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Selbst gemacht: Care-Arbeit unter dem Deckmantel Öko

5 Min
Kochen, backen, garteln: Romantik pur oder gesellschaftlicher Druck?
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Die Renaissance der handgefertigten Produktion fällt zu Lasten der Frauen. Die Direktorin des Frauenmuseums in Vorarlberg, Stefania Pitscheider Soraperra, warnt vor einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung und sozialem Druck.


    • Der Trend zu selbstgemachter Care-Arbeit betrifft vor allem Frauen und führt zu mehr unbezahlter Arbeit für sie.
    • Stefania Pitscheider Soraperra warnt vor der Romantisierung und gesellschaftlichem Druck, der alte Rollenbilder festigt.
    • In Vorarlberg ist es üblich, dass gut ausgebildete Frauen lange zu Hause bleiben.
    • 80 % der Care-Arbeit werden von Frauen erledigt
    • Gender-Pay-Gap in Vorarlberg am höchsten in Österreich
    • Scheidungsrate in Vorarlberg: 39,8 %, Österreich-Durchschnitt: 36,5 %
    • 26 % der Gen Z in Deutschland finden Care-Arbeit unmännlich
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Wer in Vorarlberg auf den Wochenmarkt geht, der wird über sie stolpern: junge Frauen mit oder ohne Kinderwagen, die für das Kochen daheim Bio-Lebensmittel einkaufen. Oder sich gleich Saatgut für den eigenen Gemüsegarten kaufen. Bloß keinen Arbeitsschritt mehr aus der Hand geben. Eine Kindergarten-Pädagogin erklärt ausdrücklich im Kennenlern-Gespräch, welche Süßigkeiten die Kinder in der Institution essen dürfen: „Selbstgemachte Muffins sind erlaubt. Bitte keine Torte aus der Tiefkühltruhe.“

„Renaissance des Gemüsegartens“

Vom Vetterhof, einem großen Bio-Landwirtschaftsbetrieb in Vorarlberg, heißt es, dass sie im Sommer Absatzprobleme im lokalen Sortiment haben. Denn das eigene Gemüse zuhause anbauen, das erlebe eine „Renaissance“.

Willkommen in der neuen Welt, die sich ein bisschen wie eine alte anfühlt. Denn Bio, lokal und selbst gemacht ist schön und gut. Aber auch eine weitere Aufgabe, die vor allem einem Geschlecht aufgebürdet wird. Der Frau nämlich.

In Vorarlberg steht Österreichs einziges Frauenmuseum. Bis Ende Oktober wird dort eine Ausstellung über die Textilindustrie gezeigt, inklusive Materialgarten und Anleitungen zum selbst Flicken im Museumshop. Es ist eine Ansage gegen Fast Fashion. Aber auch eine Einladung zur Mehrarbeit.

„Ein ambivalenter Trend“

Stefania Pitscheider Soraperra, die Direktorin des Frauenmuseums, gibt im Gespräch mit der WZ zu, dass der Trend zum Selbermachen (garteln, backen, flicken etc.) für Frauen „ambivalent“ ist.

Man müsse zunächst unterscheiden, ob es eine wirtschaftliche Notwendigkeit zur Selbsterhaltung gibt, oder ob es eine Lifestyle-Entscheidung ist. Dann sei die Gefahr da, diese „Care-Arbeit zu romantisieren“, sagt Pitscheider Soraperra. Ein Mehr an Care-Arbeit fällt letztlich den Frauen zur Last. Studien zufolge werden 80 Prozent von Frauen gemacht.

Es gilt zu hinterfragen, wieso die Kekse gebacken werden oder der Garten bestellt wird. Machst du es, weil es eine Tätigkeit ist, die dich stärkt? Weil du in der Natur sein willst oder weil du gern etwas produzierst? Oder machst du es aufgrund einer gesellschaftlichen beziehungsweise sozialen Kontrolle, eines Drucks innerhalb deiner gesellschaftlichen Blase? Wird von dir erwartet, auf den Markt zu gehen? Socken zu flicken? Oder hast du einfach Freude daran?

Taylor Swift macht mit

Freude macht es nämlich offenbar auch. Etwa Pop-Megastar Taylor Swift, die jüngst in einem Podcast erklärt hat, wie gern sie Sauerteig-Brot selbst bäckt.

„Natürlich hat es auch etwas mit Klassismus zu tun“, sagt Pitscheider Soraperra. „Kannst du es dir leisten, so viel Zeit zu investieren? Es als Hobby zu betrachten?“

Der US-amerikanische Automobilhersteller Henry Ford hat es mit der Einführung der Fließbandarbeit ermöglicht, dass Arbeitsschritte zerlegt sowie kleinteiliger (und billiger) geworden sind. Die Kehrseite der Medaille war, dass damit die Entfremdung vom Endprodukt einhergegangen ist. Dass wir heute in einer arbeitsteiligen Gesellschaft leben, ist eine Realität.

Wenn Frauen nun einen Druck spüren, mehr Produktion zu übernehmen, um einem sozialen Bild gerecht zu werden, dann handelt es sich um eine „Re-Privatisierung von Arbeit“, sagt Pitscheider Soraperra.

Beweggründe hinterfragen

Aber es gilt zu differenzieren. Vielleicht möchte ich die Produktion selbst machen, weil ich mir Wissen und damit Handlungsmacht aneignen will?

Brot oder Kekse selbst backen, stellt Pitscheider Soraperra fest, ist per se nicht zum Verurteilen. „Die einen backen, die anderen fahren eine Runde mit dem Fahrrad.“ Die Wahl, was mich glücklich macht und entspannt, soll aber freiwillig getroffen werden. Und nicht aus einer sozialen Kontrolle heraus, wie ein guter oder schlechter Zeitvertreib auszusehen hat. „Das kann schon zu einer neuerlichen Festschreibung von alten Rollenbildern werden.“

Selbstverständlich zu Hause bleiben?

Es ist ein österreichweites Phänomen, dass aber in manchen Regionen sichtbarer ist als in anderen: Vorarlberg hat den höchsten Gender-Pay-Gap in ganz Österreich. Frauen in Teilzeit sind die Regel statt der Ausnahme. „Ich habe in Österreich keine andere Region getroffen, wo es so selbstverständlich ist, dass gut ausgebildete junge Frauen mindestens zehn Jahre zu Hause bleiben, weil sie Kinder betreuen. Weil ein Kind offenbar sonst nicht glücklich wird“, erzählt Pitscheider Soraperra.

Sie und ihr Team gehen viel in Schulklassen – und da ist immer wieder derselbe Satz von Teenagerinnen zu hören: „Ich will fünf Jahre Karriere machen und danach baue ich ein Haus und habe Kinder.“ Pitscheider Soraperra sieht klar einen Rückschritt. Das Modell der Versorgungsehe ist – wieder ­– fest in den Köpfen.

Ein gelungener Lebensplan? Im Vergleich der Bundesländer ist die Scheidungsrate in Vorarlberg österreichweit mit 39,8 Prozent besonders hoch (der heimische Durchschnitt liegt bei 36,5 Prozent).

Das Phänomen der neuen Tradition ist auch in Deutschland zu beobachten. Laut einer Umfrage des Ipsos Instituts finden 26 Prozent der Deutschen aus der Generation Z (circa zwischen 1995 und 2020 geboren) Care-Arbeit unmännlich. Von der Generation X (circa von 1965 bis 1980 geboren) sagen das nur 18 Prozent.


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Konstanze Walther lebt in Vorarlberg und sieht hier immer mehr Frauen, die sich trotz engen Zeitbudgets mehr Arbeit aufbürden.

Gesprächspartner:innen

  • Stefania Pitscheider Soraperra, Direktorin des Frauenmuseums Hittisau https://www.frauenmuseum.at
  • Sprecherin des Vetterhof
  • Kindergarten-Pädagogin

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