Die Wiener Zeitung erfindet sich neu. Alle Fragen und Antworten zum öffentlich-rechtlichen Auftrag und darüber hinaus im Überblick.
- Kennst du schon?: Was werden Bundespolitiker:innen 2025 verdienen?
Ist das noch eine Zeitung? Diese Frage haben wir uns in den vergangenen Monaten immer wieder gestellt. Denn eines ist klar: In der bald 320 Jahre währenden Geschichte der Wiener Zeitung hat es noch nie eine derart umfassende Neuaufstellung gegeben wie jetzt.
Mit dem Abschied von der gedruckten Tageszeitung lassen wir gleich mehrere Dinge hinter uns, die normalerweise eine Zeitung ausmachen: Neben dem bedruckten Papier wird auch die Tagesaktualität in Zukunft keine Rolle spielen. Wir werden keine „Vollzeitung“ mehr sein – es gibt keine Sportberichterstattung, kein Wetter und keine Programmtipps mehr.
Was wir aber nicht hinter uns lassen, sind die journalistischen Werte, die die Wiener Zeitung einen Großteil dieser 320 Jahre ausgemacht haben: Wir werden weiterhin unabhängigen und kritischen Qualitätsjournalismus machen. Nur eben nicht mehr auf Papier.
Seit Ende 2022 hat ein Team aus elf Personen, davon rund die Hälfte aus der Redaktion der alten Wiener Zeitung, an der Neuaufstellung des Mediums gearbeitet. Was dabei herausgekommen ist, ist erst ein Anfang. Wir werden im nächsten halben Jahr und darüber hinaus noch viel weiterentwickeln, aus Fehlern lernen, andere (hoffentlich) gar nicht mehr machen. Jedenfalls hoffen wir, dass ihr uns dabei begleitet und nicht mit Feedback spart!
Aber erst einmal haben wir das Wichtigste zur neuen WZ in ein paar Fragen zusammengefasst.
Heißt ihr noch Wiener Zeitung?
Ja und nein. Wir bleiben Teil der Mediengruppe Wiener Zeitung, aber wir nennen uns ab jetzt WZ. Warum? Weil wir einen öffentlich-rechtlichen Auftrag haben, für alle Menschen in Österreich Journalismus zu machen. Als Kennzeichen des Neustarts lassen wir daher den Namen mit dem Wien-Fokus ein Stück weit hinter uns.
Seid ihr jetzt die Pressestelle des Bundeskanzleramts?
Definitiv nicht. Wie schon bisher ist die Eigentümerin der WZ die Republik Österreich, Herausgeberin ist allerdings nicht mehr das Bundeskanzleramt, sondern die Wiener Zeitung GmbH, vertreten durch deren Geschäftsführer. Diese Struktur heißt nicht, dass sich die Regierung in den Inhalt auf dieser Website oder auf den anderen Kanälen der WZ einmischen darf. Im Gegenteil: Mit 1. Juli 2023 haben wir einen öffentlich-rechtlichen Auftrag, als unabhängiges Medium mit einer unabhängigen Redaktion unabhängigen Journalismus zu machen. Wir dürfen also im Auftrag aller Menschen, die in Österreich Steuern zahlen, unabhängigen Journalismus auf einer soliden finanziellen Grundlage machen. Und das nehmen wir besonders ernst.
Macht die WZ wirklich noch unabhängigen Journalismus?
Ja, das können wir, wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, gar nicht oft genug betonen. Einerseits würde keine:r von uns hier arbeiten wollen, wenn es nicht so wäre. Andererseits werden wir, so steht es im Gesetz, auch in Zukunft ein Redaktionsstatut, also eine Vereinbarung zwischen der Redaktionsvertretung und dem Medieninhaber zur Absicherung der redaktionellen Unabhängigkeit, haben. Dazu muss die neue Redaktion aber zunächst einen Redaktionsbeirat wählen, dieser verhandelt das Statut mit der Geschäftsführung, das schließlich von der Redaktionsversammlung beschlossen wird. Das ist der übliche und im Mediengesetz so vorgesehene Vorgang, der beim ersten Mal mehr als ein Jahr gedauert hat, diesmal brauchen wir hoffentlich wesentlich kürzer, weil wir unser bestehendes Statut ja nur anpassen müssen.
Welche Art von Journalismus macht die neue WZ?
Wir setzen verstärkt auf Datenjournalismus – wir werten Daten zum Beispiel von der Statistik Austria aus und erklären Zusammenhänge, um Entwicklungen zu verstehen. Wir glauben, dass diese Art des Journalismus dazu beitragen wird, das Vertrauen in die Medien zu stärken. Denn auf Daten kann man sich verlassen. Außerdem werdet ihr viele lösungsorientierte Geschichten auf unseren Seiten finden – wir spülen nichts weich und reden keine Probleme klein. Trotzdem sind wir sicher, dass der alte journalistische Grundsatz „only bad news is good news“ längst überholt ist. Wir sehen die Probleme und wir wollen Lösungen aufzeigen – für die einzelnen Personen, aber auch für die Demokratie an sich.
Kann ich der neuen WZ vertrauen?
Selbstverständlich! Aber wir wissen auch, dass wir euch das erst einmal beweisen müssen. Für jeden unserer Inhalte findet ihr rechts oben einen Button „Infos & Quellen“. Dort fassen wir alles zusammen, was uns in der Recherche für den Beitrag wichtig war – Studien, Gesetzestexte, weiterführende Links, Zahlen, Informationen zu den Gesprächspartner:innen und mehr. Außerdem findet ihr dort meistens auch Links zur Berichterstattung in anderen nationalen und internationalen Medien. Wir wollen den anderen keine Konkurrenz machen, im Gegenteil: Wir finden es wichtig, dass ein Thema von möglichst vielen Seiten beleuchtet wird. Und ihr spart euch dadurch die Zeit, das Thema selbst zu googlen.
Über welche Themen berichtet ihr in Zukunft?
Mit 1. Juli 2023 ist die WZ zu einem öffentlich-rechtlichen Medium geworden, das einen konkreten gesetzlichen Auftrag erfüllen muss. Diesen Auftrag bilden wir ab, indem wir aus bestimmten Perspektiven über Themen berichten – also zum Beispiel aus Sicht der Politik, aus historischer Sicht oder mit besonderem Augenmerk auf den Standort Österreich. Die Themenschwerpunkte, die wir aus diesen Perspektiven beleuchten, setzen wir hingegen immer wieder neu. Damit ein Thema interessant für uns ist, muss es gesellschaftlich relevant sein – und zwar für einige Monate oder länger. Zum Start sind das unter anderem „Künstliche Intelligenz“, „Wohnen“ oder „Nachhaltigkeit“. Über das Burgermenü rechts oben kommst du zu allen Themen.
Aber dann berichtet ihr ja gar nicht mehr aktuell?
Richtig. Oder, wie es ein Kollege während des Entwicklungsprozesses ausgedrückt hat: „Wir freuen uns auf die Lücken.“ Lücken, die wir ganz bewusst lassen werden. Wir sehen es nämlich nicht als unsere Aufgabe an, von einer Pressekonferenz zur nächsten zu hetzen oder bei Wahlen stündlich die Veränderungen in Prozentpunkten zu zählen. Wir berichten nicht, warum Politikerin A die Aussagen von Politiker B unterstützt. Dafür könnt ihr sicher sein, dass ihr bei uns nur Inhalte findet, die wirklich wichtig sind – und die so erklärt sind, dass ihr nicht erst ein Studium abschließen müsst, um sie zu verstehen.
Auf welchen Kanälen erscheint die WZ in Zukunft?
Viele unserer Inhalte findet ihr auf dieser Website – vor allem die Artikel, aber auch unseren wöchentlichen Podcast „Weiter gedacht – der Podcast der WZ“. Außerdem könnt ihr euch auf „Umlaut Ö“ freuen, unsere monatliche Video-Kurzdoku zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Auf den sozialen Medien findet ihr uns anfangs auf TikTok, Instagram und YouTube Shorts. Außerdem sind wir noch lange nicht fertig mit der Weiterentwicklung der WZ: Bald starten wir mit einem Newsletter, zu dem ihr euch jetzt schon anmelden könnt. Ab Jänner 2024 gibt es tatsächlich auch wieder ein Printprodukt. Wie das aussehen wird, wissen wir allerdings selbst noch nicht.
Feedback, bitte!
Wir freuen uns auf die Lücken, die wir bewusst lassen werden. Wir freuen uns auf die Fehler, die wir machen und auf die Lehren, die wir daraus ziehen werden. Und wir freuen uns vor allem auf euer Feedback, das uns helfen wird, die WZ immer weiterzuentwickeln.
Also: Ist das noch eine Zeitung? Entscheidet selbst und schreibt uns eure Ideen unter
feedback@wienerzeitung.at
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
Dieses Editorial ist die Zusammenfassung der Arbeit eines halben Jahres, seine Genese geht aber noch viel weiter zurück.
„Die älteste Tageszeitung des Landes, die ‚Wiener Zeitung‘, soll zum reinen Amtsblatt werden. ‚Wir wollen ganz bewusst der Wiener Zeitung den Charakter der Tageszeitung nehmen.‘“ Dies bestätigte der Leiter der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt der Austria Presse Agentur (APA).
Das war am 20. November 1997, Bundeskanzler war Viktor Klima (SPÖ). Das dürfte nicht das erste Mal gewesen sein, dass das Kanzleramt als Eigentümerin der Wiener Zeitung die Existenz derselben in Zweifel zog – jedenfalls war es nicht das letzte Mal. Ein kleiner historischer Abriss:
2003: 300-Jahr-Jubiläum. Chefredakteur Peter Bochskanl meint, man müsse „à la longue zu einer Lösung kommen und eine Marktnische finden, in der wir, etwa in zehn Jahren, auch ohne die amtlichen Einschaltungen lebensfähig sind“.
2005: Andreas Unterberger wird Chefredakteur. Als Presse-Chefredakteur hatte er die WZ-Pflichtveröffentlichungen als „Anzeigenmonopol“ bezeichnet, das eine „eklatante Marktverzerrung“ nach sich ziehe.
2006: „Die Presse“ klagt die Republik wegen „wettbewerbswidriger Quersubventionierung“ durch das „Amtsblatt“, die Klage wurde 2008 vom Obersten Gerichtshof (OGH) zurückgewiesen.
2007: Medienministerin Doris Bures (SPÖ) sagt zu einer Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen: „Wenn sie dieses Monopol nicht mehr hat, dann stellt sich die Frage der Finanzierung […] und dann geht es um öffentliche Mittel, mit denen sorgsam umzugehen ist.“
2011: Der Justizausschuss des Nationalrats lehnt einen Entschließungsantrag der Grünen zur Streichung der Pflichtveröffentlichungen ab.
2013: Im Regierungsprogramm für die 25. Gesetzgebungsperiode (Kanzler ist Werner Faymann, SPÖ) wird festgehalten, dass „alle Veröffentlichungsverpflichtungen von Unternehmen, insbesondere auch im Amtsblatt zur Wiener Zeitung, durchforstet werden“.
2014: ÖVP-Chef Michael Spindelegger will die Abschaffung der Veröffentlichungspflichten. Damit könnten sich Betriebe 15 Millionen Euro jährlich sparen. Man müsse sich fragen, ob es die Zeitung wegen der Pflichtveröffentlichungen oder wegen ihres Inhalts gebe.
2016: Die Neos fordern einen Gesetzesentwurf für ein „zeitgemäßes Eigentümermodell der Wiener Zeitung GmbH“.
2017: Regierungsprogramm für die XXVI. Gesetzgebungsperiode (GP), Kanzler ist Sebastian Kurz, ÖVP: Unter dem Kapitel „Schlanker Staat“ wird an drei Stellen die Abschaffung der Verlautbarungspflichten in der Wiener Zeitung angekündigt.
2020: Im Regierungsprogramm für die XXVII. GP (Kanzler ist Sebastian Kurz, später Karl Nehammer, ÖVP) ist die Rede von einem „neuen Geschäftsmodell der Wiener Zeitung mit dem Ziel des Erhalts der Marke“, die Veröffentlichungspflicht in Papierform in der Wiener Zeitung ssoll abgeschafft werden.
Es war schon öfter knapp für die WZ
Es gab in den vergangenen Jahrzehnten kaum einen Zeitpunkt, zu dem sich die Wiener Zeitung ihrer Existenz sicher fühlen konnte – ein anderes Medienhaus klagte wegen mutmaßlicher „Querfinanzierung“ des redaktionellen Teils durch das Amtsblatt, Kanzler beider Großparteien forderten ihre Abschaffung. Die ÖVP vehementer als die SPÖ, das ist kein Geheimnis, denn ihr ging es in erster Linie darum, mit den Unternehmer:innen ihre Kernklientel zu entlasten.
Der gedruckten Wiener Zeitung ist es also in den vergangenen Jahrzehnten oft gelungen, dem schon sicher geglaubten publizistischen Tod zu entgehen – manchmal war es auch „arschknapp“, wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen vielleicht sagen würde. Doch diesmal nicht. Seit 1. Juli 2023 ist die WZ keine gedruckte Tageszeitung mehr, hat aber – zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten – eine per Gesetz sichergestellte Finanzierungsbasis. Und einen öffentlich-rechtlichen Auftrag. Beides ist in dieser Form in Österreich für ein Onlinemedium einzigartig.
Der lange kurze Weg zum neuen Produkt
Dass es diesmal ernst werden würde, war im Haus schon länger bekannt. Neben zahlreichen anderen Reformbestrebungen wurde im Jahr 2021 eine Arbeitsgruppe gegründet, an der auch Kolleg:innen aus der Redaktion und der damaligen Chefredaktion teilnahmen. Dort wurde in groben Zügen das entwickelt, was nun im Bundesgesetz über die Wiener Zeitung GmbH und Einrichtung einer elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes (WZEVI-Gesetz) in Form gegossen wurde (siehe unten).
Mit Bekanntwerden des Gesetzesentwurfs im Herbst 2022 war klar, dass die Grundideen aus dem Jahr 2021 weitergesponnen werden mussten, wenn innerhalb eines halben Jahres ein neues Produkt stehen sollte. Alle Kolleg:innen aus dem Haus waren aufgerufen, sich am Produktentwicklungsprozess zu beteiligen, allerdings sollte das Team klein (immerhin gab es ja noch die Tageszeitung, die zu füllen war) und agil (ein halbes Jahr ist für die Entwicklung eines neuen Medienprodukts ein extrem enges Zeitfenster) bleiben. Es gab zwei Bewerbungsrunden: In der ersten ging es um eine reine Interessenbekundung, in der zweiten waren Vorschläge zu machen, wie ein Medienprodukt der Zukunft aussehen kann – am besten anhand internationaler Beispiele.
Das Team der Produktentwicklung
Aus den verschiedenen Bereichen der Mediengruppe Wiener Zeitung wurden elf Personen ausgewählt und von ihren bisherigen Aufgaben entbunden.
Über uns
Jan Forobosko: Studiert Publizistik und Politikwissenschaften. Seit 2022 wieder bei der WZ als Produktentwickler. Davor Redakteur bei Ö3 und Puls 4 sowie Trainee bei der WZ.
Verena Götzner: Studierte Medientechnik und Digitale Medientechnolgien sowie Theater- , Film- und Medienwissenschaften. Produktentwicklung macht sie seit 2014 bei diversen Firmen, zuvor beim ORF und seit Oktober 2022 für die WZ.
Michael Ortner: Studierte Politikwissenschaften, Publizistik und Journalismus. Seit 2016 ist er Redakteur bei der WZ, zu Beginn war er Teil der Online-Redaktion und später auch im Wirtschaftsressort.
Hannah Schaefer: Abschlüsse in Medienwirtschaft und Filmproduktion, managt meistens kreative Sachen – zuvor in einer Videoagentur, seit 2022 ist sie für das Projektmanagement in der Produktentwicklung der WZ verantwortlich.
Katharina Schmidt: Studierte Geschichte und Migrationsmanagement. Seit 2004 ist sie bei der WZ, zuerst als Praktikantin, dann als freie Mitarbeiterin im Chronik-Ressort, von 2006 bis 2017 war sie Innenpolitik-Redakteurin, später in der Content Agentur.
Petra Tempfer: Studierte Biologie, Studienzweig Paläontologie in Wien. 2008 kam sie über die Lehrredaktion zur WZ, absolvierte das Journalistenkolleg in Salzburg und war für die Ressorts Wissen, Chronik, Kultur und zuletzt mehr als zehn Jahre lang für die Innenpolitik-Berichterstattung tätig.
Bernd Vasari: Studierte Jazzgitarre am Vienna Konservatorium und Politikwissenschaften in Wien und Genf. Seit 2010 ist er Redakteur bei der WZ, zu Beginn im Bereich Integration, später schrieb er über Stadtleben und Innenpolitik und baute dann das Wirtschaftsressort mit auf.
Ina Weber: Studierte Germanistik, Publizistik und Theaterwissenschaft. Seit 2005 ist sie Redakteurin bei der WZ, zuerst war sie Teil der Innenpolitik-Redaktion, später Medienressort, Wien-Ressort und Community-Ressort.
Matthias Winterer: Studierte Geschichte und Journalismus und neue Medien. Seit 2015 ist er Redakteur bei der WZ, erst war er Teil der Online-Redaktion und später im Wien-Ressort.
Elisabeth Yiasemi: Hat ein Diplom in Druck- und Medientechnik und studierte Informatik. Seit 2006 – mit kurzer Unterbrechung fürs Studium – bei der WZ, zu Beginn im Amtsblatt tätig, kurze Zeit später in der Produktion/Layout.
Georg Zeglovits: Mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bereich User Centered Design als Designer, Coach, und Facilitator. Seit 2019 in der Mediengruppe Wiener Zeitung, hat davor unter anderem in einem Bankkonzern europaweit,
in mehreren größeren und kleineren Unternehmen österreichweit, sowie selbständig in Wien gearbeitet. Verantwortlich für Design Workshops, User Experience, User Journeys, Service Design und Interaction Design.
Unser Ansatz: Arbeiten wie ein Start-up
Wie aber entwickelt man eine gedruckte Tageszeitung zu einer Onlineplattform weiter? Denn klar war, dass das Jahresbudget von ca. 20 Millionen Euro auf 6,5 Millionen sinken würde – bei gleichzeitig stark steigenden Kosten, unter anderem für Personal und Papier.
Das Produktentwicklungsteam startete im Jänner 2023 wie ein Start-up – auf der grünen Wiese und mit einem Schritt-für-Schritt-Programm:
Schritt 1: Finde Zielgruppen
Zuerst definierten wir Zielgruppen: Welche Bevölkerungsgruppen interessieren sich für Demokratiebildung, wie sie in unserem gesetzlichen Auftrag verankert ist? Wer braucht eine derartige Berichterstattung, wer zieht einen Mehrwert daraus? Unsere Antwort auf Basis einer repräsentativen Studie für ganz Österreich sowie mehrerer Fokusgruppen: Personen in Transformationsprozessen. Das hat erst einmal wenig mit dem Alter zu tun, sondern es geht tatsächlich um die Lebenssituation: erster Job, Familiengründung, Studienbeginn, erste eigene Wohnung, Pensionierung, Enkelkinder und ähnliche lebensverändernde Ereignisse. Daraus kann man allerdings sehr gut die Altersgruppen ablesen: Einerseits sind das die Personen zwischen 20 und 30 Jahren und jünger, andererseits Menschen zwischen 55 und 65.
Schritt 2: Definiere Journalismus
Welchen Journalismus wollen wir machen? Investigativ, lösungsorientiert, Wissenschaftsjournalismus, Meinungsjournalismus? Auf Basis des öffentlich-rechtlichen Auftrags, der Zielgruppenanalyse sowie einer wissenschaftlichen Recherche einigten wir uns darauf, unsere Hauptanstrengungen auf Daten- und lösungsorientierten Journalismus zu richten.
Warum Datenjournalismus? Weil wir anhand der Datenlage sicher sagen können, dass das Vertrauen in Nachrichten steigt, wenn diese nachweislich auf gesicherten Informationen beruhen.
Warum lösungsorientierter Journalismus? Weil die Idee von „only bad news is good news“ aus den Köpfen der Leser:innen längst verschwunden ist. In Zeiten des Doom Scrollings, wenn von allen Seiten Klimakatastrophe, Pandemie, Krieg oder Inflation auf Nachrichtenkonsument:innen einprasseln, ist die logische Folge, dass es zu News Avoidance, also der gezielten Vermeidung von Nachrichten, kommt. Dem wollen wir entgegenwirken. Wir sehen es als Aufgabe des Journalismus, Lösungswege aus den Krisen aufzuzeigen – und wir als öffentlich-rechtliches Medium sind da ganz besonders gefordert. Das heißt nicht, dass wir die Probleme nicht sehen oder Ratgeberjournalismus anbieten wollen. Nein, das heißt, dass wir uns nicht mehr daran beteiligen wollen, eine Hiobsbotschaft nach der anderen zu verbreiten, nur weil das die Klickraten in die Höhe schnellen lassen würde.
Schritt 3: Schaffe Transparenz
Man kann uns also vertrauen. Unseren Zahlen, unseren Recherchen und der Tatsache, dass wir kein Clickbaiting betreiben. Aber wie beweisen wir das? Im nächsten Schritt der Produktentwicklung haben wir uns intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt und eine – so hoffen wir – innovative Lösung gefunden: Für jeden Beitrag gibt es eine sogenannte „Transparenzseite“, ihr findet sie über den Button „Infos & Quellen“ rechts oben. Dort beschreiben wir die Genese des Artikels, des Videos oder der Podcastfolge. Wir legen außerdem offen, wer unsere Gesprächspartner:innen für den Beitrag waren (natürlich nur dann, wenn wir sie zitieren dürfen), bereiten Zahlen, Daten und Fakten auf und verlinken zu Studien beziehungsweise anderen Medienhäusern.
Schritt 4: Formuliere Themen
Besonders lang und schmerzhaft war die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Aktualität. Denn die meisten Mitglieder des Produktentwicklungsteams haben jahrzehntelange Erfahrung im Journalismus und sind damit auch Nachrichtenjunkies. Aber mit reduziertem Personal und dem Anspruch, keine Konkurrenz für andere Medienhäuser in Österreich zu sein, müssen wir auf Tagesaktualität verzichten. Deswegen finden sich in Zukunft maximal drei neue Artikel täglich auf der Website. Und sie werden oft nicht aktuell sein, sondern hintergründig „die großen Themen der Menschheit“, wie wir es genannt haben, beleuchten: Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit, Wohnen, Demokratie, Gesundheit, Arbeit. Natürlich können die Themen wechseln – die Idee ist aber, dass wir sie über mehrere Monate immer wieder aus mehreren Perspektiven (zum Beispiel aus Sicht der Kultur, der Wissenschaft, der EU) beleuchten. Nachhaltig, hartnäckig und tiefgehend.
Schritt 5: Löse Probleme und schau dich um
Nebenher haben wir auch noch ein neues Redaktionssystem aufgesetzt, Videos, Podcasts und Inhalte für Social Media geplant, entwickelt und produziert, am Table-Stakes-Programm der World Association of News Publishers (WAN-IFRA) und einem Datenjournalismus-Workshop teilgenommen sowie andere Medienhäuser in Berlin, London und Kopenhagen angeschaut. Und 1.000 andere Probleme gelöst, die meisten davon im Juni.
Schritt 6: Sag Danke
An dieser Stelle wollen wir uns auch bei unseren Familien, Freund:innen und Haustieren bedanken – immerhin haben die elf Personen in unserem Team insgesamt 15 Kinder zwischen zwei und 31 Jahren und ein zweijähriges Enkelkind. Sie alle haben wir in den vergangenen sechs Monaten sträflich vernachlässigt. Danke im Speziellen an die Partner:innen, die uns tagsüber produktentwickeln und nachts schreiben ließen. Und danke an die anderen Menschen im Haus, die uns immer unterstützt haben – Marketing, Controlling, IT Dev und IT Ops, HR, Empfang, Einkauf, Gebäudemanagement. Ah ja: Danke an die Menschen, die uns das Budget für die Sodastream-Maschine freigegeben haben – ein Gamechanger!
Gesprächspartner:innen
Das Produktentwicklungsteam WZ Neu hat für die Produktentwicklung unter anderem mit folgenden Medienexpert:innen gesprochen, mit einigen haben oder hatten wir ein Vertragsverhältnis:
Dejan Jovicevic und das Team vom Brutkasten
Jana Mack und Yogi aka Julia Breitkopf von Inselmilieu
Peter Schink, stv. Chefredakteur von t-online.de
Peter Kirchner, Gründer und Geschäftsführer von Kirchner+Robrecht
Michael Geffken, ehemaliger Direktor und Geschäftsführer der Leipzig School of Media
Stefan Lassnig und das Team von Missing Link Media
Lyndsey Jones und das Team von Table Stakes Europe
Boris Kühnle, Professor für Medienwirtschaft und Finanzmanagement in TIME-Märkten sowie Studiendekan an der Hochschule der Medien in Stuttgart
Tom Standage, stellvertretender Chefredakteur des Economist
Yousef Anani, BBC Journalist und Creative Director
Jon Hill, Creative Director und Partner bei Tortoise Media
Ulrik Haagerup, Gründer und Geschäftsführer des Constructive Institute an der Universität Aarhus (DK)
Julius Tröger, Leiter Datenteam Die Zeit Online
Jonathan Sachse, Leitung Correctiv.Lokal
Lorenz Maroldt, Chefredakteur Tagesspiegel
Helena Wittlich, Redakteurin Tagesspiegel Innovation Lab
Jacob Fuglsang, Redakteur Tageszeitung Politiken (DK)
Leonhard Dobusch, Professor am Institut für Organisation und Lernen an der Universität Innsbruck und ZDF-Verwaltungsrat
Peter Sim, Freier Datenjournalist und Lektor
Daten und Fakten
Die sozialen Medien werden immer wichtiger für den Nachrichtenkonsum
Bei jungen Menschen wird TikTok als Nachrichtenkanal immer wichtiger
Die Nachrichtenvermeidung ist in den vergangenen Jahren langsam aber stetig angestiegen – mehr als ein Drittel der Menschen vermeidet aktiv Nachrichten
Quellen
Das WZEVI-Gesetz wurde am 27. April 2023 im Nationalrat beschlossen. Es bildet die Grundlage für die Arbeit der WZ.
Der Digital News Report des Reuters Institute gibt Aufschluss über den Medienkonsum weltweit.
Das Bonn Institute bietet eine Definition zu konstruktivem Journalismus.
Informationen zur Nachrichtennutzung junger Menschen finden sich auf den Seiten der #UseTheNews-Initiative
Die WZ nimmt 2023 auch am Table Stakes Europe Programm der WAN-IFRA teil, bei dem wir gemeinsam mit anderen Medienhäusern von der Süddeutschen Zeitung bis zur finnischen Karjalainen von internationalen und europäischen Expert:innen zur digitalen Transformation beraten werden.
Das Thema in anderen Medien
Eine kleine Auswahl zur Diskussion um die Zukunft von Medienhäusern:
Source: Hannah Birch: Calling all platypuses. Wie und mit welchen Kompetenzen Journalismus der Zukunft weiterentwickelt werden muss.
Horizont: Neurowissenschaftlerin Maren Urner zu konstruktivem Journalismus
Aus der Medienbranche: