Im September werden in den drei ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Die rechtsextreme AfD führt in Umfragen. Wird Deutschlands Brandmauer halten oder ebnet die CDU der Partei den Weg zur Macht?
1,7 Millionen Wahlberechtigte in Thüringen, 3,2 Millionen in Sachsen und 2,1 Millionen in Brandenburg. Über diese knapp sieben Millionen Menschen zerbricht sich ganz Deutschland seit Monaten den Kopf. Werden sie diesen September in den drei ostdeutschen Bundesländern die rechtsextreme AfD (Alternative für Deutschland) zur stimmenstärksten Partei wählen, wie es die Umfragen voraussagen?
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Am 1. September wählen sie in Thüringen und Sachsen den Landtag, am 22. in Brandenburg. Und noch nie war so oft von dem Durchmarsch der AfD die Rede. Noch nie wurde so vehement davor gewarnt. Eine AfD, die in all diesen drei Bundesländern vom deutschen Verfassungsschutz längst als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, bald an der Macht? Ein Björn Höcke, Thüringens AfD-Chef, für den die Bezeichnung „Faschist“ laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen „auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruht“, demnächst ein offizieller Landesregierungsvertreter? Vielleicht sogar Thüringens Ministerpräsident?
2024 könnte das Jahr der AfD werden, hat der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder in einem WDR-Interview prophezeit. Bei der Europawahl am 9. Mai kam die erste Bestätigung. Mit 15,9 Prozent schaffte es die AfD hinter CDU und CSU. Damit holte sie das beste Ergebnis ihrer Geschichte bei einer bundesweiten Wahl. Und in Ostdeutschland wurde sie mit 29 Prozent zur stärksten Kraft gewählt. Seit der Europawahl tauchen daher wieder vermehrt alte Deutschlandkarten auf. Zwei Blöcke − der eine umfasst das Gebiet der alten Bundesrepublik West, in der die CDU siegen konnte, und der andere, die Ex-DDR im Osten, wo die AfD zur stärksten Partei gewählt wurde. Was ist da los im Osten? Woher kommt diese Sehnsucht, sich von einer Partei vertreten zu lassen, die als verfassungsfeindlich und rechtsextrem gilt?
Das Image vom „braunen Osten“
Der Soziologe Steffen Mau erklärt in seinem aktuellen Buch „Ungerecht vereint. Warum der Osten anders bleibt“, weshalb knapp 35 Jahre nach dem Mauerfall die innerdeutsche Debatte von den „diktatursozialisierten“ Ossis und den demokratiebesserwissenden Wessis zu kurz greift. Dass zu lang mit Schuldbegriffen operiert wurde, die den Blick auf dieses Deutschland versperren, das zwar nach der Wende 1989 zusammengewachsen ist, aber eben etwas schief. „Ostdeutsche sind keine Demokratieverächter per se (...), aber die gesellschaftliche Konstitution ist eine andere und sie ist weniger resilient gegen die strategischen Vorwärtsbewegungen des Rechtspopulismus sowie die Verlockungen des rechtextremen Gedankenguts“, schreibt Mau.
Die AfD wusste die spezielle gesellschaftliche Konstitution zu nutzen. Einst 2013 als euroskeptische Professorenpartei gegründet, hat sie sich sehr rasch als Sprachrohr der verletzten ostdeutschen Seele etablieren können. Sie wusste das Ost-West Thema für ihre Zwecke als Kulturkampf zu kapern: da der arrogante Westen mit seiner multikulturellen Gesellschaft und seinen linksliberalen Grünwähler:innen, dort der ewig deklassierte Osten, der in ihrer Erzählung nach 1989 von den „Demokraten“ jenseits der Mauer „kolonisiert“ wurde. „Wird die AfD in der Region dauerhaft die mit Abstand stärkste Kraft, dürfte sich ein Image des ‚braunen Ostens‘ einprägen“, warnt Mau mit dem Hinweis, dass die Partei nicht nur ein ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Phänomen sei. Spätestens bei den Landtagswahlen 2023 in Hessen und Bayern, bei denen die AfD massive Zugewinne verzeichnen konnte, mussten Kommentator:innen reumütig einräumen, dass nicht nur der Osten für eine demokratiefeindliche Partei anfällig ist. Einer Partei, von der viele befürchten, dass sie die Demokratie von innen aushöhlen könnte.
Ein autoritärer Putsch – ganz legitim
Maximilian Steinbeis, Berliner Jurist, Chefredakteur und Gründer des „Verfassungsblogs“, gehört dazu. Er warnt seit Jahren vor einem autoritären Putsch. Schon 2019 hat er in einem viel beachteten Essay in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, wie es aussehen könnte, wenn ein „Volkskanzler“ an die Macht kommt, welche Maßnahmen er setzen könnte, um ganz demokratisch die Demokratie abzuschaffen. Durchgespielt hat er das konkret am Beispiel Thüringen. Im April präsentierte Steinbeis mit seinem Team das „Thüringen Projekt“. Ein Jahr lang haben sie „Einfallstore identifiziert, die relativ einfach geschlossen werden könnten, um die Thüringer Rechts- und Verfassungsordnung resilienter gegenüber autoritär-populistischen Strategien zu machen“, schreiben sie, denn „autoritär-populistische Parteien arbeiten mit der Verfassung, nicht gegen sie“. Ein Einfallstor ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, eine beliebte Zielscheibe autoritärer Kräfte. So kann beispielsweise der Thüringer Ministerpräsident im Alleingang Rundfunkstaatsverträge kündigen.
Ein Faschist als Thüringens Ministerpräsident
Dass Thüringen als Untersuchungslabor dient, hat schon seinen Grund. Schließlich ist hier mit Björn Höcke an der Spitze der AfD einer der extremsten Vertreter der Partei zugange. Einer, der verurteilt wurde für die mehrfache Verwendung der SA-Parole „Alles für Deutschland“, ein ehemaliger Geschichtslehrer, der behauptet, die Nazi-Parole als solche nicht gekannt zu haben. Wie er Andersdenkende behandelt, sowohl intern als auch extern, haben deutsche Medien immer wieder dokumentiert. Zuletzt verlangte er bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung von der Polizei, dass sie gegen die Gegendemonstrierenden vorgehen soll – und drohte im Fall eines Nicht-Einschreitens mit den Worten: „Wenn das nicht funktioniert, bin ich danach auf der örtlichen Polizeidienststelle und mit mir 1.000 Leute, die vor mir stehen!“ Ein kleiner Vorgeschmack dessen, wie ein Höcke an der Macht handeln würde.
Wird die CDU die Brandmauer einreißen?
Eine AfD-Regierungsbeteiligung in allen drei Bundesländern hängt beim derzeitigen Stand der Umfragen – die AfD liegt bei knapp 30 Prozent – vor allem vom Willen oder Unwillen einer anderen Partei ab: der CDU. Wird sie sich an ihrem konservativen Pendant in Österreich, der ÖVP, ein Beispiel nehmen, die mit den Blauen (ebenfalls die Farbe der AfD) koalierte? Offiziell darf die CDU weder mit der Linken noch mit der AfD eine Regierung bilden. So steht es in einem Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2018. Doch einige in der CDU sehen den Unvereinbarkeitsbeschluss lediglich als Empfehlung, nicht als Verbot. Sie plädieren für einen „pragmatischeren Zugang“ zur AfD, mit der sie mehr Überschneidungen haben als mit einer Linken. Diesen Zugang, der viele an der Stabilität der CDU-Brandmauer gegen die AfD zweifeln lässt, hat man 2020 schon einmal bewiesen. Damals wählte die CDU im Thüringer Landtag gemeinsam mit der AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Ein Tabubruch in Deutschland, dem weitere folgten.
Machtfaktor: Bündnis Sahra Wagenknecht
Die Wahrscheinlichkeit für eine AfD in der Landesregierung ist gering, sollte die CDU all ihre Optionen berücksichtigen. Darunter fällt auch eine Zusammenarbeit mit dem erst vor einigen Monaten gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) der ehemaligen Linke-Chefin. Bei der EU-Wahl schaffte es aus dem Stand auf 4,5 Prozent, für die Wahlen im Osten werden ihm im September zweistellige Ergebnisse prognostiziert. Damit könnte die Partei, die als soziapolitisch links und gesellschaftspolitisch rechts charakterisiert wird, zur Regierungspartnerin für die CDU werden. Sahra Wagenknecht selbst hat bereits begonnen die ersten Bedingungen für Koalitionsverhandlungen zu definieren.
Die Weichen für die nächste Wahl
Doch auch wenn die AfD als Regierungspartner verhindert werden kann, hätte sie selbst als Oppositionspartei – als starke, wenn nicht sogar stärkste Fraktion, wie in Thüringen vermutet wird – die Macht, den demokratischen Apparat zum Stocken zu bringen. Dank „Sperrminorität“. Das bedeutet: Jede Entscheidung, die im Landtag eine Zweidrittelmehrheit erfordert, könnte nur noch mit der Zustimmung der AfD getroffen werden. Etwa die Bestellung neuer Richter:innen beim Landesverfassungsgerichthof. Die könnte eine AfD, die über 30 Prozent der Sitze im Landtag verfügt, blockieren oder nur gegen beträchtliche Zugeständnisse – z. B. ihr zugewandte Kandidat:innen – akzeptieren. Damit könnte sie die Regierenden ganz bequem von der Oppositionsbank vor sich hertreiben und so die Weichen für ihr eigentliches Ziel setzen: die nächsten Wahlen, mit einem Ergebnis, mit dem es kein Vorbeikommen mehr an einer regierenden AfD gibt.
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Infos und Quellen
Genese
Seit Monaten prognostizieren Umfragen einen Sieg der AfD bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Solmaz Khorsand hat in der Vergangenheit bereits zu Rechtsextremismus und die Rolle der AfD für andere Medien geschrieben.
Daten und Fakten
Am 1. September finden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen statt, am 22. in Brandenburg. In allen drei ostdeutschen Bundesländern führt die AfD in Umfragen. Nun steht zur Debatte, ob es erstmals zu einer Regierungsbeteiligung der konservativen CDU mit der in den drei Bundesländern als gesichert rechtsextremen AfD kommen könnte.
Das erst im Jänner gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), dem zweistellige Ergebnisse bei den Landtagswahlen prophezeit werden, wird als alternative Option zur AfD als etwaiger Koalitionspartner in Erwägung gebracht.
Beim Rundfunkstaatsvertrag handelt es sich um ein Verwaltungsabkommen zwischen allen 16 deutschen Bundesländern, der bundesheinheitliche Regelungen für das Rundfunkrecht schuf.
Quellen
Steffen Mau, „Ungleich vereint: Warum der Osten anders bleibt“, Suhrkamp
Maximillian Steinbeis, „Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme“, Hanser
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Süddeutsche Zeitung: Essay „Ein Volkskanzler“
taz: Björn Höcke Porträt
Die Zeit: Koalition mit AfD