Haben Bürgermeister ein Korruptions-Problem, Herr Pressl?
Bürgermeister, die ihr Amt missbrauchen, sind ein Problem. Das sieht auch Johannes Pressl. Am Widmungsprozess will der Präsident des Gemeindebundes aber nicht rütteln.
Die WZ hat in den vergangenen Monaten immer wieder fragwürdige Grundstücksgeschäfte von Bürgermeistern aufgedeckt. Sie haben sich in ihren eigenen Gemeinden bereichert. Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl trat nach unseren Recherchen zurück. Wir haben seinen Nachfolger, Johannes Pressl, gefragt, ob Gemeinden ein Korruptions-Problem haben – und wie er es lösen will.
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Sie sind nicht nur Gemeindebund-Präsident, sondern auch Bürgermeister der Gemeinde Ardagger. Haben Sie schon einmal von einer Umwidmung profitiert?
Nein.
Sind Bürgermeister anfällig für Korruption?
Als Bürgermeister hat man mit Umwidmungen zu tun. Grundstücke gewinnen dadurch an Wert. Es kann schon sein, dass der eine oder andere denkt: Kann ich da vielleicht davon profitieren? Aber grundsätzlich sind Bürgermeister nicht mehr oder weniger anfällig als andere Personen.
Sollte man Bürgermeistern den Kauf von Liegenschaften verbieten?
Ich halte nichts davon. Jede Widmung muss transparent sein und nach den gesetzlichen Regeln ablaufen. Wenn es für den Ort Sinn macht, auch das Grundstück eines Bürgermeisters in eine Widmung miteinzubeziehen, steht dem nichts entgegen.
Sollte der Widmungsprozesse transparenter sein?
Der Prozess ist transparent. Die Gemeinde berät sich mit Raumplanern und Ziviltechnikern. Teilweise geben die Länder übergeordnete Konzepte vor. Wenn ein Entwurf vorliegt, liegt er öffentlich aus. Erst dann entscheidet der Gemeinderat.
Also sind Sie gegen Änderungen?
Ich kann mir vorstellen, dass man früher bekanntgibt, wer von einer Umwidmung positiv oder negativ betroffen sein wird. Also wer davon profitiert.
Bisher wird das überhaupt nicht bekanntgegeben.
Im Moment noch nicht. Darum habe ich auch gesagt: Ich kann mir vorstellen, dass man in einem sehr frühen Stadium des Widmungsprozesses die Betroffenen öffentlich bekanntgibt.
Die Bürgermeister Alfred Riedl und Günther Schaubach profitierten von Umwidmungen. Sie haben bei der Abstimmung den Sitzungssaal wegen Befangenheit verlassen. Das ist ein Feigenblatt; ihre Partei, die ÖVP, hatte in beiden Fällen eine absolute Mehrheit im Gemeinderat. Braucht es strengere Compliance-Regeln?
Ich wüsste nicht, was strenger wäre. Sie verlassen ja nicht nur zum Zeitpunkt der Abstimmung den Saal. Sie sind auch bei der inhaltlichen Darlegung, bei der Diskussion, bei der ganzen Entscheidungsfindung nicht dabei.
Das klingt, als würde viel diskutiert werden. Bürgermeister Schaubach verließ den Sitzungssaal für vier Minuten.
Manchmal diskutieren wir eine halbe Stunde. In einer Parteiendemokratie gibt es zu diesen Dingen Vordiskussionen. Außerdem gibt es meistens einen Bau- und Raumordnungsausschuss in den Gemeinden, wo die Entscheidungen vorbereitet werden. Entscheidungen haben einen Entstehungsprozess.
Bei diesen Entstehungsprozessen waren auch Riedl und Schaubach involviert. Sie gingen bei der Abstimmung raus. Aber es war vorher schon entschieden?
Um parteiinterne Abmachungen zu verhindern, müssten sie Fraktionssitzungen unter Ausschluss der Betroffenen machen. Das funktioniert in einer Demokratie nicht. Es schwingt die Unterstellung mit, die würden das in ihre Richtung ziehen. Die Grundentscheidung in Grafenwörth, wollen wir dieses Seeprojekt haben oder nicht, ist aber mehrheitlich gefallen.
In vielen Fällen, mit denen wir uns beschäftigt haben, wurden Umwidmungen im nicht-öffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung verhandelt. Warum gibt es das überhaupt?
Grundsätzlich gibt es in der Gemeindeordnung Regeln, wann Entscheidungen öffentlich oder nicht-öffentlich zu treffen sind. Da geht es etwa um Datenschutz. Mit dem Informationsfreiheitsgesetz wird sich diese Regulierung ändern. Ich halte auch nichts davon, dass man Dinge in die nicht-öffentliche Sitzung verschiebt, um Diskussionen zu vermeiden. Das Ergebnis des nicht-öffentlichen Teils kann auch nicht geheim gehalten werden.
Wir kommen als Journalisten nicht an die Sitzungsprotokolle nicht-öffentlicher Sitzungen.
Das ist richtig, ja.
In Deutschland sind alle Gemeinderatssitzungen öffentlich. Warum ändert man die Gemeindeordnung nicht?
Wir haben eine Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die beinhaltet gewisse Schutzverpflichtungen für den Einzelnen.
Die Daten kann man aber auch in einer öffentlichen Sitzung schützen.
Wenn es für die Entscheidungsfindung wichtig ist, dass ein Gemeinderat Dinge weiß, die aber unter Schutzverpflichtung stehen – wie soll ich das machen? Man hat aus meiner Sicht die Verpflichtung, Menschen zu schützen.
Wir haben bei einer Gemeinde um Daten zu Verkäufen kommunaler Gründe angefragt. Es hat über zwei Monate gedauert und die Gemeinde wollte wissen, welche Geschichte wir schreiben.
Vielleicht liegt es an den Geschichten, die Sie schreiben (lacht). Im Ernst: Mit dem Informationsfreiheitsgesetz ist eine transparente Entwicklung im Gange. Verwaltungen werden aber Zeit brauchen, um Dinge nachzujustieren.
Bei vielen unserer Recherchen war rein rechtlich alles in Ordnung. Moralisch wurde das Verhalten der Bürgermeister aber verurteilt. Sollte der Gemeindebund einen moralischen Kompass vorgeben?
Wir haben einen moralischen Kompass. Alle 40.000 Gemeinderäte schwören, die Verfassung und die Gesetze einzuhalten, uneigennützig und unparteiisch zu handeln.
Wir haben mehrere Beispiele dafür, dass dieser Schwur gebrochen wurde. Gibt es Sanktionsmöglichkeiten?
Es gibt sehr wohl Sanktionsmöglichkeiten. Der Gemeinderat kann Amtsträger abberufen, das Misstrauen aussprechen. Wir reden immer über direkte Demokratie, aber wenn sie uns nicht passt, versuchen wir, sie durch andere Mittel auszuhebeln.
Wir reden nicht von aushebeln, sondern von Kontrolle.
Auch dafür gibt es Gremien, etwa den Kontroll- und Prüfungsausschuss in jedem Gemeinderat. Er ist verpflichtend durch eine Minderheitspartei – also nicht die Fraktion des Bürgermeisters – zu besetzen.
Reden wir über Bodenverbrauch. Nicht das einzelne Einfamilienhaus ist das Problem, sondern die Summe: Zehn Hektar werden täglich verbraucht. Haben die Bürgermeister den Blick aufs Ganze verloren?
Jede Gemeinde hat eine andere Dynamik. Wir wehren uns gegen eine allgemeine Begrenzung auf Meter und Zentimeter. Trotzdem sagen wir: Wir müssen Boden sparen. Wir haben schon sehr viele Flächen und einen sehr hohen Bebauungsgrad, der auf weite Strecken reichen müsste. Nur können diese Flächen manchmal nicht aktiviert werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Eine Frau hat ein Haus bei uns in der Gemeinde geerbt und will es verkaufen. Wir haben uns als Gemeinde dafür interessiert und ein Schätzgutachten machen lassen. Das Haus ist 310.000 bis 360.000 Euro wert. Sie verlangt aber 550.000 Euro. Sie hat das Haus bis heute nicht verkaufen können. Wir haben keinen Zugriff darauf. Deshalb brauchen wir Instrumentarien, um diesen Leerstand zu mobilisieren.
Welche Instrumentarien sind das?
Wir brauchen ein Leerstandskataster, damit wir uns einen Überblick verschaffen können, wie viel wo leer steht. Der Bund könnte jede zweite Wohneinheit in einem Einfamilienhaus mit 40.000 Euro fördern. Solche Anreizsysteme kann ich mir vorstellen.
Viele Expert:innen plädieren für einen generellen Widmungsstopp.
Ein genereller Widmungsstopp wäre standortschädlich.
Im kommunalen Bodenschutzpapier des Gemeindebundes heißt es, Neuwidmungen soll es künftig nur mehr ins öffentliche Eigentum geben. Was bedeutet das?
Wir werden das noch ein bisschen adaptieren. Ich erkläre es Ihnen am Beispiel meiner Gemeinde. Wir machen in Ardagger seit 15 Jahren nur noch Widmungen mit Baulandoptionsvertrag. Das heißt, für den Käufer eines Grundstücks gibt es eine zweijährige Bauverpflichtung. Wenn diese Verpflichtung nicht eingehalten wird, kann die Gemeinde das Grundstück zum ursprünglichen Preis kaufen. Das hat kompakte, geschlossene Siedlungen ermöglicht und Spekulanten abgeschreckt.
Was halten Sie von einer Widmungsabgabe, wie sie die SPÖ vorschlägt?
Für mich ist eine Widmungsabgabe das letzte Mittel. Statt den Menschen Geld wegzunehmen, würde ich eher versuchen, vorhandenes Bauland zu mobilisieren.
Im Wahlprogramm der ÖVP kommen die Begriffe Bodenschutz und Widmung nicht vor. Dafür werden Häuslbauer mit staatlich besicherten Wohnbaukrediten und Zinsabsetzbeträgen gefördert. Das widerspricht dem, was Sie sagen.
Sie sitzen im Büro des Österreichischen Gemeindebundes und wir vertreten die Interessen der Gemeinden. In den Gemeinden sind unterschiedlichste Parteien vertreten, das steht für uns im Vordergrund.
Sie wollen sich also nicht äußern, ob Sie das Wahlprogramm der ÖVP gut oder schlecht finden?
Sie sind zum Gemeindebund gekommen. Wenn Sie gerne ein parteipolitisches Interview führen wollen, dann stelle ich mich anders darauf ein.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner
Johannes Pressl (ÖVP) wurde 1970 in Amstetten geboren. Er studierte Landschaftsplanung mit Schwerpunkt Agrarökonomik an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seit 2005 ist er Bürgermeister der Gemeinde Ardagger (NÖ), seit 2021 Präsident des NÖ Gemeindebundes. Im Februar 2024 wurde Pressl zum Präsidenten des Österreichischen Gemeindebundes gewählt. Sein Vorgänger, Alfred Riedl, musste nach Bekanntwerden fragwürdiger Grundstücks-Deals von seinem Amt zurücktreten.
Daten und Fakten
In Österreich gibt es 2.093 Gemeinden mit ebenso vielen Bürgermeister:innen. Der Frauenanteil liegt bei elf Prozent (231). Von den insgesamt 39.330 Gemeinderät:innen sind 10.300 weiblich.
In Österreich werden rund zwölf Hektar Land pro Tag „verbraucht" und fünf bis sechs Hektar pro Tag versiegelt.
Wie funktioniert eine Umwidmung?
Umwidmungen sind Teil der Raumordnungspolitik und zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt. Der Bund legt etwa fest, wo Bundesstraßen oder Stromleitungen gebaut werden sollen, und greift so in die Raumordnung ein. Die Länder regeln die überörtliche Raumplanung, die Gemeinden sind für die örtliche Raumplanung verantwortlich.
Der Gemeinderat legt für das Stadt- oder Ortsgebiet besondere Widmungen fest. Die Widmungen sind Teil des Flächenwidmungsplans. Daneben legt der Gemeinderat im Bebauungsplan fest, wie auf den einzelnen Teilen des Baulandes gebaut werden darf, also etwa wie viele Geschoße ein Gebäude haben darf. Der Gemeinderat hat die gesetzliche Kompetenz, Flächenwidmungs- und Bebauungspläne abzuändern. Das Land als übergeordnete Instanz muss die Änderung genehmigen. Wenn es grünes Licht gibt, wird die Umwidmung im Gemeinderat beschlossen. Ob ein Acker zu Bauland wird, entscheiden also demokratisch gewählte Vertreter:innen des Volks.
Flächenwidmungen dürfen ausschließlich nach sachlichen Kriterien festgelegt werden. Umgewidmet werden darf zum Beispiel nicht, nur um den Wert eines Grundstücks zu erhöhen oder weil dem Wunsch einer/eines Grundeigentümerin/Grundstückeigentümers entsprochen werden soll, heißt es auf einem Infoblatt der NÖ Raumordnung
Was ist das Informationsfreiheitsgesetz?
Das „Aus für das Amtsgeheimnis“ wurde Anfang des Jahres mit Zustimmung von ÖVP, SPÖ und Grünen im Parlament beschlossen. Öffentliche Stellen sind künftig verpflichtet, Informationen von allgemeinem Interesse wie etwa in Auftrag gegebene Gutachten, Studien und Verträge von sich aus zu veröffentlichen und über ein zentrales Informationsregister zugänglich zu machen. Von dieser proaktiven Informationspflicht ausgenommen sind Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohner:innen. Sie sollen aber individuelle Anfragen von Bürger:innen und Journalist:innen grundsätzlich innerhalb von vier Wochen beantworten müssen. Das Informationsfreiheitsgesetz tritt im September 2025 in Kraft.
Quellen
Gemeindebund Österreich, Kommunaler Bodenschutzplan
NÖ Gemeindeordnung, §50 Befangenheit
NÖ Gemeindeordnung, §47 Öffentlichkeit
NÖ Gemeindeordnung, §97 Gelöbnis: (2) Das Gelöbnis lautet: “Ich gelobe, die Bundes- und Landesverfassung und alle übrigen Gesetze der Republik Österreich und des Landes Niederösterreich gewissenhaft zu beachten, meine Aufgabe unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, das Amtsgeheimnis zu wahren und das Wohl der Gemeinde ....... nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern.”
ÖVP-Wahlprogramm 2024
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
derstandard.at: Mit Johannes Pressl wird ein Anti-Riedl oberster Bürgermeister
derstandard.at: Gemeindebund-Präsident nimmt Immobilienpreise ins Visier
noe.orf.at: Gemeindebund: Pressl ist neuer Präsident