Die Szene-Gastronomen Andreas Knünz und Manuel Köpf, die in Wien das Wirr und den Adlerhof betreiben, sollen einen Angestellten geschlagen, andere beleidigt und Löhne absichtlich zu spät ausbezahlt haben. Videos und Mails untermauern die Vorwürfe.
Junge Männer mit Schnauzer servieren vegane Burger mit hausgemachten Pommes. An der Wand hängt moderne Kunst. Die Toilette ist genderneutral. „Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um wegzuschauen“, steht auf einem Sticker neben dem Waschbecken. Das Wirr in der Wiener Burggasse ist ein hippes Lokal im hippen siebten Bezirk. Vor dem Tresen geht es achtsam zu. Dahinter sollen eklatante Missstände herrschen, wie ehemalige Mitarbeitende berichten.
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Die WZ hat mit über 20 Ex-Angestellten der Lokale Wirr am Brunnenmarkt, Wirr in der Burggasse und dem Adlerhof gesprochen. Alle drei werden von den Gastronomen Andreas Knünz und Manuel Köpf geführt. Die Vorwürfe gegen sie sind schwerwiegend. Es geht um Gewalt, derbe Beleidigungen, verweigerte Löhne, Klagsdrohungen bei öffentlicher Kritik. Die Betroffenen haben sie der WZ unabhängig voneinander geschildert und untermauern ihre Aussagen mit Mails und Videos.
Video zeigt Gewalt gegen Koch
Eines der Videos beginnt mit Ahmad, der Koch im Wirr war. Er steht barfuß in seiner Wohnung. Wirr-Chef Knünz nimmt Ahmads Schuhe und stellt sie vor die Eingangstür. Dabei sagt er kein Wort. „Warum räumst du meine Sachen weg?“, fragt Ahmad. Keine Antwort. Ahmad stellt sich Knünz in den Weg. Knünz rempelt ihn weg. Plötzlich kommt der zweite Geschäftsführer Köpf ins Bild und stößt Ahmad aggressiv nach hinten. Ahmad kracht gegen die Wand. „Hast du ein scheiß Problem, oder was?“, fragt Köpf. „Warum schlägst du mich?“, antwortet Ahmad.
Hast du ein scheiß Problem, oder was?Manuel Köpf, Geschäftsführer
Knünz räumt weiterhin Ahmads Sachen aus der Wohnung. Er schleift ein Schuhregal hinaus. Als er wieder in die Wohnung kommt, stellt sich Ahmad ihm erneut in den Weg. Knünz zerrt ihn am Pullover. Köpf folgt ihm. Beide rammen Ahmad. Verwackeltes Bild, schmerzhaftes Stöhnen. Das Video bricht ab.
Polizei stürmt die Wohnung
Die WZ hat Ahmad gefragt, wie es zu der Situation im Video gekommen ist. Er möchte dazu aber nichts sagen. Sein ehemaliger Kollege Tim, der ihn nach dem Vorfall zur Arbeiterkammer begleitet hat, kennt seine Geschichte im Detail – und erzählt sie der WZ.
„Ahmad wollte eine Gehaltserhöhung, aber die Chefs wollten ihm keine geben. Daraufhin wollte er kündigen, weil er mehr Geld brauchte“, erzählt Tim. Der WZ liegen Screenshots von Ahmads Konto vor: Er bekam knapp unter 1.300 Euro netto pro Monat. „Offiziell war er als Küchenhilfe angestellt, doch er war de facto eher der Küchenchef. Er hat in allen drei Lokalen gearbeitet und war immer verfügbar, da er in ihrer Dienstwohnung zur Miete wohnte“, sagt Tim.
Ein paar Tage, nachdem Ahmad mehr Gehalt gefordert hatte, sei er krank geworden und deshalb nicht zur Arbeit erschienen. „Die Chefs haben seinen Krankenstand offenbar als Protest verstanden. Daher sind sie eine Stunde nach Dienstbeginn mit ihrem Schlüssel in seine Wohnung gegangen. Ahmad hat noch geschlafen, als Knünz und Köpf ihm die Bettdecke wegzogen und ihn aus dem Bett zerrten“, erzählt Tim. Dann haben die Geschäftsführer seine Sachen rausgeräumt und ihn geschubst. Ein Freund von Ahmad, der ebenfalls im Wirr gearbeitet hat, filmt die Szene mit seinem Handy mit. So richtig eskaliert sei die Situation aber erst danach.
Ahmad hat keine Luft bekommen und Knünz in die Hand gebissen.Tim, ehemaliger Kollege von Ahmad
„Knünz hat Ahmad in einen Würgegriff genommen und ihm ins Gesicht geschlagen. Ahmad hat keine Luft bekommen und Knünz in die Hand gebissen“, sagt Tim. Auch Ahmads Freund soll geschlagen worden sein, als die Chefs mitbekamen, dass er filmte. Nach der Eskalation ruft Ahmad die Polizei, auch die Geschäftsführer tun das. „Sie haben behauptet, Ahmad habe sie mit einem Elektroschocker und einem Messer attackiert. Daher hat eine bewaffnete Einheit der Polizei die Wohnung gestürmt und nach Waffen durchsucht, aber nichts gefunden“, erzählt Tim.
Die Geschäftsführer antworten auf Anfrage der WZ: „Wir wurden tatsächlich mit einem Elektroschocker und einem Messer angegriffen. Warum die Polizei diese Waffen nicht gefunden hat, wissen wir nicht, es waren mehrere Personen in der Wohnung und die Waffen sind leicht zu verbergen.“ Im Video soll außerdem lediglich ihre Verteidigung auf den vorausgehenden Angriff zu sehen sein, nicht aber der Angriff selbst. Die Frage nach dem Würgegriff und den Schlägen ins Gesicht bleibt unbeantwortet.
Diversion mit Probezeit für Knünz und Köpf
Der Fall landet bei der Staatsanwaltschaft Wien. Vier Personen – Ahmad, sein Freund und die beiden Geschäftsführer – werden alle wegen Körperverletzung angezeigt. Ahmad zusätzlich noch wegen einer gefährlichen Drohung. Konkret geht es bei der Körperverletzung durch Ahmad um den Biss. Er wird aber freigesprochen, da er sich mit dem Biss nur geschützt haben soll. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren wegen der gefährlichen Drohung aufgrund mangelnder Beweise ein, genauso das Verfahren gegen Ahmads Freund.
Den Geschäftsführern bietet die Staatsanwaltschaft hingegen eine Diversion an. „Wir haben ein Diversionsangebot ohne Schadenersatzleistung und ohne Strafe angenommen, weil wir die Sache erledigt haben wollten. Wir wollten uns mit dem Fall und diesem Mann nicht auseinandersetzen“, sagen die Geschäftsführer auf Anfrage der WZ. Zwar mussten sie keine Strafe zahlen, aber sie unterzogen sich einer Probezeit, wie Informationen der Staatsanwaltschaft Wien bestätigen.
4.000 Euro Vergleichszahlung für Ahmad
Ahmad wird noch am Tag des Vorfalls fristlos entlassen. Er geht zur Arbeiterkammer. In einem Schreiben, das der WZ vorliegt, heißt es, Ahmad sei wegen eines „tätlichen Angriffs gegen den Arbeitgeber fristlos“ entlassen worden. Die Arbeiterkammer stellt klar, dass der Arbeitnehmer dieser Darstellung widerspricht. „Die Entlassung erfolgte daher zu Unrecht“, heißt es in dem Schreiben. Die Arbeiterkammer fordert sämtliche Unterlagen, um die finanziellen Ansprüche von Ahmad zu prüfen.
Das Ergebnis: Sie fordern rund 7.000 Euro für Ahmad. Der Fall landet beim Arbeits- und Sozialgericht Wien. Dort wird der WZ auf Anfrage mitgeteilt, dass „das Verfahren mit einem Vergleich“ beendet wurde. Ein Blick auf die Screenshots von Ahmads Konto zeigt: Rund 4.000 Euro hat er am Ende von seinem Anwalt überwiesen bekommen. Auf Anfrage der WZ antworten die Geschäftsführer dazu: „Wir haben die mit der Entlassung fällig gewordenen Ansprüche bezahlt.“
Kein Gehalt, weil „kein Bock“
Es sind nicht die einzigen Vorwürfe, die ehemalige Mitarbeiter:innen gegen die Gastronomen erheben. Die drei Wiener Lokale ziehen im Service vor allem junge Menschen an, die neben dem Studium Geld verdienen wollen. Eine davon ist Lea. Sie kündigt wegen der schlechten Arbeitsbedingungen bereits nach drei Monaten. Dann wartet sie auf ihr letztes Gehalt, doch es kommt nicht. Sie versucht, ihre ehemaligen Chefs per SMS und Mail zu erreichen, aber sie bekommt keine Antwort. Daher geht sie zu ihnen ins Büro. Knünz ist allein dort. Aus Angst vor einer Eskalation filmt sie mit ihrem Handy mit.
„Wann bekomme ich mein Gehalt?“, fragt Lea im Video, das der WZ vorliegt. „Steht in den Sternen“, antwortet Knünz. Auf dem Bild sind nur ihr weißes Kleid und ihre schwarzen Schuhe zu sehen. Die WZ hat das Video mehreren Personen vorgespielt, die Knünz kennen. Sie bestätigen, dass es sich um seine Stimme handelt.
„Das steht nicht in den Sternen. Ich möchte das diese Woche überwiesen bekommen. Mein Gehalt, das mir zusteht“, sagt Lea. Sie verweist auf ihre Nachrichten. Darauf, dass das Gehalt schon seit mehr als zwei Wochen bei ihr sein müsste. „Ja, stimmt. Ich habe es nicht gemacht“, antwortet Knünz. „Wieso nicht?“, will Lea wissen. „Ich hatte keinen Bock“, antwortet Knünz. „Keinen Bock?“, wiederholt Lea verärgert. Sie dreht sich um und beendet das Video.
Ich hatte keinen Bock.Andreas Knünz, Geschäftsführer, als Antwort auf die Frage, warum das Gehalt nicht überwiesen wurde
Lea ist nicht die Einzige, die von zurückgehaltenen Gehältern erzählt. Der WZ liegt ein weiteres Schreiben der Arbeiterkammer vor, die in einem anderen Fall die Geschäftsführer zur Gehaltszahlung auffordern musste. Knünz und Köpf antworten auf Anfrage der WZ, Löhne nur zu spät ausbezahlt zu haben, wenn die Stundenliste verspätet eingereicht wurde.
Sexistische Beleidigungen
Ehemalige Mitarbeiterinnen berichten zudem von sexistischen Beleidigungen. Eine davon ist Sara. Auch sie hat bereits nach zwei Monaten gekündigt. Einen Tag später findet ein Gespräch zwischen ihr und den Chefs statt. Nach dem Gespräch erhält Sara eine Mail von Knünz mit einer Verwarnung wegen respektlosen Verhaltens gegenüber dem Arbeitgeber. Sara antwortet mit einer Stellungnahme, in der sie festhält, dass Knünz sie mehrmals mit „Du scheiß Zicke, halt dein Maul“ beschimpft hat. Der WZ liegt der gesamte Mailverkehr vor.
Knünz antwortet: „Dann merke ich auch an, dass ‘Du Scheiß Zicke, halt’s Maul’ niemals in dem Zusammenhang gesagt wurde beziehungsweise das Wort scheiß nicht gesagt wurde. Dein zickiges Verhalten können von einem Mitarbeiter am Brunnenmarkt und von einem Mitarbeiter im Adlerhof bestätigt werden.“ Neben Sara erzählt auch Lea von Beleidigungen: „Als ich das Video beendet habe und mich bei der Tür nochmal umdrehte, hat Knünz mir beide Mittelfinger gezeigt und mich leise eine Fotze genannt.“ Auf Nachfrage der WZ streiten die Geschäftsführer ab, Mitarbeiterinnen beleidigt zu haben.
Drohungen vom Anwalt
Alle ehemaligen Angestellten, die mit der WZ gesprochen haben, blicken kritisch auf die Geschäftsführer und ihre Lokale zurück. Drei von ihnen haben daher beschlossen, ihre Erfahrungen in Rezensionen auf Google zu veröffentlichen. „Zwei Wochen später haben wir eine Mail vom Anwalt der Chefs bekommen, in der uns mit einer Klage gedroht wurde, wenn wir nochmal so einen Kommentar schreiben sollten“, erzählt einer von ihnen. Er legt der WZ den gesamten Mailverkehr vor.
„Dieser Text ist in seinem Inhalt zur Gänze unrichtig und kreditschädigend“, heißt es im Schreiben vom Wirr-Anwalt. Die drei bestätigen gegenüber dem Anwalt, solche Aussagen in Zukunft zu unterlassen, da sie Angst vor einer Klage haben. „Ich weise dennoch darauf hin, dass die Inhalte meiner Aussagen der Wahrheit entsprechen“, heißt es in einer der Antworten an den Anwalt. Knünz und Köpf bestätigen, sich gegen „pauschale und unrichtige Vorhalte“ gewehrt zu haben.
Ähnlich geht es der WZ. Unsere Fragen beantworten die beiden Geschäftsführer zuerst nicht. Stattdessen landet das Schreiben ihres Anwalts in unserem Postfach. Er fordert uns auf, die Recherchen einzustellen. „Eine objektive Recherche ist nicht mehr vorstellbar“, schreibt er. Unsere Fragen seien zu aggressiv formuliert, sie würden vor Voreingenommenheit strotzen.
Miserable Arbeitsverhältnisse
In den Fragen haben wir aber lediglich die Vorwürfe der Mitarbeitenden aufgegriffen: zu späte Lohnauszahlungen, nicht nachvollziehbare Trinkgeldauszahlungen, Beleidigungen, Kündigungen wegen Krankenständen, keine Pausen, Nachzahlungen aus eigener Tasche bei Fehlständen. Erst nach mehrfacher Aufforderung werden unsere Fragen beantwortet und alle genannten Vorwürfe abgestritten.
„Ich arbeite seit über zehn Jahren in der Gastro und habe schon viel erlebt, aber das ist schon ein anderes Level“, sagt Tim rückblickend auf seine Zeit im Wirr. Er war über die Arbeitsbedingungen und den rauen Umgang der Chefs erstaunt, da die Lokale „ganz cool“ gewirkt hätten. Damit ist er nicht allein. Die selbstgemachten Limonaden und die recycelten Holzmöbel täuschen. Erst mit dem Blick hinter die Kulissen kann der dunkle Schatten auf der hippen Fassade erkannt werden.
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Infos und Quellen
Update
In der heute um 05:00 Uhr veröffentlichten Version dieser Geschichte, haben wir Andreas Knünz falsch geschrieben. Um 10:00 Uhr haben wir das korrigiert.
Genese
Schlechte Bezahlung, zu wenig Ruhezeit und ein rauer Umgangston ist in vielen Gastro-Betrieben gang und gäbe. Doch die Erzählungen von ehemaligen Mitarbeitenden der Lokale von Andreas Knünz und Manuel Köpf gehen darüber hinaus. WZ-Trainee Markus Hagspiel hat mit über 20 von ihnen gesprochen, um die Missstände in den Wiener Szene-Lokalen aufzudecken.
Gesprächspartner:innen
Ehemalige Mitarbeitende vom Wirr am Brunnenmarkt, Wirr in der Burggasse und dem Adlerhof (Namen von der Redaktion geändert)
Andreas Knünz und Manuel Köpf, Geschäftsführer der Smile Holding GmbH
Pressestelle Polizei Wien
Pressestelle Staatsanwaltschaft Wien
Jasmin Haindl, Expertin für Arbeitsrecht an der Arbeiterkammer Wien
Daten und Fakten
Knünz und Köpf betreiben mehrere Lokale unter der Smile Holding GmbH, nämlich das Wirr Brunnenmarkt, Wirr Burggasse und Cafe Adlerhof.
Ehemalige Angestellte, die mit der WZ gesprochen haben, werfen Knünz und Köpf vor, Trinkgelder zu stehlen. „Der Arbeitgeber darf das nicht einsacken. Das Trinkgeld kommt von den Gästen an das Personal und steht daher diesem vollkommen zu“, sagt Jasmin Haindl von der Arbeiterkammer Wien. Knünz und Köpf bestreiten, Trinkgelder eingesteckt zu haben. Aus ihrer Sicht sei die Auszahlung transparent. Alle Mitarbeitenden, mit denen die WZ gesprochen hat, sehen das anders.
Ehemalige Angestellte, die mit der WZ gesprochen haben, erzählen, wegen Krankenstand oder einer Verletzung gekündigt worden zu sein. Knünz und Köpf bestreiten dies auf Anfrage der WZ.
Zwei ehemalige Angestellte, die mit der WZ gesprochen haben, berichten von erfundenen Fehlständen, die sie aus eigener Tasche zahlen mussten. Von Zahlungen bis zu 300 Euro ist die Rede. Die Mitarbeitenden bestreiten dabei, irgendetwas geklaut zu haben. Sie werfen den Chefs vor, die Fehlstände erfunden zu haben. Knünz und Köpf betonen auf Anfrage der WZ, nur in „eindeutigen Fällen“ die Mitarbeitenden zur Nachzahlung von Fehlständen aufgerufen zu haben.
Die Beschäftigungsdauer in der Gastro liegt bei durchschnittlich 33 Monaten und ist damit wesentlich kürzer als in anderen Branchen. Laut einer Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), die im Auftrag der Arbeiterkammer Wien erstellt wurde, ist das Arbeitsklima im Hotel- und Gastgewerbe häufig schlecht. Beschäftigte berichten von einem unangemessenen Umgangston, Diskriminierung und sexueller Belästigung. Knapp die Hälfte der Beschäftigten in der Gastro ist im Ausland geboren. Zudem arbeiten im Hotel- und Gastgewerbe sehr viele Menschen, die erst seit kurzer Zeit in Österreich leben.
Quellen
Videos, Screenshots, Fotos und Mails ehemaliger Mitarbeitender
Polizei Wien
Staatsanwaltschaft Wien
Das Thema in der WZ
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