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Zurück in die Vergangenheit – die ÖVP will Leistungsgruppen

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Auch in der Bildung setzt die Volkspartei auf Leistung.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Die ÖVP will in der Mittelschule wieder Leistungsgruppen einführen. Das schadet den Schüler:innen – und verschärft soziale Unterschiede.


Bei der ÖVP geht nichts ohne Leistung. Leistung ist der Kern der Partei, ihr Leitmotiv, ihr Dogma. Wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand, Integration, soziale Mobilität; das alles soll durch (mehr) Leistung ermöglicht werden. Im aktuellen „Österreichplan“ erklärt die Volkspartei Leistung zum „Wegweiser“: „Leistung schafft Wohlstand für uns alle – für die Gesellschaft, aber auch für jeden Einzelnen.“ Dieser Glaube schlägt sich nicht nur in den wirtschafts- und arbeitspolitischen Ideen der Partei nieder. Die ÖVP setzt auch in der Bildung auf Leistung.

Die Schule soll ein „Ort der Leistung“ sein, heißt es im „Österreichplan“. Damit Leistung wieder „Wert“ bekomme, brauche es einerseits ein klares Bekenntnis zu Schulnoten; andererseits plädiert die ÖVP für eine Wiedereinführung der Leistungsgruppen in den Mittelschulen. Diese wurden 2012 gemeinsam mit der Hauptschule abgeschafft. Die Idee hinter Leistungsgruppen ist simpel: Die Klassen werden in den Hauptfächern je nach Leistungsniveau in drei unterschiedliche Gruppen geteilt, um die Schüler:innen besser fördern zu können. Davon würden Kinder mit Lernrückständen genauso profitieren wie Kinder mit hoher Begabung.

Was Leistung mit der Selektion nach Status zu tun hat

Tun sie aber nicht. Leistungsgruppen verstärken soziale Unterschiede. Die Schulleistungen der Kinder spiegeln ihren sozioökonomischen Status wider. Das zeigt uns – alle drei bis vier Jahre wieder – die PISA-Studie der OECD. Kinder aus benachteiligten Verhältnissen schneiden schlechter ab als jene aus privilegierterem Elternhaus. Ein Blick auf die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 ernüchtert: Die Ergebnisse haben sich im Vergleich zu 2018 verschlechtert – und die Schere zwischen den beiden Enden des sozioökonomischen Spektrums hat sich weiter geöffnet. Die Einführung von Leistungsgruppen würde den Trend weiter befeuern. Denn das Unterteilen in homogene Gruppen ist kein adäquater Lösungsansatz für diese Problematik. Das hat die OECD – ihrerseits unverdächtig des Vorwurfs wirtschaftsfeindlicher Politik – schon 2018 festgehalten. Sie schlägt das Gegenteil vor: Inklusivere, heterogene Gruppen würden für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen.

Soziale Verhältnisse und die konkreten Bedingungen in der Schule sind dafür ausschlaggebend, wer schulischen Erfolg hat. Wer in welcher Leistungsgruppe ist, sagt wenig über die tatsächlichen Fähigkeiten der Kinder aus. Leistungsgruppen tendieren zur Selektion nach gesellschaftlichem Status.

Die Förderung privilegierter Kinder

Das zeigt uns auch ein anderes Beispiel: der sogenannte sonderpädagogische Förderbedarf (SPF). Hat ein Kind SPF, wird es nicht nach dem „normalen“, sondern einem alternativen Lehrplan unterrichtet. Es wird aus dem Unterricht mit den Klassenkamerad:innen ausgeklinkt. Laut Bildungsministerium geht es um Kinder mit einer „nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen“. Eine Erhebung zeigte aber, dass die Zahlen nach Gruppenzugehörigkeit variieren: Bei Kindern mit Migrationshintergrund wird SPF häufiger attestiert. Die genannten Beeinträchtigungen treten jedoch bei Menschen mit Migrationshintergrund nicht häufiger auf.

Es ist also zu befürchten, dass sich in den verschiedenen Leistungsgruppen die soziale Schichtung der Gesellschaft widerspiegeln – und verschärfen – wird. Gefördert werden vor allem jene Kinder, die ohnehin die besseren Ausgangsbedingungen vorfinden.

Die Bildungsforschung widerspricht

Will die ÖVP tatsächlich den schulischen Erfolg von allen Schüler:innen – und nicht nur bestimmter Milieus – fördern, sollte sie auf die Bildungsforschung hören. Sie spricht eine eindeutige Sprache: Kinder lernen in heterogenen – also möglichst durchmischten – Klassen am besten, vorausgesetzt, sie sind gut ausgestattet. Dort muss die Regierung ansetzen und Schulen mit ausreichenden Mitteln versorgen. Dabei müssen auch geographische Ungleichheiten bedacht werden, wie es sie vor allem in der Stadt gibt. Sogenannte „Brennpunktschulen“ brauchen mehr Budget und Personal.

Außerdem müsste die Politik schon viel früher, bereits im Kindergarten, ansetzen, wie Publikationen zur PISA-Studie betonen. Eine Studie aus Deutschland bestätigt das: Der Besuch eines Kindergartens ab dem zweiten Lebensjahr gleicht bestehende Unterschiede zwischen den Kindern aus. Vor allem Kinder aus schlechter gestellten Familien würden in ihren kognitiven, sozialen und emotionalen Kompetenzen stark profitieren.

Kinderbetreuung muss frühzeitig und kostenlos zugänglich gemacht werden.

Solche Vorschläge beruhen bei weitem nicht auf aktuellen Erkenntnissen: Schon der französische Soziologe und Bildungsforscher Pierre Bourdieu äußerte vor rund einem halben Jahrhundert ähnliche Gedanken. Im „Österreichplan“ ist zwar von einem Ausbau der Kinderbetreuung die Rede, der die „Wahlfreiheit“ aller Menschen und vor allem von Frauen gewährleisten soll; nähere Angaben dazu, wie das umgesetzt werden soll, fehlen. Kinderbetreuung muss frühzeitig, bundesweit und niederschwellig – also kostenlos – zugänglich gemacht werden. Großelternkarenz für leibliche Großeltern, wie sie ebenso im „Österreichplan“ gefordert wird, stellt dafür keinen Ersatz dar.

Der Vorschlag der Wiedereinführung der Leistungsgruppen kommt von der ÖVP übrigens nicht das erste Mal: Schon 2018 machte Bildungsminister Heinz Faßmann Reformschritte der vorherigen Regierungen rückgängig. Seither gibt es ab der 6. Schulstufe der Mittelschule zwei „Leistungsniveaus“: „Standard“ und „Standard-AHS“. Die Schüler:innen werden entsprechend dieser Niveaus beurteilt; nach welchem, wird im Zeugnis vermerkt. Die Beurteilung nach dem höheren Niveau „Standard-AHS“ sollte laut Faßmann einen einfacheren Aufstieg in eine AHS-Oberstufe ermöglichen. Schon damals kritisierte der Bildungsforscher Stefan Hopmann die Regierung im Kurier. Leistungsgruppen seien eine „Technik, um soziale Unterschiede zu generieren“.

Dieses System soll nun weiter verschärft werden. Und die Kluft zwischen Arm und Reich gleich mit.


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Infos und Quellen

Genese

Dominik Matzinger unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule NÖ angehende Lehrer:innen. In seinen Lehrveranstaltungen diskutiert er regelmäßig über gesellschaftliche Bedingungen von Bildungs(un)gerechtigkeit und Möglichkeiten, diese zu verändern. Solche Diskussionen führen mitunter zur Frage nach Sinn und Unsinn von Leistungsgruppen; da dieses Thema nun wieder in der Politik aufgekommen ist, wollte der Autor seine Sicht der Dinge zur öffentlichen Diskussion beisteuern.

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