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In Österreich nehmen queerfeindliche Vorfälle zu. Die Community fordert von der Politik eine stärkere Einbindung, mehr Präventivmaßnahmen und rechtliche Änderungen.
Wien Meidling, Bahnhofsnähe, spätabends. Pride Month 2022. Aaron* ist mit dem Scooter unterwegs. Er möchte noch schnell seinen Glasmüll wegbringen. Ausgelassenheit liegt in der Luft, die Häuser sind mit Regenbogenfahnen geschmückt. Auch Aaron fühlt sich in diesem Moment frei, unbeschwert. Bevor er losfuhr, hatte er noch schnell ein Gesichtspeeling punktuell aufgetragen. Bei den Glascontainern kommt eine Gruppe junger Männer auf ihn zu. Dann passiert alles in Sekundenschnelle. „Was hast du da im Gesicht? Bist du schwul, du Schwuchtel?“, ruft einer von ihnen. Er schubst Aaron, tritt auf ihn ein. Er zieht ihn hoch und schmeißt ihn gegen den Glascontainer. Aarons Scooter geht dabei kaputt. Das Ganze dauert ein paar Minuten, dann eilen Passant:innen Aaron zu Hilfe. Er steht auf, geht heim und verbleibt erstmal in Schockstarre.
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Queere Betroffene von Hate Crimes erstatten nur selten Anzeige, das bestätigt auch eine Onlineumfrage der EU-Agentur für Grundrechte von 2019: Nur acht Prozent der befragten Österreicher:innen gingen zur Polizei, um körperliche oder sexuelle Übergriffe zu melden. Auch Aaron wollte anfangs den Vorfall nicht melden, weil es ihm so unangenehm war. Seitdem ist er viel vorsichtiger geworden, kontrolliert zweimal, wie er in der Öffentlichkeit aussieht.
Angriffe gegen LGBTQIA+ nehmen zu
Hasskriminalität aufgrund von sexueller Orientierung ist in Österreich 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen – und verzeichnet damit laut dem Hate-Crime-Lagebericht des Innenministeriums von allen Vorurteilsmotiven die größte Steigerung (detaillierte Zahlen findest du unter Infos und Quellen).
Seit Anfang der 2000er Jahre gab es einige Fortschritte bei der Sichtbarkeit und gesellschaftlichen Anerkennung queerer Menschen. „Es wird in die europäische und österreichische Geschichte eingehen als eine sehr kurze Zeit, die für die Queers sehr vieles zum Besseren verändert hat“, so Johannes Niedermayer, Vorsitzender des Grazer Vereins RosaLila PantherInnen im Gespräch mit der WZ. Das sei allerdings ein zweischneidiges Schwert: „Es ist nur logisch, dass es manchen Menschen zu viel wird und zu schnell geht, wenn sich so schnell so vieles verändert“.
So scheint die Solidarität in Österreich in den letzten Jahren wieder abzunehmen – eine Entwicklung, die man auch global schon länger beobachten kann. Allein in den letzten Monaten wurden in Österreich mehrere homophobe Gewaltakte dokumentiert: In Bregenz wurden Werbetafeln des Kunsthauses Bregenz mit der Aufschrift „Wish You Were Gay“ zerstört, beim Verein „HOSI“ (politische Interessenvertretung von LGBTQIA+-Personen in Österreich) in Innsbruck wurden Fenster eingeschlagen.
Hass, der organisiert ist
Im März wurde eine Serie von schweren Angriffen auf queere Personen bekannt: 14- bis 26-jährige Männer und Frauen sollen Homosexuelle mit Fake-Accounts auf Social Media angelockt, gefilmt und brutal gefoltert haben – bis hin zum Mordversuch. Die mutmaßlichen Täter:innen sind Teil eines rechtsextremen Netzwerks und die Ermittlungen führten zu großangelegten Razzien in sieben Bundesländern. Zwei der betroffenen homosexuellen Männer hatten bereits im Vorjahr bei RosaLila PantherInnen Unterstützung gesucht. „Der Hass wird sichtbarer und salonfähiger“, sagt Niedermayer. Neben diesem medial sehr präsenten Fall gab es in jüngster Vergangenheit auch andere körperliche Angriffe auf queere Personen, die von Prügelattacken bis zu Wohnungsverwüstungen reichen.
Hohe Dunkelziffer bei Opfern
Ein Brandbeschleuniger für Hasskriminalität ist Social Media. „Was früher kaum koordinierbar und auf einzelne Orte beschränkt war, ist heute überregional vernetzt und kann in Echtzeit organisiert werden“, erklärt Helmut Graupner, Menschenrechtsanwalt und Präsident des Rechtskomittees Lambda, im WZ-Interview. Früher fanden Angriffe auf schwule Männer etwa in Parks statt oder in sogenannten „Klappen“ – öffentlichen Herrentoiletten, in denen diese sich heimlich trafen. „Das waren Orte der Not, weil es kaum andere Möglichkeiten gab, um sich zu begegnen. Heute lassen sich Kontakte diskreter online knüpfen“, so Graupner. Das birgt gleichzeitig Gefahren.
Forderungen der Community
Niedermayer fühlt sich von der österreichischen Regierung mit der aktuellen Lage jedenfalls nicht allein gelassen. „Die aktuelle Bundesregierung hat das beste Regierungsprogramm, das wir je hatten“, lobt der Grazer Aktivist und verweist, damit auf die Sichtbarkeit von queeren Themen, die seiner Einschätzung nach in der Vergangenheit gefehlt haben. „Ein paar Kritikpunkte könnte man schon finden, aber alles in allem ist es für uns sehr gut. Schauen wir mal, was der aktuellen Regierung gelingt.“
Ein Beispiel dafür wäre etwa ein Entschließungsantrag, der Ende März von den Regierungsparteien sowie den Grünen im Nationalrat eingebracht wurde. Dieser fordert einen Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen vorurteilsmotivierte Gewalt. Darin sollen Maßnahmen gesetzt werden, um derlei Verbrechen zu stoppen und Ursachen präventiv entgegenzuwirken. Im April entstand beim jährlichen Regenbogenkongress queerer Organisationen aus ganz Österreich, ein Forderungskatalog für die Ausarbeitung und Umsetzung eines solchen Aktionsplans. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT), wurde nun am 17. Mai ein gemeinschaftliches Positionspapier von insgesamt 30 LGBTQIA+-Organisationen veröffentlicht.
Gefordert wird vor allem die Einbindung der queeren Community in die Entwicklung und Umsetzung und Evaluierung des NAP. Das soll unter anderem durch die Errichtung eines Beirats mit LGBTQIA+-Vertreter:innen ermöglicht werden. Zudem brauche es eine bundesweite Meldestelle unter Community-Trägerschaft für Opfer von Hassverbrechen. Ein weiterer zentraler Punkt addressiert rechtliche Rahmenbedingungen. So wird unter anderem eine Ausweitung des Diskriminierungsschutzes und ein Verbot von Konversionstherapien gefordert sowie eine Änderung im Strafgesetzbuch, damit Belästigung aufgrund von Geschlecht, Geschlechtsidentität, Geschlechtsmerkmalen und sexueller Orientierung als Straftatbestand definiert wird. Man wünscht sich außerdem verpflichtende Schulungen für Polizei, Justiz und Behörden zu LGBTQIA+-Themen sowie die Integration von Vielfalt in Lehrpläne, Schulmaterialien und die Ausbildung von Pädagog:innen. Nur so könne laut dem Positionspapier Hass und Hetze langfristig entgegengewirkt werden.
Erhöhtes Sicherheitsrisiko für Pride?
Hinsichtlich des bevorstehenden Pride-Monats, für den eine Reihe an queeren Veranstaltungen im ganzen Land geplant sind, benötigt es entsprechende Sicherheitskonzepte. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit der Exekutive, speziell für die Regenbogenparade in Wien, die landesweit das größte Pride-Event ist. Hinweise auf eine konkrete Gefährdungslage liegen der Landespolizeidirektion Wien nicht vor, man gehe allerdings wie bei allen Großevents in Europa derzeit von einem erhöhten Risiko aus. Vor zwei Jahren konnte ein Anschlag auf die Vienna Pride Parade vereitelt werden.
Im Rahmen von Projekten organisierten die RosaLila PantherInnen auch Schulungen mit der ansässigen Polizei. „Es gibt noch viel Verbesserungs- und Aufholbedarf“, erklärt Niedermayer. „Wobei man bei diesen Hate-Crime-Fällen im März die Polizei loben muss. Da haben sie vorbildliche Arbeit gemacht und die Polizei wird auch besser.“
Gesetzeslücken und fehlende Opferrechte
Hasskriminalität sollte laut Graupner explizit im Gesetz erfasst und mit höheren Strafen geahndet werden. „In anderen Ländern gibt es dafür längst strengere Regelungen“, erklärt er. Seine Empfehlung wäre, die Höchststrafe für leichte Körperverletzung bei Hassmotiven von einem auf zwei Jahre anzuheben.
Eine weitere gesetzliche Lücke gebe es beim Tatbestand der Verhetzung: Wenn sich beispielsweise ein Hassposting gegen die Pride richtet und man daraufhin Anzeige erstattet, gebe es keine Möglichkeit zur Akteneinsicht, zur Stellungnahme oder zur Fortführung des Verfahrens. „Es braucht eine Ausweitung der Opferrechte – auch für anerkannte Organisationen, wenn keine direkten Einzelpersonen betroffen sind“, fordert der Menschenrechtsanwalt.
Niedermayer sieht mit einer Verschärfung des Strafmaßes nicht unbedingt eine Verbesserung der Situation gegeben: „Es geht nicht um diese eine Gesetzesänderung, die man braucht – vielmehr geht es um ein gesamtheitliches Paket, um Gesellschaftsarbeit.”
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
- Johannes Niedermayer ist Aktivist für queere Interessen und Vorsitzender des steirischen LGBTQIA+-Vereins RosaLila PantherInnen.
- Helmut Graupner ist Wiener Menschenrechtsanwalt und Vorsitzender des Rechtskomitees LAMBDA, das sich seit 1991 für die Gleichberechtigung von homosexuellen und transidenten Menschen in Österreich einsetzt.
- Aaron*, 27 (Name von der Redaktion geändert), Mitglied der Queeren Community
- Nach mehreren gescheiterten Versuchen, mit der queeren Organisation „HOSI“ in Kontakt zu treten, kam es bei einem Gespräch zu einer verbalen Entgleisung seitens HOSI, bei dem weitere Gespräche vonseiten der HOSI abgelehnt wurden. Wir verweisen an dieser Stelle auf unsere Redaktionelle Leitlinien | Wiener Zeitung
Daten und Fakten
- 446 Motive wurden im Jahr 2023 dokumentiert, 87 Prozent waren homophob – die kriminellen Handlungen wegen homosexueller Orientierung waren vor allem Sachbeschädigung (36 Prozent) und Körperverletzung (15 Prozent). Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zählt 577 Anti-LGBTGIA+-Motive 2023 in Österreich.
- Im Jahr 2024 dokumentierte der Verein ZARA für Zivilcourage und Antirassismusarbeit 164 hasserfüllte Online-Inhalte, die sich gegen LGBTQIA+-Personen richten. Der meiste Hass wurde hierbei auf Social Media verbreitet. Im Juni, dem traditionellen Pride Month, gab es eine Häufung der Angriffe. Die Dunkelziffer sei jedoch viel höher, heißt es gegenüber der WZ.
- Unter Hasskriminalität versteht man vorurteilsmotivierte Straftaten. Täter:innen handeln, um ihre Ablehnung gegenüber einer Gruppe zum Ausdruck zu bringen und zielen auf Identitätsmerkmale wie Geschlecht, Alter, Behinderung, Hautfarbe, ethnische oder nationale Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung, sozialen Status oder Weltanschauung ab. So beschreibt es das Justizministerium auf seiner Website.
- Der Begriff queer dient als inklusive Sammelbezeichnung für Menschen, deren sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität oder -ausdruck nicht der cis-heteronormativen Mehrheitsgesellschaft entspricht. Dazu zählen unter anderem lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen.
- Die Pride Parade, auch Regenbogenparade oder Christopher Street Day genannt, geht auf die Stonewall Aufstände im Jahr 1969 in New York City zurück. Nach einer Serie an Polizei-Razzien in queeren Lokalen der LGBTQIA+ Viertel der Stadt, kam es am 27. Juli auch im Stonewall Inn, dass sich in der Christopher Street befand, zu Polizei-Kontrollen. Die Lokalbesucher:innen wehrten sich erstmals gemeinsam gegen eine Identitätsfeststellung der Beamt:innen, was damals mit Verhaftungen und Anklagen wegen „anstößigem Verhalten“ einherging. Die jährlichen Straßenumzüge sollen an diese Solidarisierung erinnern. In Österreich fand diese Parade das erste Mal 1996 statt.
- Homosexualität wurde in Österreich im Jahr 1971 teilweise entkriminalisiert – gleichgeschlechtlicher Sex zwischen Erwachsenen war ab dann nicht mehr grundsätzlich strafbar. Allerdings ersetzte man das Totalverbot durch neue diskriminierende Sondergesetze, wie etwa § 209 StGB, der festlegte, dass homosexuelle Männer erst ab 18 Jahren sexuelle Beziehungen haben durften, während für heterosexuelle Paare und lesbische Frauen bereits ab 14 Jahren sexuelle Kontakte legal waren. Dieser Paragraf wurde erst 2002 aufgehoben.
- Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in Österreich seit dem 1. Jänner 2019 erlaubt. Dieser Schritt wurde durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) im Dezember 2017 ermöglicht. Das Gericht entschied, dass die Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft gleichgeschlechtliche Paare unzulässig benachteilige und hob die entsprechenden Bestimmungen mit Ablauf des 31. Dezember 2018 auf.
Quellen
- Agentur der Europäischen Agentur für Grundrechte, EU LGBTI survey
- Bundesministerium für Inneres, Report 2024
- Bundesministerium für Justiz
- ILGA, Annual Review 2025 of the human rights situation of lesbian, gay, bisexual, trans and intersex people in Europe and Central Asia
- OSZE Austrian Hate Crime Report
- ZARA, Anti-Diskriminierungsstelle
Das Thema in der WZ
- Transfrauen im Sport: Inklusion auf Kosten der Fairness?
- Wie sicher sind die Rechte der queeren Community?
Das Thema in anderen Medien
- Heute: Homophobe Angriffe – Theaterstück unter Polizeischutz
- Kurier: Wohnung von Dragqueen André Cartier völlig verwüstet und mit Hakenkreuz beschmiert
- Mein Bezirk: Rassistische und homophobe Angriffe auf "Villa Vida Café"
- ORF.at: SPÖ ortet mehr Angriffe gegen LGBTIQ-Community
- Der Standard: "Wish You Were Gay"-Plakatflächen des Kunsthauses Bregenz erneut zerstört
- wien.orf.at: Nächtliche Mahnwache für Festwochen-Plakat
- ZEIT ONLINE: Statistik: Mehr Hasskriminalität gegen queere Menschen im Südwesten