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Die CO2-Emissionen in der EU sinken

5 Min
Klimaneutralität bedeutet, dass das menschliche Handeln das Klima nicht mehr beeinflusst.
© Illustration: WZ, Bilquelle: Getty Images

Die Treibhausgasemissionen in Europa sinken schneller als erwartet. Um aber die Klimaziele zu erreichen, muss die EU das Stromnetz zügiger ausbauen.


Bei der Umsetzung der Klimaziele kommt Europa voran. „Es gibt ein paar Meilensteine. Etwa hat die EU ihr allererstes Ziel, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, mit minus 31 Prozent bereits übererfüllt“, sagt der Umweltökonom Johannes Schmidt vom Institut für Nachhaltige Entwicklung der Universität für Bodenkultur in Wien zur WZ: „Für 2023 erwarten wir einen Emissionsrückgang von sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit werden wir in etwa das Emissionsniveau von 2020 erreichen, obwohl damals ein Großteil der Menschen mehrere Monate des Jahres im Lockdown verbrachte, und Industrie und Transport heruntergefahren waren.”

Ausgelöst durch die Gaskrise und die „stark angeschärfte Klimapolitik der EU“, sieht Schmidt eine „strukturelle Veränderung hin zu erneuerbaren Energien”, die Fossile in Europa zunehmend ablösen: Die EU sei gut unterwegs.

Zum Hintergrund: Die Europäische Kommission hat im Jahr 2019 ihren Green Deal zur Energiewende beschlossen. Kohle und Erdgas sollen abgeschafft und der Ausbau von erneuerbaren Energien, wie Wind und Sonne, zügig vorangetrieben werden. Das Ziel ist Klimaneutralität.

Wer Emissionen erzeugt, muss zahlen

Klimaneutralität bedeutet, dass das menschliche Handeln das Klima nicht mehr beeinflusst. Eine klimaneutrale Wirtschaft setzt also entweder keine klimaschädlichen Treibhausgase⁠ mehr frei oder gleicht ihre Emissionen vollständig aus, etwa durch Projekte zur Senkung von Emissionen. Europa will bis 2050 so weit sein und eine maßgebliche Etappe bis 2030 nehmen. Bis Ende dieses Jahrzehnts sollen laut dem EU-Gesetz „Fit for 55“ die Treibhausgasausstöße um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken.

Ein Instrument dazu ist der Zertifikate-Handel für Treibhausgase. Eine zentrale Behörde verkauft diese Zertifikate, die Unternehmen dazu berechtigen, eine bestimmte Menge an Treibhausgasen in einem gewissen Zeitraum auszustoßen. Das heißt: Wer die Umwelt mit Emissionen verschmutzt, muss in die Tasche greifen, wobei die Anzahl der Zertifikate jedes Jahr weiter gesenkt wird. Das System lässt sich durchaus mit einem Ablasshandel vergleichen, zumal Unternehmen, die ihre Emissionsrechte nicht benötigen, diese auch weiterverkaufen können.

Allein in den Netzausbau muss Europa 584 Milliarden Euro investieren.
Gerhard Christiner

Für die nahe Zukunft plant die EU zudem das Ende des Verbrennungsmotors, eine Kerosinsteuer für innereuropäische Flüge und eine Abgabe für Importe aus Ländern, die etwa Stahl, Zement oder Aluminium klimaschädlicher erzeugen als Europa. Ab 2027 sollen weiters auch Privathaushalte einen CO2-Preis zahlen, und zwar auf Auto-Kraftstoffe, Erdgas und Heizöl. Der Emissionshandel wird ab 2028 außerdem auf die Schifffahrt, innereuropäische Flüge und große Müllverbrennungsanlagen ausgeweitet.

Infrastruktur und Netze für Erneuerbare fehlen

Laut einem Bericht der Internationalen Energieagentur müsste der Anteil an erneuerbaren Energien von derzeit 30 Prozent auf mindestens 50 Prozent im Jahr 2030 angehoben werden, damit die Ziele erreicht werden und der Klimawandel begrenzt werden kann. Die europäischen Länder verfolgen dabei unterschiedliche Strategien. Manche haben mehr Wind, andere mehr Wasserkraft, die zwar keine Emissionen abgeben, aber in die Natur eingreifen. Andere, wie etwa Frankreich, kompensieren den Ausstieg aus fossilen Energieträgern mit Atomkraft. Und während im Süden die Photovoltaik Potenzial hat, nutzen Länder des Nordens eher Windkraft, unter anderem aus einem riesigen Windpark in der Nordsee.

Aber es gibt auch Schwierigkeiten. Laut dem kürzlich veröffentlichten „EU Grid Action Plan“, der die Schritte im Ausbau der Netzinfrastruktur definiert, fehlt nämlich die nötige Infrastruktur aus Stromnetzen und Kraftwerken, um den Anteil an Erneuerbaren im europäischen Strommix weiter anzuheben.

Das riesige Vorhaben der Energiewende

„Allein in den Netzausbau muss Europa 584 Milliarden Euro investieren, um bis 2050 Wind und Sonne flächendeckend verteilen und Klimaneutralität erreichen zu können“, sagt Gerhard Christiner, Technik-Vorstand des heimischen Übertragungsnetzbetreibers Austrian Power Grid (APG), zur WZ: "Um den Gesamtenergieverbrauch zu dekarbonisieren und die Effizienz zu erhöhen, braucht es einen großflächigen Netzausbau“.

Das Unterfangen ist riesig. Laut dem einem Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks muss allein Österreich, das Klimaneutralität schon 2040 erreichen will, über 200 Terawattstunden Strom dekarbonisieren, damit der gesamte Energieverbrauch unseres Landes grün ist. Um eine Perspektive zu geben: Ein Atomkraftwerk erzeugt elf Terawatt pro Jahr und könnte damit 3,1 Millionen Haushalte jährlich versorgen. Also geht es allein in Österreich um nichts weniger als die Power von 18 Kernkraftwerken.

Neues System der Verteilung von Energie

Dazu wird ein neues System der Verteilung gebraucht. Die traditionellen thermischen Kraftwerke für Kohle, Gas oder Atomenergie liegen nahe den Ballungszentren und damit in der Nähe der meisten Menschen. Die Kraftwerke fahren den Lastkurven des Stromverbrauchs nach. Sie richten sich also danach, wie viel Strom unter der Woche, abends, morgens, unter tags oder am Wochenende gebraucht wird und erzeugen Energie nach Bedarf. Entsprechend führen die meisten Leitungen vom Kraftwerk weg zu den energieintensivsten Plätzen. Windkraftanlagen stehen hingegen dort, wo viel Wind weht und Platz ist, also zumeist in dünn besiedeltem Flachland. Von dort gibt es nur wenige Leitungen zu den energieintensivsten Plätzen. Allein um Windstrom in die Ballungszentren zu bringen, müssen neue Leitungen gebaut werden.

Man darf sich nicht in die Tasche lügen. Es müssen alle mitmachen.
Stefan Thurner

Windig ist es etwa im ländlichen Weinviertel. Derzeit existiert aber nur eine einzige Leitung für Windstrom von dort nach Wien. Sie sei zwar innerhalb von sechs Jahren „in Rekordgeschwindigkeit“ gebaut worden, doch schon jetzt drohe eine Überlastung, erklärt Christiner: „Wenn die Weinviertel-Leitung belegt ist, müssen die Windräder selbst bei bestem Wind zum Stillstand gebracht werden. Dann kann kein Windstrom erzeugt werden, obwohl man die Energie gebrauchen könnte“, sagt er, und: „Nur durch ein räumlich dichtes Netz lassen sich Engpässe ausgleichen.“

Die Konsumgesellschaft umkrempeln

„Die Fakten sind klar, werden aber teils negiert, weil zu viele Interessen im Spiel sind. Es geht immerhin um nichts Geringeres als die fossile Konsumgesellschaft umzukrempeln“, sagt die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter. Für sie stellt es sich so dar, dass an einem konsequenten Ausstieg aus fossilen Energieträgern kein Weg vorbeiführt, ein solcher daher „oberste Priorität haben muss“.

Für den Komplexitätsforscher Stefan Thurner reicht es nicht, wenn Europa die Energiewende im Alleingang versucht. „Man darf sich nicht in die Tasche lügen. Es geht darum, Fossile abzustellen. Aber es hat keinen Sinn, wenn einzig und allein weniger Benzin auf dem Weltmarkt kauft und andere zu sinkenden Preisen mehr davon kaufen, denn dann haben wir umso mehr Emissionen“, sagt er: „Es müssen alle mitmachen.“


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Eva Stanzl wollte wissen, wie weit Europa auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 ist. Dabei stellte sie fest, dass an dieser riesigen Aufgabe ernsthaft gearbeitet wird - und dass noch viel zu tun ist.

Gesprächspartner

  • Gerhard Christiner, Technischer Vorstand, Austrian Power Grid AG, Wien

  • Johannes Schmidt, Assoziierter Professor, Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Universität für Bodenkultur (Boku), Wien

  • Verena Winwarter, Umwelthistorikerin, ehemalige Universitätsprofessorin an der Universität Klagenfurt und der Boku. Österreichs "Wissenschafterin des Jahres 2013"

  • Stefan Thurner, Leiter Complexity Science Hub Vienna, Österreichs "Wissenschafter des Jahres 2017".

Daten und Fakten

Europa will bis 2050 klimaneutral werden und setzt dazu folgende Maßnahmen:

  • Emissionshandel: In der EU gibt es einen Zertifikate-Handel für Treibhausgase, um diese zu begrenzen. Wer Emissionen erzeugt, muss zahlen, und der erlaubte CO2-Ausstoß wird jedes Jahr weiter gesenkt. Der Emissionshandel wird ab 2027 auch auf Privathaushalte und 2028 auf die Schifffahrt, innereuropäische Flüge und Müllverbrennungsanlagen ausgeweitet.

  • Abfederung der Kosten für Haushalte: Um Bürger:innen und Unternehmer:innen bei der CO2-Bepreisung nicht über ihre finanziellen Grenzen zu bringen, soll ab 2026 ein Klimasozialfonds die Kosten der Energiewende abfedern. Der Fonds soll aus Einnahmen aus dem Emissionshandel und durch die Mitgliedstaaten finanziert werden.

  • Abgabe für schmutzig erzeugte Importe: Der CO2-Grenzausgleich (CBAM) sieht die schrittweise Einführung einer CO2-Abgabe auf bestimmte Importe vor, die nicht grün erzeugt worden sind. Importeure von Eisen, Stahl, Aluminium und Zement sollen demnach CO2-Zertifikate entsprechend der Klimaschädlichkeit ihrer Einfuhren kaufen müssen, wenn sie diese in der EU absetzen wollen.

  • Ende des Verbrennungsmotors: Ab 2035 müssen in der EU neuzugelassene Pkw klimaneutral sein. Das bedeutet, dass ab 2035 keine Benzin- und Diesel-Pkw mehr verkauft werden dürfen, die klimaschädliche Gase ausstoßen. Die Einigung lässt allerdings die Möglichkeit offen, dass Pkw mit Verbrennungsmotoren weiterhin zugelassen werden können, wenn sie klimaneutrale E-Fuels nutzen. Ab 2040 sollen außerdem neue Lkw und Busse um 90 Prozent weniger CO2 ausstoßen als noch 2019.

  • Erneuerbare Energien und Energieeffizienz: In der EU soll künftig der Anteil erneuerbarer Energie am Verbrauch 40 Prozent betragen. Bisher lag die Vorgabe bei 27 Prozent, derzeit beträgt der Anteil rund 20 Prozent. Auch die Einsparvorgabe für Energie soll verschärft werden.

Quellen

Das Thema in anderen Medien

  • MDR: Wie Europa bis 2050 klimaneutral werden soll

  • NDR: Das leisten Kraftwerke im Vergleich

  • Heise Online: Schwieriger Weg nach Netto-Null