Was die aktuelle politische Situation für das Klima bedeutet.
Es war ja schon öfter Thema hier: erst die Fassungslosigkeit, dann die Wut. Die Fassungslosigkeit ist wohl für viele in diesem Land die Emotion der ersten Jännerwoche gewesen. Die Politik in diesem Land ist derartig im Eimer, dass in Deutschland sogar vor uns gewarnt wird. Es war auch ein wirklich unwürdiges Spiel: Die Verhandlungen von drei Parteien implodierten, die Neos sagten, die SPÖ ist schuld, die SPÖ sagte, die ÖVP ist schuld, alle bezichtigten sie einander der Lüge – es war widerlicher als am Schulhof zwischen lauter streitenden Unterstufler:innen.
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Die ÖVP sagt übrigens jetzt, ah, wurscht, was kümmert uns, was wir vor der Wahl gesagt haben, dann verhandeln wir halt jetzt mit Kickl – einige von uns wollten das eh die ganze Zeit, nur der Nehammer Karli mit seiner ständigen Redlichkeit wollt nicht, aber der ist jetzt eh weg. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Dieselbe Partei, die Taschentücher als Wahlgeschenke verteilt hat, auf denen „Sie werden viele davon brauchen, wenn Kickl Kanzler wird“ gedruckt stand, macht selbigen Kickl jetzt zum Kanzler. Weil nach der Wahl natürlich alles gaaaanz anders ist als vor der Wahl. Ja genau. Um meinen alten Geografieprofessor zu zitieren: Ich glaub, mein Schwein pfeift!
Geleaktes Wirtschaftskammerpapier katastrophal
Zerkracht haben sich die ursprünglich verhandelnden Parteien über Finanzierungsthemen – Pensionsreform, Bankenabgaben und Vermögenssteuern. Zum Thema Klima war es in den letzten Tagen ziemlich still. Lediglich im November wurde ein Papier der Wirtschaftskammer geleakt, dessen Inhalt rückwärtsgewandter nicht sein könnte: Das Ziel, 2040 und somit zehn Jahre vor dem EU-Ziel klimaneutral zu sein, soll gestanzt werden. Klimaschädliche Förderungen sollen nicht abgeschafft werden, genauso wenig soll es neue Steuern auf (fossile) Energie geben. Russisches Gas soll wieder bezogen werden. Und insgesamt: Österreich soll innerhalb der EU kein Vorreiterland sein, sondern schlicht und einfach die Mindeststandards erfüllen.
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Na gut
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Im November war‘s ein kurzer Aufschrei, aber nicht mehr. Das Absurde: Sogar mehr als 100 große Unternehmen hatten kurz vor dem Leak einen offenen Brief unterschrieben, in dem die künftige Koalition gebeten wurde, den Klimaschutz voranzutreiben. Gut, ganz persönlich finde ich, es hat schon etwas Schlagseite, wenn ein Unternehmen wie IKEA, dem immer wieder die Rodung geschützter rumänischer Urwälder vorgeworfen wird, die Regierung auffordert, mehr für den Klimaschutz zu tun. Aber das Signal war dennoch interessant.
Meine Hoffnung war, dass die Neos, die immer wieder betonten, dass Wirtschaft und Klimaschutz in Einklang gebracht werden müssen, und die SPÖ, deren Chef Andreas Babler den Kampf gegen die „Erderhitzung“, wie er es nannte, zum Wahlkampfthema machten, diesem ÖVP- und Wirtschaftskammergebaren ein bisschen Einhalt gebieten können. Und was kommt jetzt? Eine Koalition mit der FPÖ.
Die FPÖ ist die Partei, deren Spitzenfunktionäre regelmäßig den menschengemachten Klimawandel in Zweifel ziehen
Nur so als Reminder: Die FPÖ ist die Partei, die
den menschengemachten Klimawandel leugnet
am Verbrennungsmotor und an fossilen Energien festhalten will
das Renaturierungsgesetz aktiv bekämpfen möchte
Kreislaufwirtschaft komplett ausblendet
den EU Green Deal bekämpfen möchte
Vertreter:innen der FPÖ
haben sich während des Hochwassers in Österreich im vergangenen September mit Mitgliedern des Heartland Instituts, laut Standard eine der „berüchtigtsten Organisationen der Klimawandelleugner-Szene“ gezeigt (Harald Vilimsky, EU-Abgeordneter der FPÖ)
negieren immer wieder den menschengemachten Klimawandel (Herbert Kickl)
nennen Klima-Kleber:innen „Terroristen“ (Herbert Kickl) und Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe eine „linke Ideologie“
nennen den Weltklimarat eine „Glaubenskongregation“ (und schon wieder Herbert Kickl)
Wer jetzt glaubt, Neuwahlen werden uns aus dieser Misere retten: Weit gefehlt. Die FPÖ hat in den Umfragen seit Ende September noch weiter dazugewinnen können und liegt inzwischen bei unfassbaren 37 Prozent. Und das verstehe ich nicht. Ist uns das Thema Klima wirklich so egal? In Niederösterreich ist die FPÖ stark – gleichzeitig ist das halbe Land unter Wasser gestanden und ein paar Tage lang waren‘s alle kleinlaut, ui, ja, stimmt, Klimawandel könnte es doch geben. Und jetzt? Alles vergessen, Kreuzerl bei der FPÖ machen? Nächsten Sommer werden wir wahrscheinlich wieder in noch mehr Tropennächten als im Jahr zuvor ächzen, aber ja, nö, is halt heiß?
Manchmal frage ich mich, was noch passieren muss, damit wir als Gesellschaft verstehen, dass der Klimawandel nicht nur die größte Katastrophe der Menschheit ist, und wir uns mittendrin befinden, sondern dass endlich die Machthaber:innen der Länder effektive Maßnahmen ergreifen müssen. Irgendwie erinnert es mich an den Film „Don´t look up“, wo Wissenschaftler:innen so lang nicht geglaubt wurde, bis quasi eh alle tot waren. Aber ja, anscheinend leben wir lieber in einer Dystopie, in der wir uns einreden lassen, dass es den Klimawandel eh nicht gibt und wenn doch, wir nicht dran schuld sind. Es ist eine Tragödie.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Quellen
Standard: Leak: Wirtschaftskammer fordert offenbar Rückschritte in Klimapolitik
Climate Change Center Austria: Klimapolitik: Wissenschafter zerlegen die Klimabehauptungen der FPÖ
Greenpeace: Parteien im Öko-Check
Standard: "Mein Freund Harald": FPÖ ebnete Klimaleugner-Lobby den Weg ins EU-Parlament
at.scientists4future.org: Klimapolitik der FPÖ: Gefährlich für alle in Österreich
Standard: Werden für Ikea-Möbel Wälder in Naturschutzgebieten abgeholzt?