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Wie Versicherungen mit Vorerkrankungen umgehen

5 Min
Wer durchs Raster fällt: Private Versicherungen entscheiden, wer ein Risiko ist – und wer nicht. Für viele mit Vorerkrankungen heißt das: ausgeschlossen.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Private Versicherungen sollen schützen, wenn das Leben mal nicht so rund läuft. Doch wer eine Vorerkrankung hat, stößt an Grenzen: hohe Prämien, pauschale Ablehnungen. Die WZ zeigt, wie das System funktioniert – und wo es Betroffene im Stich lässt.


Versicherungen greifen ein, wenn wir es aufgrund eines Problems, eines Schadensfalles allein nicht mehr schaffen. Krankenversicherungen sichern medizinische Versorgung, ohne dass man zwischen Therapie und Kontostand abwägen muss. Lebensversicherungen halten Familien den Rücken frei, wenn der schlimmste Fall eintritt. Sie versprechen: Wir sind da, wenn alles kippt.

Nur: Für Menschen wie mich gilt dieses Versprechen nicht.

Denn ich bin chronisch krank. Und damit raus. Nicht offiziell, aber faktisch. Viele Versicherungen winken ab, sobald das Wort „Vorerkrankung“ fällt. Oder sie bieten Tarife an, die nicht bezahlbar sind. Die Botschaft ist klar: Für dich lohnt sich das Risiko nicht.

Es geht nicht um Luxus oder Komfort. Es geht um die Absicherung eines Lebens, das ohnehin schon komplizierter ist als das der meisten. Es geht um gleiche Rechte – gerade in den Momenten, in denen der schnöde Mammon hilft.

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Kannst du dich erinnern? Erst kürzlich fasste ich in meinem Artikel „Gesund genug im Alltag, zu krank für ein Eigenheim?“ meine Erlebnisse mit privaten Versicherungen zusammen: Ich habe mein Leben mit Typ-1-Diabetes im Griff. Mein Blutzucker ist stabil, mein Alltag sportlich, mein Job fordernd – kurz: Ich funktioniere tadellos. Versicherungen sehen das anders. Sechs Absagen für eine Lebensversicherung später wusste ich: Mein Problem ist nicht mein Gesundheitszustand – es ist mein ICD-Code. Jener Code, der meine Erkrankung weltweit als Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert. Krankenzusatzversicherungen? Gibt’s – nur halt nicht für mich. Zu teuer, zu riskant. Mein Lebensstil, mein Bewegungspensum, mein technisches Diabetesmanagement? Nett, aber irrelevant.

Entscheidend ist offenbar: Ich bin ein Fall. Kein Einzelfall, wohlgemerkt – aber einer, der ins Raster passt. Die Leser:innenreaktionen auf meinen Artikel waren zahlreich. Sie schrieben, dass sie erst beim Lesen realisierten, wie stark ihre Erkrankung ihren Alltag beeinflusst – nicht medizinisch, sondern strukturell. Wer mit einer chronischen Diagnose lebt, muss nicht nur die Krankheit managen, sondern auch ihre Nebenwirkungen im System: Hürden, Ausschlüsse, Absagen.

Aber wie ticken Versicherungen? Wie funktioniert das Versicherungswesen generell?

Chronische Erkrankung? Nein, danke

Versicherungen sehen nicht den Menschen, sondern das Risiko. Und wer als Risiko gilt, zahlt – oder fliegt raus. „Es gibt keine fixen Ausschlusslisten, aber bei chronischen Erkrankungen wird es schwierig“, sagt die Vermögensberaterin und Versicherungsmaklerin Sonja Ebhart-Pfeiffer im Gespräch mit der WZ. Psychische Erkrankungen seien besonders problematisch, ebenso Autoimmunerkrankungen: „Gerade Personen mit psychischen oder Menschen mit chronischen Vorerkrankungen bekommen kaum oder nur sehr schwer eine Zusatz- oder Berufsunfähigkeitsversicherung.“

Auch Gesundheitsökonom Thomas Czypionka bestätigt das gegenüber der WZ: „Die Versicherungen sind privat, sie haben ihre Regeln, und wenn das Risiko zu groß ist, lehnen sie ab. Da kann man als Individuum nicht viel machen.“

Differenzierung ist nicht gleich Diskriminierung.
Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs

Der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVO) betont, dass Versicherungen im Privatbereich nicht verpflichtet sind, Verträge abzuschließen – und dass sie laut Gesetz das Risiko individuell bewerten müssen. „Personen mit höheren Risiken zahlen in der Regel höhere Prämien, da ihr Risiko für die Versichertengemeinschaft teurer ist“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme auf meine Anfrage. Die Differenzierung sei notwendig, um das sogenannte Äquivalenzprinzip einzuhalten: Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandeln. „Der Risikoausgleich im Kollektiv ist irgendwann nicht mehr möglich.“

Keine Pflicht, aber eine Lücke

Czypionka bringt es auf den Punkt: „Risikolebensversicherungen sind problematisch. Da wird oft abgelehnt, wenn Vorerkrankungen vorliegen – und damit sind viele de facto vom Zugang zu Eigentum ausgeschlossen.“

Auch Ebhart-Pfeiffer kennt Fälle aus der Praxis: „Ich hatte einen Fall, da hätte die Zusatzversicherung mehrere hundert Euro gekostet. Das lehnen Kunden dann meistens ab.“

Was bleibt: Der Sozialstaat – und viel Eigeninitiative

Für viele bleibt nur eines: selbst vorsorgen. „Regelmäßig Geld zur Seite legen – nicht auf ein Sparbuch, sondern möglichst in renditestärkere Modelle“, rät Ebhart-Pfeiffer. Auch sogenannte Optionstarife (siehe Infos & Quellen) für Kinder können helfen – aber nur, wenn man sie früh genug kennt und abschließt. „Es gibt Möglichkeiten – aber man muss sie wissen.“

Und hier liegt das nächste Problem: Viele wissen gar nicht, worauf sie Anspruch haben würden – weder im privaten noch im öffentlichen System. „Die größte Hürde ist oft: Nicht zu wissen, was einem zusteht“, sagt Czypionka. Das österreichische Gesundheitssystem sei zwar vergleichsweise großzügig, aber wenig transparent. Therapien, die notwendig und zweckmäßig sind, können auch übernommen werden, wenn sie nicht im Leistungskatalog stehen. Aber: Man braucht ein Gutachten. Man muss wissen, an wen man sich wenden kann. Und im Zweifel landet man vor dem Arbeits- und Sozialgericht. „Wer keine Zusatzversicherung hat, bekommt oft keine Unterstützung dabei, wie man zu Leistungen kommt. Man muss wissen, wo man anruft, was man beantragt, was man braucht.“

Diskriminierung? Das ist Auslegungssache

Ob das alles schon Diskriminierung ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Versicherungswirtschaft spricht lieber von Risikodifferenzierung. Czypionka nennt es „ein System mit inhärenter Selektivität“, also einer strukturell bedingten Auswahl, weil Versicherungen auf Risikoselektion ausgelegt sind.

Für Betroffene wie mich fühlt es sich trotzdem eindeutig an. Nicht krank genug für Hilfe, aber krank genug für Ausschluss. Sonja Ebhart-Pfeiffer resümiert: „Das System kann für Versicherte und Versicherungen nur funktionieren, wenn es eine Balance zwischen Leistungsinanspruchnahme und Risikoausgleich gibt.“

Und das ist für Menschen wie mich nicht solidarisch.


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Infos und Quellen

Genese

Nach ihrem Betroffenenartikel „Gesund genug im Alltag, zu krank für ein Eigenheim?“ haben sich zahlreiche Leser:innen bei WZ-Redakteurin Verena Franke gemeldet. Einige erzählten, dass ihnen erst beim Lesen bewusst wurde, wie sehr ihre Erkrankung ihren Alltag beeinflusst – eine Erkenntnis, die für viele neu war. Diese Rückmeldungen haben Franke nicht mehr losgelassen. Jetzt schaut sie genauer hin: Wie steht es eigentlich um Versicherungen – und um all jene, die durchs Raster fallen?

Gesprächspartner:innen

  • Auf eine Interviewanfrage beim Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVO) wurde mit einem Statement geantwortet, das als „ausreichende Beantwortung“ gesehen wurde. Gesprächspartner:in wurde keine/r zur Verfügung gestellt.

  • Thomas Czypionka ist Mediziner und Ökonom und leitet die Forschungsgruppe Gesundheits-ökonomie und -politik am Institut für Höhere Studien (IHS). Derzeit ist er außerdem Vorstandsvorsitzender der Austrian Health Economics Association (ATHEA).

  • Sonja Ebhart-Pfeiffer hat Wirtschaftspädagogik an der WU Wien studiert und ist seit fast 25 Jahren als selbstständige Financial Consultant für die FiNUM Private Finance AG in Wien tätig sowie Vorstandsmitglied im Österreichischen Verband Financial Planners. Neben der Qualifikation als CFP® ist Ebhart-Pfeiffer auch gewerbliche Vermögensberaterin und Versicherungsmaklerin.

Daten und Fakten

  • Versicherung trotz Vorerkrankung? Was (noch) geht:

1. Früh abschließen – am besten vor der Diagnose: Wer jung und (noch) gesund ist, hat die besten Chancen. Vor allem bei Kindern lohnt es sich, früh eine Zusatzversicherung abzuschließen. Manche Anbieter ermöglichen über sogenannte „Epi-Optionen“ sogar eine Versicherung des (noch ungeborenen) Kindes – unabhängig vom späteren Gesundheitszustand. Aber: Diese Option muss vor der Schwangerschaft beantragt werden.

2. Optionstarife nutzen: Wer sich die volle Prämie (noch) nicht leisten kann, kann mit einem sogenannten Optionstarif einsteigen: Man zahlt etwa ein Drittel des Beitrags und sichert sich das Recht, später ohne erneute Gesundheitsprüfung in den Volltarif zu wechseln.

3. Absage bekommen? Nicht das Ende: Auch nach Ablehnung durch eine Versicherung kann ein:e engagierte:r Berater:in helfen – etwa über Sonderlösungen oder interne Risikoabwägungen. Trotzdem gilt: Viele chronisch kranke Menschen bekommen gar kein Angebot oder nur zu extrem hohen Kosten.

4. Selbst vorsorgen: Wenn Versicherungsschutz nicht möglich ist: regelmäßig Geld zur Seite legen – idealerweise in fondsgebundene oder verzinste Anlageformen statt aufs klassische Sparbuch. So lassen sich zumindest größere Ausgaben im Notfall abfedern.

5. Wissen ist Schutz – auch ohne Versicherung: Viele Menschen wissen nicht, worauf sie im öffentlichen Gesundheitssystem Anspruch haben. Wer keine Zusatzversicherung hat, kann dennoch oft moderne Therapien oder Sonderleistungen erhalten – mit dem richtigen Gutachten oder juristischer Hilfe. Arbeiterkammer, Patientenanwaltschaft und Sozialgerichte bieten kostenfreie Unterstützung.

  • Da zahlreiche chronisch Erkrankte auch einen Behindertenstatus erhalten haben: UN-Behindertenrechtskonvention – Gesundheitssorge

Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt das Recht behinderter Menschen auf den Genuss des erreichbaren Höchstmaßes an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung.

Diese Regelungen wiederholen und bekräftigen die bereits für Jedermann aufgestellten Regelungen des Artikels 12 des UN-Sozialpakts, des Artikels 24 der UN-Kinderrechtskonvention und des Artikels 12 der UN-Frauenrechtskonvention.

Im Rahmen dieser Gesundheitssorge ist durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten, dass behinderten Menschen Zugang zu Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern berücksichtigen, haben.

In den Buchstaben a bis f zählt Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention beispielhaft einige zu treffende Maßnahmen auf. Hiernach ist eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung wie anderen Menschen auch zur Verfügung zu stellen, einschließlich sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und aller der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehenden Programme des öffentlichen Gesundheitswesens.

Weiterhin sind Gesundheitsleistungen anzubieten, die von behinderten Menschen speziell wegen ihrer Behinderung benötigt werden, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen.

Die Gesundheitsleistungen sollen so gemeindenah wie möglich angeboten werden, auch in ländlichen Gebieten.

Gleichzeitig verbietet die UN-Behindertenrechtskonvention in Artikel 25 die Diskriminierung behinderter Menschen in der Krankenversicherung und in der Lebensversicherung. Sie verbieten weiterhin die diskriminierende Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung oder Gesundheitsleistungen sowie von Nahrungsmitteln und Flüssigkeiten aufgrund der Behinderung. (Quelle: UN-Behindertenrechtskonvention)

In Österreich ist die UN-Behindertenrechtskonvention seit 26. Oktober 2008 in Kraft. Sie muss bei der Gesetzgebung und der Vollziehung (Verwaltung und Rechtsprechung) berücksichtigt werden.

Quellen

Das schriftliche VVO-Statement im exakten Wortlaut:

„Es besteht seitens des Versicherungsunternehmens im Privatrecht kein Kontrahierungszwang.

Im Privatversicherungsbereich ist die risikobasierte Tarifierung oder das Äquivalenzprinzip ein wesentliches Versicherungsprinzip: Versicherungsprämien müssen nach dem individuellen Risiko eines Versicherungsnehmers festgelegt werden. Dies kann – je nach Vorerkrankung – zu Risikozuschlägen, Leistungsausschlüssen oder keiner Versicherbarkeit führen. Für diese Differenzierung ist es notwendig, das Risiko anhand von Daten (Diagnosen, Vorerkrankungen, …) genau zu kennen. Differenzierung ist jedoch nicht zu verwechseln mit Diskriminierung. Die gesetzlichen Grundlagen gebieten, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieses sogenannte Äquivalenzprinzip setzt daher eine genaue Einschätzung der Risikosituation des Einzelnen voraus. Personen mit höheren Risiken zahlen daher in der Regel höhere Prämien, da ihr Risiko (z.B. zu erwartende Leistungen aufgrund von Vorerkrankungen) für Versicherer bzw. für die Versichertengemeinschaft teurer ist. Es ist auch gesetzlich vorgeschrieben, dass Versicherungsnehmer/innen bei Abschluss einer Krankenzusatzversicherung die ihnen zum Zeitpunkt der Beantwortung der Antragsfragen bekannten gefahrenerheblichen Umstände, etwa die ihnen bekannten Diagnosen, Krankheiten, etc. anzuzeigen/anzugeben haben.

Antiselektionsspirale: Für Personen mit Vorerkrankungen ist eine private Krankenversicherung – subjektiv verständlich - besonders attraktiv. Könnten nun keine Risikozuschläge vergeben werden oder müssten alle Personen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand versichert werden, dann würden die Prämien für alle angehoben und somit die Versichertengemeinschaft überproportional belastet. Wenn die Prämie zu teuer wird oder als unfair empfunden wird, stornieren zuerst Personen ohne Vorerkrankungen. Personen mit Vorerkrankungen fragen eine Krankenversicherung weiter verstärkt nach, gesündere Personen weniger. Die Prämie muss für die Verbleibenden wieder erhöht werden, usw. Der Risikoausgleich im Kollektiv ist irgendwann nicht mehr möglich. Diese Mechanismen führen zu einer sogenannten Antiselektionsspirale. Versicherungsprodukte können nur mehr zu sehr teuren und damit unattraktiven Konditionen oder in letzter Konsequenz gar nicht mehr angeboten werden.“

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