Industrie-Emissionen und Konsum treiben die Klimakrise voran, gleichzeitig brauchen wir Wirtschaftswachstum für Wohlstand. Das Konzept Degrowth zeigt alternative Wege auf.
Höher, schneller, weiter: So lässt sich das Wirtschaftssystem nach der Industrialisierung zusammenfassen. Wir messen unseren Wohlstand mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der Leistung der Wirtschaft. Doch ist diese Kennzahl angesichts der Klimakrise noch zeitgemäß? Eine Antwort darauf könnte die sogenannte Degrowth-Bewegung sein.
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Weniger Ressourcenverbrauch
Degrowth steht für Wachstumsrücknahme, oder auch Wachstumskritik im Hinblick auf das Wirtschaftssystem. Der Begriff ist nicht neu, sein Urheber ist der Philosoph André Gorz. Er schrieb 1972: „Ist das Gleichgewicht der Erde, für das kein Wachstum - oder sogar ein Rückgang - der materiellen Produktion eine notwendige Bedingung ist, mit dem Überleben des kapitalistischen Systems vereinbar?“ Diese Frage klingt 50 Jahre später relevanter denn je, in der Ökonomie wird seit den 2010er-Jahren verstärkt über diese Idee diskutiert.
Wofür der Begriff heute steht, fasst der Anthropologe Jason Hickel so zusammen: „Degrowth ist eine geplante Reduzierung des Energie- und Ressourcenverbrauchs mit dem Ziel, die Wirtschaft wieder in ein Gleichgewicht mit der belebten Welt zu bringen, so dass Ungleichheit verringert und das menschliche Wohlergehen verbessert wird.“ Dabei gehe es aber weniger um die Reduktion von Wirtschaftsleistung, sondern die Reduktion von Material- und Ressourcenverbrauch. Was Degrowth von einer Rezession, also einem Rückgang der Wirtschaftsleistung unterscheidet, ist laut dem Universitätsprofessor das gezielte Zurückfahren von Bereichen wie fossiler Energie, während erneuerbare Energien ausgebaut werden sollen.
Das BIP als Wohlstandskennzahl
Degrowth heißt demnach nicht unbedingt, das Wirtschaftssystem zu bremsen, sondern umzubauen: weniger Emissionen, weniger Fast Fashion, weniger Arbeitszeit, dafür mehr öffentliche Leistungen und grüne Jobs. Dass das Bruttoinlandsprodukt als Kennzahl nicht unbedingt den Wohlstand einer Gesellschaft darstellen kann, erklärt die Journalistin Katharina Mau, die kürzlich ein Buch zum Thema Degrowth veröffentlicht hat, an Beispielen: „Wenn sich zum Beispiel Eltern Zeit für ihre Kinder nehmen und deshalb weniger arbeiten, sinkt das BIP. Wenn sich ein Investmentbanker entscheidet, seinen Beruf aufzugeben, von seinem Ersparten zu leben und ehrenamtlich Menschen im Altersheim zu besuchen, sinkt das BIP.“
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Wie kann diese Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren? Die Umweltorganisation Global 2000 stellte im Rahmen ihrer „Beyond Growth“-Konferenz im Mai in Wien einen „Werkzeugkoffer“ mit Empfehlungen vor: gemeinschaftliche Wohnkonzepte fördern, weniger Arbeitszeit bei vollständigem Lohnausgleich, Einführung einer Vermögenssteuer oder auch Renaturierung.
Ein Konzept, wie man Wohlstand und Wirtschaft neu bewerten könnte, ist das von der Ökonomin Kate Raworth entwickelte Prinzip der Donut-Ökonomie: Das Modell basiert auf einer Donut-Form, der innere Ring steht für das soziale Fundament, also die Grundbedürfnisse der Menschen. Der äußere Ring steht für die ökologischen Grenzen der Erde, wie Artenverlust und Klimakatastrophen. Das Ziel der Donut-Ökonomie ist es, dass innerhalb dieser beiden Grenzen gewirtschaftet wird und somit das soziale Wohl und die Kapazitäten der Erde den Handlungsspielraum vorgeben.
Wachstum innerhalb der Klimaziele
Während die Vermögenssteuer aktuell wieder politisch diskutiert wird, steht die Industrie dem Degrowth-Konzept naturgemäß kritisch gegenüber: In einer vom industrienahen Institut Oecolution beauftragten Studie warnen die Ökonom:innen von Eco Austria davor, dass eine Reduktion der wirtschaftlichen Aktivitäten soziale Konsequenzen haben könnte. Außerdem brauche es das Wirtschaftswachstum, um die grüne Wende voranzutreiben: „Um das Ziel einer Senkung der Emissionen um 41 Prozent bis 2040 zu erreichen, wäre demnach eine jährliche reale Wachstumsrate des BIP von 4,3 Prozent notwendig. Um im Jahr 2040 Klimaneutralität zu erreichen, benötigt es ein jährliches reales Wachstum von 7,4 Prozent.“ Für dieses Ziel brauche es aber nicht nur mehr Wirtschaftsleistung, sondern auch andere Maßnahmen wie politische Rahmenbedingungen, mehr Innovation und erneuerbare Energien.
Es gibt also durchaus gemeinsame Nenner zwischen den Degrowth-Befürworter:innen und -Kritiker:innen. Degrowth-Experte Jason Hickel kam 2023 in einer Untersuchung zur Erkenntnis, dass die Industrieländer im Wirtschaftswachstum ihre CO2-Emissionen nicht ausreichend reduzieren können, um das Klimaziel von 1,5 Grad zu erreichen. Was sowohl diese Studie als auch die Oecolution-Studie aufzeigen: So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Die Erderwärmung könnte laut neuen Zahlen der UNO schon im Jahr 2028 den Zielwert von 1,5 Grad übertreffen.
Elisabeth Oberndorfer schreibt jede Woche eine Kolumne zum Thema Ökonomie. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
Degrowth als Kritik am Wirtschaftswachstum tauchte in den 1970er-Jahren zum ersten Mal auf.
Heute fordern Degrowth-Befürworter:innen gezielte Maßnahmen für die Reduktion von Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung, die wiederum mehr Wohlstand und soziale Gerechtigkeit bringen sollen.
Streitpunkt zwischen der Industrie und Umweltorganisationen ist die Frage, wie viel Wirtschaftswachstum notwendig ist, um Klimaziele zu erreichen.
Quellen
Jason Hickel: What does degrowth mean? A few points of clarification
Giorgos Kallis, Frederico Demaria, Giacomo D’Alisia: Introduction to "Degrowth: A Vocabulary for a New Era"
Krautreporter: Die Idee einer Welt ohne Wachstum, verständlich erklärt
Global 2000: Postwachstum für nachhaltige Entwicklung
Kate Raworth: Doughnut Economics
The Lancet: Is green growth happening?
Eco Austria: Wie viel Wachstum braucht es für die grüne Wende?
Das Thema in anderen Medien
Perspective Daily: Wie wir eine Welt ohne Wachstum schaffen