Pischelsdorf am Engelbach ist die Gemeinde mit der höchsten EU-Förderung pro Kopf. Trotzdem hat die EU ein schlechtes Image bei den Einwohner:innen. Wie ist das möglich? Eine Spurensuche zwischen Grenzverkehr und krummen Gurken.
Oh, wie schön ist Pischelsdorf am Engelbach. Ein Ort an den hügeligen Alpenausläufern im Innviertel, mit duftenden Blumenwiesen, dichten Wäldern und einem großzügigen Freizeitpark. Ein Ort mit freundlichen Einwohner:innen, die jeden, dem sie begegnen, mit „Griaß di“ oder „Servas“ begrüßen. Eine ländliche Idylle in Oberösterreich.
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Doch in Pischelsdorf zeigt sich auch, wie nah Freundlichkeit und Abneigung beieinander liegen können. Geht es um das Thema EU, schlägt die Stimmung schnell ins Negative um. „Würde es uns besser gehen, wenn wir nicht in der EU wären?“, fragt eine junge Frau im Gespräch mit der WZ. Es ist eine Frage, die bei den Gesprächen mit den Einwohner:innen immer wieder auftaucht. Die EU-Skepsis scheint in der Gemeinde sehr hoch zu sein.
Dabei gehört Pischelsdorf am Engelbach zu den großen EU-Gewinner:innen. In den vergangenen zehn Jahren erhielt die Gemeinde 666.555 Euro an EU-Förderung. Bei 1.781 Einwohner:innen sind das 374 Euro pro Kopf – es ist die mit Abstand höchste EU-Förderung aller 2.093 Gemeinden in Österreich. Die zweitplatzierte Gemeinde Suben – ebenso in Oberösterreich – erhielt pro Kopf um die Hälfte weniger. (siehe Grafik)
Auch in absoluten Zahlen liegt Pischelsdorf mit Platz drei weit vorn. Nur Wien und Leoben bekamen mehr EU-Geld.
Grenzverkehr ohne Kontrolle
Pischelsdorf am Engelbach ist eine Wohngegend. Viele Bewohner:innen arbeiten außerhalb der Gemeinde, einige von ihnen beim Chemiekonzern Wacker, gleich auf der anderen Seite der Grenze, im deutschen Burghausen. Die Grenze zwischen den beiden EU-Staaten ist kaum merkbar, es gibt keine Kontrollen und – aufgrund der gleichen Währung Euro – auch keinen Wechselkurs.
Ihre Freizeit verbringen die Pischelsdorfer:innen in den unzähligen Dorf-Vereinen und im Freizeitpark „Generationenplatz“, nur wenige Schritte vom Ortszentrum entfernt. Der Park wurde vor drei Jahren errichtet und ist für viele Einwohner:innen zum Mittelpunkt geworden, vor allem für jene, die Kinder haben.
Laut quietschend jagen zwei Schüler über die vier Kurven der 16 Meter langen Geländerutsche hinunter, es gibt auch einen Kletterfelsen, einen betonierten Pumptrack mit Wellen und Steilkurven, einen Motorik-Parcours mit Kletterstrecke und Niedrigseilgarten und ein Labyrinth, das zu einem Baumhaus führt.
Eine Seniorin sitzt im Schatten auf der Bank zwischen Sandspielplatz und Sandspielhaus. Sie ist mit ihrem Enkel hier. „Mit der EU wurden die Grenzen geöffnet“, sagt sie. „Nun haben wir immer mehr Ausländer im Ort. Sie bekommen mehr Kinder als wir, das macht mir Sorgen.“ Auf die Frage, ob der Zuzug nicht Ländersache sei und daher Aufgabe der österreichischen Bundesregierung, antwortet sie nicht. „Na ja, die EU ist ja auch nicht greifbar“, setzt sie fort. „Ich weiß eigentlich nicht, was die in Brüssel machen.“
Als die Flüchtlinge kamen
Auch ein Vater, der mit seinen beiden Kindern den Freizeitpark besucht, ist EU-skeptisch. Er erinnert daran, wie 2015 „die Flüchtlinge kamen“, wie er sagt. „In Braunau hat es sich abgespielt.“
Braunau am Inn liegt 16 Kilometer entfernt an der deutschen Grenze. Laut einem Bericht der Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN) durchliefen damals 2.500 Flüchtlinge die Stadt. Sie wurden im Auftrag der österreichischen Bundesregierung mit Bussen von der ungarischen Grenze nach Braunau gebracht, um von dort nach Deutschland zu gelangen. „Die eingerichteten Notquartiere für insgesamt knapp 400 Flüchtlinge füllten und leerten sich laufend“, heißt es in dem Bericht. Nach ein paar Wochen war es wieder vorbei.
Nur, was hat die damalige Situation mit der EU zu tun? Der Vater weiß keine Antwort darauf. Er weicht aus und sagt, dass die EU nur aus Lobbygruppierungen besteht, die in die eigene Tasche wirtschaften. „Ich habe mit der EU keine Berührungspunkte.“
Ähnlich wie bei der Seniorin verlagert sich das Gespräch auf den Freizeitpark. „Ich freue mich wahnsinnig, dass es diesen Spielplatz gibt“, sagt die Seniorin, die regelmäßig mit ihrem Enkel hierherkommt. Auch der Vater ist angetan. „Wir wohnen nur zehn Minuten entfernt“, sagt er. „Das ist angenehm, weil wir das Auto auch einmal stehen lassen können.“
Keine EU, kein Park
Dass der Bau des Freizeitparks nur aufgrund von EU-Förderung errichtet werden konnte, weiß niemand von den Park-Besucher:innen, mit denen die WZ gesprochen hat. Die Überraschung ist für sie umso größer.
„Ich habe mich eh schon gewundert, wie sich die Gemeinde das leisten kann“, sagt eine Lehrerin, die mit ihrer Tochter täglich herkommt. Sie ist erst vor kurzem nach Pischelsdorf am Engelbach gezogen. Der Park ist der richtige Ort, um die Einwohner:innen besser kennenzulernen. „Ein Getränkeautomat wäre noch gut“, sagt sie und lächelt.
Der Vater ist ebenso überrascht, dass der Park großteils mit EU-Geldern finanziert wurde. „Das hätte ich nicht erwartet“, sagt er. Die Seniorin sagt: „Die Medien berichten halt nur schlecht über die EU, das färbt ab.“
Selbst Personen, die unmittelbar von der EU profitieren, bleiben skeptisch. Josef Schwarzenhofer betreibt sein gleichnamiges Modehaus in fünfter Generation. Seine Ware bezieht er aus EU-Ländern. „Ich brauche das nicht mehr an der Grenze: Kofferraum und Handschuhfach aufmachen, den Launen der Zöllner ausgesetzt sein“, sagt er. „Und wer will heute noch wechseln? Auch der Bankverkehr geht leichter.“
Die gekrümmte Gurke
Doch die EU sei aufgebläht und undurchsichtig. „Schwer zu durchschauen“, sagt er. Der Unternehmer würde sich mehr Transparenz wünschen. „Der EU-Apparat schreibt uns vor, wie die Krümmung der Gurke auszusehen hat. Wer beschäftigt sich mit solchen absurden Dingen?“
In den vergangenen zehn Jahren erhielten nur 77 österreichische Gemeinden EU-Förderung, das sind 3,6 Prozent aller 2.093 Gemeinden. Pischelsdorf erhielt sogar zwei Förderungen, eine für den 7.000 Quadratmeter großen Freizeitpark und eine für den 1,7 Kilometer langen Radweg, der die Gemeinde mit dem Hauptradnetz der Region verbindet.
Damit gehört Pischelsdorf zu den wenigen Gemeinden in Österreich, die diese Förderung bekamen. Wie kam es dazu?
Gerhard Höflmaier ist seit vier Jahren der Bürgermeister. „Der Ort lebt von den Kindern“, sagt er. „Ich will, dass die Menschen nach der Ausbildung wieder zurückkommen nach Pischelsdorf. Damit der Ort wächst und nicht kleiner wird“, sagt Höflmaier. Dafür müsse etwas geboten werden. Als finanzschwache Gemeinde hätte sich Pischelsdorf den Freizeitpark nie leisten können, sagt er.
Der Austausch der Gemeinden
Über die Möglichkeit einer EU-Förderung erfuhr Höflmaier bei einer Tagung der Stadt-Umland-Kooperation Mattighofen. Die Kooperation umfasst sechs Gemeinden, Pischelsdorf ist seit 2017 Mitglied.
„Wir tauschen uns regelmäßig aus“, sagt Höflmaier. „Keiner ist dem anderen was neidig.“ Den Antrag für die EU-Förderung stellte er mithilfe von Berater:innen der Kooperation. Mit Erfolg.
„Meine Kinder, die ich früher nur schwer aus ihren Zimmern und vom Handy wegbekommen habe, gehen freiwillig zum Spielplatz“, sagt er. Und sie seien bei weitem nicht die Einzigen. Auch der Kindergarten und die Schule nutzen den Park. Neben den Familien und den Bildungseinrichtungen profitierten auch ansässige Unternehmen vom Bau des Freizeitparks.
Wir sind nicht die Insel der Seligen, wir brauchen die EU.Gerhard Höflmaier, Bürgermeister von Pischelsdorf am Engelbach
Die EU-Skepsis in der Bevölkerung kann der Bürgermeister nicht nachvollziehen. „Es heißt immer, alles, was schlecht ist, hat die EU verordnet, und alles, was gut ist, hat Österreich verordnet“, sagt er. „Aber wir sind nicht die Insel der Seligen, wir brauchen die EU. Der Euro und die offenen Grenzen sind ein Mehrwert.“
Und die krumme Gurke?
Die EU-Verordnung über den Krümmungsgrad von Salatgurken wurde 1988 erlassen. Auf Wunsch des Handels. Der Hintergrund: In einen Karton passen mehr gerade als krumme Gurken. Das vergünstigt den Transport. Die Gurken können daher billiger verkauft werden.
Für Österreich hatte die Verordnung beim EU-Beitritt 1995 keine Auswirkungen, denn hierzulande durften Gurken bereits seit 1968 nicht mehr krumm sein.
Als die EU die Krümmungs-Verordnung 2008 wieder abschaffte, enthielt sich Österreich seiner Stimme.
Zurück in Richtung Freizeitpark. Ein Schild mit einem weißen Pfeil weist den Weg. Unterhalb des Pfeils prangt das EU-Wappen. Über dem Schild ein Werbeplakat der FPÖ mit dem Slogan: „EU-Wahnsinn stoppen“.
Im Park packt der Vater gerade seine Sachen zusammen. Er grübelt immer noch über all die Dinge nach, die über die EU grassieren: „Wahrscheinlich liegt es an mir", sagt er. „Ich könnte mich sicher besser über die EU informieren.“
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Infos und Quellen
Genese
Die beiden WZ-Redakteure Maximilian Hatzl und Bernd Vasari fragten sich, welche Gemeinde am meisten EU-Förderung erhält und wie die Einwohner:innen darauf reagieren.
Gesprächspartner:innen
Die WZ hat einen Tag in Pischelsdorf am Engelbach verbracht und mit vielen Menschen gesprochen. Im Text wurden Aussagen von folgenden Personen verwendet:
Gerhard Höflmaier, Bürgermeister
Josef Schwarzenhofer, Geschäftsführer Modehaus Schwarzenhofer
Lehrerin mit Kind
Seniorin aus Mattighofen
Vater mit zwei Kindern
Lisa Kösslbacher, Programmmanagement und Finanzplanung EFRE Österreich
Florian Schardinger, Gemeinde Suben
Stefan Anzengruber, Gemeinde Stadl-Paura
Christian Wittinghofer, Gemeinde Lasberg
Johannes Himmelbauer, Gemeinde Neukirchen bei Lambach
Kathrin Perlinger, Regionalmanagement Kitzbüheler Alpen
Erik Kinast, Gemeinde Edt bei Lambach
Dominik Bramberger, Gemeinde Steyr
Bernhard Bräuer, Gemeinde Steyr
Amtsleitung, Gemeinde Pischelsdorf am Engelbach
Amtsleitung, Gemeinde Brandenberg
Erwin Forster, MA 28 - Wien
Daten und Fakten
Bevölkerungsdaten: Statistik Austria
Projektliste der EU-Förderungen durch EFRE/IWB: EFRE.gv.at
Österreichs Gemeinen: data.gv.at
Was gilt es zu beachten?
Die Projektliste der EU-Förderungen EFRE/IWB enthält zwei Datensätze, die der Förderperiode 2014-2020 und die Förderperiode 2021-2027. Sämtliche Projekte, welche in Österreich mittels EFRE gefördert werden, finden sich in dieser Liste. Förderungen können von Gemeinden, Firmen und Forschungsträgern beantragt werden. Innerhalb der WZ wurden die Projekte gefiltert. Für unsere Recherche interessant waren nur die Projekte, bei welchen eine Gemeinde selbst Förderungen beantragte. Zu erwähnen ist, dass die beiden Förderperioden Stand Mai 2024 noch nicht abgeschlossen sind.
So haben wir gerechnet:
Die EFRE-Fördermittel der Periode 2014-2020 sowie 2021-2027 enthalten die Projektkosten und den Fördersatz. Mit diesen beiden Zahlen, kann sich die reale Fördersumme errechnen. Für die Periode 2014-2020 gibt es allerdings ein Abkommen zwischen EFRE Österreich und den Projektträgern, die tatsächliche Fördersumme nicht zu veröffentlichen. Im Datensatz 2014-2020 ist der Fördersatz mit dem Unions-Kofinanzierungssatz pro Prioritätsachs bemessen. Mit diesen kann man die ungefähre Fördersumme berechnen. Für die zehn Gemeinden, welche in Summe und pro Kopf die höchsten Förderungen bekamen, wurde der tatsächliche Fördersatz direkt bei den Gemeinden abgefragt und im Datensatz korrigiert. Die WZ hat nicht von allen Gemeinden eine Antwort erhalten (siehe Gesprächspartner:innen). In der Regel wich der von uns errechnete Fördersatz nicht stark von der von uns zuerst errechneten Fördersumme ab, weshalb wir die wenigen, nicht korrigierten Fördersätze beibehielten. Die Summe der Fördermittel pro Gemeinde und die Fördermittel pro Einwohner:in einer Gemeinde wurden von uns selbst errechnet.
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