Tiktok-Reels, das Impulstanz-Festival, millionenteure Tanz-Blockbuster: Tanzen boomt. Nur Ballett bleibt auf der Strecke. Dabei verbessert es unsere Haltung und steigert die Fitness.
Das rosafarbene Tutu, Tänzerinnen, die elfenhaft über die Bühne schweben: Viele Mädchen haben den Traum, Ballerina zu werden. Der Traum wird selten wahr. Ballett bedeutet hartes Training, Durchhaltevermögen und körperliche Disziplin. Missbrauchsvorwürfe in einigen europäischen Ballettakademien – wie etwa in Wien – brachten dem Ballett ein negatives Image. Heute schrecken traditionell inszenierte Ballettklassiker junge Erwachsene eher ab, als sie zu begeistern. Die WZ geht dem Image-Problem auf den Grund. Und sprach mit Andrea Amort, österreichische Tanzhistorikerin und -kritikerin, Autorin, Kuratorin, Dramaturgin sowie ehemalige Lehrende an der MUK Wien.
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Ist Ballett heute altmodisch?
Was davon? Die Technik, die Stücke, die Ästhetik oder das Repertoire? Oder alles? Dafür muss man zuerst zwischen Sich-Ballett-Anschauen und Ballett-Ausüben - als Hobby - unterscheiden. Es treten immer wieder Menschen, vor allem Jugendliche, an mich heran, um zu fragen, wo sie denn Ballett-Workshops machen könnten. Das Problem liegt eher darin, dass ich mir nicht sicher bin, welche Ballettschulen ich empfehlen kann. Die sind in Wien eher spärlich vorhanden. Also die guten. Aber das ist ein anderes Thema. Das Interesse an der Bewegung ist sehr wohl da; auch an der Technik und an der Idee, dass man vielleicht - etwas klischeehaft - mit Spitzenschuhen tanzt.
Man nimmt den Körper als Instrument wahr.Andrea Amort
Kann Ballett ein Hobby sein?
Ballett ist eine Disziplinierung des Körpers. Das klingt hart, aber ich meine damit, dass man seinen Körper, jeden Muskel kennenlernt und wie sie miteinander agieren. Man nimmt den Körper als Instrument wahr. Zusätzlich zur Fitness hilft es auch gegen schlechte Haltung, egal in welchem Alter. Und die gerade Haltung strahlt Selbstbewusstsein aus, das im Alltag von Nutzen ist. Früher schickte man vor allem die Töchter ins Ballett, um gesellschaftliche Umgangsformen zu erlernen, wie etwa auch beim Erlernen des Gesellschaftstanzes in der Tanzschule.
Beim Ballett ist man nicht auf einen Partner angewiesen.
Ja, genau. Ballett über Video im Kammerl zu Hause zu erlernen, ist nicht zu empfehlen, denn man braucht einen guten Lehrer. Und ein weiterer Benefit ist natürlich der Zugang zur klassischen Musik, die Förderung der Musikalität und nicht zu vergessen: der Kreativität. Und das unterscheidet Ballett vom Sport.
Wie kann man das Interesse an Ballett wecken?
Ich finde nach wie vor, dass Tanzen bei uns ein Schulfach sein sollte wie in anderen europäischen Ländern. Interessanterweise gab es schon ab zirka 1926 an Oberstufen – allerdings nur für weibliche Schülerinnen – modernen Tanz als Schulfach. Das wurde aber wieder abgeschafft. Aber Tanz gehört zur Bildung wie auch Musik. Denn Österreich, insbesondere Wien, hat eine Tanzgeschichte, die sich nicht zu verstecken braucht. Das ist auch ein Grund, warum ich all diese Bücher geschrieben habe. Und es braucht definitiv Einführungen mit Erklärungen zu den Ballettklassikern an den Theatern. Diese könnten etwa die jungen Absolvent:innen der unterschiedlichen Tanzinstitutionen für junge Menschen abhalten. Wenn man nie einen niederschwelligen Zugang zu Ballett erfahren hat, ist es unwahrscheinlich, sich das im Theater anzusehen.
Um nicht altmodisch zu sein, braucht es zeitgerechte Überarbeitungen.Andrea Amort
Und falls man es sich - aus welchem Zufall auch immer - doch ansieht, sind Klassiker aufgrund des nicht vorhandenen Vorwissens abschreckend und museal.
Ein weiterer Grund, weshalb man nicht ins Ballett geht, sind auch die Ticketpreise. Es gibt Vergünstigungen, aber auch die muss man sich leisten können.
Wird Ballett grundsätzlich in den Medien zu wenig beachtet?
Durch die diversen Filme, die es immer wieder im Kino gibt, aber auch Serien bei Streamingdiensten würde ich sagen: nein. Im ORF gibt es den Kultursender ORF III, aber den schauen sicher keine Jugendlichen. In den Tageszeitungen wird sehr wenig über Tanz beziehungsweise Ballett berichtet. Als ich noch für den „Kurier“ schrieb, musste ich immer um einen Platz im Blatt kämpfen.
Sollte man vielleicht – wie das Volkstheater in den Bezirken – Ballett in den Wiener Gemeindebezirken vorstellen?
Ich stelle mir gerade Davide Dato (Erster Solist des Wiener Staatsballetts, Anm.) vor, wie er einmal in der Woche einen Workshop für Burschen und Mädels gibt. Warum nicht? Ein gutes Beispiel ist John Neumeiers Bundesjugendcompagnie in Hamburg, die bei Musikfestivals, in Konzerthäusern und Theatern, aber auch an ungewöhnlichen Orten wie Pensionistenheimen, Schulen, Schwimmbädern, Kirchen oder Clubs gastiert.
Ich komme noch einmal auf das Ballett als Inszenierung zurück. Wird es aussterben?
Das Ballett an sich nicht, die tradierten Fassungen vielleicht schon. Mich persönlich macht das sehr traurig. Aber die Zeit geht weiter. Um nicht altmodisch zu sein, brauchen diese Stücke zeitgerechte Überarbeitungen und Anpassungen. Man muss einen Kompromiss finden.
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Infos und Quellen
Genese
Als Tanzkritikerin der „Wiener Zeitung“ hat Verena Franke unzählige Ballettvorstellungen gesehen und den Eindruck bekommen, dass vermehrt Golden Agers in diese Inszenierungen gehen, die Jugend aber über die Jahre immer weniger wird. Dieser Wahrnehmung wollte sie auf den Grund gehen.
Gesprächspartnerin
Andrea Amort erhielt eine Ausbildung in Modernem Tanz und Ballett bei Erika Gangl und Andrei Jerschik und promovierte an der Theaterwissenschaft der Uni Wien. Sie war viele Jahre Tanzkritikerin beim „Kurier“ und unterrichtete an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz und am Wiener MUK. Amort arbeitete als Dramaturgin unter anderem an der Deutschen Oper am Rhein und am Tiroler Landestheater sowie in Kooperation mit freien Choreografen. Ferner war sie als Kuratorin für Theater, Tanz und Performance bei der Stadt Wien tätig. Sie schrieb zahlreiche Bücher über Tanz wie etwa „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ (Berlin: Hatje Cantz, 2019) oder „Nurejew und Wien“ (Wien: Brandstätter, 2003). Außerdem leitete sie Tanzprojekte, die sich mit der Recherche historischen Tanzmaterials befassten; zuletzt zum Thema Grete Wiesenthal: „Glückselig. War gestern, oder?“