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Der fremde Kontinent Russland

8 Min
Russland stellt die Welt vor immer neue Fragen.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Die auf sich selbst bezogene Gesellschaft erlebt punktuelle Modernisierungen als Schock und kehrt sogleich zu den alten Modellen zurück. Im Prinzip ist es bis in die Gegenwart so geblieben.


Am 17. März wird Wladimir Putin nach drei Tagen Wahlen zum fünften Mal für sechs Jahre als Präsident Russlands feststehen. Für diese Voraussage bedarf es keiner Hellsichtigkeit. Ebenso wenig bedarf es seherischer Gaben, die Beiträge in den Medien vorherzusehen, die ein völliges Unverständnis für die russische Bevölkerung artikulieren werden, dass sie einen Diktator wählt. Als ob Adolf Hitler durch einen Putsch an die Macht gekommen wäre…

Tatsache ist, dass Russland für den Westen seit jeher ein fremder Kontinent ist, exotisch, kurios bisweilen, auf jeden Fall gefährlich. Von den Völkern des Amazonas-Urwalds scheint man mehr zu wissen als von Russland. Im russischen Bären sitzt eine russische Seele, der Russe schwankt von früh bis spät im Wodkadusel, und wenn er nicht gerade seine Borschtsch kochende Frau schlägt, spielt er Schach: Der Klischees ist kein Ende.

Gerüchte und Annahmen über Russland

Nun mag es zwar stimmen, dass Klischees letzten Endes in Fakten wurzeln, die zwar unzulässig verallgemeinert werden, aber doch nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Im Fall von Russland jedoch scheint es sich vor allem um Gerüchte und Annahmen auf der Basis geringer Kenntnisse zu handeln, die sich im Bewusstsein des Westens festgesetzt haben. Das Bild, das der Westen vom Russen hat, entspricht dem Bild des Österreichers, der zum Schnitzelschmaus den „Donauwalzer“ hört und im Keller neben den Nazi-Devotionalien eine oder mehrere Frauen gefangen hält.

Wobei man um die Tatsache schwer herumkommt, dass Russland an den Russland-Klischees mitgewirkt hat. Und das im Grund genommen vom Anfang im Kiewer Reich des 9. Jahrhunderts an. Während nämlich der europäische Westen lateinisch geprägt ist, teilweise als römisches Erbe, teilweise durch die Mission der römischen Kirche, wird Russland von den byzantinischen Geistlichen und Gelehrten Kyrill und Method im Sinn der oströmischen Orthodoxie missioniert. Äußeres Zeichen dafür sind die vom griechischen Alphabet abgeleitete kyrillische Schrift, die Ikonenverehrung und ein Hang zu einem Mystizismus, der bis ins 20. Jahrhundert reicht: So holte Zar Nikolaus II., der letzte Zar Russlands, der durch die Februarrevolution des Jahres 1917 entmachtet wurde, den Wanderprediger und Geistheiler Rasputin an den Hof, um den an der Bluterkrankheit leidenden Zarewitsch zu behandeln.

Weder Renaissance noch Aufklärung

Tatsächlich kannte Russland weder eine Renaissance noch eine Aufklärung.

Die Renaissance mit ihrer Rückbesinnung auf die Wissenschaft und die Formensprache der griechischen und römischen Antike konnte in Russland nur begrenzt stattfinden: Sie beschränkte sich auf die religiöse Kunst von Byzanz, die ohnedies permanent als zumindest unterschwelliges Vorbild diente. Das enge Zusammenspiel von weltlicher und geistlicher Macht verhinderte jedoch sowohl zur Zeit der Renaissance wie in der Aufklärung schon im Ansatz jegliche Freiheit des Denkens.

Dazu kommt, dass Russland in Bezug auf Literatur ein Spätentwickler ist. Sieht man von vereinzelten altslawischen Epen unbekannter Urheberschaft wie dem Igorlied und den Erzählungen und Gedichten von Nikolai Michailowitsch Karamsin (1766-1826) ab, beginnt die russische Literatur mit dem am Stil Johann Wolfgang von Goethes und französischer Autoren geschulten Russen Alexander Puschkin (1799-1837) und dem an der mündlichen Erzählweise orientierten Ukrainer Nikolai Gogol (1809-1852), deren Werke die Erzähltechniken der russischen (und, nebenbei bemerkt, der ukrainischen) Literatur bis in die Gegenwart vorzeichnen.

Westlicher Puschkin – slawischer Gogol

Der Gegensatz des westlichen Puschkin und des slawischen Gogol spiegelt wie in einem Wassertropfen die gesamte politische und kulturelle Geschichte Russlands.

Politik, Gesellschaft und Kultur Russlands bleiben, ungeachtet der an französischen Vorbildern ausgerichteten Prachtentfaltung des Hochadels zur Zarenzeit, bis ins 20. Jahrhundert weitestgehend selbstreferenziell. So sieht eine Gesellschaft aus,, der aufgrund der fehlenden weltoffenen Kontakte die Möglichkeit zur eigenen Positionsbestimmung fehlt.

Es ist ein Teufelskreis: Die Bezugnahme auf sich selbst bewirkt eine allgemeine Rückständigkeit, die ihrerseits die Bezugnahme auf sich selbst verursacht. Sogar dann, wenn eine Modernisierung von oben her möglich gewesen wäre, findet sie nicht statt: Die in Stettin geborene Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst russifiziert sich, ehe sie zur Zarin Katharina die Große wird.

Iwan der Schreckliche und Peter der Große

Wie es Russland mit einer Aufbruchstimmung hält, kann man, selbst in der Zeit des Kommunismus, am Umgang mit zwei die russische Gesellschaft prägenden Zaren ablesen: Iwan der Schreckliche (eine Fehlübersetzung von Iwan Grosny, die korrekte Übersetzung lautet Iwan der Sittenstrenge) und Peter I. Steht Iwan der Schreckliche für eine Besinnung auf ein auf sich bezogenes Russland unter einer Herrschaft, die prüde Moral und Nationalismus bindend vorschreibt, steht Peter I. für das Interesse an einer Modernisierung der Gesellschaft. Glorifiziert der Machthaber den Zaren Peter I., hat er Sympathien für Modernisierungen, neigt er zu Iwan IV., bekennt er sich zu einem slawophilen Russland.

Insgesamt beschränkte sich Russlands Umgang mit mitteleuropäischen Staaten auf mehr oder weniger aufgezwungene Kriege, ob das nun im 13. Jahrhundert die Ritter des Deutschen Ordens waren oder Napoleons Feldzug im Jahr 1812, der 1904 von Japan begonnene russisch-japanische Krieg, der 1905 mit einer Niederlage Russlands endet, oder der Erste Weltkrieg, der schließlich die Revolutionen des Jahres 1917 begünstigte.

Modernisierung und Rückschritt

Tatsächlich führte die Machtübernahme der Kommunisten im ersten Moment zu einer radikalen Modernisierung von Gesellschaft und Kunst, ehe das Pendel unter der Herrschaft Stalins wieder in die andere Richtung ausschlug. Es war kein Zufall, dass Stalin den Filmregisseur Sergei Eisenstein mit einem historischen Spielfilm über Iwan den Schrecklichen beauftragte, dessen zweiten Teil aber verbot, da er die Schattenseiten des Zaren zeigt.

Innerrussisch verstand es Stalin, den Zweiten Weltkrieg zum „großen vaterländischen Krieg“ zu erklären, der alle Russ:innen zu einer einheitlichen Gesellschaft zusammenschweißt. Dieser „große vaterländische Krieg“ ist bis in die Gegenwart einer der Referenzpunkte der russischen Gesellschaft. Wenn Wladimir Putin behauptet, Russland kämpfe in der Ukraine gegen Nationalsozialisten, ist das für die mittlerweile wieder rein selbstreferenzielle russische Gesellschaft ein Trigger: Der „große vaterländische Krieg“, den die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern unter Entbehrungen und Tod gegen das nationalsozialistische Deutschland geführt haben, darf nicht vergebens gewesen sein.

In nahezu der gesamten weiteren Zeit des Kommunismus nach 1945 blieb die aus Russland hervorgegangene Sowjetunion auf sich selbst (und ihre Trabantenstaaten) bezogen. Die Kommunistische Partei verbot zwar die Religionsausübung, übernahm aber die Funktion der Kirche, indem sie die Moral der Bürger:innen beeinflusste. So zeigten sowjetische Filme keine über einen scheuen Kuss hinausgehende Liebesszenen, und die von stöhnenden Orchesterstößen untermalte Liebesszene der Oper „Lady Macbeth aus Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch führte, obwohl das Werk als grausame Satire auf das Leben von Großgrundbesitzern inklusive der Verspottung eines Popen sonst durchaus auf Parteilinie lag, zum Verbot.

Lediglich die Tauwetter-Politik des Staatschefs Nikita Chruschtschow ab 1953 bedeutete eine grundlegende Änderung. Der demokratische Westen musste dafür allerdings den Preis des Kalten Kriegs zahlen, da die Sowjetunion mit Prestigeprojekten in Wissenschaft (etwa der Raumfahrt, aber ebenso in Fragen von Nuklear- wie Waffentechnik) und Kunst weltweit die Führungsrolle zu übernehmen versuchte. Das änderte sich nach dem Sturz Chruschtschows 1964 mit der Stagnation unter Leonid Breschnew.

Gorbatschow und die Zeit der Reformen

Erst Michail Gorbatschow leitete 1985 die weitreichenden Reformprozesse Perestroika (Umbau) und Glasnost (Offenheit, Durchsichtigkeit) ein und bekannte sich zur uneingeschränkten Meinungsfreiheit. Dafür musste er das Ende der Sowjetunion als kommunistisches Staatsgebilde und den Zerfall des Warschauer Pakts (das Bündnis der Sowjetunion mit ihren Trabantenstaaten) in Kauf nehmen.

Gleichzeitig änderte sich die russische Gesellschaft grundlegend: Das westliche Lebensgefühl wurde nicht allmählich adaptiert, sondern überschwemmte Russland wie eine Sturmflut. Präsident Boris Jelzin war gewiss demokratisch gesinnt und guten Willens, aufgrund seiner Alkoholkrankheit aber nicht in der Lage, den hereinbrechenden Tsunami des Kapitalismus auf eine darauf unvorbereitete Bevölkerung zu kanalisieren. Der Ausverkauf des ehemals sowjetischen Staatseigentums schuf eine Oligarchie. McDonalds, französische Modeketten und internationale Juweliere fassten Fuß in einer Gesellschaft, die über ihre Verhältnisse lebte.

Wladimir Putins Russland

Erst Wladimir Putin griff ab 1999 regulierend ein. Doch was zu Beginn als eine Regierung in der Tradition von Peter I. aussah, entwickelte sich in die Richtung von Iwan dem Schrecklichen: Putins Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche führte die russische Gesellschaft in moralinsaure Prüderie und Selbstbezogenheit zurück. Selbst wenn das Argument, der Westen habe die Angebote des russischen Präsidenten ausgeschlagen, stimmen sollte: Der Fehler ist im System Putin begründet, das letzten Endes nicht die weltmännische Öffnung Russlands bedeutet, sondern eine neue Abkoppelung von internationalen Entwicklungen. Russland soll durch die Besinnung auf die eigenen alten Werte genesen.

Dass in Putins Verständnis dazu auch die alten Grenzen gehören dürften, erlebt die Ukraine spätestens seit dem 24. Februar 2022.

Erschwerter westlicher Blick

Doch welche Erkenntnis lässt sich aus all dem gewinnen? – Vielleicht diese: Der westliche Blick auf Russland ist nur allzu oft verfehlt. Die konstatierten Fakten mögen stimmen, aber sie können keine Erklärungen liefern. Russlands Gesellschaft der jeweiligen Gegenwart kann man nur verstehen, wenn man sie als Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung begreift, die insgesamt um sich selbst kreist: Die Gesellschaft Russlands lebt weniger in der Gegenwart als in einem Konglomerat von Gegenwart und Geschichte. Die mangelhafte bis mangelnde Distanz zur Vergangenheit bewirkt ständige Rückfälle in Modelle von Politik und Gesellschaft, die, von außen betrachtet, bereits überwunden schienen. So kann sich das eben noch nachgerade hysterisch-westlich gebärdende Jelzin-Russland innerhalb weniger Jahre rückverwandeln in den prüden Nationalismus der Putin-Zeit.

Wer das gegenwärtige Russland verstehen will, darf sich nicht auf die Person Wladimir Putin beschränken, sondern muss sich mit den Ikonen ebenso wie mit Puschkin, Gogol und den anderen Autoren, mit den Zar:innen und den leitenden Gestalten der kommunistischen Partei auseinandersetzen, und mit den bürgerlichen und weniger bürgerlichen Russ:innen, also mit allem, was in letzter Konsequenz zu Wladimir Putin und seiner eigenen Entwicklung geführt hat. Alles andere gliche dem Versuch, aus einem Einzelbild eines Films dessen Handlung ablesen zu wollen.

Und keine Angst: Russland verstehen zu wollen, bedeutet noch lang nicht, ein Putinversteher zu sein.


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Infos und Quellen

Genese

Wie kann man erklären, dass die russische Gesellschaft zu einem großen Teil immer noch zu Wladimir Putin tendiert? WZ-Redakteur Edwin Baumgartner behauptet: Es hängt mit der russischen Tradition und Geschichte zusammen. Russland hat sich nur in wenigen Momenten gegenüber dem Westen geöffnet. Eine auf sich selbst bezogene Gesellschaft reflektiert ihre Position anders als eine, die durch weltoffene Kontakte ein permanentes Korrektiv besitzt.

Daten und Fakten

  • Zar Iwan IV. Wassiljewitsch, genannt der Schreckliche (fehlübersetzt von Grosny, was in diesem Zusammenhang „sittenstreng“ bedeutet), 1530-1584, ließ sich als erster Großfürst von Moskau zum Zaren Russlands krönen. Er stärkte die Zentralgewalt und weitete die russische Herrschaft auf angrenzende Gebiete aus. Im russischen Verständnis steht Iwan IV. für ein mächtiges, auf seine eigenen Werte und einen Schulterschluss von weltlicher Macht und orthodoxer Kirche aufgebautes Russland.

  • Zar Peter I. der Große, 1672-1725, war ab 1682 Zar. Peter I. gilt als einer der bedeutendsten Herrscher Russlands. Er bereiste das gesamte Reich, um die Probleme der Bevölkerung aus eigener Anschauung kennenzulernen, und ebenso – inkognito – große Teile Europas. Er leitete eine Modernisierung der Verwaltung ein. Gegen den Widerstand der orthodoxen Kirche versuchte er, Kunst und Wissenschaften zu stärken. Äußeres Zeichen seiner Modernisierung war der Ausbau einer zwar bereits vorhandenen, aber rückständigen Stadt zur Metropole St. Petersburg, wohin er als Signal für den neuen Wind seine Residenz verlegte. Peter I. und St. Petersburg stehen für eine Öffnung Russlands zum Westen, während Moskau für das auf sich selbst bezogene Russland steht.

  • Katarina II., genannt die Große, 1729-1796, ab 1762 Zarin von Russland. Sie wurde als Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst in Stettin geboren. Auf Anraten von König Friedrich II. des Großen arrangierte Zarin Elisabeth Petrowna eine Ehe zwischen Sophie und dem russischen Thronfolger Peter Fjodorowitsch, dem späteren Kaiser Peter III. Aus einem protestantischen Elternhaus stammend, trat sie zum orthodoxen Glauben über, was mit der Namensänderung einherging. Nach angeblichen politischen Fehleinschätzungen von Peter III. stürzte Katarina ihren Mann und wurde selbst Zarin. Ihre Regentschaft stützte sie weniger auf militärische Operationen als auf eine reformorientierte Innenpolitik. Nachdem die Schulbildung bis dahin weitestgehend Adelskreisen vorbehalten war, setzte sie die Schulbildung für alle Bevölkerungsschichten durch. Sie erweiterte ihren Winterpalast in St. Petersburg durch einen Anbau für ihre Gemäldesammlung und legte damit den Grundstein zur heutigen Eremitage. Gegenüber Religionen verhielt sie sich tolerant, war aber darauf bedacht, die Zügel in der Hand zu behalten.

  • Im Jahr 1917 fanden in Russland zwei Revolutionen statt: Die Februarrevolution begann nach dem zu diesem Zeitpunkt in Russland geltenden Julianischen Kalender am 23. Februar (gregorianisch: 8. März). Das Ergebnis war die Entmachtung des Zaren. Die Regierung übernahmen ein Parlament (russisch: Duma) sowie Arbeiter- und Soldatenräte (russisch: Sowjet bedeutet Rat). Die Duma bildete eine provisorische Regierung, der zuerst Georgi Jewgenjewitsch Lwow und nach seinem Rücktritt Alexander Fjodorowitsch Kerenski vorstand. Für den Herbst des Jahres 1917 war eine demokratische Abstimmung geplant, die über die künftige Staatsform Russlands entscheiden sollte. Das verhinderte die zweite Revolution des Jahres, die Oktoberrevolution, die nach dem julianischen Kalender am 25. Oktober (gregorianisch: 7. November) stattfand. In ihr übernahmen die Bolschewiki unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin gewaltsam die Macht. Im Zug der Oktoberrevolution wurde eine Staatsform auf der Basis des Marxismus implementiert und die Zarenfamilie ermordet.

  • Die Begriffe Russland und Sowjetunion werden oft fälschlich gleichbedeutend verwendet. Russland ist das Land in den Grenzen der heutigen Russischen Föderation. Sowjetunion steht kurz für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (abgekürzt UdSSR). Sie war der 1922 durch die Bolschewiki gegründete, von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) zentralistisch regierte, föderative Vielvölker- und Einparteienstaat. Das Territorium erstreckte sich über Osteuropa und den Kaukasus bis nach Zentral- und Nordasien. Die Sowjetunion bestand aus 15 Unionsrepubliken, darunter beispielsweise Russland und die Ukraine. Die Sowjetunion wurde durch die Alma-Ata-Deklaration am 21. Dezember 1991 aufgelöst.

  • Der Warschauer Pakt war ein von 1955 bis 1991 bestehendes Militärbündnis des Ostblocks als Gegenentwurf zur westlichen NATO. Während in der NATO die USA die führende Macht war (und ist), gab im Warschauer Pakt die Sowjetunion den Ton an.

  • Josef Stalin, 1878-1953, geboren als Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, war ein sowjetischer kommunistischer Politiker georgischer Herkunft und von 1927 bis 1953 Diktator der Sowjetunion. Stalin war sein Kampfname und bedeutet „der Stählerne“. Nachdem Stalin zuerst die modernistisch bis avantgardistisch ausgerichtete Gesellschaftsordnung der Nachrevolutionszeit übernommen hatte, errichtete er in den 1930er-Jahren ein zunehmend repressives System, das sich in der Ästhetik des Sozialistischen Realismus‘ ausdrückte. Stalins Macht beruhte auf rigoros durchgeführten „Säuberungen“, was gleichbedeutend war mit der Ermordung von Personen und Personengruppen, die er einer politischen Gegnerschaft verdächtigte. Diesen Säuberungen fielen mehrere Millionen Sowjetbürger:innen zum Opfer. Unter Stalins Führung wurde das Konzept des Sozialismus zum zentralen Grundsatz der sowjetischen Gesellschaft. Nach dem Überfall des ursprünglich befreundeten nationalsozialistischen Deutschland auf die Sowjetunion rief Stalin den „großen vaterländischen Krieg“ aus, wobei er sich auf den Krieg russischer Völkerschaften gegen die Ritter des Deutschen Ordens und den Russlandfeldzug Napoleons bezog. Der „große vaterländische Krieg“ ist bis heute der geschichtliche Moment, unter dem sich das gesamte russische Volk vereint. Bei der bisher letzten Umfrage zum Thema Stalin im Jahr 2016 bewerteten 37 Prozent der befragten Russ:innen Stalin positiv, 32 gleichgültig und 17 negativ. Im Jahr 2001 hatten noch 43 Prozent der Befragten Stalin negativ bewertet (38 positiv, 12 gleichgültig).

  • Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, 1894-1971, war von 1953 bis 1964 Erster Sekretär der KPdSU und damit der mächtigste Politiker der Sowjetunion. Chruschtschow leitete auf dem XX. Parteitag der KPdSU (1956) mit seiner Geheimrede die Entstalinisierung ein. Das gilt als Beginn der sogenannten Tauwetter-Periode. Chruschtschow lockerte innersowjetisch die Repressalien durch die Parteiorganisationen und versuchte, der Sowjetunion durch wissenschaftliche und kulturelle Erfolge die internationale Vormachtstellung zu sichern. Chruschtschow setzte sich intensiv mit der sogenannten deutschen Frage auseinander, also dem Problem, wie mit der Teilung in die westlich ausgerichtete Bundesrepublik (BRD) und dem sowjetischen Trabantenstaat der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zu verfahren sei. Seine Annäherung an die Positionen der Bundesrepublik und eine gleichzeitige Parteireform kostete Chruschtschow seine Anhänger:innen im sowjetischen Parteiapparat. 1964 wurde Chruschtschow von Leonid Breschnew gestürzt und 1966 aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen, was eine völlige Entmachtung bedeutete.

  • Leonid Breschnew, 1906-1982, war von 1964 bis 1982 Generalsekretär der KPdSU; von 1960 bis 1964 sowie von 1977 bis 1982 war er als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets das Staatsoberhaupt der Sowjetunion. Sein Versprechen war, das System nach den Reformen Chruschtschows zu stabilisieren, was in der Realität jedoch zu einer völligen Stagnation führte.

  • Michail Sergejewitsch Gorbatschow, 1931-2022, war von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und von März 1990 bis Dezember 1991 der letzte Staatspräsident der Sowjetunion. Mit seinen Projekten Glasnost („Offenheit“), Perestroika („Umbau“) und einem Bekenntnis zur Meinungsfreiheit versuchte er, das sowjetische System zu reformieren. Parallel dazu leitete er Abrüstungsverhandlungen mit den USA ein und akzeptierte die Wiedervereinigung Deutschlands unter Führung der Bundesrepublik – was bis dahin von Seiten der Sowjetunion stets ausgeschlossen wurde. 1990 wurde Gorbatschow mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Auf der Basis seiner Reformen lockerte sich allerdings der Zusammenhalt der sowjetischen Teilstaaten, was letzten Endes zu deren völkerrechtlichen Auflösung durch Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR am 26. Dezember 1991 führte.

  • Boris Nikolajewitsch Jelzin, 1931-2007, war ein sowjetischer bzw. russischer Politiker. Von 1991 bis 1999 war Jelzin der erste Präsident Russlands und damit das erste demokratisch gewählte Staatsoberhaupt in der Geschichte des Landes. Die Regierung Jelzins wird unterschiedlich bewertet. Gilt er den einen als aufrechter Demokrat, der Russland an den Westen heranführen wollte, sehen andere in ihm eine Marionette westlicher Großkonzerne, deren Profitgier er die Gesellschaftsordnung Russlands opferte. Weitestgehend unbestritten ist, dass sein unüberlegtes Privatisierungsprogramm zum Entstehen der postsowjetischen Oligarchie führte. Jelzin war sowohl durch Alkoholismus als auch durch mehrere Herzinfarkte gesundheitlich angeschlagen. Er selbst designierte Wladimir Putin zu seinem Nachfolger.

  • Wladimir Wladimirowitsch Putin, 1952 geboren, führt seit 31. Dezember 1999 die Amtsgeschäfte als Präsident der Russischen Föderation. Von August 1999 bis Mai 2000 sowie von Mai 2008 bis 2012 war Putin Ministerpräsident Russlands. Von 1975 bis 1990 war Putin Mitarbeiter des KGB, des Geheimdienstes der Sowjetunion, gewesen. Nachdem Putin in seiner ersten Amtszeit Russland westlich ausgerichtet, die sozialen Systeme reformiert hatte und der Willkür der Oligarch:innen entgegengetreten war, veränderte er seine Herrschaft zunehmend zugunsten einer individuellen Mischung autoritärer und repressiver Systeme, wobei er sich auf großrussische Ideen (das bedeutet eine Vereinigung von Russland und zumindest der Ukraine) stützt und eine enge Verbindung mit der wieder erstarkten orthodoxen Kirche sucht. 2014 begann Putin mit der Annexion der Krim den Krieg gegen die Ukraine, der im Februar 2022 im Überfall Russlands auf den Nachbarstaat gipfelte. Am 17. März 2023 erließ der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Putin wegen des Verdachts, dass Putin für Deportationen ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich sei.

Quellen

Das Thema in der WZ

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