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Blumenwiese statt Shoppingcenter

5 Min
Eine Vielzahl an Flächen muss wiederhergestellt werden, so steht es im Gesetz.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock und Pexels

Wilder Donau-Arm statt Strandbar? Welche Auswirkungen das Renaturierungsgesetz auf die Wirtschaft haben könnte.


Moore, Sumpfwiesen, Heiden, Auen, Flüsse, Seen, Wälder, Steppen, Busch- und felsige Flächen – all diese Lebensräume sollen in den kommenden Jahren Stück für Stück wiederhergestellt werden. Das sieht das europäische Renaturierungsgesetz, welchem Österreich zugestimmt hat, vor. Naturschützer:innen jubeln, die Vertreter:innen der Wirtschaft sind skeptisch. Sie sind um ihre Lebensgrundlagen besorgt. Kann der Skilift am Berg noch gebaut werden? Kann das Sägewerk seinen Betrieb noch ausweiten? Oder der Steinmetz seine neue Lagerhalle noch bauen? Wir haben Christoph Haller, Experte für Umwelt- und Energiepolitik der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), dazu befragt.

Befürchtung Nr. 1: Das Verschlechterungsverbot

Die EU will verhindern, dass sich der Zustand der Natur weiter verschlechtert. Dafür wird im Gesetz das sogenannte Verschlechterungsverbot angeführt. Im Großen und Ganzen bedeutet das, dass sich der Zustand von Flächen, wie etwa Mooren, nicht mehr verschlechtern darf und geschützt werden muss. Für die WKO geht das zu weit. „Damit gilt ein ,Schutzgebietsmechanismus’ auf potenziell allen EU-Flächen, wo diese Lebensräume vorkommen oder wiederhergestellt werden, auch außerhalb von Schutzgebieten“, sagt Christoph Haller. Das Renaturierungsgesetz spricht nicht nur Schutzgebiete wie die sogenannten Natura-2000-Gebiete an, sondern bezieht sich auf alle Flächen der in der Verordnung angeführten Lebensraumtypen. Es sei völlig unklar, welcher „Schutzanspruch“ das sein soll. Wenn ich auf meinem Grünland nichts mehr machen kann, dann sind das „massive Eingriffe in die Landnutzung und in notwendige räumliche Entwicklungsmöglichkeiten des Wirtschaftsstandortes”.

Befürchtung Nr. 2: Raum für wirtschaftliche Entwicklung wird eingeschränkt

Zwar lassen sich auch Wirtschaftsvorhaben verwirklichen. Dies jedoch nur unter sehr strengen Voraussetzungen, wonach es sich bei dem Vorhaben um ein „Projekt von überwiegendem öffentlichem Interesse“ handeln muss, für welches „keine weniger schädlichen Alternativlösungen“ zur Verfügung stehen. „Jedes Vorhaben wäre gesondert zu prüfen, was sowohl zu längeren, als auch aufwändigeren Verfahren führen würde“, kritisiert Haller.

Befürchtung Nr. 3: Produktionseinschränkungen etwa in Wirtschaftswäldern

Artikel 12 betrifft die Wiederherstellung der Waldökosysteme. Das heißt, dass die Wälder, auch Fichtenmonokulturen, in einen naturnäheren Zustand umgebaut werden müssen. Wie naturnah ein Wald zu sein hat, wird anhand von sieben Indikatoren gemessen. Diese sind etwa stehendes Totholz, liegendes Totholz oder Vielfalt der Baumarten. Sechs von den sieben Indikatoren müssen erreicht werden. Die genannten Maßnahmen sind laut Haller zwar nicht verpflichtend, werden aber bei Erarbeitung der nationalen Pläne die Vorgabe sein. Das sind etwa Pflanzenschutzmittel- und Düngemittelverbote oder die Aufgabe der Holzernte. Vor allem daran stößt sich Haller. „Wenn man die Verfügbarkeit des Rohstoffes Holz aufgrund einer vorgeschriebenen Aufgabe der Holzernte verringert, hat das drastische Auswirkungen auf Wertschöpfung, Arbeitsplätze und damit auch auf Wohlstand in der Region.”

Wenn die Erntemenge um „nur“ 1 Prozent reduziert werden würde, würde das zum Verlust von rund 162.000 Arbeitsplätzen in ganz Europa führen. Zudem seien eine eingeschränkte Waldbewirtschaftung in Zeiten der Energiewende und steigenden Bedarfs an erneuerbaren Ressourcen praxisferne Wunschvorstellungen.

Befürchtung Nr. 4: Bio-Diversität sticht Klimaschutz

Klimaschutz und Biodiversitätsschritte stehen oft in Widerspruch; dann etwa, wenn ein Windrad gebaut und damit die Wiese zerstört wird oder geschützte Arten gefährdet werden. Hier baut das Gesetz im Artikel 6 eine Ausnahme ein: Der Ausbau Erneuerbarer Energie darf, wenn das öffentliche Interesse überwiegt, auf Kosten einer Verschlechterung des Gebiets erfolgen. „Das begrüßen wir“, sagt Haller, aber „was passiert, wenn es sich um keine eindeutige Klimaschutz-Maßnahme wie das Windrad handelt? Jedes Vorhaben wäre gesondert zu prüfen, was sowohl zu längeren, als auch aufwändigeren Verfahren führen würde“.

Befürchtung Nr. 5: Mitspracherecht der NGOs

Umwelt-NGOs haben eine wichtige Funktion, die Interessen der Zivilgesellschaft in angemessener Weise bei umweltrelevanten Verfahren zu vertreten. Umwelt-NGOs sind aber nicht demokratisch legitimiert. Trotzdem haben sie mit dem neuen Gesetz ein Mitspracherecht bekommen. Sie können etwa bei Schutzgebieten nachträglich Einwände einbringen. Diese weitläufige Einbringungsmöglichkeit würde bedeuten, dass NGOs auch nach dem Ausweisen der Schutzgebiete und der Erstellung der Wiederherstellungspläne Einwände erheben können. Dies lehnt die WKO ausdrücklich ab. „Umwelt-NGOs, welche ihre Bedenken und Forderungen während der Schutzgebietsauswahl nicht vorgebracht haben, sollten diese auch nicht mehr nach Abschluss der Gebietsauswahl vorbringen dürfen“, so Haller. Anderenfalls gäbe es keine Planungs- und Rechtssicherheit.

Befürchtung Nr. 6: EU hat laufend Befugnisse

Mit diesem Gesetz bekommt die EU-Kommission die alleinige Befugnis übertragen, die Inhalte des Gesetzes abzuändern. Sie könnte etwa die langen, an das Gesetz angehängten Listen der Lebensraumtypen, Tier- oder Pflanzenarten erweitern. Damit hätte sie laut WKO weitgehenden Einfluss auf Änderungen und Erweiterungen in diesen wichtigen Bereichen. Für Haller ist dieser Schritt nicht nachvollziehbar. „Dass die Mitgliedsstaaten und die Politik auf diese Weise wichtige Entscheidungs- und Lenkungsspielräume für dieses standortpolitisch äußerst sensible Vorhaben weitestgehend abgeben, verstehe ich nicht.“

Welche Maßnahmenpakete die nächste Bundesregierung beziehungsweise die einzelnen Bundesländer schnüren werden, wird sich zeigen. In jedem Fall wird es ein schwieriges Tauziehen zwischen Naturschutz und Wirtschaft.


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Infos und Quellen

Genese

Am 17. Juni 2024 wurde das Renaturierungsgesetz seitens der EU beschlossen. Kurz danach gab es einen Aufschrei der Bauern. Das Gesetz betrifft aber nicht nur die Landwirtschaft, sondern die gesamte Wirtschaft. Die Wirtschaftskammer Österreich unterstützt zwar die Bestrebungen der Europäischen Kommission zur Wiederherstellung von Lebensräumen, kritisiert jedoch, dass noch viele Fragen offen seien, darunter die grundlegende Definition, was unter der Wiederherstellung und Aufrechterhaltung eines „guten Zustands” zu verstehen sei.

Gesprächspartner

Daten und Fakten

  • Das Renaturierungsgesetz muss im europäischen Amtsblatt veröffentlicht werden. Das passiert voraussichtlich im Herbst. Danach haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, ihre Wiederherstellungspläne vorzulegen.

  • Die Wirtschaft betrifft vor allem Artikel 4, 6, 12, 22 und 23.

  • Verschlechterungsverbot: Artikel 4

  • Produktionseinschränkungen: Artikel 12

  • EU-Befugnisse: Artikel 22 und 23

  • Ausnahme: Erneuerbare Energie: Artikel 6

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien