Zum Hauptinhalt springen

Die Fußballpräsidentin, die mit Hooligans verhandelt

12 Min
Seit 2017 steht Brigitte Annerl dem Bundesliga-Klub TSV Hartberg vor. Was kann das Fußballgeschäft von ihr lernen?
© Illustration: WZ, Fotocredit: ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Die Präsidentin des TSV Hartberg, Brigitte Annerl, ist eine der wenigen Frauen in einer Spitzenposition im Fußballgeschäft. Zuletzt wäre sie fast ÖFB-Chefin geworden. Ein Gespräch über das Leben in der Männerdomäne.


Das Oberhaupt eines Fußballklubs stellt man sich anders vor als Brigitte Annerl, 55 Jahre alt, akkurate Pagenfrisur, strahlend weißes Lächeln, verbindende Art. Eher volkstümlich! Polternd! Einen wie Hannes Kartnig, den legendären Sturm-Graz-Präsidenten, der einst im Rolls Royce vorfuhr, Goldketten trug und in seinem Wohnzimmer einen Hai hielt. Kartnig hat sich längst zurückgezogen. Der Fußball aber wird immer noch von Männern regiert. Ex-ORF-Chef Alexander Wrabetz ist Rapid-Präsident. Wien-Holding-CEO Kurt Gollowitzer führt die Austria. Und im ÖFB? Da übernimmt bald Ex-Vizekanzler Josef Pröll.

Brigitte Annerl, Unternehmerin und Selfmade-Millionärin, ist eine der wenigen Frauen in der Männerdomäne Profifußball. Mit Kapseln, die schnellere und bessere Spermien versprechen, wurde die Wienerin reich. Seit 2017 steht sie dem Bundesliga-Klub TSV Hartberg vor. Während sich viele Herren – egal ob bei Rapid, Austria oder im ÖFB – ständig Machtkämpfe liefern, tanzt Annerl mit ihren Spielern auf dem Feld, trommelt mit Fans im Block oder verteilt 100-Euro-Scheine im Publikum. Annerl hat eine neue Führungskultur etabliert. Als zuletzt wütende Rapid-Fans das Hartberger Stadion kurz und klein schlugen, Klotüren und Waschbecken auf Polizisten warfen, schritt Annerl couragiert ein. Sie stellte sich in die Kampfzone, sprach mit den Randalierern und entschärfte die Lage. Was kann das Fußballgeschäft von dieser Frau lernen?

WZ | Gerald Gossmann
Mitte März haben Rapid-Hooligans im Hartberger Stadion Polizisten mit Klotüren und Waschbecken beworfen. Sie haben die Randalierer gebändigt. Wie ist Ihnen das gelungen?
Brigitte Annerl
Ich bin einfach zu den Fans gelaufen. Dort waren Emotionen im Spiel. Ein paar Rapidler haben sich bei der Einlasskontrolle von der Polizei nicht entsprechend behandelt gefühlt. Es kam zu Tumulten – und die Polizei hat Pfefferspray eingesetzt. Da standen auch ältere Damen, die etwas davon abbekamen, aber nichts dafürkonnten.
WZ | Gerald Gossmann
Haben Sie das Gespräch mit den Randalierern gesucht?
Brigitte Annerl
Ja, ich habe verhandelt. Mit den Randalierern. Und mit der Polizei. Die Fans wollten, dass die Polizei zurückweicht. Ich habe gesagt: Gebt mir ein bisschen Zeit, wir brauchen einen Kompromiss. Ein Fan hat geschrien: Im Block gibt es keinen Kompromiss! Ich habe ihnen dann versprochen, dass sich die Polizei zurückzieht – wenn sie sich im Gegenzug beruhigen. Das hat funktioniert.
WZ | Gerald Gossmann
Gewaltbereite Rapid-Fans gelten als wenig zimperlich. Hatten Sie keine Angst?
Brigitte Annerl
Nein, ich hatte gar keine Angst! Ich will den Menschen zuhören, auch wenn sie emotional sind. Wenn man einem aggressiven Menschen ruhig begegnet, ändert das viel.
WZ | Gerald Gossmann
Bei Rapid kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, der Verein wirkt hilflos. Hätten Sie einen Tipp?
Brigitte Annerl
Ausschreitungen kann man nie ganz verhindern. Aber ich würde die wenigen Unbelehrbaren ausfindig machen und Stadionverbote erteilen. In England wird das gut gemacht, dort gibt es keine Probleme.
WZ | Gerald Gossmann
Woher kommt Ihr Gespür für Menschen?
Brigitte Annerl
Ich habe mir mein Studium als Kellnerin in einer Bar finanziert. Dort habe ich Menschen wirklich kennengelernt. Da musst du mit jedem reden – egal, in welchem Zustand er sich gerade befindet.
WZ | Gerald Gossmann
Sie sind eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Wie sind Sie Präsidentin des TSV Hartberg geworden?
Brigitte Annerl
Ein Hartberger Unternehmer hat meine Firma umgebaut – und mich zum TSV Hartberg mitgenommen. Ich wusste anfangs nicht einmal, wo das ist. Eingestiegen bin ich, da spielte der Verein noch in der dritten Liga. Die gewünschte Sponsorensumme habe ich gleich einmal verdoppelt. Da haben alle geschaut.
Manche Leute waren skeptisch. Da kommt eine Frau! Dazu keine Hartbergerin!
Brigitte Annerl
WZ | Gerald Gossmann
Mussten Sie sich als Frau in einem sehr männerdominierten Geschäft explizit beweisen?
Brigitte Annerl
Manche Leute waren skeptisch. Da kommt eine Frau! Dazu keine Hartbergerin! Kann die das? Dann aber stand der Klub vor dem Aus in der höchsten Spielklasse. Die Bundesliga wollte uns keine Spielberechtigung erteilen, weil wir keine Rasenheizung, zu wenige Sitzplätze und ein geringes Budget hatten. Sechs Wochen bin ich Tag und Nacht gesessen, damit wir alle Auflagen erfüllen. Wir erhielten die Lizenz. Das hat die letzten Zweifel in Hartberg verstummen lassen.
WZ | Gerald Gossmann
Das Fußballgeschäft zieht immer wieder Männer mit Geltungsdrang an, wie einst den Milliardär Frank Stronach, der die Wiener Austria an die Weltspitze führen wollte. Welches Motiv haben Sie?
Brigitte Annerl
Leidenschaft. Wirtschaftliche Interessen spielen keine mit. Meine Firma macht nur einen Bruchteil des Umsatzes in Österreich – der größte Teil kommt aus Ländern, in denen niemand den TSV Hartberg kennt.
WZ | Gerald Gossmann
Ihr Unternehmen Lenus Pharma ist Weltmarktführer bei Fruchtbarkeitspillen für den Mann. Warum wollen Sie den Mann fruchtbarer machen?
Brigitte Annerl
Ich habe als Pharmareferentin gearbeitet und dabei eines festgestellt: Bei Paaren mit Kinderwunsch werden zwar die Frauen mit Hormonen bombardiert – die Männer aber oft nicht einmal angeschaut. Ich habe ein diätetisches Präparat aus Mikronährstoffen entwickelt. Anfangs bin ich belächelt worden. Dann aber titelte die Kronenzeitung: 93 Prozent der österreichischen Rekruten sind unfruchtbar. Das war ein Türöffner. Die Spermienqualität hat in den letzten 50 Jahren dramatisch abgenommen.
WZ | Gerald Gossmann
Woran liegt das?
Brigitte Annerl
An Umwelteinflüssen, an Plastikflaschen, schlechter Ernährung, Stress – und: am Radfahren.
WZ | Gerald Gossmann
Am Radfahren?
Brigitte Annerl
Es geht um die Radlerhose und enge Hosen generell. Aber es gibt auch viele andere Gründe. Auch in warmen Ländern wie Saudi-Arabien ist die Anzahl unfruchtbarer Männer höher. Die Hitze ist ein Problem. Und das Handy in der Hosentasche.
WZ | Gerald Gossmann
Auf den Trikots des TSV Hartberg steht ihr Produktslogan „Speed for sperm“. Wie kommt das an?
Brigitte Annerl
Unserem Tormann wollte ich „Spermbooster“ aufs Trikot drucken. Ihm hat das nicht gefallen. Geh Gitti, hat er gesagt, das kannst vergessen! Dann habe ich gesagt: Gut, dann schreiben wir eben „Jeder Schuss ein Treffer“ drauf. Das wäre bei einem Tormann unpassend. Und schon war er überzeugt.
WZ | Gerald Gossmann
Sie gelten als Frau der Kompromisse. In vielen Fußballklubs, ob bei der Austria oder im ÖFB, kommt es regelmäßig zu Machtkämpfen unter männlichen Funktionären. Woran liegt das?
Brigitte Annerl
Vielleicht ist das Konkurrenzdenken unter Männern stärker ausgeprägt. Ich für meinen Teil versuche, verbindend zu wirken. Ich mag Kommunikation und keine Konfrontation.
Die Frauen-Quote ist pure Diskriminierung. Ich würde das nie wollen.
Brigitte Annerl
WZ | Gerald Gossmann
Fast alle Fußballklubs sind von Männern dominiert. Sehen Sie sich als feministische Vorkämpferin?
Brigitte Annerl
Nein! Es gibt genügend talentierte Frauen – ich muss da keine Wege bereiten.
WZ | Gerald Gossmann
Werden Frauen heutzutage noch benachteiligt?
Brigitte Annerl
Immer, wenn ich in meiner Berufslaufbahn den Eindruck hatte, zu wenig Geld zu verdienen, habe ich mein Gehalt selbst verhandelt. Aber es gibt sicher Persönlichkeiten, die sich schwerer durchsetzen. Das müssen aber nicht zwingend Frauen sein, sondern kann auch auf Männer zutreffen. Damit Frauen mehr Chancen haben, braucht es einfach bessere Kinderbetreuungsplätze. Als Führungskraft kann man den Computer nicht um 16:30 Uhr abdrehen. Ich habe das selbst erlebt. Mehrmals ist mein Sohn mit der Kindergartentante draußen gestanden, weil ich zehn Minuten zu spät war.
WZ | Gerald Gossmann
Was halten Sie von Frauen-Quoten?
Brigitte Annerl
Die Frauen-Quote ist pure Diskriminierung. Ich würde das nie wollen. Firmen sollen nach Leistungsfähigkeit, Qualifikation und Kompetenz einstellen – aber nicht nach dem Geschlecht.
Ein Mann aus dem Libanon wollte mit mir als Frau partout nicht reden.
Brigitte Annerl
WZ | Gerald Gossmann
Es klingt so, als hätten Sie als Frau nie Benachteiligung oder Diskriminierung erfahren.
Brigitte Annerl
Doch. Einmal ist es auch mir passiert. Ich hatte geschäftlich mit einem Mann aus dem Libanon zu tun, der mit mir als Frau partout nicht reden wollte. Ich habe ihn etwas gefragt, aber er hat nur meinem Exportleiter geantwortet. Da habe ich gesagt: So kommen wir nicht ins Geschäft, denn die Firma gehört mir!
WZ | Gerald Gossmann
Sie sind als Fußballpräsidentin sehr beliebt. Was auffällt: Sie äußern sich oft sehr diplomatisch. Ein paar heikle Themen zur Abwechslung: Wie finden Sie es, dass die Fußball-WM 2034 an Saudi-Arabien vergeben wurde?
Brigitte Annerl
Geld regiert die Welt – auch den Fußball. Die arabische Welt will groß mitmischen. Bei der WM in Katar hatte ich ein Problem damit, weil dort Menschen ausgebeutet wurden, um die großen Stadien zu bauen. Das war mehr als verwerflich.
WZ | Gerald Gossmann
Der LASK hat vergangenen Sommer den Weltmeister Jerome Boateng verpflichtet, der wegen häuslicher Gewalt verurteilt wurde. Ein No-Go?
Brigitte Annerl
Die Berufsausübung wurde ihm ja nicht verboten – und deshalb kann es dem Verein auch nicht verübelt werden. Andererseits: Als Verein muss man sich schon überlegen, für welche Werte man stehen will.
WZ | Gerald Gossmann
Hätten Sie ihn als Hartberg-Präsidentin verpflichtet?
Brigitte Annerl
Ich kann das nicht beantworten. Wahrscheinlich wäre er eh gar nicht nach Hartberg gekommen.
WZ | Gerald Gossmann
In Fanblocks kommt es immer wieder zu schwulenfeindlichen Gesängen. Wie gehen Sie damit um?
Brigitte Annerl
In Hartberg würde ich in den Fanblock gehen und das mit ihnen besprechen. Einmal haben unsere Fans auf der Tribüne einen Bengalo (Anm. d. Red.: Eine Leuchtfackel) gezündet. Da bin ich sofort hin und habe gesagt: Das ist verboten und kostet uns eine Strafe bei der Bundesliga. Ich habe also vorgeschlagen: Ihr gebt den Bengalo weg und ich zahle euch eine Fan-Fahrt, so haben alle etwas davon! Das hat funktioniert.
Teamchef Rangnick soll sich ruhig einbringen.
Brigitte Annerl
WZ | Gerald Gossmann
Sie waren zuletzt eine Kandidatin für das ÖFB-Präsidentenamt – dann aber wurde es mit Ex-Vizekanzler Josef Pröll ein Mann. Enttäuscht?
Brigitte Annerl
Nein, Gott im Himmel! Ich war dankbar für die Wertschätzung und das Vertrauen, das mir in der Bevölkerung entgegengebracht wurde. Ich hoffe, dass es jetzt zu einer dauerhaften Einigkeit im ÖFB kommt.
WZ | Gerald Gossmann
Der ÖFB wird seit Jahren von zerstrittenen Funktionären geprägt, die sogar vor Gericht aufeinandertrafen und sich gegenseitig vom Thron stoßen wollten. Hat Sie das gar nicht abgeschreckt?
Brigitte Annerl
Man müsste auch im ÖFB den Menschen zuhören. Dort sitzen langjährige Funktionäre, von denen jeder etwas beizutragen hat. Und am Ende muss es einen Nenner geben, der alle verbindet.
WZ | Gerald Gossmann
Auch Teamchef Ralf Rangnick fordert viel Mitsprache. Steht ihm das als Trainer zu?
Brigitte Annerl
Natürlich! Er soll sich ruhig einbringen. Ich finde es gut, wenn jemand sagt, was er sieht und denkt. Das kann die Sache voranbringen.
WZ | Gerald Gossmann
Hätten Sie sich zugetraut, diese Männerrunde zu einen?
Brigitte Annerl
Ich glaube schon. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn eine Frau dazukommt. Unterschiedliche Perspektiven bringen meist einen Mehrwert. Eine Geschlechterdurchmischung verändert auch das Konkurrenzdenken.

Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

Die Wiener Unternehmerin Brigitte Annerl ist eine der wenigen Frauen im Fußballgeschäft. Zuletzt zähmte sie randalierende Rapid-Fans. WZ-Autor Gerald Gossmann wollte wissen, was die Männerdomäne von dieser Frau lernen kann.

Gesprächspartnerin

Brigitte Annerl ist CEO von Lenus Pharma. Die Firma ist weltmarktführend bei Fruchtbarkeitspillen für den Mann. Damit wurde die Wiener Unternehmerin zur Selfmade-Millionärin. Seit 2017 steht sie dem Bundesliga-Klub TSV Hartberg als Präsidentin vor.

Daten und Fakten

  • Die Unternehmerin vertreibt Fruchtbarkeitspillen für den Mann. Drei Monate dauert eine Spermiogenese. Männer schlucken dabei nach ärztlicher Verschreibung jeden Tag zwei Pillen. Etwa 180 Euro kostet die Dreimonatspackung ihres „Profertil“.
  • Brigitte Annerl wuchs in der Rennbahnwegsiedlung auf, einem Mega-Gemeindebau in Wien. Später übersiedelte sie nach Ottakring, brach während der Schwangerschaft ihr Medizinstudium ab – und gründete 2006 ihr Unternehmen.
  • Als Fußballpräsidentin hat sie es mit dem TSV Hartberg ins ÖFB-Cupfinale geschafft, das am 1. Mai in Klagenfurt stattfindet.
  • Brigitte Annerl war zuletzt eine von vier Kandidat:innen für das ÖFB-Präsidentenamt. Am Ende fiel die Wahl auf Ex-Vizekanzler Josef Pröll.
  • Neben dem TSV Hartberg wird auch ein zweiter Bundesliga-Klub, die WSG Wattens/Tirol, von einer Frau als Präsidentin geführt. Den Tirolern steht Diana Langes-Swarovski vor. Und beim SK Rapid Wien fungiert die ehemalige WU-Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger als Vizepräsidentin.

Das Thema in anderen Medien