Eine neue digitale Form der häuslichen Gewalt greift um sich und die Tendenz steigt: Smart-Home-Systeme werden zu Werkzeugen, um (Ex-)Partner:innen im eigenen Zuhause zu terrorisieren und zu kontrollieren.
Trigger-Warnung: In diesem Text geht es um körperliche und psychische Gewalt in partnerschaftlichen Beziehungen. Falls du oder jemand, den du kennst, von häuslicher Gewalt betroffen ist, gibt es zahlreiche Hilfsangebote und spezialisierte Einrichtungen – die Infos dazu findest du unter Infos & Quellen.
Es ist drei Uhr nachts, das Licht geht plötzlich an, die Rollläden gehen auf und zu und aus den Lautsprechern tönt Rammstein. Psychoterror. Der Täter: der/die eigene (Ex-)Partner:in, der/die via Handy noch die Kontrolle über die Smart-Home-Systeme hat. Er/sie steuert ein Zuhause, in dem er/sie selbst schon nicht mehr wohnt.
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Für immer mehr Menschen, meist Frauen, wird die digitale Form der häuslichen Gewalt zur traurigen Realität. Eigentlich sind Smart-Home-Systeme digitale Lösungen, um Haushaltsgeräte oder Heizsysteme automatisiert und per Internet zu steuern. Durch die Verbreitung dieser Anwendungen eröffnet sich auch die Möglichkeit, diese als Instrumente zur psychischen Belästigung einzusetzen.
Smart-Home-Systeme haben in den letzten Jahren die Art und Weise, wie Menschen ihre Haushalte verwalten, erheblich verändert. Vernetzte Lautsprecher, Thermostate, Beleuchtungssysteme und Sicherheitskameras verbreiten sich. Diese Innovationen versprechen Vorteile wie Energieeinsparungen, erhöhte Bequemlichkeit und eine verbesserte Lebensqualität. Doch was, wenn diese Geräte für Psychoterror missbraucht werden? Darüber sollten sich sowohl Gesetzgeber als auch Fans von Smart-Home-Geräten Gedanken machen.
Häusliche Gewalt per Klick
Jasmina Gründler vom Gewaltschutzzentrum in Wien weiß über die Gefahr im Smart Home: „Die digitale technologische Entwicklung hat auch die familiäre und häusliche Gewalt in vielen Hinsichten verändert, intensiviert und globalisiert.“ Denn über Smart-Home-Applikationen können Täter:innen aus der Ferne das Zuhause ihrer (Ex-)Partner:innen steuern, sie überwachen und so auch ohne körperliche Nähe Gewalt ausüben.
Häusliche Gewalt, in der Fachsprache Gewalt im sozialen Nahraum, ist ein Phänomen mit großer Dunkelziffer. Daten zeigen nur jene Fälle, die der Polizei bekannt sind. Die tatsächliche Anzahl an Vorfällen häuslicher Gewalt dürfte weitaus höher sein. 24.805 Personen wurden 2023 im Kontext häuslicher Gewalt in Gewaltschutzzentren beraten.
Die Polizei spricht Betretungsverbote aus, wenn sie entscheidet, dass es für die Sicherheit notwendig ist, eine gefährdende Person aus dem Haushalt zu weisen. Allein in Wien wurden 4.284 dieser Wegweisungen im Jahr 2023 gemeldet. Doch genau diese Idee, dass das Opfer in Sicherheit ist, sobald der/die Gefährder:in nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebt, wird durch Smart-Home-Applikationen auf den Kopf gestellt.
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Aus der Ferne
Hat der/die (Ex-)Partner:in nach wie vor Zugang zu den Smart-Home-Systemen, kann er/sie aus der Ferne in das Zuhause des/der (Ex-)Partner:in digital eindringen. Sie können die Kontrolle über die smarten Geräte übernehmen, auch ohne dass Betroffene es bemerken. Es geht um die seelische Qual, um den konstanten Psychoterror, der das eigene Zuhause in einen Ort des Schreckens verwandelt. „Die Beratungspraxis zeigt, dass Betroffene das Gefühl, unablässig unter Beobachtung zu stehen, emotional und mental als besonders belastend empfinden. Meist beschreiben die Betroffenen diffuse Verdachtsmomente, die aber (noch) nicht bewiesen werden können“, erklärt Jasmin Gründler gegenüber der WZ. Sie erzählt von den Auswirkungen dieses Terrors: „Das kann Panikattacken, Schlafstörungen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen zur Folge haben.“
Diese Form der Gewalt ist mehrheitlich eine, die von Männern an Frauen ausgeübt wird. Edith Huber forscht an der Universität Krems und hat eine Erklärung: „Smart-Home-Systeme werden meist über Apps gesteuert, die man sich auf das Handy lädt. Unsere Befragungen zeigen, dass in den meisten Haushalten Männer diese Apps installieren und sich mit den Anwendungen beschäftigen. Sie sind auch meist die Vertragspartner der Firmen, die die Systeme verwalten. Männer sind in diesen Themen einfach verspielter“, sagt die Forscherin.
In den USA gibt es schon seit Jahren Berichte von häuslicher Gewalt, die über Smart-Home-Systeme fortgesetzt wird. Seit sich diese Technologie auch in Österreich zunehmend verbreitet, mehren sich hierzulande die Fälle. „Wir haben 2019 eine repräsentative Dunkelfeldbefragung zu Cyberdelikten gemacht und Angriffe auf Smart-Home-Systeme abgefragt – damals gaben sechs Prozent der Befragten an, schon mal betroffen gewesen zu sein“, erzählt Edith Huber. „Aber das ist sicher massiv gestiegen, weil viel mehr Leute inzwischen Smart-Home-Systeme verwenden. Man kann davon ausgehen, dass sich das also mindestens verdoppelt hat.“
Die Technik ist schneller als das Gesetz
Doch während die Anwendung der Technologie weiter zunimmt, scheint das Bewusstsein über die Gefahren noch nicht ausreichend vorhanden zu sein. Auch der Rechtsrahmen hinkt hinterher, und viele Menschen sind sich der Risiken, die mit dem Smart Home verbunden sind, nicht bewusst.
Wenn man sich rechtlich dagegen wehren will, ist das ein mühsamer Prozess.Edith Huber, Expertin für Cyberkriminalität
„Oft ist es einfach der Fall, dass der (Ex-)Partner den Vertrag abgeschlossen hat und der hat auch das Login und die Zugangsdaten“, sagt Edith Huber. Die Vertragsbeziehung mit den Anbietern der Systeme macht es für Betroffene schwer, den Psychoterror schnell abzustellen. „Wenn man sich rechtlich dagegen wehren will, ist das ein unglaublich mühsamer Prozess. Da kann es sein, dass man einen Gerichtsbeschluss braucht und dem wiederum muss eine Anzeige vorangehen.“
Bislang fehlt es an klaren gesetzlichen Regelungen, die den Umgang mit diesen Technologien im Kontext von häuslicher Gewalt und Gefährdungsschutz betreffen. Betroffene stehen vor mehreren Hürden, wenn sie den Zugriff auf die Geräte selbst übernehmen wollen. Einfach das Internet abzuschalten, könnte manche Probleme lösen, ist aber in vielen Fällen praktisch nicht möglich. Der Psychoterror geht also weiter.
Hilfe für Betroffene
Polizeinotruf: 133
Frauennotruf der Stadt Wien: + 43/17171 9
Frauenhaus Notruf-Telefon: 05/77 22
Gewaltschutzzentren Österreich: 0800/700 217
Ähnlich sieht das Jasmina Gründler: „Leider werden neue Formen digitaler Gewalt, auch aufgrund ihrer rasanten Entwicklung, nicht ausreichend von Exekutive und Justiz erkannt. Somit fehlt sehr oft die notwendige rechtliche Konsequenz.“ Nina Wallner – auch sie berät Betroffene von Gewalt – nennt ein konkretes Beispiel:
„Smarte Türschlösser machen nachvollziehbar, ob und wann eine Wohnung oder ein Haus betreten werden. Leider findet sich im Sicherheitspolizeigesetz keine Regelung, wie mit smarten Türschlössern zu verfahren ist.“
Neben der rechtlichen Perspektive sieht Wallner auch Handlungsbedarf bei Hersteller:innen dieser Systeme, denn „auch die Nutzung smarter Küchengeräte kann verraten, ob sich jemand in den Räumlichkeiten befindet.“ Wallner findet: „Dieses Missbrauchspotenzial sollte zukünftig auch seitens der Hersteller:innen berücksichtigt werden und Nutzer:innen, so sich dem von technischer Seite nichts entgegensetzen ließe, sollten darüber aufgeklärt werden.”
Wege aus der Cyber-Gewalt
Wer also Opfer von Smart-Home-Terror wird, sollte sich zunächst an die Polizei wenden. In Österreich gibt es spezialisierte Beratungsstellen wie zum Beispiel die Gewaltschutzzentren, die bei jeder Form von Gewalt im sozialen Nahraum Beratung, Begleitung und Unterstützung anbieten. Ein wichtiger Schritt, um Betroffene vor dieser digitalen häuslichen Gewalt zu schützen, ist die Schaffung eines erhöhten Bewusstseins für dieses Thema. Wer sich ein Smart-Home-System zulegt, sollte darüber nachdenken, welche Konsequenzen potenzieller Missbrauch haben kann. Edith Huber wird deutlich: „Ein Produkt, das ausschließlich über das Internet zu steuern ist, ist problematisch.“ Bei einer Trennung sollte auch darauf geachtet werden, dass „Passwörter an die im Haushalt bleibende Person übergeben und geändert werden und auch dass die Verträge auf einen selbst umgeschrieben werden“, rät die Expertin für Cyberkriminalität.
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Infos und Quellen
Genese
Die Idee zu diesem Artikel entstand im Rahmen eines Gesprächs unter Freundinnen, in dem klar wurde, dass alle anwesenden Frauen ihre Smart-Home-Systeme über die Handys der jeweiligen Partner laufen und gesteuert haben. Auch wenn die Beziehungen bei den Gesprächsbeteiligten gut sind, wurde überlegt, was die Smart-Home-Apps wohl anstellen könnten, wenn dem nicht so wäre. So begann die Recherche über die Situation in Österreich.
Gesprächspartner:innen
Mag. Jasmina Gründler, MA (Gewaltschutzzentrum Wien)
DSA Nina Wallner (Gewaltschutzzentrum Burgenland)
Mag. Dr. Edith Huber (Universität für Weiterbildung Krems)
Daten und Fakten
Der Smart-Home-Terror ist eine Gewaltform, die sich strafrechtlich zwischen Cybercrime und Gewaltkriminalität bewegt. Unter Cyber-Gewalt im sozialen Nahraum lässt sich Gewaltausübung mittels digitaler Geräte verstehen, die von Personen ausgeübt wird, die sich sozial nahestehen. Übergriffe durch Smart-Home-Geräte zählen, neben Cyber-Mobbing, Identitätsdiebstahl, Weitergabe von (intimen) Daten bzw. Fotos und Videos, zur Cyber-Gewalt.
Cybercrime bezeichnet kriminelle Handlungen, bei denen Informations- und Kommunikationstechnologie genutzt wird, um Angriffe auf Daten oder Computersysteme zu verüben. Im engeren Sinn richtet sich diese Art der Kriminalität gegen Netzwerke, Geräte, Dienste oder Daten innerhalb dieser Netzwerke. Im weiteren Sinn umfasst Cybercrime auch Straftaten, bei denen die Technologie zur Planung, Vorbereitung oder Ausführung traditioneller Kriminaldelikte eingesetzt wird. Ein auffälliger Trend im Bereich der Internetkriminalität ist der stetige Anstieg der angezeigten Straftaten. Im Jahr 2023 wurde mit 65.864 Fällen ein neuer Höchstwert erreicht, was eine Zunahme von 9,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt (60.195 Anzeigen). Nur rund ein Drittel aller Cyberdelikte konnten 2023 aufgeklärt werden.
Gewalt im sozialen Nahraum: Im Jahr 2023 wurde ein Anstieg der Gewaltkriminalität verzeichnet, mit einer Zunahme von 78.836 auf 85.374 Delikte, was einem Plus von 8,3 Prozent entspricht. Die Begriffe „Gewalt in der Familie“, „häusliche Gewalt“ oder „Gewalt im sozialen Nahraum“ beziehen sich im Wesentlichen auf Gewalt, die innerhalb des familiären Umfelds oder im direkten sozialen Umfeld stattfindet.
Auch im Bereich der Gewalt in der Privatsphäre gab es einen Anstieg der Anzeigen, mit 20.590 gemeldeten Fällen, was einem Plus von 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Bei Gewalt im sozialen Nahraum zeigen sich deutliche Unterschiede in der Geschlechterverteilung der gefährdenden Personen. Etwa 88 Prozent der Gefährdenden sind männlich, rund 12 Prozent weiblich. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Männer in einem überwältigenden Maß als Täter von Gewalt im nahen sozialen Umfeld auftreten. Die Ursachen für diese Ungleichverteilung sind komplex und hängen mit verschiedenen gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren zusammen, die das Verhalten von Menschen in Gewaltsituationen beeinflussen.
Betretungs- und Annäherungsverbot: 15.191 Betretungsverbote wurden 2023 in Österreich verhängt. Das Betretungs- und Annäherungsverbot ist eine Maßnahme zum Schutz von Opfern von Gewalt. Es ermöglicht der Polizei, eine gefährliche Person aus der Wohnung des Opfers zu entfernen, um die akute Gewaltsituation sofort zu beenden. Das kann auch geschehen, wenn die gewaltausübende Person selbst in diesem Zuhause gemeldet ist. Das Ziel ist, dem Opfer schnell Sicherheit zu bieten, indem die gefährdende Person keinen Zugang mehr zur Wohnung hat. Darüber hinaus müssen gefährdende Personen eine sechs Stunden lange Gewaltpräventionsberatung absolvieren. Innerhalb von fünf Tagen nach Erlass des Verbots müssen sie sich bei einer Beratungsstelle melden und einen Termin für die Beratung vereinbaren. Diese Regelung soll dazu beitragen, dass zukünftige gewalttätige Vorfälle verhindert werden.
Quellen
Gewaltschutzzentrum: Tätigkeitsbericht 2023 Gewaltschutzzentrum Wien
Gewaltschutzzentrum: Bundesverband der Gewaltschutzzentren - Zahlen, Daten Fakten