Der eigentliche Skandal des ORF-Transparenzberichtes ist nicht, dass einige wenige sehr viel verdienen, sondern dass einige wenige (fast ausschließlich Männer) sehr viel verdienen, während sehr viele (meist Frauen) sehr wenig verdienen.
Der ORF war in den letzten Wochen medial sehr präsent. Auch in der eigenen Berichterstattung. Allerdings nicht wegen der Qualität ebenjener, sondern einerseits wegen der Veröffentlichung von Chats, die den Einfluss der FPÖ auf den ORF offenlegten, und andererseits wegen der Veröffentlichung des Transparenzberichtes, den der ORF nun aufgrund der neu geregelten Gebührenabgabe publizieren muss, inklusive all jener, die innerhalb des Hauses über 170.000 Euro jährlich verdienen.
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Männergagen
Die Liste der ORF-Topverdiener führt, es ging breit durch alle Medien, der Ö3-Moderator Robert Kratky mit einem Jahresverdienst von etwa 443.894 und monatlichen Nebeneinkünften von 8.500 Euro an, gefolgt von Hauptabteilungsleiter Pius Strobl mit 425.677 Euro und monatlichen Nebeneinkünften von 2.500 und Generaldirektor Roland Weißmann mit 425.000 Euro. Während diese teils obszön hohen Gagen (die durch die Nebeneinkünfte, die in Österreich, anders als in anderen europäischen Ländern, erlaubt sind, noch obszöner werden) breit skandalisiert wurden, blieb folgender Skandal fast unbesprochen: Auf der Liste der 58 Topverdiener:innen des ORF finden sich insgesamt nur 14 Frauen.
Die drei Personen, die im ORF über 300.000 verdienen, sind allesamt Männer.
Und auch abseits der Auflistung der Topgehälter zeigt die Aufschlüsselung der Gehaltsstrukturen nach Geschlecht im Bericht deutliche Unterschiede im Einkommen zwischen Frauen und Männern. Die drei Personen, die im ORF über 300.000 verdienen, sind, siehe oben, allesamt Männer. In der Gruppe der Einkommen zwischen 200.000 und 300.000 finden sich 21 Männer und 8 Frauen. In der Gruppe jener, die zwischen 150.000 und 200.000 verdienen, sind 47 Männer und 16 Frauen, bei jenen mit Einkünften zwischen 100.000 und 150.000 sind 408 Männer und 148 Frauen, bei jenen mit Einkünften zwischen 75.000 und 100.000 sind 606 Männer und 349 Frauen. Erst in der Gruppe der Einkünfte zwischen 50.000 und 75.000 dreht sich das Geschlechterverhältnis. Hier finden sich 511 Männer und 599 Frauen. Nur bei jenen die unter 50.000 verdienen, finden sich viel mehr Frauen (nämlich 473) als Männer (236).
Performative Symbolpolitik
Warum führe ich das so detailliert aus? Weil der ORF als öffentlich-rechtliches Medium, das mit öffentlichen Geldern finanziert wird, eine besondere Verantwortung hat. Und diese besondere Verantwortung hat er auch, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht. Aber: Beim ORF verdienen Frauen strukturell weniger als Männer, das zeigt der Bericht deutlich. Auch beim ORF ist Geld Männersache. Auch beim ORF verdienen vor allem die Männer gut. Wer öffentliche Gebühren erhält, hat mit diesen Gebühren gewissenhaft und fair umzugehen. Männlichen Moderatoren halbe Millionen jährlich auszuzahlen (die sie sich noch mit Nebeneinkünften aufbessern), während Frauen mit Peanuts abgespeist werden, ist immer inakzeptabel, aber noch inakzeptabler wird es, wenn die halbe Million und die Peanuts das Geld von Steuerzahler:innen sind.
In jeder Sendung zu gendern, reicht nicht, wenn man dort, wo es wirklich um etwas geht, nämlich bei Macht und Geld, wie fast alle anderen Institutionen in diesem Land, ebenso auf Frauen pfeift und beides an Männer verteilt. Von performativem Symbolpolitik-Pseudofeminismus kann sich keine Frau etwas kaufen. Weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn.
Frauengagen
Hätte der ORF die 58 geringsten Verdienste des Hauses veröffentlicht statt der 58 höchsten, wäre der Skandal ziemlich sicher ein noch größerer, denn viele Hörer:innen und Zuseher:innen können sich kaum vorstellen, mit welchen Verträgen, Bedingungen und Honoraren jene Personen abgespeist werden, die die Sendungen, die sie gern hören und sehen, gestalten. Das gilt, wie immer, vor allem für die freien Mitarbeiter:innen. „Prekär sind die Arbeitsverhältnisse der freien Mitarbeiter des ORF ─ ebenso wie in anderen Branchen freilich. Wir werden pro Beitrag bezahlt, nicht nach tatsächlichen Arbeitsstunden. Die Bandbreite ist groß: Besonders bei aufwendigen Sendungen, wie einstündigen Features, kommt man nur auf wenige Euro pro Stunde. Selten kommt man ─ allgemein gesprochen ─ über zehn Euro Stundenlohn. Brutto.“, berichtete Anna Soucek von Ö1 vor einigen Jahren in einem Gespräch mit der Tageszeitung Der Standard.
Die, die den Großteil der Arbeit leisten, bekommen ein paar Euro in der Stunde.
Es sind allerdings jene schlecht bezahlten und prekär arbeitenden Freien, die im ORF-Radio den Großteil der Beiträge gestalten. Während die einen wenigen (fast immer Männer) pro Monat mehr verdienen als die meisten Österreicher:innen pro Jahr, bekommen die anderen vielen (meist Frauen), die den Großteil der Arbeit leisten, ein paar Euro in der Stunde.
ORF-Prekariat
Letztes Jahr thematisierte die Journalistin Jana Wiese auf ihrem Blog, auf Social Media und in zahlreichen Interviews die entwürdigenden Arbeitsbedingungen, unter denen Freie im ORF arbeiten müssen. So berichtete sie beispielsweise davon, dass sie in ihren vier Jahren beim ORF nie mehr als 32 Stunden am Stück angestellt war, denn eine Sonderregelung für den ORF erlaubt ihm, anders als allen anderen Institutionen und Unternehmen, diese Art von Mini-Beschäftigungen und „unendliche, wiederkehrende Befristung“. So werden freie Mitarbeiter:innen oft jahrelang ausgebeutet, in der (meist vergeblichen) Hoffnung, doch irgendwann angestellt zu werden. Jana Wiese berichtete davon, dass sie während ihrer Zeit beim ORF zweimal ohne Krankenversicherung dastand und davon, wie schwierig es ist, als Freie von den geringen Gagen zu leben, davon, dass Unfälle, Krankheiten oder Schwangerschaft existenzbedrohend sind und Planung unmöglich. „Als „Freie“ Radio für Ö1 zu machen, fühlt sich für mich an wie glorifizierte Tagelöhnerei“, schreibt sie.
Freie Mitarbeiter:innen werden oft jahrelang ausgebeutet.
Sie endet ihren Text mit den Worten: „Ich bin es leid, für ein Unternehmen zu arbeiten, das sich nach außen so jung und divers gibt und gleichzeitig durch gesetzlich abgesicherte Vertragsstrukturen dafür sorgt, dass man es sich leisten können muss, dort zu arbeiten. Ich bin es leid, für ein Unternehmen zu arbeiten, das junge, engagierte Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse drängt und ihnen jahrelang die Karotte einer „echten“ Anstellung vor die Nase hält, die für die meisten aber doch nie Realität wird.“
Der eigentliche Skandal des ORF-Transparenzberichtes ist also nicht, dass einige wenige sehr viel verdienen, sondern dass einige wenige (fast ausschließlich Männer) sehr viel verdienen, während sehr viele (meist Frauen) sehr wenig verdienen. Und das unter schwierigsten Bedingungen. Eine Aufschlüsselung ebendieser fehlt allerdings im Transparenzbericht und in der Berichterstattung zu ihm.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Quellen
Der Standard: Freie ORF-Mitarbeiter: "Selten kommt man über zehn Euro Stundenlohn"
zuckerbäckerei.com: Ö1 – vorbei
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: ORF trennt sich von Philipp Jelinek: Der lange Abschied des blauen Vorturners
Der Standard: ORF-Gehaltsschere: Prekariat neben Topgagen
Der Standard: Wann Eingriffe bei ORF-Pensionen, Abfertigungen und Zulagen möglich sind
Der Standard: Kettenverträge und "Karotte vor der Nase": Ö1-Journalistin rechnet mit ORF-Prekariat ab
Der Standard: Was hinter den ORF-Gagen steckt
Der Standard: ORF-Spitzengehälter – die komplette Liste: Kratky vor Strobl und Weißmann
Kleine Zeitung: Die Liste ist durchgesickert: Gehälter bis 443.894 Euro
Kurier: 91.400 Euro jährlich: So viel verdient man im Schnitt beim ORF