Die Deutschen, die vor dem Nazi-Regime in die USA geflohen waren, wähnten sich im Land der Freiheit endlich in Sicherheit. Doch das war für viele ein Trugschluss – sie wurden zu „foreign enemies“. Die WZ sprach mit einem ehemals Internierten.
Von einem Tag auf den anderen waren sie Feinde, Spion:innen für ein Land, das Amerika am 11. Dezember 1941 den Krieg erklärt hatte. Dabei waren tausende Deutsche schon Anfang der 1930er-Jahre vor den Schikanen und dem Terror der Nationalsozialisten in die USA geflohen, wo sie sich Frieden und Freiheit erhofften. Doch dieser 11. Dezember 1941 veränderte ihr Leben nachhaltig – wie das von Dietrich Jacobs, seinem Sohn Arthur oder das von Max Ebel. Doch es gibt immer weniger Betroffene, die von ihrem plötzlichen Status als „foreign enemy“, von ihrer Verhaftung, Internierung und Abschiebung erzählen können.
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Erst vor wenigen Monaten ist Arthur Jacobs gestorben. Er war erst zwölf Jahre alt, als er und seine gesamte Familie 1944 vom FBI verhaftet und in ein Lager nach Crystal City in Texas, etwa 180 Kilometer südlich von San Antonio, gebracht wurden. Dass Arthur in den USA geboren wurde und daher US-amerikanischer Staatsbürger war, nutzte nichts: Er wurde 1948, also drei Jahre nach Kriegsende, nach Deutschland abgeschoben – in ein zerstörtes Land, das nicht seine Heimat war, das er nicht kannte. Es dauerte mehrere Jahre, bis Arthur als junger Mann zurück in die USA, sein wahres Heimatland, kommen durfte. Er meldete sich zum Militär und machte eine Karriere in den amerikanischen Streitkräften.
Von der HJ verprügelt
Max Ebel war 18 Jahre, als er 1937 in New York landete. In Deutschland war er bedroht und verprügelt worden, weil er nicht der Hitlerjugend beitreten wollte. Das Angebot seines Vaters, bei ihm in Boston zu leben, kam ihm gerade recht; seine Familie blieb in Deutschland. Und genau das wurde ihm einige Jahre später zum Verhängnis.
„Als der Krieg ausbrach, mussten sich alle Männer beim US-Militär melden. Sie fragten mich, warum ich nicht gegen Deutschland kämpfen wolle, und ich sagte, mein Bruder ist noch dort, meine Mutter ist noch dort, ich habe noch alle meine Verwandten in Deutschland.“ Seine Entscheidung hatte weitreichende Folgen.
Max und sein Vater wurden im September 1942 verhaftet. Da Ebel Senior bereits amerikanischer Staatsbürger war, konnte er nicht interniert werden. Dennoch wurde versucht, ihn unter der „Executive Order 9066“ aus den Küstengebieten zu entfernen. Nach einem langwierigen Rechtsstreit zog das Militär seine Anordnung schließlich zurück. Sein Sohn hatte nicht so viel Glück. Er war noch immer deutscher Staatsbürger und wurde einer von etwa 11.000 Deutschen und Lateinamerikaner:innen mit deutschen Wurzeln, die während des Zweiten Weltkriegs in den USA verhaftet und interniert wurden.
Max Ebel verbrachte die ersten vier Monate nach seiner Verhaftung in einem Gefängnis in Boston, dort hatte er auch eine erste Anhörung. Die Staatsanwaltschaft und das FBI betonten, der junge Deutsche sei in diesen Kriegszeiten eine Gefahr für Amerika. Ebel, so erinnerte er sich in einem Interview, das ich vor einigen Jahren mit ihm in seinem Haus in New Hampshire geführt hatte, durfte weder Fragen stellen noch einen Rechtsbeistand hinzuziehen. Schließlich wurde er nach Ellis Island gebracht, danach ging es für ihn in Militärlager nach Maryland und Tennessee, bevor er schließlich mit dem Zug nach Bismarck, North Dakota, befördert wurde.
Fort Lincoln, am südwestlichen Rande von Bismarck gelegen, war das Endziel etlicher internierter Deutscher. Um der Einöde im Camp hinter Stacheldraht zu entkommen, meldete Max Ebel sich freiwillig, um in den eiskalten Wintermonaten in North Dakota für die örtliche Eisenbahn Schienen zu verlegen. Später, immer noch interniert, wurde er in die US-Armee eingezogen, fiel jedoch durch die körperliche Prüfung. Max Ebel erhielt daraufhin eine erneute Anhörung und wurde auf Bewährung entlassen.
Fort Lincoln „war die Hölle“
Nicht verbittert, aber mit brüchiger Stimme erzählte der 88-Jährige bei unserem Treffen von seiner zweijährigen Haft. Er nannte sie eine „Ungerechtigkeit“. In ein kleines Tagebuch, das er während seiner Internierung führte, schrieb er, Fort Lincoln sei „die Hölle“. Wie andere Internierte auch war er kein Nazi oder Spion im Auftrag des Reiches. Was für Ebel immer eine offene und quälende Frage geblieben ist, war, dass er nie herausfand, warum er verhaftet wurde. Selbst als er Anfang der 50er-Jahre US-Bürger wurde, gewährten ihm die Behörden keinen Zugang zu seinen Akten. Wenige Monate nach unserem Interview verstarb Max Ebel.
Schon mit dem Kriegsausbruch in Europa hatten sich die Dinge für die in den USA lebenden deutschen Staatsangehörigen geändert: Ab 1940 mussten sich alle in den Vereinigten Staaten lebenden Ausländer:innen registrieren lassen, diese Maßnahme galt jedoch vor allem für Deutsche, Japaner:innen und Italiener:innen. Man wußte nicht so recht, wie man mit den Angehörigen der Achsenmächte umgehen sollte. Mit Erstaunen beobachtete man riesige Aufmärsche des „German American Bund“, einer Nazi-Organisation in den USA, die problemlos den Madison Square Garden in New York füllen konnte. Man wusste, dass das deutsche Generalkonsulat in San Francisco als Basis für Spion:innen an der amerikanischen Westküste genutzt wurde.
Bis Dezember 1941 konnten deutsche Staatsbürger:innen ihr normales Leben führen. Niemand ahnte, dass FBI-Chef J. Edgar Hoover bereits Pläne ausarbeiten ließ, Deutsche, Japaner:innen und Italiener:innen, die er für gefährlich hielt, zu internieren. Als die japanische Luftwaffe am 7. Dezember 1941 den amerikanischen Navy-Stützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii angriff, reagierte die amerikanische Öffentlichkeit geschockt und forderte Rache. Am darauffolgenden Tag trat Präsident Franklin D. Roosevelt vor den US-Kongress und bezeichnete den Angriff als Kriegshandlung. Roosevelt erklärte Japan den Krieg.
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Umgehend unterschrieb er präsidiale Proklamationen, die alle Japaner:innen, Deutsche und Italiener:innen im Land als „feindliche Ausländer“ einstuften und ihre Reise- und persönlichen Eigentumsrechte einschränkten. Der Präsident berief sich auf den „Alien Enemies Act“ von 1798, der festlegte, dass Bürger:innen feindlicher Nationen im Kriegsfall oder aufgrund einer versuchten oder angedrohten Invasion der USA „festgenommen, eingeschränkt, gesichert und ausgewiesen“ werden können. FBI-Direktor Hoover sah sich bestätigt und zog seine bereits ausgearbeiteten Internierungspläne aus der Schublade. Tausende deutsche, japanische und italienische Staatsangehörige, vor allem in den Küstenstädten, wurden über Nacht verhaftet. Sie wurden in Polizeistationen, Militärkasernen und an jedem verfügbaren Ort festgehalten, der für eine Sicherheitsverwahrung in Frage kam.
Sperrzonen für Unerwünschte
Das Justizministerium richtete in Zusammenarbeit mit dem Kriegsministerium ausgedehnte Sperrzonen in den Küstenregionen ein, aus denen „feindliche Ausländer“ wegziehen mussten. Im Februar 1942 erließ der Präsident die „Executive Order 9066“, die besagte, dass über 100.000 Japaner:innen und japanischstämmige Amerikaner:innen an der Westküste umgesiedelt und in Lagern der „War Relocation Authority“ (WRA) untergebracht werden. Das Justizministerium und die US-Armee richteten ein System von Internierungslagern in den USA ein, um feindliche ausländische Internierte und viele ihrer Familien, einschließlich in den USA geborener Kinder, festzuhalten. In den folgenden Wochen und Monaten wurden darüber hinaus vom FBI über 6.000 Deutsche und Japaner:innen in 18 lateinamerikanischen Ländern aufgegriffen, in die USA gebracht und dort interniert. Das US-Außenministerium setzte latein- und mittelamerikanische Länder wie Brasilien, Kolumbien, Costa Rica und Panama unter Druck, gefordert wurde in Kriegszeiten eine „hemisphärische Solidarität“. Das bedeutete, Zivilist:innen feindlicher Nationen wurden von der US-amerikanischen und den latein- und mittelamerikanischen Regierungen, in denen sie lebten, als unerwünscht eingestuft. Unter dem Namen „Special War Problems Division“ konnten so Zivilist:innen verhaftet, ihr Eigentum enteignet, etliche von ihnen ausgewiesen werden. Viele wurden direkt nach Japan, Deutschland oder Italien verschifft. Andere wurden vom FBI vor Ort verhaftet und in die USA gebracht, um dort interniert und gegen US-Zivilist:innen und Militärs ausgetauscht zu werden, die in den Ländern der Achsenmächte festgehalten wurden. In der Folgezeit wurden mindestens 2.600 Deutsche und ihre Familien gegen gefangene Amerikaner:innen in Nazi-Deutschland ausgetauscht.
Eine offene Rechnung
Arthur Jacobs und Karen Ebel, die Tochter von Max Ebel, wollten erreichen, dass Unrecht endlich als Unrecht genannt wird. Für alle. Mehr durch Zufall hatte Karen Ebel von der zweijährigen Internierung ihres Vaters Max erfahren. Die Juristin beschloss, für die Rechte ihres Vaters zu kämpfen und gründete die „German American Internee Coalition“. 1988 entschuldigte sich Präsident Ronald Reagan bei den Tausenden von japanischstämmigen Amerikaner:innen, die in Lagern interniert worden waren, und ließ ihnen eine finanzielle Entschädigung zukommen. 1999 einigten sich die USA nach einer Sammelklage mit Vertretern der japanisch-lateinamerikanischen Amerikaner:innen. Ihnen wurden 5.000 Dollar zugesprochen, der Scheck kam mit einer Entschuldigung von Präsident Bill Clinton. Ein Jahr später wurde die unrechtmäßige Einschränkung von bürgerlichen Freiheiten der Italo-Amerikaner:innen durch die Regierung anerkannt. Der US-Kongress verabschiedete 2006 ein 38-Millionen-Dollar-Paket, um alle Einrichtungen zu erhalten, in denen Amerikaner:innen mit japanischen Wurzeln festgehalten worden waren, Einrichtungen, die der National Park Service als von „nationaler historischer Bedeutung“ eingestuft hatte.
Mehrmals gab es im Kongress Bestrebungen, auch den einst internierten Deutschen in den USA, die weder erklärte Nazis noch Spion:innen waren, eine offizielle Entschuldigung zukommen zu lassen. Bislang vergeblich. Die Verabschiedung sei längst überfällig, meint Karen Ebel. „Zu viele sind gestorben, ohne dass die Regierung ihr Leid je anerkannt hat. Aus ihren Geschichten könnte man viel lernen, wenn wir heute erneut über Freiheits- und Sicherheitsbedenken von bestimmten Bevölkerungsgruppen in den USA reden.“
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Infos und Quellen
Genese
Ende der 1990er Jahre war WZ-Autor Arndt Peltner in Pacifica, einer Kleinstadt südlich von San Francisco. Dort erzählte ihm jemand, dass es hier einmal ein Internierungslager gegeben habe, in dem während des Zweiten Weltkrieges auch deutsche Staatsbürger:innen interniert worden waren. Das Interesse war geweckt, aber Peltner konnte damals nicht viel mehr zu dem Thema finden. Erst durch das Buch „Enemy Aliens“ von John Christgau, der in der Bay Area lebt, lernte er mehr über die deutschen Internierten. John Christgau half ihm sehr, stellte Kontakte her, unterstützte die Recherche. Durch ihn stieß Peltner damals auch auf Max Ebel und Arthur Jacobs. Für Peltner ist dieses Thema ein weiteres Kapitel in der Geschichte der deutschen Einwanderer in den USA.
Gesprächspartner
Max Ebel, ehemaliger Internierter mit deutschen Wurzeln. Geboren wurde er 1919 in Speyer, Rheinland-Pfalz. Im Mai 1937 verließ er sein Elternhaus, nachdem er bedroht und verprügelt worden war, weil er sich weigerte, der Hitlerjugend beizutreten. Sein Vater, Max Ebel Sr., war 1929 nach der Scheidung von seiner Mutter in die USA ausgewandert, hatte sich in Boston als Tischler niedergelassen. Als der Senior von den Schwierigkeiten seines Sohnes erfuhr, drängte er ihn, zu ihm nach Amerika zu kommen. Der junge Max willigte ein. Am 28. Mai 1937, kurz vor seinem 18. Geburtstag und nach zehn Tagen Überfahrt, betrat er in New York City US-amerikanischen Boden. Er ist mittlerweile verstorben.
Arthur Jacobs war ebenfalls als Deutscher zwei Jahre in Haft. Er starb als einer der letzten Zeitzeugen im vergangenen November im Alter von 92 Jahren.
Daten und Fakten
Die deutsche Kriegserklärung: Vier Tage nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour erklärte Adolf Hitler am 11. Dezember 1941 den USA den Krieg. Er wollte Washington offenbar zuvorkommen. Ab diesem Zeitpunkt sahen sich Deutsche in den USA Repressionen ausgesetzt.
Gefallene US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg: Insgesamt verloren die USA im Zweiten Weltkrieg knapp mehr als 400.000 Mann. In den Reihen der US-Armee kämpften auch viele ehemalige Deutsche.
Deutsche Immigration in die USA: In den Jahren 1930 bis 1939 wanderten rund 117.000 Deutsche in die USA ein.
Einbürgerungen in den 30er-Jahren: Um die US-Staatsbürgerschaft zu erhalten, musste man damals mindestens fünf Jahre in den USA gelebt haben und durfte keine Vorstrafen haben. Die US-Staatsbürgerschaft konnte frühestens zwei Jahre nach Beantragung verliehen werden.
Deutsche Flüchtlinge in Frankreich: Auch in Frankreich sahen sich Deutsche ab September 1939 zahlreichen Einschränkungen ausgesetzt. Als feindliche Ausländer:innen wurden viele von ihnen in Lager gesperrt, auch wenn sie beispielsweise als deutsche Juden und Jüdinnen vor den Nazis geflohen waren.
Quellen
John Christgau, Enemies: World War II Alien Internment, iUniverse, 2001
Institut für Zeitgeschichte: Deutsche Zivilinternierte in den USA.
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