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In den USA wird Studieren zunehmend zu einem Luxus

7 Min
Geld oder akademischer Abschluss?
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Die Vereinigten Staaten nehmen Generationen an Akademiker:innen in Kauf, die keine Zeit für politische und gesellschaftliche Teilhabe haben, weil sie Studienkredite zurückzahlen müssen.


„Nach meinem Studium sitze ich auf 80.000 Dollar Schulden“, erzählt die 30 Jahre alte Charlice. Sie hat Sozialwissenschaften studiert. Ihr Elternhaus konnte sie finanziell nicht unterstützen. Ein schwacher Trost: Die US-Amerikanerin ist mit diesem Problem nicht allein. Denn während wir in Österreich vielleicht auf das Eigenheim sparen, platzt ein solcher Traum für viele in den USA schon mit dem Eintritt in den tertiären Bildungssektor, der manchmal Kreditrückzahlungen auf Lebenszeit bedeutet.

Spätestens nach dem Abschluss der Highschool, also mit rund 18 Jahren, müssen sich die US-Amerikaner:innen entscheiden, ob sie sich das antun wollen: College oder nicht. Das sind im Regelfall vier Jahre bis zu einem Bachelor Degree.

Immer mehr Amerikaner:innen kommen drauf, dass sie sich das eigentlich nicht antun wollen. Im Herbst des Jahres 2021 haben sich nur 15,44 Millionen High-School-Absolvent:innen für eine höhere Bildung entschieden. Das sind um 21 Prozent weniger als noch im Jahr davor. So einen Absturz an Anmeldungen hat es zuletzt 1951 gegeben. Natürlich war 2021 ein Jahr, das stark auch von Covid-19 beeinflusst war (das Virus brach im Dezember 2019 aus). Aber die Zahlen der US-Amerikaner:innen, die sich für tertiäre Bildung entscheiden, gehen trotzdem seit 2010 stetig zurück.

Der Schlüssel in die Freiheit wurde zum Mühlstein um den Hals

Wieso ist das so? Es hat sich jedenfalls herumgesprochen, dass es sich nicht immer lohnt. „Meiner Generation wurde noch eingetrichtert, dass eine College-Ausbildung der Schlüssel zur finanziellen Unabhängigkeit ist“, erklärt Charlice gegenüber der WZ. Nun ist das Gegenteil eingetreten: Die Studiengebühren werfen viele US-Amerikaner:innen in ein Hamsterrad der Kreditrückzahlungen. „Viele, die ich kenne, bereuen es, die Ausbildungen gemacht zu haben“, sagt Charlice.

Denn wenn sie eine Ausbildung gemacht haben, die am Markt monetär etwas hergibt, können sie sich darauf verlassen, dass ihnen am Ende des Tages trotzdem nicht viel bleibt. Sobald sie einen Job haben, bei dem sie angemessen verdienen, steht der Staat vor der Tür und sagt: Jetzt ist es Zeit, die Ausbildung zurückzuzahlen. Das kann sich bei 80.000 Dollar schon in die Länge ziehen.

Im Durchschnitt kostet der Besuch eines US-amerikanischen Colleges (das – meist vier Jahre dauernde – Eingangstor in den tertiären Bildungsbereich) 38.270 US-Dollar im Jahr. Das beinhaltet Unterrichtsmaterialien und Unterhaltskosten. Nach oben gibt es kaum Grenzen: Je prestigeträchtiger die Uni, je prestigeträchtiger das Studium ist, desto teurer wird das Ganze.

„Das ist ein extremer Stress und Druck, der auf den Studenten lastet“, erzählt Sarah Schiffecker. Die Österreicherin lebt und arbeitet seit 2017 in den USA und unterrichtet mittlerweile am Department of Media und Communication an der Texas Tech University, an der sie auch ihren wissenschaftlichen Doktor (PhD) in Higher Education Research gemacht hat.

Ein Abschluss am Community College bringt vergleichsweise wenig

Selbst wenn die US-Amerikaner:innen die Billigschiene des Community College wählen: Auch hier sind die Kosten in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen: Die Gebühren für ein Jahr an einem Community College machen zwar nur knapp über 4.000 Dollar im Jahr aus, doch es kommen rund 9.000 Dollar pro Jahr dazu, wenn die Student:innen am Campus leben. Wenn sie nicht am Campus leben, zahlen sie um 2.000 Dollar mehr (im Schnitt 11.100 Dollar pro Jahr). Und ein Abschluss von einem Community College wird am Markt oft nicht so gern gesehen. Also noch einmal zurück zum Start. Wozu soll man sich das antun?

„Im angloamerikanischen Raum ist die sogenannte Stratifikation viel größer als bei uns“, weiß Franziska Lessky, Assistenzprofessorin an der Universität Innsbruck, die sich viel mit sozialer Gerechtigkeit in der Hochschulbildung beschäftigt. Stratifikation bedeutet, es werden die sozialen Schichten verfestigt, beziehungsweise in diesem Fall der Abstand zwischen Elite(-universität) und Fußvolk einzementiert. Anders gesagt: Dein Abschluss ist ähnlich so viel wert, wie du bereit warst, dafür auszugeben. Der Schuldenberg der Student:innen ist zudem mit der Inflation der letzten Jahre noch einmal explodiert. „Dazu kommt das Riesenproblem, was passiert, wenn du das Studium abbrichst? Du hast dann keinen Abschluss, aber musst trotzdem die Kredite zurückzahlen“, sagt Lessky.

Keine Bevorzugung von benachteiligten Gruppen mehr

Die USA haben sich eine Zeit lang bemüht, mit einzelnen Affirmative-Action-Programmen gegen das breitgewachsene Paradigma der weißen reichen Universitäten zu steuern. Mit sogenannter positiver Diskriminierung sollten Minderheiten so unterstützt werden, dass die unterschiedlichen Startvoraussetzungen im Leben bei Bildungseintritt nivelliert werden. Doch die USA haben sich spätestens unter dem republikanischen Präsidenten Donald Trump von der positiven Diskriminierung abgewendet. Denn das ist das Problem, wenn man mit punktuellen Programmen gegen den Trend anzukämpfen versucht: Man kann diese Einzelprogramme schnell wieder aussetzen.

Unter Trump haben die südlichen Bundesstaaten in den USA diesen Weg beschritten. Inklusionsprogramme wurden gestrichen. Keine speziellen Förderungen mehr, um sozial Schwächeren zu helfen (außer, es handelt sich um Sportstipendien). Critical Race Theory, wonach Ethnie auch ein soziales Konstrukt ist, darf nicht mehr unterrichtet werden.

Unter dem jetzigen demokratischen Präsidenten Joe Biden wurde diese Entwicklung nicht mehr rückgängig gemacht. Zu viel Macht haben die Bundesstaaten, die alle in republikanischer Hand sind.

Die Bundesstaaten können auch viel mitreden, wenn es um den Lehrplan in den Highschools geht. Die Colleges haben dann die Aufgabe, die Studierenden auf einen einigermaßen gleichen Wissensstand zu bekommen.

Viel Geld für ein bisschen von allem

Das wirkt sich auf das Curriculum aus. Während in Österreich alle Kurse in einem Studium mehr oder weniger mit dem gewählten Fach zu tun haben, muss man in den USA trotz der gewählten Fächer in Major oder Minor noch viele andere Klassen machen. „Eine Klasse für den multicultural credit. Eine Klasse chemistry credit. Auch wenn du eine Sprache studieren willst, musst du Chemie, Biologie und Mathe mitmachen. Die Idee dahinter ist: Man will verhindern, dass die Studierenden zu sehr spezialisiert sind“, erzählt Sarah Schiffecker aus der Praxis.

Das heißt ordentlich in die Tasche greifen, um eine Allgemeinbildung zu bekommen. Dazu zählt auch politische Bildung, etwas ganz Wichtiges, gerade im Zeitalter von Desinformation und Populismus. Aber Schiffecker wird das Gefühl nicht los, dass genau der gegenteilige Effekt eintritt. „Da sitzen dann 200 Leute in der Einführung in die Politikwissenschaft drinnen, die das nicht interessiert. Die das nur machen, um jetzt schnell noch einen Credit zu bekommen. Und die sich vielleicht ärgern, dass sie Geld hinauswerfen für eine Klasse, die sie weder brauchen noch wollen“, sagt Schiffecker. „Ich glaube, die Politikverdrossenheit wird eher mehr, wenn man die Leute zwingt, in diesen Klassen drinnen zu sitzen.“

Und nach dem Unterricht sitzt man auch nicht herum und lässt die Inhalte auf sich wirken. „Die US-Amerikaner:innen haben am Campus irrsinnig viele Stunden in den Klassen, müssen in ihren Studentenverbindungen Aktivitäten übernehmen und dann ab zum College-Sport. Die haben einen Stundenplan, da kann man nur staunen. Die kommen vom Campus nicht weg. Und dabei werden sie behandelt, als wären sie Kinder“, erzählt Schiffecker.

Studienfach nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten

Lustvolles Philosophieren über die Zustände in der Welt im Allgemeinen und im Besonderen, kritisches Hinterfragen der Ist-Zustände ist da oft aus Zeit- und Geldgründen nicht drin. Das wirkt sich insbesondere auf die Wahl von weiterführenden Masterprogrammen aus. „Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften, Sprachen… das sind alles Fächer, die am absteigenden Ast sind“, erzählt Schiffecker. Ihre Universität hat schon Masterprogramme in diesen Fächern schließen müssen. Weil wenn man schon so viel Geld ausgibt, überlegt man es sich umso mehr, welchen Job man damit bekommen könnte, um den Schuldenberg von 60.000 bis 80.000 Dollar abzubezahlen.

Charlice hat übrigens für US-amerikanische Verhältnisse Glück: Ihr Partner war bei der Armee und kann sich deswegen ein Haus leisten. Wenigstens muss Charlice also keine Miete zahlen, solang sie ihren Partner hat. Jetzt müssen eben nur die Schulden weg. Allerdings sind gerade in Kalifornien, wo sie wohnen, auch die restlichen Lebenshaltungskosten exorbitant gestiegen.


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Infos und Quellen

Genese

Schon in Österreich muss man sich das Studieren leisten können. Es gibt auch hierzulande die soziale Selektivität in der studierenden Population. Selbst wenn ich für das Studieren nichts zahle, zahle ich das Drumherum: den Verdienstentgang, die Unterlagen und die Miete. WZ-Redakteurin Konstanze Walther ist der Frage nachgegangen, wie das ist, wenn darüber hinaus noch ein Kredit im Nacken sitzt.

Die vielen einzelnen Förderungen, die es in den USA gibt, sind oft nur für Kinder aus Akademiker:innenfamilien abholbar. Denn deren Eltern haben sich schon im Kindergarten eine Strategie für diesen Fördertopf überlegt. Da wird dann das Kind in die Sportgruppe gesteckt oder wird sonst dazu verpflichtet, seinen Lebenslauf ab Stunde null aufzufetten, um bei der Bewerbung positiv herauszustechen. Eine derartige strategische Erziehung ist bei Menschen ohne akademischen Background oft nicht vorhanden.

Gesprächspartnerinnen

  • Sarah Schiffecker ist 2017 als Deutschlehrerin in die USA gezogen und hat an der Texas Tech University angefangen zu arbeiten, um sich die Gebühren leisten zu können. Inzwischen ist sie am College of Media und Communication angestellt. Schiffecker hat einen PhD in Higher Education Research.

  • Franziska Lessky forscht an der Universität Innsbruck über soziale Ungleichheiten in der Hochschulbildung.

  • Charlice, US-Amerikanerin, die ihre Ausbildung in Kalifornien gemacht hat – und dort mit den hohen Lebenshaltungskosten zu kämpfen hat.

Daten und Fakten