Zum Hauptinhalt springen

Die neuen alten Pronatalisten

5 Min
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zu einem feministischen Thema in der WZ.
© Illustration: WZ

Mit dem Wiedererstarken der Rechten in den USA befinden sich auch traditionelle Geschlechterbilder wieder im Aufschwung. Und mit ihnen eine ganz alte und vielleicht überkommen geglaubte Form von Misogynie.


Feminismus und Geburtenrate

Die neuen, aber ideologisch sehr alten Pronatalisten zeigen sich höchst besorgt um die Geburtenraten in westlichen Ländern. Eines der bekanntesten Gesichter dieser neuen, pronatalistischen Ideologie ist Elon Musk. Selbst hat er 14 Kinder mit mehreren Frauen gezeugt. Und seit Monaten schon beklagt Musk auf seiner Plattform X, dass die sinkende Geburtenrate die größte Gefahr für, wenn schon nicht die gesamte Menschheit, dann in jedem Fall für den Westen darstelle. Der Grund für den Bevölkerungsschwund ist auch schnell ausgemacht: Der Feminismus ist schuld. So retweetete Musk vor Kurzem (oder x-te, wie das nach seiner Übernahme der Plattform heißt) folgendes Statement:

„Die Wahrheit ist, dass man keinen weit verbreiteten Feminismus UND hohe Geburtenraten haben kann. Und die Menschen haben sich stillschweigend dafür entschieden, dass der Feminismus wichtiger ist. Nur sehr wenige moderne Männer oder Frauen haben den Wunsch oder den Willen, diese „Errungenschaften“ zu schmälern. Einschließlich der Konservativen. Es gibt noch andere Faktoren, die dazu beitragen, aber dies ist der unangenehme Kern des Problems. Man kann keinen Massenfeminismus (sowohl in der Politik als auch in der Kultur) und hohe Geburtenraten haben. Das sind gegenläufige Kräfte.“

Emanzipation und Mutterschaft

Abgesehen vom stockkonservativen Geschlechterrollenverständnis, das dieser Ideologie zugrunde liegt und das Frauen auf Produzentinnen von Menschenmaterial reduzieren möchte, ist all das auch inhaltlich grundfalsch. Denn: Frauen bekommen nicht deshalb weniger Kinder, weil ihnen Feministinnen sagen, sie sollen nicht, sondern weil sie in einem System leben, in einem patriarchalen nämlich, das es ihnen verunmöglicht, Mütter zu sein und gleichzeitig gesellschaftlich zu partizipieren. Die Rolle in die Frauen durch ihr Mutter-Sein aktuell gedrängt werden, ist inkompatibel mit einem emanzipierten Leben. Die Lösung hierfür liegt aber nicht im Bekämpfen von zweiterem – der Emanzipation –, sondern von ersterem – der systematischen Diskriminierung, Zurückdrängung und Unsichtbarmachung von Müttern.

Unangenehm bis existenzbedrohend

Mutter zu werden geht für Frauen mit einer Reihe von Nachteilen einher, die von unangenehm bis existenzbedrohend reichen. Zum einen bedeutet es Arbeit. Sehr viel unbezahlte Arbeit. Jede Zeitverwendungsstudie zeigt uns, dass unbezahlte Fürsorge- und Reproduktionsarbeit großteils auf den Schultern von Frauen lasten. Das ist schon in kinderlosen, heterosexuellen Paarhaushalten so – wenn dann noch Kinder dazukommen, retraditionalisiert sich die Arbeitsteilung zuhause noch weiter.

Mehr unbezahlte Arbeit bedeutet einerseits eine immense psychische Belastung, Erschöpfung und zudem auch weniger Zeit für Erholung von dieser Arbeit. Es bedeutet aber auch: weniger Zeit für bezahlte Arbeit und damit weniger Erwerbseinkommen. Ein geringeres Erwerbseinkommen führt einerseits in vielen Fällen zu Armut, die sich vor allem im Alter zeigt (der Gender Pension Gap in Österreich liegt beispielsweise immer noch bei über 40 Prozent), aber auch zu Abhängigkeit. Finanzielle Abhängigkeit heißt nicht nur, dass man weniger Möglichkeiten hat, gesellschaftlich zu partizipieren und ein gutes Leben zu führen, sondern auch, dass man einer Beziehung, die unglücklich macht, nicht entkommen kann. Und im schlimmsten Fall einem gewalttätigen Partner auch nicht.

(Und darüber, dass männliche Gewalt gegen Frauen dann steigt, wenn sie schwanger werden, haben wir noch gar nicht gesprochen. Auch darüber nicht, welche Gewalt viele Frauen während der Geburt über sich ergehen lassen müssen und wie häufig Frauen durch Geburten traumatisiert werden.)

Unbezahlte Arbeit

Mehr unbezahlte Arbeit bedeutet außerdem weniger Selbstverwirklichung – egal ob in Form von Hobbies, Freizeit, eigenen Interessen und Bestrebungen oder in Form von Karriere.

Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Claudia Goldin hat hierzu den Begriff „motherhood penalty“ geprägt – also wörtlich: die Bestrafung für Mutterschaft. Sie beschreibt damit das Phänomen, dass Frauen in dem Moment, in dem sie Mütter werden, mit einem Einbruch in ihrem Einkommen und ihrer Karriere konfrontiert sind, der sich auch nach Wiedereinstieg in den Beruf nie wieder einholen lässt.

Mütter werden systematisch aus dem Berufsleben, aus der Öffentlichkeit und aus gesellschaftlicher Partizipation ins Private gedrängt. Und in diesem Privaten dann mit einem Berg an Arbeit alleingelassen.

Väterherrschaft

All das müsste nicht so sein. Und all das ist nicht etwa deshalb so, weil der Feminismus einen Siegeszug angetreten hätte, sondern weil wir in patriarchalen Strukturen leben.

Patriarchat bedeutet wörtlich übersetzt nicht zufällig „Väterherrschaft“. Davon brauchen wir nicht mehr, sondern weniger.

Denn: Wer möchte, dass die Geburtenrate steigt, muss dafür sorgen, dass Mutter-Werden nicht zu Ausgrenzung, Erschöpfung, Überbelastung, unbezahltem Dienen und Armut verurteilt. Wer möchte, dass die Geburtenrate steigt, muss dafür sorgen, dass Frauen sicher sind: dass sie sicher Mütter werden und sein können, dass sie sicher in Beziehungen mit Männern sind, dass ihnen sowohl Männer als auch Mutterschaft nicht zur Gefahr werden – weder körperlich noch psychisch noch finanziell. Dass Männer ihre Rolle als fürsorgliche Väter wahrnehmen und Frauen als Mütter nicht alleinlassen.

An alldem haben die rechten Pronatalisten kein Interesse.

Zum Gebären zwingen

Stattdessen möchten sie Frauen zum Gebären zwingen und drängen: durch Angriffe auf reproduktive Freiheiten und feministische Errungenschaften, durch eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen und durch „Kurse“, in denen Frauen lernen sollen, wie sie am besten schwanger werden können. Als wäre ein Mangel an Wissen über die eigene Fruchtbarkeit der Grund für die Entscheidung gegen Kinder und nicht die Tatsache, dass Frauen in einer männerdominierten Gesellschaft leben, die es ihnen schlicht systematisch verunmöglicht, Mütter zu sein.

Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Zur Autorin

Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.

Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.

Quellen

Das Thema in anderen Medien