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Der Traum vom klimaneutralen Fliegen

7 Min
Die Luftfahrtbranche will grüner werden.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Die Zukunft der Luftfahrt soll Batteriestrom und Wasserstoff gehören. Bis dahin müssen wir uns mit Biokerosin behelfen.


Ein Städtetrip ins nachweihnachtliche London oder doch lieber in der Karibik dem Winter entfliehen? Wer klimaneutral dorthin fliegen will, kann dies derzeit nur auf dem Papier durch Ausgleichszahlungen tun. Das bedeutet, dass man ein teureres Ticket erwirbt, in dem die CO₂-Kosten des Fluges eingepreist sind. Bis Flugzeugantriebe tatsächlich klimaneutral sind und die Flieger mit Batteriestrom oder Wasserstoff abheben, wird es noch Jahrzehnte dauern. Der Weg dorthin führt über sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAFs). Darin sind sich die Experten einig, mit denen die WZ gesprochen hat.

Dirk Niemeier vom Unternehmensberater PwC Strategy&, der jüngst eine Studie dazu veröffentlicht hat, warnt aber vor übertriebenen Erwartungen: „Aus sich heraus wird der Flugverkehr nicht hundertprozentig klimaneutral sein können. Möglich wäre eine Reduktion der heutigen Klimawirkungen um 70 bis 80 Prozent.“ Die restlichen 20 bis 30 Prozent würden Überkompensationen in anderen Bereichen ausmachen, indem zum Beispiel als Ausgleich für einen Flug eine bestimmte Anzahl von Bäumen gepflanzt oder an anderer Stelle noch mehr CO₂ eingespart wird.

Die Schwierigkeit, fossiles Kerosin zu ersetzen

Zwar ist der Flugverkehr nur für etwa drei Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich, doch im Kampf um das 1,5-Grad-Ziel zählt jede eingesparte Tonne. Deshalb hat die EU einen Stufenplan erarbeitet, um fossiles Kerosin durch SAFs aus Biomasse (zum Beispiel Ölpflanzen, Hackschnitzel, Kuhmist, Abfall oder Altöl) sowie durch E-Fuels (die synthetisch aus Wasserstoff und CO₂ hergestellt werden) zu ersetzen: Ab 2025 müssen in jeden Flugzeugtank mindestens zwei Prozent nachhaltiger Kraftstoff beigemischt werden. Bis 2050 sollen es 70 Prozent SAFs werden, davon 35 Prozent E-Fuels.

Der Flugverkehr wird nicht hundertprozentig klimaneutral sein können.
Dirk Niemeier, Wasserstoffexperte

An sich wäre auch eine Quote von 100 Prozent SAFs möglich, wie jüngst ein Probeflug einer entsprechend betankten Boeing 787 bewiesen hat. Die bestehenden Triebwerke bräuchten nämlich nicht umgebaut zu werden. Allerdings fehlen die Ressourcen dafür. Wenn ein Transatlantikflieger 100 und mehr Tonnen Kerosin tankt (beim Airbus A380 sind es sogar bis zu 250 Tonnen), „dann liegt die Biomasse dafür nicht einfach so im Wald herum“, formuliert es Holger Friehmelt, Leiter des Instituts für Luftfahrt an der FH Joanneum Graz, bildhaft. „Und auch kein McDonald’s erzeugt so viel Altöl“ – abgesehen davon, dass dieses bereits in die konzerneigenen Lkw getankt wird.

Biotreibstoff, erzeugt mit fossiler Energie?

Laut PwC-Studie bräuchte die Luftfahrt weltweit im Jahr 2030 doppelt so viel SAF, wie derzeit produziert wird. Eine Herausforderung ist, dass dafür sehr viel grüner Strom gebraucht wird. Ansonsten könnte nämlich im Extremfall fossiler Treibstoff durch Biokerosin ersetzt werden, das wiederum nicht mit grüner Energie erzeugt wurde. Insbesondere die synthetisch hergestellten E-Fuels haben laut dem Publizisten und Klimaschutzlobbyisten Wolfgang Gründinger eine sehr schlechte Energiebilanz. „Der größte Hersteller von E-Fuels sitzt übrigens in Skandinavien“, ergänzt Friehmelt. „Beim Transport quer durch Europa ist dann die Klimabilanz ebenfalls fragwürdig.“

Dabei hat die Idee dahinter Charme: Auch eine mit Biokerosin betriebene Turbine bläst CO₂ raus – allerdings haben die Pflanzen, aus denen der Treibstoff hergestellt wird, bereits vorher CO₂ aus der Luft entnommen. „Und das nun erneut ausgestoßene CO₂ wird wieder von Pflanzen aufgenommen, aus denen wiederum Biokerosin gemacht wird, und so weiter“, schildert Niemeier. „Es ist nicht CO₂-freies Fliegen, sondern es ist ein CO₂-Kreislauf.“

Die Biomasse für so viel Biokerosin liegt nicht einfach so im Wald herum.
Holger Friehmelt, Leiter des Instituts für Luftfahrt an der FH Joanneum Graz

Noch ist Biokerosin zwei- bis dreimal so teuer wie fossiles Kerosin. Niemeier rechnet vor: „Die Kerosinkosten machen heute etwa 30 Prozent der Flugkosten aus. Eine Zumischung von zum Beispiel zehn Prozent, die derzeit schon sehr hoch wäre, würde somit eine Kostensteigerung um drei bis sechs Prozent bedeuten.“ Mit einer höheren Beimischung steigen natürlich die Kosten entsprechend, allerdings könnte ein massiver Ausbau der Produktion das Ganze günstiger machen. Dann wäre Biokerosin vielleicht irgendwann nur noch um die Hälfte teurer als fossiles. Niemeier betont übrigens, dass es auch noch ganz andere Kostentreiber abseits von Biospritbeimischung und CO₂-Ausgleichszahlungen gibt (etwa Flughafenentgelte, Gepäckservice oder Instandhaltung), „die aber in der Debatte ausgeklammert werden“.

Weniger Tempo schont das Klima

Abgesehen vom Treibstoff gibt es noch weitere Hebel, mit denen die Luftfahrt das Klima schonen könnte. Zum Beispiel bei den Flugrouten. Weil in Europa die Flugkorridore unterschiedlich teuer sind, werden oft Umwege geflogen, besonders wenn die Mehrkosten beim Sprit geringer sind als die Mehrkosten durch die Flugsicherungsgebühren. Hier fehlen EU-weit einheitliche Gebühren – genauso wie ein EU-weit einheitlicher CO₂-Preis bei Flugtickets.

Dafür wird unnötig schnell geflogen, meint Friehmelt: „Eine Propellermaschine mit 600 km/h braucht viel weniger Kerosin als ein Düsenjet mit 850 km/h.“ Da die Maximalgeschwindigkeit ohnehin nur auf einem Teil der Strecke erreicht wird, ist sie auf kurzen und mittleren Strecken letztlich nur unwesentlich länger unterwegs. Und weil das Gewicht in der Luftfahrt das Um und Auf ist, sollte die Branche auf kleinere und leichtere Flugzeuge setzen, um Sprit und damit Emissionen einzusparen. Außerdem bekommt man sie leichter voll als Großraumjets. „Mit eng bestuhlten Charterfliegern schaffen die Airlines einen Treibstoffverbrauch von 2,6 Liter pro Passagier auf 100 Kilometer“, erläutert Friehmelt. „Machen Sie das einmal im Auto nach.“

Airbus will in zwölf Jahren mit Wasserstoff fliegen

Was alternative Antriebe betrifft, ist der Weg noch weit. Beim Elektroflugzeug ist das Gewicht eine Herausforderung: Während kerosinbetriebene Langstreckenflieger durch den leeren Tank bei der Landung um bis zu ein Drittel leichter sind als beim Start, bleiben Batterien immer gleich schwer. Reine Solarflugzeuge sind übrigens keine Option, meint Friehmelt. „Dafür haben große Passagierflugzeuge einfach zu wenig Tragfläche im Verhältnis zum Gewicht. Und spätestens bei Wolken und in der Nacht hat man ein Problem.“

Beim Wasserstoff ist das große Thema die geringe Dichte, die viel größere Tanks notwendig macht. Bisher gibt es laut Niemeier noch keine Konzepte für Wasserstoffflugzeuge, die weiter als 1.500 Kilometer fliegen können. Airbus will zwar im Jahr 2035 ein Flugzeug mit Wasserstoffantrieb auf den Markt bringen, doch selbst wenn dies das Ende der Kerosinbomber einläuten würde, wären diese immer noch 30 bis 40 Jahre im Einsatz, nur eben mit einem gewissen Anteil an Biokerosin. Niemeiers Rechnung dazu lautet: „Wer bei allen Flugzeugen bloß 20 Prozent CO₂ reduziert, spart in Summe mehr ein, als wenn zwei Prozent zu 100 Prozent klimaneutral sind.“

Kritik am Emissionshandel

Neben der Technik braucht es auch neue gesetzliche Regeln, meint Gründinger. Er sieht den Staat beziehungsweise die EU in der Pflicht. Man dürfe nicht den einzelnen Bürger:innen die Entscheidung aufhalsen, wie klimaneutral sie reisen. „Beim Ozonloch wurde den Leuten auch nicht gesagt: Nutzt doch bitte weniger FCKW – sondern man hat die Fluorchlorkohlenwasserstoffe einfach verboten. Und es hat gewirkt.“ Moralische Appelle seien beim Klimaschutz zu wenig. „Der Staat muss der Wirtschaft die Anreize bieten, damit sie praktikable Lösungen schaffen kann.“ Friehmelt gibt jedoch zu bedenken: „Bei allzu strikten Verboten oder Vorgaben werden dann halt alle Flugzeuge außerhalb der EU angemeldet.“

Beim Ozonloch wurde den Leuten auch nicht gesagt: Nutzt doch bitte weniger FCKW.
Wolfgang Gründinger, Klimaschutzlobbyist und Publizist

Was nach Gründingers Ansicht dringend nachjustiert gehört, ist der Europäische Emissionshandel: Eine CO₂-Reduktion beim Fliegen mache nämlich bloß die Zertifikate für andere Klimasünder wie etwa Kohlestrom billiger, wodurch der Effekt förmlich in der Luft verpuffen würde. Ein sinnvolles System, um die Emissionen zu deckeln, wie er findet – aber dann müssten auch die sonstigen Klimawirkungen des Fliegens, etwa das ganze Drumherum auf dem Boden, einberechnet werden. Und er spricht von „Augenauswischerei“, wenn im Zuge von Ausgleichszahlungen für einen Flug irgendwo Bäume gepflanzt werden. Trotzdem: „Es ist besser, als nichts zu tun.“

Wer soll das alles umsetzen?

Der technologische Umbau zu einer klimaneutralen Luftfahrtbranche könnte nicht nur am Geld scheitern, sondern auch an den personellen Ressourcen, warnt Friehmelt: „Uns fehlen die Leute für all die grünen Jobs, die es dafür braucht, und zwar nicht nur in diesem Bereich. Das wird in der Klimaschutzdebatte viel zu wenig berücksichtigt.“


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

  • Holger Friehmelt, Leiter des Instituts für Luftfahrt an der FH Joanneum Graz

  • Wolfgang Gründinger, Publizist, Klimaschutzexperte, Aktivist, Evangelist beim Greentech-Unicorn Enpal

  • Dirk Niemeier, Experte für Wasserstoff und Strategieentwicklung beim Beratungsunternehmen PwC

Daten und Fakten

Aktuell trägt die Luftfahrt etwa drei Prozent zum globalen CO2-Ausstoß bei. Um ihr Ziel zu erreichen, im Jahr 2050 CO2-neutral zu operieren, will die Branche auf grünes Kerosin – sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAFs) – umsteigen. Hier droht jedoch eine Versorgungslücke, warnt die Studie „From Feedstock to Flight: How to unlock the potential of SAF“ von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC. Bereits im Jahr 2030 könnte die Branche demnach weltweit etwa 46 Millionen Tonnen SAFs benötigen, beim aktuellen Ausbautempo der dafür notwendigen Infrastruktur und Raffinerien könnten allerdings nach Berechnungen der International Air Transport Association (IATA) höchstens 24 Millionen Tonnen produziert werden, also nur etwa die Hälfte. Um diese Lücke zu schließen und ihre Klimaziele doch noch zu erreichen, müsste die Branche laut der Strategy&-Studie bis 2030 mindestens 100 Milliarden Euro investieren. Bis 2035 steigt der Investitionsbedarf auf 215 Milliarden Euro an, bis 2050 sogar auf eine Billion Euro.

Sustainable Aviation Fuels (SAFs) ist eine Sammelbezeichnung für biologische und synthetische Kraftstoffe, die aus Bioabfällen, Ölen, Lipiden (Fette und fettähnliche Substanzen) oder auch Wasserstoff und CO2 gewonnen werden. Die Strategy&-Studie schlägt einen fünfteiligen Aktionsplan vor, um die Versorgungslücke zu schließen: Als erstes sollte die Branche die Skalierbarkeit der Raffinerien unter Beweis stellen, etwa durch erfolgreiche Pilot-Anlagen. Zweitens muss die Versorgung mit den Grundstoffen für die Herstellung – also Biomasse und günstige erneuerbare Energie – in ausreichend großer Menge sichergestellt werden. Drittens können Subventionen und Kooperationsmodelle helfen, die finanziellen Risiken zu minimieren. Viertens braucht es internationale Standards, klare regulatorische Vorschriften und eine global anerkannte SAF-Zertifizierung. Fünftens muss die Branche die Öffentlichkeit von den Vorteilen der Technologie überzeugen, wenn sie auf dieses Pferd setzen will, bis andere Antriebe – etwa mit Batteriestrom oder Wasserstoff – ausgerollt werden. Bei all dem gilt es laut den Studienautoren auch, „mögliche negative Effekte, wie etwa die missbräuchliche Nutzung von Nahrungsmitteln zur Herstellung von Bio-Abfällen für die SAF-Produktion, offen anzusprechen und möglichst frühzeitig zu unterbinden“.

Quellen