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Doppelt so viele Frauen- wie Männerklos nötig

4 Min
Diskriminierung, täglich ganz konkret erfahrbar auf der Frauentoilette.
© Wiener Zeitung

Für Frauen müssten deutlich mehr Toiletten zur Verfügung stehen als für Männer. Die Wirklichkeit sieht genau andersherum aus. Auf öffentlichen WCs herrscht Geschlechterungerechtigkeit.


Die Sonne scheint auf die Wiese im Auer-Welsbach-Park im 15. Bezirk. Zwei junge Frauen haben es sich auf dem Gras gemütlich gemacht. Ein perfekter Tag – bis die eine plötzlich zum Aufbruch drängt, weil sie offenbar aufs Klo muss. Die öffentliche Toilettenanlage gleich in Sichtweite lassen die beiden aber links liegen und gehen unbeirrt weiter in Richtung Linke Wienzeile, vermutlich nach Hause, wie Gesprächsfetzen zu entnehmen ist. Warum, zeigt sich bei näherer Betrachtung der Bedürfnisanstalt: Es handelt sich um ein reines Männerpissoir, für die junge Frau also völlig unbrauchbar.

Als Mann wäre selbst das Fehlen eines Stehklos kein gröberes Problem, auch wenn es eine Anstandsverletzung darstellt und eine Geldbuße nach sich ziehen könnte: kurz zu einem der vielen Bäume stellen, Hosenschlitz auf, kurzes Wasserlassen, abschütteln, Hosenschlitz zu – fertig, keiner hat’s mitbekommen (über das Händewaschen schweigen wir an dieser Stelle). Aber als Frau? Sie müsste sich in aller Öffentlichkeit hinhocken und die Hose samt Unterhose herunterziehen. Die Angst vor Catcalling (übergriffigen und sexuell aufgeladenen Bemerkungen) durch männliche Passanten – oder noch Schlimmerem – schwingt da immer mit. Alles in allem entwürdigend.

Gleiche Grundfläche, mehr Männerklos

Situationen wie diese illustrieren, dass Geschlechterungerechtigkeit selbst in banal erscheinenden Bereichen existiert. Und es sind nicht nur die Toiletten in einem Wiener Park. Die Ungleichheit zieht sich durch das gesamte Sanitärwesen, egal ob in Konzerthallen, an Ausflugs-Hotspots, bei der Vienna Pride und womöglich auch beim Donauinselfest oder sogar auf dem Flughafen. Dabei werden Männer und Frauen doch eigentlich gleichbehandelt, denn Männer- und Frauenklos, das zeigt ein Blick auf die Grundrrisspläne, haben in der Regel die gleiche Grundfläche – und genau hier beginnt die Geschlechterungerechtigkeit: Auf derselben Fläche bringt man nämlich mehr Stehpissoirs als Sitzklos unter. Und es ist nun einmal Fakt, dass in Österreich so gut wie alle Frauen auf dem WC sitzen, während die meisten Männer auf öffentlichen Toiletten zumindest beim Urinieren am Pissoir stehen. „Wenn man sich faktisch vor Ort die Toilettensituation ansieht, dann gibt es einfach auf den Männertoiletten mehr Klos“, stellt Lilith Kuhn vom „klo:lektiv“ fest. Selbst in der Wiener Gastronomie sind zum Beispiel bei einer Kapazität von 350 Gästen drei Sitzzellen für Frauen vorgeschrieben, aber zwei Sitzzellen für Männer plus drei Pissoirs – also ein Verhältnis von drei zu fünf. „Und dann wundert man sich, dass bei den Frauen die Schlange so viel länger ist“, meint Lilith, „und fragt uns ernsthaft, was wir so lange auf dem Klo machen.“

Frauen benötigen per se mehr Zeit

Dabei müsste es eigentlich umgekehrt sein: Frauen müssten viel mehr Toiletten vorfinden als Männer. „Wenn Geschlechtergleichheit herrschen sollte, dann müsste der Raum für Männer mit dem Faktor zwei bis drei (exakt: 2,3) zugunsten der Frauen multipliziert werden“, rechnet eine Aktivistin vor, die sich Cleo nennt und ihre Bachelorarbeit zu diesem Thema geschrieben hat. Frauen benötigen per se auf dem Klo mehr Zeit, sagt sie – und das nicht nur, weil sie eben nicht bloß den Zippverschluss am Hosentürl aufzuziehen brauchen. Schwangerschaft oder Harnwegsinfekte (die bei Frauen durch den kürzeren Harnleiter öfter vorkommen) können häufigere Toilettengänge notwendig machen. Meist ist auch die Mutter diejenige, die den kleinen Sohn mit aufs Damenklo nehmen muss. Und wenn sie gerade menstruiert, dauert es auf dem WC noch einmal länger. Allerdings sind die meisten Architekten männlich – und denken leider auch bei der Raumgestaltung auf der Toilette entsprechend.

Frauenurinale – die Lösung?

Im Sitzen urinierende Frauen sind also stehenden Männern gegenüber massiv benachteiligt. Ein Teil der Lösung, meint Cleo, könnte das sein, was sie in der Öffentlichkeit tunlichst vermeidet: Hinhocken. Aber eben im geschützten Rahmen einer Toilette. Diese Lösung heißt zum Beispiel „Missoir“ und ist ein Hockurinal ohne Wasserverbrauch. Lilith hat das System schon einmal ausprobieren können. Das Prinzip ist einfach, sagt sie: „Frau hockt sich mit dem Po zur Wand, wie man es auch in freier Natur machen würde.“ Das Frauenpissoir hat sie in Leipzig besucht. Auch in Berlin macht man sich intensive Gedanken über Gleichberechtigung auf dem Klo. Dort werden seit 2022 verschiedene Urinale für Frauen getestet.

„Hier wird die Geschlechterungleichheit wie unter einem Brennglas sichtbar“

Die Frauenklo-Problematik als banalen Nebenschauplatz im Kampf um Gleichberechtigung abzutun, greift zu kurz. „Hier wird die Geschlechterungleichheit wie unter einem Brennglas sichtbar“, betont Cleo. Denn auf der Toilette manifestiert sich ganz konkret und mehrmals täglich die soziale Ungleichbehandlung von Frauen.

Dass Mann und Frau getrennt auf die Toilette gehen, ist ein Erbe des schambehafteten viktorianischen Zeitalters, sagt ein junger Klimaaktivist, der sich Pato nennt. Er verweist außerdem auf den enormen Verbrauch an Trinkwasser für herkömmliche Toilettensysteme. Pato ist überzeugt, dass die „binär geschlechtliche Aufteilung erst die Schwierigkeiten erzeugt und aufgelöst werden sollte. Aber es gibt wenig Entwicklung in Richtung All-Gender-Toiletten“.

Ob die aber wirklich der Weisheit letzter Schluss sind? Wer zum Beispiel schon einmal ein Unisex-Klo in den Zügen der ÖBB aufgesucht hat, kennt die Frage, ob man sich wirklich auf eine Klobrille setzen will, auf der schon mit freiem Auge Tropfen zu erkennen sind, bei denen man nur raten kann, ob es Spülwasser, Urin oder beides ist.


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Infos und Quellen

Genese

Immer wieder erleben die WZ-Redakteur:innen selbst mit, dass etwa bei Veranstaltungen die Schlange vor der Frauentoilette um vieles länger ist und sich langsamer auflöst als beim Männerklo. Der Grund dafür liegt auf der Hand: In der Regel stehen mehr Toiletten, vor allem Pissoirs, für Männer zur Verfügung als für Frauen.

Gesprächspartner:innen

  • Cleo ist Klimaaktivistin. Sie hat in Wien Geografie studiert und ihre Bachelorarbeit über Geschlechterungerechtigkeit im öffentlichen Raum geschrieben.
  • Lilith Kuhn ist Mitglied des „klo:lektiv“ https://klolektiv.org/, eines Zusammenschlusses von Menschen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, das Thema Toiletten stärker in öffentliche und wissenschaftliche Debatten einzubringen.
  • Pato ist Klimaaktivist. Ihn stört die seiner Ansicht nach enorme Verschwendung von Trinkwasser bei herkömmlichen Klos.
  • Pressesprecher:innen der Innsbrucker Olympiahalle, Wiener Stadthalle, Wirtschaftskammer und des WUK

Daten und Fakten

  • Dass an vielen Veranstaltungsorten mehr Männer- als Frauentoiletten zur Verfügung stehen, ist bekannt. Dass aber sogar eine Wiener Gastronomieverordnung aus dem Jahr 1996, die offenbar immer noch gültig ist, diese klare Benachteiligung von Frauen festgeschrieben hat, überraschte sogar die recherchierenden WZ-Redakteur:innen. In der Wiener Mindestausstattungsverordnung 1996 sind nämlich ab 25 Personen mehr Pissoirstände und Sitzzellen für Männer als Sitzzellen für Frauen vorgeschrieben:

  • Es stehe jedem Veranstaltungsort frei, anlassbezogen die Belegung der WCs zu ändern, heißt es dazu aus der Wirtschaftskammer. So könne man bei entsprechendem Bedarf kurzfristig ein Männerklo als Frauenklo deklarieren. Die Wiener Fachgruppe Gastronomie berichtet, dass immer öfter um eine Ausnahmegenehmigung von der Regelung angesucht werde, um etwa Unisex-Toiletten zu errichten. Die Wirtschaftskammer unterstütze die Unternehmen dabei in der Regel, „sodass es heute immer öfter Toiletten gibt, die allen Gästen zur Verfügung stehen.“
  • Ganz anders als die Wiener Gastronomieverordnung liest sich die Richtlinie des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB) zu WC-Anlagen, in der zum Beispiel dezidiert festgehalten ist: „Für Veranstaltungen, bei denen mit einer Toilettenbenützung hauptsächlich in den Pausen zu rechnen ist, sollte die Aufteilung zugunsten der Sitzstellen weiblich entsprechend vorgenommen werden.“ Eine Nachfrage bei der Wiener Stadthalle ergibt, dass dort auf 212 Damenkabinen 100 Herrenkabinen und 157 Urinale kommen – also ein Überhang von 45 WCs (20 Prozent) zugunsten der Männer. Auch in der Innsbrucker Olympiahalle kommen, wenn man ein paar barrierefreie Unisex-WCs außer Acht lässt, in Summe auf 58 Frauenkabinen 50 Männerkabinen und 23 Pissoirs (plus 15 WCs/25 Prozent). Im Wiener WUK hat man auf die Problematik reagiert und kurzerhand die Männer- und Frauen-Einteilung aufgehoben; jetzt gibt es nur noch acht Sitzklos und sieben Pissoirs. „Frauen, die dringend müssen oder keine Lust haben zu warten, gehen jetzt schon aufs Männerklo“, heißt es auf WZ-Anfrage. „Mit der Zeit wird das selbstverständlicher werden, für alle Geschlechter.“

Quellen

Das Thema in anderen Medien

Das Thema in der WZ

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