Zum Hauptinhalt springen

Masturbation: Die alten Märchen von Schuld und Schwächung

4 Min
Früher galt Onanie als Sünde. Auch heute kämpfen viele gegen das angebliche Laster an.
© Illustration: WZ / Katharina Wieser

Heute ist klar, dass Selbstbefriedigung etwas generell Positives ist. Lange Zeit war der Konsens ein anderer. Die alten Irrlehren leben in modernisierter Form weiter.


    • Historisch wurde Masturbation als schädlich und sündhaft dargestellt, was zu Schuldgefühlen und restriktiven Maßnahmen führte.
    • Die "NoFap"-Bewegung propagiert weiterhin Abstinenz, verspricht mehr Energie und wird auch von rechtsextremen Gruppen unterstützt.
    • Psycholog:innen betonen, dass totale Enthaltsamkeit nicht zielführend ist und alte Schuldvorstellungen weiterhin Einfluss haben.
    • - NoFap-Anhänger sind zu 95 % männlich, sechsstellige Mitgliederzahl
    • - Im 19. Jahrhundert wurden Jugendliche nachts gefesselt, um Masturbation zu verhindern
    • - Die katholische Kirche verurteilte Masturbation seit dem Mittelalter als Sünde
    • - Sportmediziner:innen widerlegen, dass Enthaltsamkeit die Leistung steigert
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Selbstbefriedigung? Ganz schlecht! Verwerflich, unmoralisch, schmutzig und gottlos. Priester warnten, Ärzt:innen waren noch vor etwas mehr als hundert Jahren davon überzeugt, dass Onanie für Pocken, Tuberkulose und Rückenmarksschwund verantwortlich wäre und sogar direkt in den Wahnsinn führen könne. Ganz sicher verleite es zu Antriebslosigkeit, führe zu allgemeiner Mattigkeit, Pflichtvergessenheit und Konzentrationsschwäche, hieß es.

Diese Märchen wurden Kindern und Jugendlichen eingetrichtert. Von Eltern, Erzieher:innen, vom Pfarrer. Die Folge war nicht, dass die Jugendlichen deshalb weniger masturbierten. Sie taten es nur mit einem fürchterlich schlechten Gewissen. Im 19. Jahrhundert gab es zudem zahlreiche Foltermethoden, die die jungen Leute davon abhalten sollten, Hand an sich zu legen. Die Arme der Verdächtigen wurden nachts gefesselt, die Hände in dicke Lederhandschuhe gesteckt. Oder es wurden die jungen Männer durch körperliche Übungen so sehr erschöpft, dass sie wie tot ins Bett fielen.

Für die Kirche: „Sünde“

Hinter der Lehre von der Schändlichkeit der Onanie steht die katholische Kirche, die schon im Mittelalter jede sexuelle Aktivität, die einfach so zum Spaß erfolgte und nicht der Zeugung von Kindern diente, verteufelte. Mittlerweile haben Theolog:innen allerdings herausgefunden, dass sogar die alttestamentarische Figur des Onan – hiervon leitet sich das Wort Onanie her – von Gott gar nicht dafür bestraft wurde, weil er masturbiert hat, sondern weil er sich geweigert hat, mit der Witwe seines Bruders Kinder zu zeugen, wie es das jüdische Recht eigentlich vorgesehen hätte.

Die Kirche hat sich mit dem Thema jedenfalls immer schwergetan. Ein Ex-Pfarrer, der später geheiratet hat und an einer Wiener Mittelschule Religionslehrer wurde, wusste noch in den 80ern zu berichten, dass ein unwillkürlicher nächtlicher Samenerguss im Priesterseminar eine büßenswerte, wenn auch kleinere Sünde darstellte.

Stellt sich die Frage, ob der Irrglaube heute unwiderruflich ein Ende hat. Die These lautet, dass dem nicht so ist. Das zeigt die unter Sportler:innen immer noch verbreitete Ansicht, dass jede Form sexueller Handlungen vor dem Wettkampf schlecht sei, weil sie die Leistungsfähigkeit, Kampfmoral und vor allem Aggressivität angeblich senken würden. Der ehemalige Weltklasse-Sprinter Linford Christie war davon überzeugt, und auch so mancher Fußballtrainer verordnet bis heute seinen Spielern Enthaltsamkeit vor dem Match. Sportmediziner:innen haben längst herausgefunden, dass das Humbug ist. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass sich hier die alten Märchen von Schuld, Sünde und Bestrafung neue Wege in die moderne Welt gebahnt haben.

„Wer nicht onaniert, gewinnt an Energie“

Dass Selbstbefriedigung Körper und Geist schwächt, gilt heute unter Anhänger:innen der „NoFap“-Bewegung als ausgemacht. Es handelt sich um ein Internetforum, das Menschen helfen will, den exzessiven Konsum von Online-Pornos und Masturbation einzuschränken. Leute, die hier mitmachen, sind jung und zu 95 Prozent männlich, die Anhängerschaft beläuft sich auf eine sechsstellige Zahl. Sie sind davon überzeugt, dass ein Masturbations-Stopp für mehr Energie, Motivation, emotionale Stabilität und eine bessere Konzentration sorgt und vor allem die Attraktivität beim anderen Geschlecht erhöht. Viele Bodybuilder schwören auf die Methode und sehen eine verbesserte Trainingsleistung, wenn sie sich sexuell unbefriedigt unter die Langhantel klemmen.

Abstinenz macht nicht kompetenter

Psycholog:innen verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass der exzessive Konsum von Internetpornos wie jedes Suchtverhalten problematisch sein kann. Progressive Sexualtherapeut:innen halten totale Enthaltsamkeit als Form einer Therapie allerdings nicht für zielführend. Hier wird darauf hingewiesen, dass Menschen durch Abstinenz von Medienkonsum nicht medienkompetenter würden. Es gehe darum, Gestaltung zu lernen und das setze ein aktives Verhalten voraus.

Die NoFap-Lehre wird seit einigen Jahren auch von rechtsextremen Bewegungen wie den „Proud boys“ in den USA verfolgt. Bei dem militanten Männertrupp, der am Sturm auf das Kapitol 2021 beteiligt war, gilt Onanie als Charakterschwäche, als sträfliche Weichheit und Loser-Eigenschaft, die zu überwinden sei. Nur möglichst viele heterosexuelle Kontakte zu Frauen werden in diesem Milieu als heldenhaft, erstrebenswert und wahrhaft männlich gewertet.

Alte Schauermärchen

Die NoFap-Anhänger:innen fesseln ihre Hände zumindest imaginär, unterwerfen sich einem schmerzhaften Enthaltsamkeitsprogramm, das an die zuvor geschilderten Zwangsmaßnahmen aus dem 19. Jahrhundert erinnert. Die, die scheitern, „beichten“ das via Reddit oder Instagram, haben ganz offensichtlich ein schlechtes Gewissen und halten sich für schwach. Im Endeffekt sitzen sie dem alten kirchlichen Schauermärchen von der ungezügelten, sündhaften Triebhaftigkeit auf, der durch Selbstzucht überwunden werden muss.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Quellen

Daten und Fakten

  • Masturbation verursacht keine gesundheitlichen Schäden, sondern wird heute eher als wichtiger Bestandteil der sexuellen Gesundheit angesehen.
  • In verschiedenen Studien geben rund 90 Prozent der Männer und 86 Prozent der Frauen an, regelmäßig zu masturbieren. Es gibt allerdings eine beträchtliche Dunkelziffer derer, die keine Auskunft geben wollen.
  • Der Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, war kein Freund der Masturbation. Für ihn war es eine angebliche Ursache neurotischer Erkrankungen.
  • „Fap“ ist ein englischer Slangausdruck für männliche Masturbation.

Das Thema in anderen Medien

Ähnliche Inhalte