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Im Februar 2026 soll das Kopftuchverbot für Mädchen an Schulen in Kraft treten. Warum es auch diesmal vom Verfassungsgerichtshof gekippt werden könnte und was österreichische Muslim:innen und Expert:innen über das Gesetz denken.
Das Kopftuchverbot für junge Mädchen an Schulen soll kommen – schon wieder. Das Gesetz soll bereits im kommenden Semester in Kraft treten und sowohl an privaten als auch an öffentlichen Schulen bis zur achten Schulstufe gelten – also bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) kritisiert ein pauschales Verbot scharf, da man damit Muslime unter Generalverdacht stelle. Bereits im Jahr 2020 wurde ein von der ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz beschlossenes Kopftuchverbot vom Verfassungsgerichtshof gekippt, weil es gegen den Gleichheitsgrundsatz des Staates verstieß. Verfassungsjuristen sehen einen solchen Verstoß auch im neuen Gesetzesentwurf der amtierenden Koalition von ÖVP, SPÖ und Neos.
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Ziel ist die Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen an SchulenLisa Neuhauser
„Ziel des Gesetzes ist die Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen an Schulen“, heißt es seitens der Pressesprecherin des Bundesministeriums für Europa, Integration und Familie, Lisa Neuhauser. Auf unsere E-Mail-Anfrage, weshalb das Gesetz nicht auch andere religiöse Symbole betreffe – wie etwa die jüdische Kippa oder den Dastar, den Turban der Sikhs – wurde darauf verwiesen, dass das „Kinderkopftuch“ ein „Symbol der Unterdrückung“ sei, welches die Sichtbarkeit und Freiheit junger Mädchen einschränke. Bei der Kippa und beim Sikh-Turban sei dies laut der Pressesprecherin nicht der Fall.
Diese selektive Charakterisierung des muslimischen Kopftuchs ist auch der Grund, weshalb Verfassungsjuristen wie Heinz Mayer davon ausgehen, dass der neue Gesetzesentwurf wohl – wie schon im Jahr 2020 – gekippt wird, da auch hier eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vorliegt.
Auch Amnesty International sieht ein solches Verbot aus demselben Grund kritisch: „Amnesty International ist der Ansicht, dass ein pauschales Kopftuchverbot eine offensichtliche Verletzung der Rechte muslimischer Mädchen, die ein Kopftuch tragen, darstellt – einschließlich des Rechts auf Meinungsfreiheit und des Rechts auf Religionsfreiheit“, heißt es in einer Stellungnahme von Amnesty International Österreich. „Darüber hinaus ist dieser pauschale Eingriff in die Menschenrechte einer bestimmten Gruppe – in diesem Fall ausschließlich muslimischer Mädchen – diskriminierend.“
Das Kopftuch als Symbol „der Anderen“
Vor allem Muslim:innen sehen in den Argumenten der Regierung eine Ungleichbehandlung ihrer Religion – auch weil sie im Detail sehr diffus sind Bleiben wir etwa beim Beispiel des Sikh-Turbans, der laut dem Büro von Ministerin Claudia Plakolm nicht vom Verbot betroffen ist. Solch ein Turban verhüllt unter Umständen den Kopf einer Person in ähnlicher Weise wie das muslimische Kopftuch in seinen unterschiedlichen Variationen. Auch die in Wien lebende Sozial- und Berufspädagogin Aya Elghanam trägt manchmal statt ihres Kopftuchs einen Turban, um Abwechslung in ihren persönlichen Stil zu bringen, wie sie erzählt. Wäre nun das Tragen eines solchen Turbans durch ein muslimisches Mädchen an der Schule ebenfalls verboten? Diese Frage bleibt wohl offen.
Das Kopftuch wird bewusst als Marker für eine ‚fremde‘ Religion missbrauchtAmani Abuzahra
Die Behauptung der Regierung, dass es um das Wohl der Kinder gehe, betrachtet Elghanam kritisch. Die Annahme, dass Mädchen unter 14 Jahren das Kopftuch niemals freiwillig tragen würden, sei faktisch nicht korrekt: „Gerade in einer Zeit, in der Jugendliche sich in einer Identitätsfindungsphase befinden, kann ein solches Verbot das Gefühl vermitteln, dass ein Teil der eigenen Identität nicht akzeptiert wird“, so Elghanam. Diese Ablehnung würde zugleich das Vertrauen muslimischer Jugendlicher in Institutionen, Politik und Gesellschaft schwächen.
Auch die promovierte Philosophin und Autorin Amani Abuzahra sieht im Verbot einen Ausdruck antimuslimischen Rassismus, da es ausschließlich Muslim:innen trifft und sich gegen eine ohnehin marginalisierte Gruppe richtet: „Das Kopftuch wird bewusst als Marker für eine ‚fremde‘ Religion missbraucht und zum Symbol für das, was vermeintlich nicht dazugehört“, so Abuzahra. „Genau diese ungleiche Behandlung religiöser Symbole zeigt, dass es nicht um Neutralität geht, sondern um Machtfragen.“ Während alle anderen Kinder sich durch unterschiedliche Identitäten ausprobieren dürfen, so fügt Abuzahra hinzu, werde muslimischen Mädchen genau dieses Recht abgesprochen.
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Wir haben das Bundesministerium auch gefragt, wie die unterschiedliche Behandlung religiöser Symbole vor dem Hintergrund der im österreichischen Recht verankerten Gleichbehandlung und Religionsfreiheit gerechtfertigt wird. Die Antwort darauf lautete:
„Das Ziel ist nicht, Religion einzuschränken, sondern Kinder zu schützen. Unter 14 Jahren fehlt die Reife, die Bedeutung des Kopftuchs wirklich frei zu erfassen. Das Verbot sichert, dass Mädchen nicht unter Druck gesetzt oder in Rollen gedrängt werden, die sie gar nicht frei wählen können. Mit 14 Jahren steht dann jeder die volle Religionsfreiheit offen – davor schützen wir sie vor Fremdbestimmung.“
(Lisa Neuhauser, Pressesprecherin des Kabinetts von Bundesministerin Claudia Plakolm)
Dabei ist gerade ein solches Verbot ebenfalls eine Fremdbestimmung – nämlich von Seiten des Staates. In diesem Zusammenhang stellt sich erneut die Frage, weshalb nur das Tragen des Kopftuchs eine bestimmte Reife erfordere (was es zweifelsohne tut), andere religiöse Symbole jedoch keine Reife voraussetzen würden, um ihre Bedeutung zu verstehen. Religiöse Erziehung gibt es nicht nur unter Muslim:innen. In einigen religiösen jüdischen Familien etwa wird die Kippa ebenfalls schon im Kindesalter getragen. In vielen österreichischen Klassenzimmern lässt sich das christliche Kreuz schon ab der ersten Schulstufe finden. Wenn es tatsächlich um Entwicklungspsychologie oder Religionsmündigkeit ginge, müsste man konsequenterweise alle religiösen Symbole gleichermaßen von Kindern fernhalten. Dass dies nicht geschieht, deutet darauf hin, dass das Kopftuch im öffentlichen Diskurs als Symbol „der Anderen“ betrachtet wird – jener, die man nicht als zugehörig sehen will. Die Konsequenz daraus ist eine Stigmatisierung dieser Gruppe.
IGGÖ: „Sowohl gegen den Zwang, ein Kopftuch zu tragen, als auch gegen den Zwang, es abzulegen“
Schon in der Vergangenheit zeigte sich die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) irritiert über Aussagen der Ministerin Plakolm. So etwa im Juli, als sie das Kopftuch pauschal als Ausdruck „extremistischer Tendenzen“ bezeichnete. „Die Verbindung des Kopftuchs als Ausdruck der religiösen Praxis einer in Österreich gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft mit ‚extremistischen Tendenzen‘ verunsichert nicht nur viele junge Musliminnen, sondern auch all jene, die auf den Schutz von Religionsfreiheit und Gleichbehandlung vertrauen“, teilt die Pressestelle der Glaubensgemeinschaft auf unsere E-Mail-Anfrage mit. „Als IGGÖ sprechen wir uns weiterhin gegen jeden Zwang aus – sowohl gegen den Zwang, ein Kopftuch zu tragen, als auch gegen den Zwang, es abzulegen.“ Das Tragen des Kopftuchs, so betont Edina Husović von der IGGÖ, habe immer freiwillig zu erfolgen und aus persönlicher Überzeugung heraus. „Alles andere widerspricht nicht nur dem Geist des Islam, sondern auch den Prinzipien einer pluralistischen Gesellschaft.“
„Nein“ zum Kopftuch aber „Ja“ zu den Taliban
Wie heuchlerisch der Diskurs rund um das Kopftuch und Muslim:innen im Allgemeinen in Österreich ist, zeigt ein erst vor Kurzem erfolgter Besuch von Taliban-Vertretern in Österreich, um inhaftierte afghanische Flüchtlinge zu identifizieren. Es ist kaum an Absurdität zu überbieten, dass ausgerechnet jene österreichische Regierung, die vom Schutz von Mädchen an Schulen spricht, mit demselben Regime kooperieren will, das Frauen und Mädchen nicht nur von Schulen und Universitäten ausschließt, sondern nun sogar von Frauen verfasste Bücher aus dem Unterricht an Universitäten verbietet. Die vermeintlichen Werte, die man angeblich schützen möchte, lösen sich in Schall und Rauch auf, sobald sich mit den Taliban ein Deal aushandeln lässt, um afghanische Flüchtlinge abzuschieben.
Die große Wahrscheinlichkeit, dass das Kopftuchverbot für Mädchen an Schulen wieder gekippt wird, nimmt die Regierung bewusst in Kauf – um ihrem Kurs gegen Muslim:innen Glaubwürdigkeit zu verleihen und weiterhin rechte Wähler zu gewinnen. Besonders deutlich wird dies beim Blick auf den Instagram-Account von Plakolm. In ihrem letzten Reel betont sie erneut, dass die Scharia in Österreich nichts zu suchen habe, und verweist praktisch im gleichen Atemzug darauf, dass die Bundesregierung deshalb Cousin- und Cousinen-Ehen sowie die Ehe unter 18 Jahren verboten hat – als handele es sich bei solchen Fällen um ein Alleinstellungsmerkmal muslimischer Menschen. Abgesehen davon, dass es keine islamische Vorschrift gibt, Cousinen und Cousins zu heiraten, hätte nach Plakolms Logik wohl selbst das Haus Habsburg nach der Scharia gelebt – ebenso wie manche „urösterreichische“ Familien im ländlichen Raum. Mit solchen Floskeln lässt sich jedoch Politik machen. Der vermeintliche Schutz von Mädchen wird nur dann hervorgehoben, wenn er sich im Rahmen einer muslimfeindlichen Agenda instrumentalisieren lässt.
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Infos und Quellen
Genese
In Österreich sorgt das Kopftuchverbot für Mädchen an Schulen seit Jahren für Schlagzeilen. Immer wieder prallen hier Fragen nach Religionsfreiheit, Gleichbehandlung und Selbstbestimmung aufeinander. Doch wie entstand die aktuelle Debatte um das Verbot? Autor Elias Feroz hat das Bundeskanzleramt, die Islamische Glaubensgemeinschaft, Kopftuchtragende österreichische Muslimas und Amnesty International befragt, um die Hintergründe und Auswirkungen des neuen Gesetzesentwurfs zum Kopftuchverbot an Schulen zu beleuchten. Politische Symbolpolitik, mediale Aufmerksamkeit und die Reaktionen der muslimischen Gemeinschaft zeigen, wie umstritten das Kopftuchverbot ist – und warum Expert:innen erwarten, dass das Gesetz mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erneut vor dem Verfassungsgerichtshof scheitern wird, da es wie schon 2020 den Gleichheitsgrundsatz verletzt.
Gesprächspartner:innen
- Lisa Neuhauser, Pressesprecherin von Bundesministerin Claudia Plakolm
- Pressesprecherin von Amnesty International Österreich
- Aya Elghanam, Sozial- und Berufspädagogin
- Amani Abuzahra, promovierte Philosophin und Autorin
- Edina Husović, Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich
Daten und Fakten
- Der erste Anlauf des Kopftuchverbots für Mädchen an Volksschulen in Österreich erfolgte im Mai 2019 unter der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung. Es richtete sich an Schülerinnen in der Volksschule, also Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren. Bei Verstößen drohte den Eltern eine Verwaltungsstrafe von bis zu 440 Euro oder eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu zwei Wochen.
- 2020 kippte der Verfassungsgerichtshof das Gesetz, weil es gegen Gleichheit und Religionsfreiheit verstieß. Das Verbot griff gezielt den Islam heraus und verletzte so die Neutralität des Staates: „Eine Regelung, die bloß eine bestimmte Gruppe von Schülerinnen trifft, und zur Sicherung von religiöser und weltanschaulicher Neutralität sowie Gleichstellung der Geschlechter selektiv bleibt, verfehlt ihr Regelungsziel und ist unsachlich. § 43a SchUG verstößt daher gegen den Gleichheitsgrundsatz in Verbindung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.“
- 2025 kündigte Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) ein neues Gesetz an, das ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren an Schulen vorsieht. Dieses Verbot gilt sowohl für öffentliche als auch für private Schulen. Bei Verstößen gegen das Verbot drohen den Eltern Verwaltungsstrafen zwischen 150 und 1.000 Euro oder eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu 14 Tagen.
- Das Bundeskanzleramt teilte uns auf Anfrage per E-Mail mit, dass es keine statistischen Erhebungen zur genauen Zahl der Kopftuchträgerinnen unter 14 Jahren in Österreich gibt. Das Kabinett von Ministerin Plakolm stützt sich daher lediglich auf Schätzungen.
Quellen
Das Thema in der WZ
- Kopftuchverbot für Kinder "unsachlich"
- Ein Kopftuchverbot in der Schule kann Abschottung fördern
- Taliban in der Herrengasse
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