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Wer enge Freundschaften will, muss manchmal Dinge tun, die keinen Spaß machen. Sich darüber aufzuregen ist Peak neoliberale Individualisierung.
In den Instagramkacheln ist die Sache klar: Alle setzten Grenzen. Alle schauen auf ihre Kapazitäten, fragen nach den eigenen Ressourcen, reflektieren ihre Bedürfnisse. Alle entscheiden sich bewusst, ob sie Sachen überhaupt machen wollen, suchen anschließend nach dem perfekten Zeitfenster, hören dabei ständig auf ihre innere Stimme, auf ihr inneres Kind, auf das dritte Sternzeichen von links.
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Therapiefloskeln und Selfcare-Lingo haben sich zu unseren Freundschaften durchgefressen. Keine Lust auf einen Spaziergang mit der depressiven Freundin, weil er dich runterzieht? Nervt dich der Umzug deines besten Freundes am Samstagmorgen, weil du gestern im Praterdome steil gegangen bist? Hast du keine Lust auf die Improtheateraufführung deiner Bestie in einem versifften Altbaukeller, weil es mieft und alle komische Hüte aufhaben? Keine Sorge, die Selbstfürsorge-Apostel haben gesprochen: „Nein!“ ist ein ganzer Satz; Grenzen setzen und fertig.
Natürlich kann gesellschaftliche Teilhabe manchmal anstrengend sein.
Da stellt sich schon die Frage, ab wann es normal geworden ist, mit den eigenen Freund:innen so zu sprechen, als wäre man der überambitionierte Personalverrechner eines Medien-Startups. Die eigenen Bedürfnisse ehrlich zu kommunizieren, schön und gut, das sollte übrigens die Grundlage einer gesunden Freundschaft sein, aber davon auszugehen, dass enge Beziehungen zu anderen Menschen keine Solidarität, kein Engagement und hin und wieder Aufopferung brauchen, ist nicht nur illusorisch, sondern auch Ausdruck neoliberaler Individualisierung.
Natürlich kann gesellschaftliche Teilhabe manchmal anstrengend sein. Wer tiefgehende, langanhaltende Freundschaften will, muss aber eben auch immer wieder Sachen machen, die einem nicht gefallen. Ständig mit „Selfcare-Phrasen“ um sich zu werfen, als wäre man ein leibgewordenes LinkedIn-Posting, macht einen dabei nicht nur verdammt anstrengend, sondern am Ende auch verdammt einsam. Irgendwann muss man nämlich selbst umziehen, braucht einen aufheiternden Spaziergang mit einer guten Freundin oder ein paar freundliche Gesichter in einem Publikum.
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Infos und Quellen
Genese
Auf Social Media wird „Grenzen setzen“ in Freundschaften gefeiert. WZ-Redakteurin Eva Sager hält dagegen.
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