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Die Bundesländer lassen für den Ausbau von Kinderbetreuung noch mehr Geld liegen, als bisher bekannt war. Allein in einem Schuljahr sind über 60 Millionen Euro für die Ganztagsbetreuung von Schüler:innen nicht zum Einsatz gekommen.
Kinderbetreuung und Arbeitsalltag unter einen Hut zu bringen, ist für viele Eltern eine Herausforderung. Das gilt für Kinder in Kindergärten wie in Schulen. Der Bund hat daher Gelder zum Ausbau von Ganztagsbetreuung im Schulbereich locker gemacht. Dennoch verläuft dieser mehr als schleppend.
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Das liegt unter anderem daran, dass die Bundesländer Geld nicht abrufen, das ihnen eigentlich zustünde. Wie zuletzt durch die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) bekannt wurde, haben die Bundesländer zwischen 38 und 44 Prozent der verfügbaren Mittel für den Ausbau von Kindergartenplätzen und Sprachförderung nicht beansprucht.
Dasselbe Phänomen lässt sich jedoch auch im Bereich der Ganztagsbetreuung für schulpflichtige Kinder zwischen 6 und 15 Jahren beobachten. Die vom Bildungsministerium auf Anfrage der WZ übermittelten Zahlen zeigen, dass etwa im Schuljahr 2023/24 nur das Burgenland, Vorarlberg und Wien die Bundesmittel fast vollständig ausgeschöpft haben.
Auf Basis von 15a-Vereinbarungen und des Bildungsinvestitionsgesetzes können die Bundesländer seit 2014 Gelder in Millionenhöhe vom Bund abholen, um Hortplätze und Ganztagsschulen auszubauen. Damit soll langfristig die Betreuungsquote von schulpflichtigen Kindern, während des Schuljahres genauso wie zu Ferienzeiten, erhöht werden. Die Finanzierung des Ausbaus erfolgt über Zweckzuschüsse durch das sogenannte Kofinanzierungsmodell. Das bedeutet, dass für die tatsächlich anfallenden Kosten höchstens 70 Prozent durch Bundesmittel gedeckt werden können. Die restlichen 30 Prozent müssen die Länder oder Schulerhalter aufbringen.
Oberösterreich und Tirol rufen am wenigsten Mittel ab
Insgesamt hätten die Bundesländer im Schuljahr 2023/24 über 112 Millionen Euro an Bundesmitteln verfügen können. Mit 49,6 Millionen Euro, einem Anteil von 44 Prozent, haben die Länder aber nicht einmal die Hälfte der Bundesmittel verbraucht.
Schlusslicht ist Oberösterreich, das von 14,6 Millionen Euro nur drei Millionen Euro verbrauchte – ein Anteil von rund 21 Prozent. Einen ähnlich geringen Wert verzeichnet Tirol, das im selben Jahr nur ein Viertel der verfügbaren 22,1 Millionen Euro tatsächlich eingesetzt hat. Rund 16,5 Millionen Euro kamen dort somit nicht unmittelbar zum Einsatz, 5,6 Millionen Euro wurden verwendet. Zwar stehen den beiden Bundesländern nach dem Bildungsinvestitionsgesetz jährlich jeweils nur 5 beziehungsweise 2,5 Millionen Euro zur Verfügung. Über die Jahre bauten die meisten Länder jedoch ein beträchtliches Polster aus Bundesmitteln der Vorjahre auf, die sie auch zu einem späteren Zeitpunkt noch abrufen können.
Die Bildungsdirektion Oberösterreich rechtfertigt die geringe Quote damit, dass mindestens 75 Prozent der Bundesmittel für den Ausbau von neuen Plätzen investiert werden müssen. Man verfüge über die meisten Horte nach Wien, wodurch „die Nachfrage der schulerhaltenden Gemeinden nach zusätzlichen ganztägigen Schulformen nur bedingt gegeben“ sei. Tatsächlich liegt Oberösterreich der Kindertagesheimstatistik zufolge in absoluten Zahlen mit 175 außerschulischen Horten im Schuljahr 2023/24 hinter dem Spitzenreiter Wien mit 208 Horten. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl belegt Oberösterreich den dritten Platz vor Wien, Tirol gar den ersten Platz vor Kärnten.
Kritik aus den Bundesländern
Melden Gemeinden jedoch keinen Bedarf, kann das dem Bildungsexperten James Loparics zufolge daran liegen, dass „Eltern gar nicht daran denken, dass Ganztagsbetreuung eine gute Option wäre, weil es das Angebot gar nicht gibt.“ Anders als im städtischen Bereich füllen am Land oft Mütter oder andere Verwandte Lücken in der staatlich organisierten Betreuung. 2024 lag nach Berechnungen der Statistik Austria österreichweit die Teilzeitquote von Müttern mit Kindern unter 15 Jahren bei 66 Prozent, während nur 7 Prozent der Väter in Teilzeit arbeiteten.
Die Bildungsdirektion Tirol verweist auf die strukturellen Unterschiede im Bundesländervergleich. Im Gegensatz zum Ballungsraum Wien gebe es in Tirol „viele Kleinschulen mit Schülerzahlen, die zum Teil sogar unter der Zahl liegen, die für die Einrichtung von Gruppen notwendig sind“, weshalb der Einsatz von Mitteln in Tirol schwieriger zu bewerkstelligen sei. Es handle sich bei den Zahlen aus dem Schuljahr 2023/24 außerdem um eine „Momentaufnahme“. Von den verfügbaren 16,5 Millionen Euro, hat der Bund bereits 8,9 Millionen Euro an Tirol überwiesen – verbraucht wurden diese Mittel bis jetzt allerdings noch nicht. Für das Schuljahr 2024/25 seien bereits rund 8,6 Millionen Euro verplant.
Weniger Vorbehalte durch mehr Qualität
Loparics, Hochschulprofessor für Ganztagspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Wien, weist auf einen weiteren Faktor hin, der in Zusammenhang mit dem Verzug stehen könnte – besonders in ländlichen Regionen gebe es Vorbehalte gegen Ganztagsbetreuung: „Ich höre dort oft, dass nur diejenigen ihre Kinder in Ganztagsbetreuung geben, die sich keine Zeit für ihre Kinder nehmen wollen oder können.“ Ihn stört außerdem der politische Fokus auf die Quantität. Anstatt Maßnahmen zur Verbesserung der pädagogischen Qualität zu setzen, dominiere vor allem der quantitative Ausbau von Betreuungsplätzen, die Anzahl des Personals und die Verlängerung von Öffnungszeiten die Debatte.
Wenn auch die Datenlage in Österreich äußerst lückenhaft sei, aus internationalen Studien wisse man, dass Kinder vor allem dann von ganztägigen Betreuungsformen profitieren, wenn die Qualität gesichert ist. Das treffe insbesondere auf jene Kinder mit mangelnden Sprachkenntnissen zu. Loparics: „Gerade in einem Land wie Österreich, wo Bildungserfolg noch immer vererbt ist, ist Ganztagsbetreuung ein Instrument, um Ungleichheiten entgegenzuwirken.“ Ein Argument, das bei Bildungsminister Wiederkehr, dessen Partei sich Bildungsgerechtigkeit auf die Fahnen schreibt, durchaus auf Gehör stoßen dürfte.
Laufende Verhandlungen
Wiederkehr befindet sich derzeit in Verhandlungen, um das Bildungsinvestitionsgesetz zu reformieren. Oberösterreich und Tirol kritisieren gegenüber der WZ die mangelnde Flexibilität und Schwerfälligkeit des Förderwesens. In Tirol rechnet man mit einer anstehenden Novellierung des Bildungsinvestitionsgesetzes, das einen Verfall von 7,6 Millionen Euro an Bundesmitteln verhindern soll. Aus dem Bildungsministerium heißt es dazu: „Über die künftige Finanzierung der Ganztagesbetreuung finden derzeit innerhalb der Koalition Gespräche statt.“ Man strebe „eine Flexibilisierung der Regelungen im Bildungsinvestitionsgesetz“ an, um den Ausbau der schulischen Tagesbetreuung gewährleisten zu können.
Welche Regelungen konkret flexibilisiert werden sollen, teilt das Bildungsministerium nicht mit. Bis zur Einigung auf ein „neues, transparentes System“ zwischen Bund, Ländern und Gemeinden diene das Bildungsinvestitionsgesetz als „Überbrückung“. Als Grundlage für die Verhandlungen dürften wohl auch die Zwischenberichte, die die Bundesländer noch dieses Jahr an den Bildungsminister übermitteln müssen, herangezogen werden.
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Infos und Quellen
Genese
Ursprünglich verfolgte der Bund das Ziel, dass bis zum Jahr 2025 40 Prozent der Schüler:innen eine Tagesbetreuung besuchen und stellt dafür den Bundesländern Bundesmittel zur Verfügung. Mit dem Bildungsinvestitionsgesetz wurde dieses Ziel auf das Schuljahr 2032/33 verschoben. Zusätzlich soll es bis dahin an 85 Prozent aller allgemeinbildenden Pflichtschulen ein Tagesbetreuungsangebot geben. Konkret sind damit Volksschulen, Mittelschulen, Polytechnische Schulen, Sonderschulen und AHS-Unterstufen gemeint. Im Schuljahr 2023/24 lag der Anteil jener Kinder, die eine schulische oder außerschulische Betreuung besuchten, bei 37,4 Prozent. Beim Ausbau der Standorte lag man österreichweit mit 62 Prozent jedoch noch deutlich unter dem Soll.
Die aktuellen, vom Bildungsministerium übermittelten Zahlen aus dem Schuljahr 2023/24 zeigen, dass das Burgenland und Wien die verfügbaren Bundesmittel zum Ausbau von Ganztagsbetreuung vollständig verbraucht haben. Vorarlberg liegt mit einer Quote von 99 Prozent knapp dahinter. Schlusslicht ist Oberösterreich mit einer Quote von 21 Prozent. Es folgen Tirol mit 25, die Steiermark mit 42, Niederösterreich mit 47, Salzburg mit 55, und Kärnten mit 77 Prozent.
Um Personalkosten zu decken, können die Bildungsdirektionen der Bundesländer bis zu 9.000 Euro pro Jahr und Gruppe beantragen, für die Verbesserung der Infrastruktur einmalig 55.000 Euro. Wie eingangs erwähnt, beruht die Finanzierung des Ausbaus auf dem sogenannten Kofinanzierungsmodell, sodass die Zweckzuschüsse des Bundes höchstens 70 Prozent der tatsächlichen Kosten abdecken. Für die restlichen 30 Prozent müssen die Länder oder Schulerhalter aufkommen.
Gesprächspartner:innen und Auskünfte
- Stellungnahmen der Sprecherin von Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos)
- Stellungnahmen der Bildungsdirektion Oberösterreich und Bildungsdirektion Tirol
- James Loparics, Hochschulprofessor für Ganztagspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Wien
- Drei Lehrpersonen aus Tirol, die an Mittelschulen bzw. einer AHS unterrichten
- Eine Mutter mit sechs- und zehnjährigen Kindern aus Oberösterreich
Quellen
- Bildungsinvestitionsgesetz und Richtlinien zum Bildungsinvestitionsgesetz
- Bildungsministerium: Ausbaupläne ganztägiger Schulformen
- Statistik Austria: Familie und Erwerbstätigkeit 2024
- Statistik Austria: Statistik über die elementare Bildung und das Hortwesen 2024 (Kindertagesheimstatistik)
- Statistik Austria: Bildung in Zahlen 2022/2023 (zur Auswirkung der Schulbildung der Eltern auf die Bildungslaufbahn von Kindern)
- Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ): Ausbaupotenziale der schulischen und außerschulischen Tagesbetreuung (Studie im Auftrag der Arbeiterkammer)
- Parlamentarische Anfragebeantwortung durch den ehemaligen Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) zum „Ausbaustand verschränkte Ganztagsschule“
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
- Der Standard: Warum die Länder Geld für die Kindergärten nicht anfassen
- tirol.orf.at: Tirol will Bundesgelder „voll“ ausschöpfen
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