Vor allem Anfänger können beim Bergwandern viel falsch machen – die größten Gefahren sind unrealistische Selbsteinschätzung und mangelhafte Ausrüstung.
Die Rax? – Ein kleiner Schritt für Susi aus der WG, ein großer Schritt für Herbert, den bekennenden Couchpotato. Aber was tut man nicht alles, um ihr zu imponieren. Irgendwo muss man anfangen. Die Rax kommt Herbert gerade recht. Für einen Alpinisten mag sie ein größenwahnsinniger Maulwurfshügel sein, aber vom Wiener Flachland gesehen, ist sie ein wahrer Mount Everest. Wenngleich die Wege auf dem Hochplateau der Rax für Anfänger unproblematisch sein sollen. Die Rax – ein Klax.
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Womit sich Herbert aufmacht zur Rax und sich einreiht in die stark wachsende Zahl der Bergwanderer. Nahezu bergnarrisch sind die Österreicher:innen geworden: 724.986 Mitglieder zählte der Alpenverein im Jahr 2022, 163.722 waren es bei den Naturfreunden. Tendenz steigend. Ein Drittel der Mitglieder ist unter 30. Die überwiegende Mehrheit kommt aus Wien. Und das sind nur die in Vereinen organisierten Tourengeher:innen. Ungezählt bleiben die Scharen derer, die ohne Vereinsmitgliedschaft auf Bergwanderung gehen.
Wie Herbert: Mit der Seilbahn ist er flott hinauf auf die Rax gefahren. Oben angekommen, stellt er fest, dass er zu leicht angezogen ist für den kühlen Wind. Egal, beim Gehen wird ihm warm werden.
Drauflos marschiert!
So marschiert er gleich los Richtung Ottohaus, nicht, weil er’s so geplant hätte, sondern, weil es der erste Wegweiser ist, der ihm ins Auge sticht. Auf halber Strecke merkt er, dass er jeden Stein durch die Sohle der Sneaker spürt. Warum ist keiner auf die Idee gekommen, die Wege auf der Rax zu asphaltieren?
Fuß vor Fuß setzend, trottet Herbert weiter und rühmt sich insgeheim ob seiner Tapferkeit. Das bisschen Schnaufen nimmt er in Kauf. Er weiß, dass seine Kondition im Keller ist – nur, dass sie so tief im Keller ist, überrascht ihn.
Die ständige Grüßerei ist Herbert ein Rätsel. Wozu grüßen? Er trabt weiter über die Steine.
Die Flasche ist halb voll
Endlich kommt das Ottohaus in Sicht. Auf die begehrte Flasche Mineralwasser verzichtet Herbert, als er den Preis sieht. Das Fläschchen Cola, das er in seiner kleinen Umhängetasche mitführt, ist noch halb voll. Das reicht.
Herbert beschließt, zum Höllental-Aussichtspunkt weiterzugehen. Stichwort eins: imponieren. Stichwort zwei: Foto für seinen Instagramkanal.
Der Weg zur Höllental-Aussicht zieht sich. Herbert schnauft, aber er hält durch. Ein paar Bilder mit dem Handy gemacht, dann zurück. Allmählich merkt Herber, dass er Muskeln an Stellen hat, die er niemals für muskelbewehrt gehalten hätte.
Die Flasche ist leer
Das Cola ist ausgetrunken. Herbert versteckt die leere Plastikflasche in einem Gebüsch. Er hat immer noch Durst.
Dort, wo der Weg in jenen zurück zur Seilbahn mündet, fühlt sich Herbert am Ende. Seine Füße schmerzen. Wahrscheinlich hat er längst Blasen. Die Zunge klebt ihm am Gaumen. Er schnauft. „Griaß di. Guat schaust net aus. Brauxt was?“ Das Paar ist stehengeblieben. Herbert überwindet seinen Stolz. „Wasser?“
Die Frau gibt ihm ihre Flasche. Sie wird sich auf der Ottohütte eines besorgen, es sind ja nur ein paar Schritte – für die beiden eine Kleinigkeit, für Herbert wäre es eine Tortur.
Die Rax - kein Klax
„Schaffst es bis zur Seilbahn?“ „Ja“, sagt Herbert, „danke für das Wasser. “ Das und die schnell angebotene Hilfe beleben. Er quält sich zurück bis zur Seilbahn. Immerhin grüßt er jetzt, wenn er gegrüßt wird. Gehört dazu und schadet nicht, denkt Herbert. Durchgefroren und erledigt steigt er in die Gondel. Die Rax – doch kein Klax. Die ganze Fahrt zurück nach Wien denkt Herbert: „Nie wieder Wandern“, und versteht nicht, was Susi daran findet. Immerhin nimmt er sich vor, mit ihr darüber zu reden.
Dass Herbert schließlich ein begeisterter Bergwanderer geworden ist, hat mit genau diesem Gespräch zu tun. Es dreht sich um das, was Susi die Höflichkeit der Berge nennt. Dabei geht es nicht allein darum, dass man einander grüßt und dass man per Du ist, sondern, dass man auch sich selbst, den anderen und dem Berg den notwendigen Respekt entgegenbringt. Das reicht von den Umgangsformen bis zur Tourenplanung und richtigen Ausrüstung, auf die Paul Schmidleitner vom Alpenverein und Martin Edlinger von den Naturfreunden deutlich hinweisen.
Grundregel für Anfänger
Doch das ist nicht alles. Die Grundregel speziell für Anfänger lautet: Mute dir nicht zu viel zu. Was für eine:n ein Spaziergang ist, ist für eine:n andere:n eine schwierig zu bewältigende Herausforderung. Die meisten Probleme beim Wandern – und nicht nur auf dem Berg – wurzeln in Selbstüberschätzung, warnt Schmidleitner, seines Zeichens Bergretter.
Martin Edlinger von den Naturfreunden stimmt zu: „Man muss sich selbst gegenüber ehrlich sein, welche Strecke man schafft, ohne an die Leistungsgrenze zu kommen.”
Anlaufstelle Spezialgeschäft
Natürlich ist die richtige Ausrüstung ein Thema – und zwar auch bei scheinbar einfachen Wanderungen: Schmidleitner und Edlinger raten übereinstimmend, auch an schönen Tagen warme Kleidung und zumindest bei längeren Touren einen Biwaksack mitzunehmen. Über die richtigen Schuhe kann man sich in Spezialgeschäften informieren. In diesem Zusammenhang rücken gewiefte Wanderer:innen das Thema Socken in den Blickpunkt: Falsche Socken verursachen Blasen. Herbert erinnert sich, dass ihm sein Großvater einmal, es war in Zusammenhang mit einem Schul-Wandertag, geraten hat, zwei Socken übereinander anzuziehen. Davon und von extra-dicken Socken rät Schmidleitner indessen ab. Besser mitteldicke, fest anliegende Socken wählen, die nicht scheuern. Ein Geh-Test in näherer Umgebung macht sicher.
Zur Muss-Ausrüstung gehört ein Erste-Hilfe-Set. Auch eventuell benötigte Medikamente sind mitzunehmen – immer damit rechnen, dass eine Wanderung länger dauern kann als geplant. Sollte man eine Krankheit haben, eine Allergie oder dergleichen, ist es vorteilhaft, einen gut auffindbaren Hinweis darauf mit sich zu führen. Kälte-, Regen- und Sonnenschutz sind wichtig, auch eine Taschenlampe ist anzuraten. Festes Obst wie Äpfel oder Birnen und Traubenzucker gehören zum Proviant, ebenso ausreichend Flüssigkeit, und zwar am besten Wasser oder wenig gesüßter Tee. Vor zu süßen und kohlensäurehaltigen Getränken warnen Edlinger wie Schmidleitner.
Handy ist tabu
Und dann fügen die beiden einen Hinweis hinzu, dessen Wichtigkeit gerade in der heutigen Zeit gar nicht genug betont werden kann: Niemals auf das Handy oder ein Navi verlassen. Die Elektronik kann versagen. Deshalb sollte man immer eine Umgebungskarte auf Papier mitnehmen.
Vor allem aber drängt Schmidleitner darauf, jede Tour, sogar eine vermeintlich einfache, zu planen. Alpenverein und Naturfreunde bieten Tourenvorschläge. Auch für Anfänger:innen ist einiges dabei.
Man muss sich selbst gegenüber ehrlich sein, welche Strecke man schafft.Martin Edlinger von den Naturfreunden
Und es sind viele Anfänger:innen: Schmidleitner vermutet, es könnte mit den reizvollen Bildern in den sozialen Medien zu tun haben, vielleicht auch mit der modischen Wanderkleidung, die männliche und weibliche Models in imponierenden Posen in Szene setzen. Richtig eingesetzt hat der Wander-Boom in der Corona-Krise. Unablässig war in Zeitungen zu lesen, im Radio zu hören, in TV-Sendungen zu sehen: Bewegung im Freien minimiert die Ansteckungswahrscheinlichkeit. Das dürfte ein Auslöser gewesen sein.
Jedenfalls ist Wandern, auch Bergwandern, heute ein Breitensport – was allerdings dazu führt, dass nicht jede:r, die oder der ihm frönt, dafür ausreichend vorbereitet ist. Wozu etwa ein Kurs für richtiges Wandern dient, bei dem man unter anderem lernt, trittsicher zu gehen.
Der Hund und die Kuh
Auch für Spezialprobleme gibt es längst Lösungsvorschläge. Edlinger etwa wird häufig gefragt, ob man Hunde auf die Tour mitnehmen kann – und wie das dann bei einer Begegnung mit Kühen ist. Im Prinzip ist es einfach: Den Hund unter allen Umständen an der Leine führen. Nur: Sollte die Kuh Anstalten machen anzugreifen, muss man den Hund so schnell wie möglich von der Leine lassen, damit er sich vor der Kuh in Sicherheit bringen kann. Sollte die Kuh die Wanderer:in attackieren (ein sicheres Warnsignal ist ein gesenkter Kopf), dann heißt es Ruhe bewahren, sich dem Tier entgegenstellen, den im Idealfall vorhandenen Wanderstock vor sich her abwehrend bewegen und sich rückwärts gehend von der Weide entfernen. Noch besser ist freilich, die Gefahr von vornherein zu meiden, indem man, wenn möglich, die Weidefläche umgeht. Auf keinen Fall Kühe oder Kälber streicheln, das können die Tiere als Angriff verstehen.
Nach dem Gespräch hat Herbert die Höflichkeit der Berge in ihren Grundzügen verstanden. Und niemals wieder würde er eine Plastikflasche im Gebüsch entsorgen. Der Abfall wird ins Tal mitgenommen, denn die Hütten, die nicht mit Autos angefahren werden können, haben ebenfalls Probleme bei der Entsorgung. Bei der nächsten Tour geht Herbert auch nicht allein. Susi und ihre Wandergruppe nehmen ihn mit, wohl wissend, dass sie jetzt vorerst einmal auf seine Anfänger-Bedürfnisse eingehen müssen. Es wirkt Bergwander-Wunder.
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Infos und Quellen
Genese
Bei diversen Wanderungen ist WZ-Redakteur Edwin Baumgartner aufgefallen, dass sich immer mehr, vor allem jüngere, Menschen auf die Tour machen – allerdings in städtischer Freizeitkleidung mit Sneakers und Poloshirt. Einmal wurde Baumgartners Begleiterin angesprochen, ob sie ein Desinfektionsmittel und Verbandsmaterial ausborgen könne. Unvorbereitet auf Wanderung gehen, kann unangenehm bis gefährlich werden. Man kann das nicht oft genug ins Gedächtnis rufen.
Gesprächspartner
Paul Schmidleitner, Bergretter und Vorstandsmitglied des Alpenvereins
Martin Edlinger, im Team der Naturfreunde zuständig für Bergtouren und Skitouren