Georg Renner analysiert die Entwicklung des Religionsbekenntnisses der Bevölkerung in Österreich.
Nachrichtlich gab es diese Woche kaum ein Vorbeikommen am Tod von Papst Franziskus und dem damit bevorstehenden Konklave. Das, könnte man einwenden, ist doch keine politische Angelegenheit. Im Gegenteil, würde ich sagen, es gibt da eine ganze Reihe von Bezugspunkten zur österreichischen Innenpolitik.
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Um die Bedeutung dieses Ereignisses einschätzen zu können, hätte ich gern aktuelle Zahlen vorgelegt, wie vielen Österreicher:innen gerade ihr kirchliches Oberhaupt abhandengekommen ist. Nur ist das keine leichte Übung, denn die Zeit, in der die Republik präzise erfasst hat, wie viele Angehörige welcher Religionsgemeinschaft hier leben, ist lang vorbei.
Bis 2001 hat die Statistik Austria alle zehn Jahre eine Volkszählung durchgeführt – also eine komplette Erfassung des österreichischen Menschenbestandes: Mitarbeiter:innen der Statistik sind buchstäblich von Haus zu Haus gegangen und haben die Leute bei verpflichtender Teilnahme befragt, wer sie sind, wie viele Kinder sie haben und viele andere Dinge – und eben auch, welcher Glaubensgemeinschaft sie angehören.
Mit dieser eher archaischen Methode der Bevölkerungserfassung war es 2001 aber vorbei: Wie die meisten entwickelten Staaten hat Österreich damals auf eine „Registerzählung“ umgestellt. Seither fließen die Daten aus unterschiedlichsten amtlichen Registern – etwa dem Meldeverzeichnis – automatisch (und anonymisiert) an die Statistik Austria, die daraus im Zusammenspiel mit Befragungen viel kleineren Maßstabs, dem Mikrozensus, ihre supersexy Statistiken zimmert.
Keine genauen Daten zur Religionszugehörigkeit
Wunderbar, das alles: Verwaltungsvereinfachung durch Digitalisierung, kann man sagen. Das Problem: Einen zentralen Datensatz, in dem die Religionszugehörigkeit der Österreicher:innen erfasst ist, gibt es nicht. Punktuell wird das zwar schon erfasst, aber zentral zusammengeführt wird das aus Rücksicht auf den Datenschutz nirgends. (Der blau-schwarze Gesetzgeber von 2001 hat zum Beispiel im §14 Meldegesetz Sorge getragen, dass nicht einmal das örtliche Verzeichnis der Meldedaten nach der Religionszugehörigkeit sortiert werden kann.)
Unterm Strich heißt das: Wir wissen nicht präzise, wie viele Katholik:innen, Protestant:innen, Muslim:innen und so weiter es in Österreich exakt gibt und wie sich diese Zahlen verändern. 2021 hat die türkis-grüne Bundesregierung bei der Statistik Austria eine Zusatzfrage zum Mikrozensus bestellt, die hochgerechnet folgendes Bild ergeben hat:
Das ist ein beachtlicher Rückgang: Bei der letzten Volkszählung 2011 hatten sich noch fast sechs Millionen zur (katholischen) Kirche bekannt. Stark gewachsen sind seither vor allem die orthodoxe Glaubensgemeinschaft und die Zahl der Menschen ohne Bekenntnis, beide haben sich binnen dieser 20 Jahre verdoppelt.
In Wien ist das Bild erwartungsgemäß ein bisschen anders:
Schon 2021 stellten die Menschen ohne Bekenntnis hier die (relative) Mehrheit, auch hier wachsen die Anteile der Orthodoxen und Muslim:innen stark, während die katholische Schar schmilzt. Dazu passt die Statistik, die Neos-Politikerin Bettina Emmerling dieser Tage bei der Stadt Wien ausheben hat lassen:
Ich finde diese Auswahl zwar nachvollziehbar, aber auch etwas verwirrend. Weil die Stadt nur die Schulen in ihrer Zuständigkeit ausweist, haben wir hier kein klares Religionsbild der Wiener Kinder, sondern nur jener in Volksschulen sowie Mittelschulen; ich vermute, würde man die Unterstufen der Gymnasien sowie Privatschulen dazunehmen, würde sich das Bild recht deutlich Richtung „ohne Bekenntnis“ bzw. der christlichen Bekenntnisse verschieben, aber das für sich würde auch wieder etwas aussagen.
Kein zentrales Erhebungsmerkmal
Leider werden auch die Zahlen der Bundesschulen nicht erfasst. Der damalige Bildungsminister Martin Polaschek ließ auf eine entsprechende Anfrage des FPÖ-Abgeordneten Hermann Brückl 2023 ausrichten:
In der auf Grundlage des Bildungsdokumentationsgesetzes 2020 durchgeführten Bildungsdokumentation stellt das Religionsbekenntnis von Schülerinnen und Schülern oder gegebenenfalls die Nichtangabe eines Bekenntnisses kein zentrales Erhebungsmerkmal dar, sodass von den Schulen keine Daten über das Religionsbekenntnis von Schülerinnen und Schülern an die zentralen Evidenzen (Gesamtevidenz der Schülerinnen und Schüler) übermittelt werden. Daher existieren auch keine entsprechenden Statistiken.
Das ist schade, denn die Religion spielt auf etlichen Ebenen in die österreichische Politik hinein – und die Kirche hat da eine absolute Sonderstellung. Durch das Konkordat – einen Staatsvertrag mit dem Heiligen Stuhl – sind zum Beispiel acht unserer 13 gesetzlichen Feiertage völkerrechtlich fixiert, weitere drei (Oster- und Pfingstmontag sowie der Stefanitag) sind ebenfalls christliche Feste. Rein agnostisch sind nur zwei Feiertage, der Staatsfeiertag am 1. Mai und der Nationalfeiertag am 26. Oktober. Das Konkordat regelt außerdem die Sonderstellung des Sonntags, die Bedeutung des Religionsunterrichts und auch das Mitwirkungsrecht der Bundesregierung bei der Ernennung von Bischöfen.
All das könnte vor dem Hintergrund der schwindenden Menge der Katholik:innen in Österreich in den kommenden Jahren durchaus auf den Prüfstand kommen. Und da wird wohl auch eine Rolle spielen, wer das Gegenüber ist – also wer für den Heiligen Stuhl die andere Seite des Konkordats einnimmt.
Gerade bezüglich Österreich wird derjenige recht schnell die Möglichkeit haben, ein Zeichen zu setzen: Der Stuhl des Erzbischofs von Wien, der größten Diözese der Republik, ist seit Jänner verwaist. Wer ihn bekommt und ob Österreich wieder Kardinalssitz wird, obliegt allein dem kommenden Papst.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.