt: Unser Gehirn nimmt lieber den einfachen Weg – der schnelle Impuls ist bequemer als langes Nachdenken.

Brainrot ja, Brainfried nein

„Ich glaube, Menschen, die das nicht im Feed ausgespielt bekommen, kriegen von diesen Videos nichts mit. Wenn man sie aber einmal angeschaut hat, tritt man in diese Welt ein”, sagt Georg. In diese Welt ist er schon längst eingetreten.

Das Motto lautet: Je absurder, desto besser. Das weiß auch Georg: „Am meisten faszinieren mich jene Videos, die besonders dumm und kreativ sind. Das Lustige ist, dass es so unlustig ist. Aber es gibt einen schmalen Grat zwischen Deep Fried Content und Brainrot Content.”

Ja, schon wieder ein neuer Begriff. Ja, typisch für Generation Z. Ja, es gibt einen Unterschied zwischen Brainrot und Brainfrying. Brainrot beschreibt den langsamen Verfall durch stumpfen Internetkonsum, Brainfrying die akute Reizüberflutung durch chaotisch-extreme Inhalte. Man könnte salopp sagen: Brainrot brutzelt das Hirn, Brainfrying brennt es durch.

Müssen wir uns Sorgen machen?

Auch wenn Hirnfäule eine bildliche Überzeichnung ist, löst die Vorstellung davon Unbehagen aus. Müller-Sarnowski betont, dass die Folgen von zu viel Social Media Nutzung das Risiko von Alzheimer und Demenz verstärken können. „Die Probleme sind aber um einiges geringer, als sie oft dargestellt werden”, sagt er. “In erster Linie ist es eine Form von Kulturpessimismus, den es schon immer gegeben hat. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde das Lesen von Romanen als problematisch eingestuft. Privatgelehrte meinten, es sei unsinnige Verschwendung, unüberwindliche Scheu vor Anstrengung und würde zu frühem Tod führen.”

Heute geht alles um einiges schneller. Ist das Limit erreicht?

Laut dem Hirn-Experten nicht: „Ich persönlich bin der Meinung, dass keine dieser Techniken genug Power hat, um wirklich unser Gehirn kaputt zu machen oder gründlich zu verändern. Unser Gehirn ist wahnsinnig flexibel und kann sich an solche Situationen anpassen.”

Dass es vielen Social Media-Konsument:innen, die täglich mehrere Stunden online sind, schwerfallen wird, die Realität von dem, was in der virtuellen Welt passiert, zu unterscheiden, besorgt Sarnowksi-Müller. Es besteht die Gefahr, in eine Trance zu geraten, vor allem je länger man sich diese Kurzvideos anschaut. Das nennt man Endless Scrolling.

“Diese Menschen zeigen oft ein klassisches Suchtverhalten. Man hat das kognitiv leider weniger unter Kontrolle, als man das subjektiv oft glaubt“, so der Psychiater.

Nicht mal probieren, real zu sein

Während Influencer:innen in makellosen Küchen Protein Shakes mixen und ihre, in der Realität kaum-umsetzbaren Routinen vermarkten, versprühen Brainrot-Figuren anarchische Energie.

“Ich find es vorrangig einen lustigen Kontrast zu Influencer:innen-Content, der auf super g‘scheit macht und mir eigentlich mega blöd irgendwelche Kooperationen reindrückt. Da schau ich mir lieber etwas an, das sich nicht bewusst verstellt und einfach nur blöd ist”, sagt Georg.

Es werden nicht nur Influencer:innen außen vorgelassen, auch Unternehmen können wenig Kapital daraus schlachten. Ein Trend, bei dem Menschen mithilfe von KI eigene Inhalte schaffen – eine erfrischende Abwechslung für Social Media-Konsument:innen.

Das menschliche Gehirn: Optisch eine Walnuss. Und diese Walnuss mag knusprig angebraten sein, aber Angst, dass sie verbrennen könnte, muss man keine haben.


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Infos und Quellen

Genese

Lirili Larila, Ballerina Cappucina & Co verlaufen sich regelmäßig auf der For You Page der Autorin Nora Schäffler. Sie fragt sich: Was steckt hinter Brainrot? Hält der Name das, was er verspricht?

Gesprächspartner:innen

  • Felix Müller-Sarnowski ist Mediziner, Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut. Seit 2021 lehrt und forscht er im Bereich Medical Information Science an der Fakultät für Medizin in Augsburg, wo er das Fachgebiet medizinische Informatik aufbaut.
  • Georg, Konsument von Brainrot-Videos

Daten & Fakten

  • Brainrot (auf deutsch: Gehirnfäule) bezeichnet negative geistige und psychische Auswirkungen durch übermäßigen Konsum oberflächlicher Internetinhalte, etwa Kurzvideos. Dazu zählen Konzentrationsprobleme, verminderte Lesefähigkeit und übermäßige Nutzung von Internetslang – ein Phänomen vor allem der Generation Z und Alpha. Der Begriff kam um die Jahrtausendwende häufiger auf und wurde 2024 von dem Verlag der Universität Oxford zum Wort des Jahres gekürt.
  • Brainrot vs. BrainfryingBrainrot beschreibt einen schleichenden geistigen Verfall durch ständigen Konsum banaler Inhalte – also eine Art „Verblödung auf Zeit“ durch Internetkultur.Brainfrying hingegen meint eine akute, überwältigende Reizüberflutung, bei der Inhalte so chaotisch, absurd oder extrem sind, dass sie das Gehirn regelrecht „frittieren“ – oft begleitet von visueller und auditiver Überforderung.
  • Künstliche Intelligenz (kurz: KI) bezeichnet Technologien, die menschenähnliche Denkprozesse nachahmen, etwa durch maschinelles Lernen, Bilderkennung oder Sprachverarbeitung. Auf Social Media wird KI zunehmend für personalisierte Inhalte, automatisierte Moderation und generierte Beiträge eingesetzt – mit wachsendem Einfluss auf Meinungsbildung, Sichtbarkeit und Authentizität.
  • Italian Brainrot-Figuren
    Italian Brainrot-Figuren sind Teil eines viralen Trends, bei dem absurde, KI-generierte Charaktere mit fantasievollen Namen und surrealen Designs im Mittelpunkt stehen. Sie treten vor allem in kurzen Videos auf Social Media auf und haben mittlerweile eigene Fan-Wikis und Communities gebildet.

Beispiele für Brainrot-Charaktere

  • Tralalero Tralala: Ein dreibeiniger Hai mit Sneakern
  • Ballerina Cappuccina: Eine Tänzerin mit Cappuccino-Tasse als Kopf
  • Bombardiro Crocodillo: Ein Krokodil-Flugzeug-Hybrid
  • Tung Tung Tung Sahur: Eine Holzfigur mit Baseballschläger
  • Lirilì Larilà: Ein Kaktus-Elefant in Sandalen

Es hat sich eine ganze Welt um diese Figuren gebildet, mit eigenen Begriffen, Regeln und Formaten.

Quellen

  • Gespräch mit Georg
  • Expertengespräch mit Dr. Müller-Sarnowksi
  • Fandom: Brainrot Wiki

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