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Die vielen Verlierer:innen der Klimakrise

6 Min
Der Klimawandel trifft verschiedene Schichten unterschiedlich.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Jene Bevölkerungsgruppen, die sie am härtesten trifft, können sich am schwersten davor schützen. Weil Förderungen sie oft nicht erreichen.


Maria und Rudolf leiden. Seit Tagen hat es in ihrer kleinen Mietwohnung fast 30 Grad, auch nachts. Der Deckenventilator rotiert, die Fenster sind weit aufgerissen, trotzdem bekommen die Mittsechziger die Hitze nicht hinaus. Mittlerweile klagen beide über Kreislaufprobleme, und eigentlich warten sie schon seit Anfang Juni sehnsüchtig auf den Herbst.

Michael und Verena hoffen auf einen möglichst langen und heißen Sommer, damit sie ihren Pool am Stadtrand voll ausnutzen können. Ihr Passivhaus ist selbst an heißen Tagen zu Mittag angenehm kühl. Zugegeben, die Klimaanlage hilft ein wenig nach; aber der Strom dafür kommt von der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Schließlich tun sie etwas für den Klimaschutz, zumal sie dafür entsprechende Bundes- und Landesförderungen bekommen haben.

Die beiden Beispiele machen deutlich: Der Klimawandel wirkt sich auf verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich aus. Wie genau, das hat eine große Studie des Sozialministeriums aufgezeigt. Sie stammt aus dem Jahr 2021, hat aber wohl nichts an Aktualität verloren – wahrscheinlich haben sich die verschiedenen Faktoren seither sogar verstärkt.

Jene sind besonders betroffen, die am wenigsten dazu beigetragen haben.
Barbara Schuster (Momentum Institut) über die Folgen der Klimakrise

Einen Schluss ziehen die Autor:innen bereits in der Einleitung aus ihren Erkenntnissen: Klimapolitik muss sozial verträglich sein, damit alle Bevölkerungsgruppen – auch in den unteren Einkommenssegmenten – sie mittragen. Und sie sollte die soziale Ungleichheit nicht weiter verschärfen.

Die Hälfte der Bevölkerung ist vulnerabel

Genau das droht aber. Wer in prekären Verhältnissen lebt, hat einerseits das größte Risiko, unter den Folgen der Klimakrise zu leiden, andererseits fehlt just diesen Personengruppen meist das Geld für entsprechende Maßnahmen (Kühlung im Sommer, mehr Energieeffizienz, Begrünung, Beschattung, thermische Sanierung). Und sie kommen auch nicht so leicht an Förderungen.

Weiblich, älter als 65 Jahre oder jung und alleinerziehend, geringes Einkommen, Migrationshintergrund, niedriger Bildungsstand, chronische Erkrankung oder Behinderung – wer zumindest eines dieser Merkmale aufweist, dürfte zu den Verlierer:innen der Klimakrise in Österreich gehören. Und das trifft auf 56 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren zu. Drastische Worte findet dazu Barbara Schuster, Ökonomin am Momentum Institut: „Von Klimaerhitzung und verstärkten Extremwettereignissen sind jene besonders betroffen, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Weltweit trägt die untere Hälfte drei Viertel der Einkommensverluste, während auf die reichsten zehn Prozent nur drei Prozent entfallen.“

Das Mietwohnungsdilemma

Gerade die sozial und ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen profitieren am wenigsten von Maßnahmen zur Klimaanpassung im Gebäudesektor. Sie haben nur beschränkt Zugang zu effizienten Technologien, vor allem, wenn sie bloß zur Miete wohnen; oft sind die Sprachhürden hoch, dafür digitale und energietechnische Kompetenzen nur gering vorhanden; und aus entsprechend nachgerüsteten Gebäuden werden sie mitunter verdrängt, weil neue Mieter:innen höhere Einnahmen bringen. All das macht sie besonders vulnerabel.

Besonders schwierig ist die Situation für Mieter:innen. Die ärmere Bevölkerungshälfte lebt fast gänzlich zur Miete, und gerade im untersten Einkommensfünftel ist es nur bei der Hälfte eine günstige Gemeinde- oder Genossenschaftswohnung. Und diese Mieter:innen stecken in einem Dilemma: Gebäudesanierungen würden zwar ihre laufenden Energiekosten senken, finanzieren müssten diese Investitionen aber die Vermieter:innen, die das Geld wiederum durch höhere Mieten hereinholen würden. Und weil diese Wohnungen meist in keinem guten Zustand sind, wären auch die Sanierungskosten höher. Höhere Steuern auf fossile Heiz- und Treibstoffe treffen ebenfalls einkommensschwache Mieter:innen härter, denen das Geld für ein alternatives, klimaschonendes und letztlich günstigeres Heizsystem fehlt; außerdem können sie nicht selbst darüber bestimmen. Gut die Hälfte der fossilen Heizungen (Gas, Kohle, Öl) ist in Mietwohnungen zu finden.

Es fehlt eine zentrale Förderstelle

Dabei werfen Bund, Länder und Gemeinden mit Blick auf die für 2040 angepeilte Klimaneutralität scheinbar nur so mit Förderungen um sich. Wer sich auskennt, kann oft mehrfach abstauben. Doch es ist ein wahrer Förderdschungel, durch den man hier irrt. Deshalb fordert die Arbeiterkammer (AK) eine zentrale Anlaufstelle, die alle Förderungen koordiniert. Dem schließt sich die Umweltberatung auf Nachfrage der WZ an. Energieberater Ewald Gärber kritisiert auch manche unterschiedlichen Vorgaben von Bund und Ländern bei der Förderwürdigkeit, etwa was das Alter von Gebäuden betrifft. „Das passt dann für die eine Förderung, aber für die andere nicht.“

Die AK, die im Juni 2024 einen eigenen „Plan für den sozialen und ökologischen Umbau“ präsentiert hat, hält es auch nicht für zielführend, „die notwendigen Änderungen auf das Individuum abzuwälzen und im Nachhinein zu fördern“, betont Astrid Schöggl, die sich mit den Themen Klima, Umwelt und Verkehr befasst. „Es wäre eigentlich eine öffentliche Aufgabe, unsere Infrastrukturen umzubauen, getragen von der gesamten Gesellschaft und demokratisch bestimmt.“

Die herrschende Klimapolitik vernachlässigt viel zu oft die soziale Frage.
Astrid Schöggl (Arbeiterkammer Wien) über Klimawandel und Ungleichheit

Überhaupt ist die AK skeptisch, was Förderungen in Form von Einmalzahlungen betrifft. „Es bräuchte eine Strategie, die Einfamilienhausbesitzer:innen ebenso abholt wie Mieter:innen kleiner Stadtwohnungen“, fordert Schöggl. „Und das kann nicht auf dem Rücken der Konsument:innen und Beschäftigten passieren, sondern das müssen auch die Unternehmen finanzieren.“ Als negatives Beispiel nennt Schöggl sogenannte Contractors, die bei Wohnungen oder Mehrfamilienhäusern die Wärmeversorgung übernehmen. „Diese zwischengeschalteten Firmen schlagen dann die Errichtungskosten für den Heizungstausch den Mieter:innen oder Wohnungseigentümer:innen mit auf den Wärmepreis drauf, was durch die intransparente Vertragskonstruktion und Preisgestaltung ermöglicht wird“, erläutert sie. „Deshalb ist es jetzt wichtig, nicht bloß zu fördern, sondern auch die Konsument:innenrechte bei zentralen Heizungssystemen wie der Fernwärme zu stärken. Preis und Preisanpassungen müssen behördlich reguliert sein.“ Überhaupt bräuchte es „nicht weniger als eine grundlegende Neuausrichtung unserer Wirtschaft“, so die AK-Expertin, weil „die herrschende Klimapolitik die soziale Frage viel zu oft vernachlässigt, auf individuellen Verzicht orientiert und die Steuerung vor allem den Märkten überlässt“.

Klima- und Sozialpolitik immer zusammendenken

Auch das gewerkschaftsnahe Momentum Institut empfiehlt, Klima- und Sozialpolitik zusammenzudenken. „Klimapolitische Maßnahmen sind auch immer im Hinblick auf ihre Verteilung zu beleuchten“, fordert Ökonomin Schuster, „das passiert allerding viel zu wenig.“ Von geförderten Aktionen wie „Raus aus Gas“ oder dem Ausbau von Photovoltaik und E-Mobilität profitiere vor allem die reichere Hälfte der Bevölkerung, kritisiert sie. Sie fordert deshalb für eine nachhaltige Energiewende einen gesetzlich verpflichtenden Heizungstausch – und einen Mechanismus, der sicherstellt, dass die Kosten dafür nicht durch höhere Mieten auf die Mieter:innen abgewälzt werden. Bei Nichthandeln wäre im Gegenzug eine Mietminderung denkbar. „Dafür sprechen sich auch sechs von zehn Befragten einer Umfrage zur Klimagerechtigkeit in Österreich aus.“ Demnach empfindet mehr als ein Drittel die Interessen Wohlhabender als zu stark in der Klimapolitik berücksichtigt, unabhängig von der eigenen ökonomischen Lage.

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Es braucht also mehr soziale Treffsicherheit bei Förderungen. Allerdings, so die Autor:innen der Studie des Sozialministeriums, muss man dabei aufpassen, dass spezielle Unterstützung vulnerabler Gruppen nicht zu einer Stigmatisierung und Beschämung ebendieser führt. Neben einem hohen Verwaltungs- und Kontrollaufwand droht auch eine komplexe Administration, die Anspruchsberechtigte erst recht abhalten könnte. Hier könnten bestimmte bestehende Sozialleistungen als Berechtigungskriterien für klimabezogene Unterstützungen dienen. Alternativ kann man den Zugang so niederschwellig gestalten, dass wirklich alle Bevölkerungsgruppen von den Maßnahmen profitieren, etwa indem man Gebäude flächendeckend saniert, den öffentlichen Verkehr breit ausbaut oder generell die Luftqualität verbessert. Dann wäre die soziale Treffsicherheit zweitrangig. Und gerade billige Öffis kommen jenen ärmeren Schichten zugute, die sich kein Auto leisten können, schon gar kein E-Auto.

Was auch hilft, sind Energieberatungen, die oft sogar kostenlos angeboten werden. Die Studie geht von einer Senkung der Energiekosten um 100 bis 120 Euro jährlich aus – sofern dieses Service auch jene erreicht, die es am dringendsten benötigen.


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Infos und Quellen

Genese

Bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden. Doch der Weg dorthin ist nicht nur ein langer, sondern für viele auch ein sehr steiniger. Diese Erfahrung musste WZ-Redakteur Mathias Ziegler im Zug seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in einer Wiener Pfarre machen. Dort geht es um die Frage, ob und wie die Heizung und die Fenster im fast 130 Jahre alten Pfarrhof getauscht werden können und ob eine Photovoltaik-Anlage installiert werden soll – und wo man welche Förderung dafür bekommt. Die im Artikel erwähnte Studie aus dem Sozialministerium bestärkt ihn in seiner Ansicht, dass im Sinn der sozialen Treffsicherheit der Förderdschungel in Österreich dringend gelichtet werden sollte.

Gesprächspartner:innen

  • Astrid Schöggl, Referentin für ökologische Ökonomie und Umweltpolitik in der Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr in der Wiener Arbeiterkammer

  • Barbara Schuster, Ökonomin am Momentum Institut

  • Ewald Gärber, Fachberater für Bauen, Wohnen und Energie bei der Umweltberatung

  • Maria (65) und Rudolf (67) leben in einer Mietwohnung in Wien-Brigittenau

  • Michael (33) und Verena (31) haben ein Einfamilienhaus im sogenannten Speckgürtel nördlich von Wien

Daten und Fakten

  • Wen trifft die Klimakrise in Österreich am härtesten? Im Stadtgebiet sind das vor allem Bewohner:innen dicht bebauter Grätzel mit wenigen Grünräumen. Genau hier leben in der Regel die einkommensschwächsten Schichten. Das größte Gesundheitsrisiko haben dabei Senior:innen, Kinder und Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eingeschränkter Mobilität. Die Studienautor:innen weisen auch darauf hin, dass etwa die vermehrt auftretenden Naturkatastrophen neben den materiellen Schäden (prognostizierte Verdoppelung der Hochwasserschäden bei Wohngebäuden von 200 Millionen Euro zwischen 1981 und 2010 auf 400 Millionen Euro zwischen 2036 und 2065) noch andere Komponenten haben, etwa die psychische Belastung, die damit einhergeht, Hab und Gut zu verlieren. Und auch hier gilt: Je schwächer ein Haushalt finanziell aufgestellt ist, desto schlechter kann er damit umgehen. Die Schäden sind zwar vom absoluten Wert her geringer, machen aber relativ einen höheren Anteil am Besitz aus. Und ärmere Haushalte – die häufiger in Risikozonen leben – können weniger in strukturelle Schutzmaßnahmen investieren.

  • Gerade in Bezug auf gesundheitliche Folgen hat der Klimawandel aber noch viel mehr zu bieten: Er verlängert die Allergiesaison und verstärkt die Pollenbelastung (geschätzte 20 Prozent der Bevölkerung sind derzeit betroffen), beschert uns tropische Infektionskrankheiten wie Zika-, West-Nil-, Dengue- und Chikungunya-Fieber https://www.medmedia.at/relatus-med/klimawandel-bringt-infektionskrankheiten-nach-oesterreich/ durch das Einwandern von Stechmücken aus dem Süden, sorgt für mehr Wetterfühligkeit, Ozonbelastung und UV-Strahlung durch mehr Sonnenstunden – und natürlich mehr Hitzetage, nämlich laut Prognosen bis zu 60 im Jahr 2085 (fast eine Verdoppelung gegenüber heute). Um 2050 werden in gewissen Wiener Stadtteilen mehr als 40 Grad erwartet (insgesamt treffen Hitzewellen den urbanen Raum stärker als den ländlichen), und die erwartete Zahl der jährlichen Hitzetoten in Österreich schwankt je nach Szenario für die nächsten 40 Jahre zwischen 400 und 3.000 (zuletzt waren es etwas mehr als 200 pro Jahr). All das sind keine guten Nachrichten für Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen oder einem geschwächten Immunsystem, für Säuglinge und Kleinkinder sowie für Senior:innen, die naturgemäß häufig an chronischen Erkrankungen leiden. Insgesamt sind schon jetzt fast zehn Prozent der Bevölkerung bei Alltagstätigkeiten gesundheitlich stark eingeschränkt. Die Hälfte davon ist älter als 65 Jahre; bei den Lungenkranken sind es 46 Prozent und bei den Personen mit Herz-Kreislauf-Problemen sind es 68 Prozent. Sind sie noch dazu weiblich, erhöht sich das Risiko weiter, denn Seniorinnen haben bei Hitzewellen eine um 15 Prozent höhere Sterblichkeitsrate als Senioren.

  • Dass der Klimawandel Realität ist und dass es entsprechende Anpassungsmaßnahmen braucht, ist mittlerweile weitestgehend unbestritten. Bei der bisher größten Befragung dazu in Österreich https://www.klimawandelanpassung.at/nl49/klar-befragung durch das Umweltbundesamt und den Klima- und Energiefonds mit 3.633 Befragten zwischen November 2020 und Jänner 2021 nannten ihn 85 Prozent ein ernstzunehmendes Problem, und 95 Prozent befürworteten Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung. Schon damals fand eine breite Mehrheit von 88 Prozent die Berichterstattung darüber nicht übertrieben.

Quellen