Moderne Österreicherinnen leben nur scheinbar gleichgestellt – In Wahrheit leben sie allerdings auf Kosten anderer Frauen. Das Leben vieler Männer hat sich kaum verändert.
Ich dachte, ich lebe in einer gleichberechtigten Partnerschaft. Bis das Kind kam. 50:50 sah ich als Entscheidung, die man gemeinsam bespricht und trifft. Dabei hätte mich spätestens der Vorschlag meines Freundes, eine Putzfrau zu engagieren, stutzig machen müssen. Um uns zu entlasten, stimmte ich zu. Und was ist jetzt das Problem? Eine Arbeit auslagern, die man nicht machen will oder kann und dafür bezahlen – passt doch, oder?
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Jein. Care-Arbeit wird traditionell von Frauen erledigt. Putzen, waschen, kochen, Kinder erziehen, Alte und Kranke pflegen. Unbezahlt. Werden diese Dienstleistungen ausgelagert, übernehmen das meist wieder Frauen. Babysitterin, Leih-Oma, Erzieherin, Putzfrau, Haushaltshilfe. Bezahlt, aber schlecht.
„Es reicht nicht, sich nur den Arbeitsmarkt anzuschauen“
Gut ausgebildete und besserverdienende Frauen können also arbeiten gehen und Selfcare machen, weil andere Frauen Care-Arbeit übernehmen. Nicht ihr Partner. Ist das dann Gleichberechtigung?
„Die einen gaukeln sich vor, dass sie eh schon total gleichberechtigt sind, weil sie Vollzeit erwerbstätig sein können. Übersehen dabei aber, dass es hauptsächlich auf Kosten von anderen Frauen geht, die in schlechteren Arbeitsverhältnissen stehen“, sagt Katharina Mader, Ökonomin vom Momentum Institut, zur WZ.
Die Idee, dass Erwerbsarbeit finanzielle Unabhängigkeit und damit Gleichberechtigung schafft, wird seit den 1920er-Jahren von der politischen Linken vertreten. Finanzielle Unabhängigkeit ist tatsächlich ein wichtiger Schlüssel, „Erwerbsarbeit ist aber nicht die einzige Perspektive, sonst wandern wir alle ins Burnout“, sagt die Ökonomin. Jahrzehntelange Forschung zeigt, dass es nicht reicht, sich beim Thema Gleichberechtigung nur den Arbeitsmarkt anzuschauen. Unbezahlte Arbeit ist mindestens genauso wichtig. „Gleichberechtigung und Gleichstellung können nicht nur auf der einen Seite passieren“, sagt die Ökonomin. „Man kann Frauen nicht nur auf den Arbeitsmarkt drängen, damit sie finanziell unabhängig sein können, wenn sie nach wie vor den größten Teil der unbezahlten Arbeit umgehängt haben. So entstehen Doppelt- und Dreifachbelastungen.“
Was kann die Politik tun?
Wird in der Politik die Gleichstellung von Mann und Frau gefordert, so wird Erwerbsarbeit in Vollzeit für Frauen und der Ausbau der Kinderbetreuung als Lösung präsentiert. Das ist aber nur ein Puzzleteil, der Gleichberechtigung ermöglicht. Das allein wird es nicht lösen.
Zur Gleichung Vollzeit plus Betreuung müssen laut Katharina Mader eine verpflichtende Karenz für den Partner oder die Partnerin, eine groß angelegte Arbeitszeitverkürzung und eine Sensibilisierung addiert werden.
Kinderbetreuung ist in Österreich Frauensache. 96 Prozent der Erwerbstätigen in Elternkarenz sind weiblich. Das Argument, dass der Mann in der Beziehung halt mehr verdient, ist zumindest beim ersten Kind eher vorgeschoben. Der Gender-Pay-Gap innerhalb der Paare ist in Österreich nämlich sehr gering, bevor das erste Kind geboren wird. Erst danach geht er auseinander. „Die Karenzzeit ist der Anfang vom Ende. In den Ländern, wo es verpflichtende Teilung der Karenzzeit gibt, haben Studien gezeigt, dass in Familien, wo Väter die Karenz zur Hälfte übernehmen, unbezahlte Arbeit langfristig gerechter verteilt ist“, sagt Mader. Das sei eine Art Routineeffekt. Eine Umfrage der Online-Jobbörse Stepstone in Österreich hat ergeben, dass 35 Prozent der Karenz-Väter in Folge in Eltern-Teilzeit arbeiten. Zum Vergleich: Die allgemeine Teilzeitquote unter Männern in Österreich liegt bei elf Prozent. „Es scheint einen Zusammenhang zu geben, dass Männer, die in Karenz waren, ihre Arbeitszeit in Folge reduzieren, weil sie mehr Care-Arbeit übernehmen“, sagt Mader.
Frauen machen Care-Arbeit, Männer Freizeit
Unbezahlte Arbeit erledigen braucht Zeit. Deshalb spricht sich Katharina Mader für eine groß angelegte, generelle Arbeitszeitverkürzung aus. Das allein führe aber nicht automatisch zu einem höheren Anteil der Männer bei unbezahlter Arbeit. In Frankreich wurde Anfang der 2000er-Jahre die 35-Stunden-Woche eingeführt. „Es ging aber nur darum, die Arbeitslosenzahlen zu verbessern“, sagt die Ökonomin. Unbezahlte Arbeit war in dem Zusammenhang kein Thema – dementsprechend hat sich hier nichts verändert. Auch nicht nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, als für die Arbeitnehmer:innen in der produzierenden Industrie Freizeitoptionen möglich gemacht wurden: „Männer haben mehr Freizeit gemacht und nicht mehr unbezahlte Arbeit übernommen“, sagt Mader. Deshalb brauche es gezielte Sensibilisierungskampagnen.
Die wirtschaftsliberale Perspektive
Liberalere Zugänge sehen die Verantwortung mehr im Privaten. „Wir müssen das mehr thematisieren“, sagt auch Monika Köppl-Turyna. Die Ökonomin ist Direktorin der EcoAustria, einem Wirtschaftsforschungsinsitut. „Bei Nachmittagsterminen nach 15 Uhr sage ich dazu, dass es sein kann, dass ich mit Kind komme. Ihr müsst halt drüber nachdenken, wenn ihr Termine am Nachmittag setzt, dass da Familienzeit ist“, so die zweifache Mutter. „Je mehr wir uns trauen, das auszusprechen, desto normaler wird das.“
In Monika Köppl-Turynas Gleichung werden zu Vollzeit plus Ausbau der Kinderbetreuung die Verkürzung der Karenzzeit und die Flexibilisierung des Karenzmodells addiert. Eine verpflichtende Karenz für den Partner oder die Partnerin und eine Arbeitszeitverkürzung lehnt sie ab.
Der Ausbau der Kinderbetreuung sei wichtig, Studien zeigen aber, dass, wenn die Kinder in Betreuung sind und beide Partner:innen Homeoffice machen, Frauen dennoch im Schnitt weniger verdienen. Sie nutzen die Flexibilität und das Zuhause-Sein, um sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Eine andere Studie hat ergeben, dass der Gender-Pay-Gap sogar durch Betreuung und Homeoffice steigen könnte, weil Männer die gewonnene Zeit im Homeoffice für Weiterbildung nutzen. „Die Verteilung der Aufgaben in den Familien ist weltweit einfach überwiegend traditionell. Da helfen uns institutionelle Maßnahmen wenig“, sagt die Ökonomin. „Österreich ist da besonders konservativ.“
Das habe auch mit den langen Karenzzeiten zu tun, meint Köppl-Turyna. Liberale wollen diese verkürzen. „Lange Zeit gab es in Österreich vor dem dritten Lebensjahr des Kindes kaum Betreuung. Als Frau nach zwei Kindern sechs Jahre aus dem Job zu sein, macht den Wiedereinstieg schwer“, sagt die Ökonomin. Eine lange Karenzzeit bei Frauen führt in Folge zu einem niedrigeren Einkommen. „Der Bezug von zwei Jahren Kinder-Betreuungsgeld ist im internationalen Vergleich unüblich lang. Das hilft Frauen nicht.“ Eine kurze Karenz und folgende Vollzeit-Beschäftigung geht aber nur mit ausreichend Betreuungsplätzen. Ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr wäre eine Möglichkeit (wie in Dänemark), ein liberalerer Ansatz ist der Bildungsscheck, wie es ihn in Wien und Kärnten bereits gibt, so Köppl-Turyna. Hier kann das Geld für Betreuungskosten auch in privaten Einrichtungen eingelöst werden (wie in den Niederlanden).
Das Problem mit der Wahlfreiheit
Eine verpflichtende Väterkarenz und eine Arbeitszeitverkürzung hält Köppl-Turyna für problematisch. „Ich bin grundsätzlich kein Fan von Verpflichtungen. Denn es gibt Studien, die zeigen, dass, wenn ein Partner vor dem Kind mehr verdient hat, dieser seltener in Karenz geht. Das ist aus ökonomischen Gründen auch sinnvoll.“ Die Familien zu verpflichten, auf das höhere Einkommen zu verzichten, lehnt die Ökonomin ab. „Ich bin dafür, den Familien die Entscheidung zu überlassen. Ihr Einkommen sollte nicht beschränkt werden.“ Die Politik könne aber den Partnerschaftsbonus erhöhen, um diesen Anreiz zu steigern. Außerdem spricht sich Köppl-Turyna für eine flexible Gestaltung der Karenzregelungen aus. Das System sei zu starr. Das befestige auch die Tatsache, dass der Frauenanteil in der Karenz so hoch ist, sagt Köppl-Turyna.
Aus rein ökonomischer Perspektive ergebe es Sinn, wenn Arbeiten von unbezahlt in bezahlt wandern, da dann die Wirtschaftsleistung steige, sagt auch Katharina Mader. Die Gleichstellungsperspektive sei aber oft eine andere als die ökonomische. „Da muss man manchmal was anderes fordern als aus einer reinen ökonomischen Wohlstands- und Wachstumsperspektive“, sagt die Ökonomin. „Wenn man nicht steuert, macht man das Gegenteil von Gleichstellungspolitik“, sagt Mader. So, wie die Karenzmodelle derzeit ausgestaltet sind, steuern sie nicht. Finanziell zahlt es sich also am besten aus, wenn man es traditionell anlegt. Zu diesem Schluss kommt selbst eine Studie des Bundesministeriums für Frauen, Familie, Integration und Medien. In einzelnen Beziehungen können wir etwas anders machen oder vorleben, aber wir werden nicht weit kommen, wenn die Rahmenbedingungen uns immer wieder zurückschubsen.
Keine Putzfrau ist auch keine Lösung
Unbestritten ist: Unbezahlte Arbeit ist Arbeit. Weder Gesellschaft noch Wirtschaft funktionieren ohne sie. Das heißt nicht, dass man sie nicht zu großen Teilen in bezahlte Arbeit umwandeln kann. Der Staat ist aber in der Verantwortung, anständig zu entlohnen beziehungsweise anständige Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Keine Putzfrau zu haben ist also auch keine Lösung. Und sollte sie ausfallen, gilt es, die Aufgaben gerecht zu verteilen. Wer sich hier auf Routinen verlässt, fällt schnell in traditionelle Muster zurück.
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteurin Anja Stegmaier schaute sich die Wahlprogramme der Parteien in Österreich an. Die Forderungen in Sachen Gleichberechtigung ähneln einander – sofern die Partei grundsätzlich dafür ist. Der Tenor: mehr Frauen in die Vollzeit und mehr Kinderbetreuungsplätze. Die unbezahlte Care-Arbeit wird so gut wie nicht thematisiert. Sie ging der Frage nach, was fehlt, um die Gesellschaft wirklich gerechter zu gestalten.
Gesprächspartnerinnen
Katharina Mader: Senior Economist beim Momentum Institut, einem gewerkschaftsnahen Thinktank. Davor war sie Assistenzprofessorin an der WU Wien.
Monika Köppl-Turyna: Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria. Davor war sie Senior Economist beim wirtschaftsliberalen Thinktank agenda austria.
Daten und Fakten
Agenda Austria: Ein EU-Vergleich der Beschäftigungsmuster von Eltern mit Kindern unter 14 Jahren zeigt, dass nur in den Niederlanden in noch mehr Familien nicht beide Elternteile Vollzeit arbeiten als in Österreich. Das klassische Familienbild, wonach nur der Vater seine Karriere ungestört weiterverfolgt, während die Mutter zurücksteckt, ist nach wie vor fest in den Köpfen vieler Österreicher:innen verankert.
In kaum einen EU-Land ist die „motherhood penalty“ größer als in Österreich. Kürzere Karenzzeiten und eine stärkere Väterbeteiligung würden helfen, die Gehaltslücke effektiv zu reduzieren, meint die agenda austria. Etwa, indem jeder Elternteil maximal ein Jahr in Karenz gehen kann, der nicht in Anspruch genommene Teil der Karenz sollte dabei nicht auf den Partner oder die Partnerin übertragen werden können. Ganztägige Kinderbetreuung, insbesondere in ländlichen Regionen, ist eine notwendige Voraussetzung, um Frauen die individuell gewünschte Erwerbsbeteiligung und dadurch die Chance auf höhere Gehälter zu ermöglichen.
Sobald in Österreich ein Karenzmodell gewählt wird, gibt es nur eine Variante, die für beide Partner:innen gilt (einkommensabhängig oder pauschal). Beim einkommensabhängigen Modell gehen mehr Männer in Karenz. Das sind aber Familien mit in Summe höherem Einkommen. „Also höchstwahrscheinlich besser ausgebildet, besserverdienend und von der Einstellung eventuell auch progressiver“, sagt Köppl-Turyna. Wenn das Pauschalmodell gewählt wird und es kommt beispielsweise das zweite Kind, ist das für die Familie weniger leistbar, dass der Besserverdienende in Karenz geht. Die Familie verzichtet damit auf viel Einkommen. Die Daten zeigen, dass Männer hier aus ökonomischen Gründen fast nie in Karenz gehen. Eine flexiblere Gestaltung, etwa die Möglichkeit, dass die Partner:innen die Modelle kombinieren, könnte den Männeranteil der Karenz befördern.
Quellen
SPÖ: 4-Tage-Woche, Rechtsanspruch auf einen Gratis-Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr,, 350 Euro-Bonus (pro Monat) für gleich verteilte Arbeitszeitverkürzung nach der Elternkarenz (auch für Alleinerziehende), verbesserte Anrechnung der Zeiten für Kindererziehung und Pflege, Unterhaltsgarantie für Alleinerziehende.
Neos: Scheckmodell für Kinderbetreuung, flächendeckende Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag, automatisches Pensionssplitting mit Opt-out, Erwerbstätigkeit von Frauen steigern, geschlechtersensible Bildung, individualisierten Anspruch auf Karenz- und Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil bis zum dritten Lebensjahr des Kindes mit Überlappungsmöglichkeiten einführen und Optionen auf Elternteilzeit erweitern, Flexiblere Arbeitszeitmodelle.
KPÖ: Ausbau ganztägiger Kindergärten, eine ganztägige Pflichtschule für 6-15-Jährige, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und Kostenlose und flächendeckende Kinderbetreuung und Pflege.
Ecoaustria: Wird Home-Office die Einkommensschere zwischen den Geschlechtern reduzieren?
Einkommensschere und Homeoffice: The persistence of pay inequality: The gender wage gap in an anonymous online labor market
SSRN: Gender Differences in Telecommuting and Implications for Inequality at Home and Work
Wifo: Makroökonomische Effekte einer Arbeitszeitanpassung in Österreich
Diplomarbeit JKU Linz: Väterkarenz im internationalen Vergleich am Beispiel Österreich und Island
Statistik Austria: Teilzeitarbeit und Teilzeitquote in Österreich
Elternkarenz als Instrument der Gleichstellung: Wie Europa das Potential von Elternkarenzpolitik als Instrument der Gleichstellugn der Geschlechter besser nützen könnte
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Krautreporter: Zum Glück haben wir 'ne Putzfrau!
Der Standard: Anteil der männlichen Bezieher von Kinderbetreuungsgeld auf Tiefststand
Der Standard: Wenn Gleichberechtigung daheim nur schöner Schein ist
EditionF: Gleichberechtigung für wenige – wer putzt die Wohnung der Haushaltshilfe?
SZ Magazin: Ist es radikal, alle Care-Arbeit selbst zu erledigen?
kleinerdrei: Damit Stefanie und Christian gleichberechtigt sind, putzt Oksana das Klo.