Milch ist seit längerem ein Streitthema: Ist sie nun Nährstoffbombe oder Krankmacherin? Die WZ hat nachgefragt.
„Ein Schluck Milch, das wirkt Wunder“, „baut Stress ab“ und „bringt Mumm in die Knochen“, hieß es in den 1950er-Jahren in einer Milchwerbung. Die Kuhmilch als Allheilmittel. Heute sieht das anders aus: Milch wird von vielen Influencer:innen und Mediziner:innen als Krankmacher bezeichnet, während andere immer noch auf ihre positiven Eigenschaften schwören. Was stimmt nun? Ist Kuhmilch Freund oder doch Feind?
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Was Milch alles kann
„Milch liefert, wie auch andere Lebensmittel, Energie in Form von Milchfett, Milchzucker, Eiweiß (Protein) und darüber hinaus diverse Vitamine und Mineralstoffe“, sagt Barbara Gamperl, Ernährungswissenschaftlerin und unter anderem in dieser Position bei Berglandmilch eGen tätig. „Direkte eindeutige Zusammenhänge zwischen einzelnen Lebensmitteln und gesundheitlichen Auswirkungen festzustellen, ist aufgrund der gemischten Ernährung beim Menschen schwierig“, fügt sie hinzu.
„Milch hat einen hohen Kalziumgehalt. Ein Mineral, das für unsere Knochen wichtig ist“, sagt Tilman Kühn. Er ist Professor für Public Health Nutrition an der MedUni und der Uni Wien. 100 ml Vollmilch enthalten 120 mg Kalzium, der Tagesbedarf eines erwachsenen Menschen liegt bei 1.000 bis 1.200 mg täglich. „Kalzium wird benötigt für normales Wachstum, für normale Blutgerinnung, Zähne, Muskelfunktionen und es spielt auch eine Rolle in der Nervenreizleitung, bei der Zellteilung oder etwa bei Verdauungsenzymen“, sagt Gamperl. Milch versorgt außerdem sehr gut mit Jod. „Jod ist vor allem in Fisch enthalten, der in den meisten mitteleuropäischen Ländern wenig gegessen wird,“ sagt Kühn. Gute Argumente für den Milchkonsum also.
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Milch enthält jedoch auch Stoffe, die nicht jeder verträgt: „Es gibt in Europa, auch in Österreich, sehr viele Menschen, die Milch nicht gut vertragen. Sie leiden an einer sogenannten Laktoseintoleranz“, sagt Kühn. Es gibt Schätzungen, dass 20 bis 30 Prozent der Menschen in Europa den Milchzucker, also die Laktose, nicht oder zumindest nicht ganz verstoffwechseln können. Und das führt zu Magen-Darm-Beschwerden wie Bauchschmerzen und Blähungen. Wer trotzdem nicht auf Milch verzichten will, hat Alternativen wie laktosefreie Produkte. Und es gibt viele gereifte Käsesorten, in denen kein Milchzucker mehr vorhanden ist, die aber trotzdem kalziumreich sind. „Ein Blick auf die Nährwerttabelle von gereiftem Käse wie Bergkäse, Emmentaler oder Tilsiter, die man auf der Verpackung findet, zeigt, dass null Kohlenhydrate und null Zucker (also auch kein Milchzucker) mehr enthalten sind“, meint Gamperl. Eine tatsächliche Allergie gegen Milcheiweiße ist selten, sie kommt bei nur zirka einem Prozent der Europäer vor.
„Es halten sich hartnäckig Mythen und Gerüchte rund um die Milch“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin. Und die vielen widersprüchlichen Artikel und Studien im Internet bringen auch keine Klarheit. Was sind also die größten Mythen rund um die Kuhmilch?
Mythos 1: Milch verschleimt
„Dafür gibt es keinen Nachweis“, sagen Gamperl und Kühn. Aus naturwissenschaftlicher Sicht handle es sich um einen Mythos, der auf einem subjektiven Gefühl im Mund- bzw. Rachenraum fußt. „Es scheint mitunter so“, erklärt Gamperl und beruft sich dabei auf Klaus Dürrschmid der BOKU Wien, „dass die Mundhöhle nach dem Konsum von Milch etwas belegt wirkt: Eine Theorie geht davon aus, dass dies im Zusammenhang mit den Mineralstoffen der Milch stehen kann, die das subjektive Gefühl erzeugen können, dass der Speichel etwas dickflüssiger ist. Oder die Wahrnehmung steht in Zusammenhang mit Milchfett, das ja nicht wasserlöslich ist.“ Effekte auf die Schleimbildung in den Atemwegen konnten bisher nicht nachgewiesen werden.
Mythos 2: Milch stärkt das Immunsystem
„Bei der Kuhmilch sind die Daten nicht so gut wissenschaftlich belegt wie bei den vergorenen Produkten wie Sauermilch, Buttermilch oder Joghurt“, erklärt Kühn. Diese Milchprodukte sind sehr förderlich für eine positive Darm-Besiedlung. „Da kann man tatsächlich sagen, dass dadurch die Abwehrkräfte − also das Immunsystem − über die Darmflora, das Mikrobiom, gestärkt werden.“ Im Mikrobiom des Menschen sind verschiedene Mikroorganismen wie auch Milchsäurebakterien zu finden. „Milch kann also zusätzlich zur Energie- und Nährstofflieferung für den Menschen auch als ,Futter‘ für unser Mikrobiom dienen“, sagt Gamperl.
Mythos 3: Milchprodukte erhöhen das Krebsrisiko
Das sei ein bisschen kompliziert zu beantworten, meint Kühn: „Meta-Analysen vieler großer Beobachtungsstudien weltweit ergaben, dass das Darmkrebsrisiko mit jedem zusätzlichen Glas Milch täglich (200 ml) oder alternativ 125 mg Naturjoghurt um acht Prozent niedriger ist.“ Erklären könne man diese Daten mit der positiven Wirkung auf die Darmflora. „Umgekehrt ist das Risiko für nicht-aggressive Prostatakarzinome pro Portion Milch um sechs Prozent höher. Es gibt keinen Zusammenhang mit dem Risiko für fortgeschrittene Prostatakarzinome.“ Die Gründe dafür sind nicht klar, meint der Wissenschaftler. Bezüglich Brustkrebs gäbe es keinen Beweis für ein mögliches Risiko oder für einen Nutzen. Gamperl beantwortet die Frage nach dem Krebsrisiko bei Milchkonsum so: „Die Datenlage ist uneinheitlich. Gerade die Krebsentstehung ist multifaktoriell zu sehen und lässt sich im Normalfall nicht auf einen einzelnen Parameter zurückführen.“
Mythos 4: Der Mensch braucht Milch
Man braucht sie nicht, sagt Kühn: „Man kann alle Inhaltsstoffe, die in der Milch vorkommen und wichtig sind, über andere Lebensmittel konsumieren.“ Es gäbe zwei große Langzeitstudien mit streng veganen Menschen aus Großbritannien und aus den USA. „Diese haben gezeigt, dass Veganer der älteren Generation noch nicht auf Kalzium geachtet haben. Bei diesen Studienteilnehmern zeigte sich ein höheres Risiko für Knochenbrüche bzw. Osteoporose.“ Heute seien Veganer:innen sich aber dessen bewusst. „Wenn man also weder Milch noch Milchprodukte zu sich nimmt, muss gerade das Kalzium aus anderen Quellen kommen wie etwa Mineralwasser.“
Gamperl ist anderer Meinung: „Die wissenschaftsbasierten, aktuellen österreichischen Ernährungsempfehlungen sehen für Erwachsene drei Portionen Milch und Milchprodukte pro Tag vor.“ Bei manchen Menschen nimmt im Lauf des Lebens allerdings die Bildung des Enzyms Lactase ab. „Sie vertragen Milch dann weniger gut und beginnen, Milchprodukte vom Speiseplan zu streichen, weil sie meinen, laktoseintolerant zu sein. Das sollte aber nicht auf Basis einer Selbstdiagnose erfolgen“, meint sie. „Streicht man Milch und Milchprodukte aus dem Speiseplan, schränkt man seine Speisenauswahl oft drastisch ein und gefährdet eher seine Nährstoffversorgung.“
Ist Milchkonsum nun gut oder schlecht?
„Milch ist weder gut noch schlecht. Allerdings denke ich, dass man auch ohne Milch sehr gesund leben kann. Sie ist nicht entscheidend“, sagt Kühn. Sie sei weder für alle Krankheiten verantwortlich noch ist sie ein Allheilmittel. „Am Ende liegt die Wahrheit in der Mitte.“
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Tilman Kühn fokussiert seine Arbeit auf die Prävention ernährungsbedingter Erkrankungen (mit den Schwerpunkten Adipositas und Krebs) sowie pflanzenbasierte Kost. Er hat eine Professur für Public Health Nutrition der MedUni Wien und der Uni Wien inne. An sein Diplomstudium der Ernährungswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg schloss Kühn bis 2010 ein Masterstudium in Public Health Nutrition an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Fulda an. Auf drei Jahre Forschungstätigkeit am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg folgten der Abschluss als PhD in Epidemiologie 2014 und eine Lehrtätigkeit an der Medizinischen Fakultät am Universitätsklinikum Heidelberg, die Kühn bis zu seinem Ruf nach Wien neben weiteren Funktionen etwa auch in Großbritannien ausübte. Seine Habilitation hatte er 2020 im Fach Epidemiologie abgeschlossen.
Barbara Gamperl ist derzeit in der Abteilung Produktentwicklung & Lebensmittelrecht sowie Ernährungswissenschaften und Legal Compliance bei Berglandmilch eGen tätig. Gamperl studierte von 1991 bis 1997 Ernährungswissenschaften mit Schwerpunkt Lebensmittelproduktion und Ernährungsökonomie an der Uni Wien. 2024 schloss sie ihren Master of Legal and Business Aspects in Technics an der Johannes Kepler Universität Linz ab.
Daten und Fakten
Laktoseintoleranz ist eine Unverträglichkeit gegen Milchzucker (Laktose) aufgrund eines Enzymmangels. Dieser kann vererbt oder erworben werden. Durch den Enzymmangel kann das Disaccharid Laktose nicht in seine Bestandteile, die Monosaccharide Glukose und Galaktose, aufgespalten werden. Laktose selbst wird nicht resorbiert und gelangt dann bis in den Dickdarm, wo ortsständige Bakterien die Laktose abbauen. Als Gärungsprodukte entstehen meist kurz nach der Laktoseaufnahme Laktat sowie CO2 (Kohlendioxid), CH4 (Methan) und H2 (Wasserstoff).
Die rund 543.800 in Österreich gehaltenen Milchkühe produzierten im Jahr 2022 rund 3,9 Millionen Tonnen Rohmilch, um 2,9 Prozent mehr als im Jahr davor. Die durchschnittliche Jahresmilchleistung blieb weitgehend unverändert bei 7.300 Kilogramm je Tier.
Mit 3,500.300 Tonnen ging der größte Teil (88,8 Prozent) der erzeugten Rohmilch an Molkereien und Verarbeitungsbetriebe. Die restliche Rohmilch wird auf den Höfen selbst verwertet: 260.500 Tonnen (6,6 Prozent in der Erzeugung) dienten als Futtermittel für Tiere (Kälber, Nutz- und Haustiere) und 142.300 Tonnen (3,6 Prozent der Erzeugung) wurden roh oder in verarbeiteter Form am oder ab Hof als Lebensmittel verwendet. Milch und Milchprodukte im Wert von 1,36 Milliarden Euro konnten die heimischen Molkereien im Jahr 2021 ins Ausland exportieren.
2022 verringerte sich die Zahl der Milchbauern im Vergleich zu 2021 von 23.868 auf 23.178 bzw. um 2,9 Prozent, wogegen die Zahl der Nutztiere mit rund 543.800 gehaltenen Milchkühe (plus 2,9 Prozent) sowie die Liefermengen (von 142,6 auf 151 Tonnen) gestiegen sind. Rückläufig war zuletzt ferner der Biomilch-Anteil, der von 19,4 Prozent auf 18,9 Prozent sank.
In Österreich lag der Milch-Verbrauch pro Kopf seit 1995 immer zwischen 72 und 77 Kilo pro Jahr. In der Versorgungsbilanz wird die Kategorie als „Konsummilch“ bezeichnet und umfasst neben Trinkmilch auch Milchmischgetränke und Joghurt. Im Jahr 2020 lag der Verbrauch bei gut 75 Kilo pro Jahr. Produziert wird in Österreich jedoch weit mehr Milch: Der Selbstversorgungsgrad in dieser Kategorie liegt bei 177 Prozent. Das kommt vor allem daher, dass in den letzten Jahren verstärkt Haltbarmilch für den Export hergestellt wurde.
Quellen
Interview mit Tilman Kühn und Barbara Gamperl
Info.bml.gv.at: Tierische Produkte: Verbrauch und Selbstversorgungsgrad
Statistik.at: Milcherzeugung und -verwendung 2022
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Deutschesgesundheitspotral.de: Kuhmilch erweist sich für Babys mit hohem Risiko für Typ-1-Diabetes als sicher
Utopia.de: Ist Milch gesund? – 6 Argumente gegen Milch
Zentrum-der-gesundheit.de: Milch ist ungesund