Zum Hauptinhalt springen

Interview mit einer Hexe

5 Min
Hexen, Hexenkult, Kartenlegen und Zauberei ist nach wie vor beliebt: Doch was macht eine moderne Hexe aus?
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Zaubersprüche, Rituale und Orakel: Der Hexen-Boom reißt nicht ab - egal ob in Filmen, Büchern oder auf TikTok. Doch was macht eine „echte“ Hexe aus? Sind sie moderne Feministinnen im traditionellen Gewand? Die WZ hat mit einer Wiener Hexe gesprochen.


„Lady of Anthrazil“, das ist Vera Riepl. Zumindest auf ihrem YouTube-Channel oder auf Facebook. Der Name wurde ihr auf einer ihrer meditativen Reisen ins Ich bewusst. Man kann sagen: Er erschien ihr, während sie malte, vor ihrem inneren dritten Auge. Auf TikTok sucht man sie vergeblich. Vera meidet #WitchTok, sie beobachtet den Boom jedoch aus der Ferne. „Mir ist TikTok zu schnelllebig. Wenn jemand weiß, was er da macht, wertvolles Wissen verbreitet und sich gleichzeitig auch der Konsequenzen bewusst ist, die ein Reel haben kann, dann befürworte ich es auch für die Hexenkunst.“ Beim Großteil der Creators sei viel Show dabei. „Falsche“ Magie sozusagen. Veras Rat: „Vor allem jüngere Leute sollten skeptisch sein und hinterfragen, was sie sich da anschauen und nicht jeden Trick und ,Zauber‘ glauben. Das kann man nicht oft genug sagen.“

Vera Riepl beim Kartenlegen.
Die Wienerin Vera Riepl legt Tarotkarten auch digital.
© Fotocredit: Vera Riepl

Vera ist eine moderne Hexe. Warum gerade „moderne Hexe“ und nicht einfach nur Hexe? „Für mich bedeutet es, altes Wissen und Traditionen in die moderne Welt zu tragen.“ In der Hexenschule in Wien-Landstraße hat Vera über Kräuterkunde, Kartenlegen und generell, wie man sich mehr mit der Natur und dem Zyklus verbindet, gelernt. Unter Zyklus versteht sie einerseits den Mondzyklus, andererseits den Zyklus der Frau: „Sich in Einklang zu bringen, ist eine wichtige und bereichernde Erfahrung.“ Also Selfcare als Zeichen eines neuen Feminismus? „In Form eines positiven Feminismus. Für mich bedeutet es, dass Frauen ihre Stärken kennen und an sich glauben, ohne dabei männerfeindlich zu sein“, antwortet Vera. Eine moderne Hexe könne ein starkes Symbol für Selbstbestimmung und Empowerment sein. Für Hexe Vera ist es wichtig, „nach vorn zu schauen und diese alten Rollenbilder hinter sich zu lassen“. Mit Magie?

Vera gibt nicht immer Antworten

Vera lacht. „Und das Patriarchat zaubere ich auch gleich weg?“ Die Frage entpuppt sich sogleich als Scherz. „Magie ist schwer in Worte zu fassen: Es hat mit Glauben und der Kraft der Gedanken zu tun. Man kann mit positiven Gedanken und Energie vieles verwirklichen und positiv beeinflussen.“ Wenn man Dinge und Situationen visualisieren und affirmieren würde, könne man das auch als eine Form von Magie bezeichnen. Vera geht es darum, das Leben positiv und bewusst zu gestalten. „Ich mache spirituelle Kunst und arbeite mit Klängen und Musik. Wenn ich zeichne oder male, bin ich in einem meditativen Zustand und nehme Energien, Farben und Eindrücke wahr, die ich dann auf die Leinwand bringe. Ich arbeite auch mit Frequenzen und Klängen, die eine heilsame Wirkung haben können und dabei helfen, Stress abzubauen und Entspannung zu finden.“

Psychologie ist mit im Spiel

Ferner verwendet Vera Kristalle, um die Energie eines Raumes oder einer Person zu harmonisieren – auch in Kombination mit Klängen beim Malen − und legt Tarotkarten. Ist da Psychologie mit im Spiel? „Die Karten geben Richtlinien und vermitteln Energien, aber man hat immer noch die Kontrolle über sein eigenes Leben und kann es in die gewünschte Richtung lenken“, antwortet sie. Und: „Die Ausbildung, die wir in der Hexenschule gemacht haben, basiert auch auf psychologischen Elementen.“ Vera verwendet hauptsächlich Feen- und Engelskarten, um positive und unterstützende Botschaften zu vermitteln. Gesundheitsfragen beantwortet sie nicht, „da ich keine medizinischen Ratschläge geben möchte“. Gesetzlich darf sie das auch nicht. Fragen nach dem Todeszeitpunkt beantwortet sie ebenfalls nicht.

Ein gestalteter Altartisch mit einem Sonnenbild der "Lady von Anthrazil" im Hintergrund.
Der Altar einer modernen Hexe.
© Fotocredit: Vera Riepl

Zum Interview ist Vera in einem bunten Kleid und ebenso farbenfrohen Schal gekleidet. Ihre langen Haare trägt sie offen. Wir treffen einander in den Blumengärten Hirschstätten in Wien-Donaustadt. Inmitten der bunten Szenerie, der Natur, fühlt sie sich wohl. Ihr ganzes Erscheinungsbild wirkt luftig, leicht und vor allem sonnig. Wie die Motive auf den Feen-Tarotkarten. Von Hexenbesen, schwarzem Spitzhut oder sonstigen klischeebesetzten Symbolen ist nichts zu sehen. Die junge Frau wirkt selbstbewusst und doch zurückhaltend, ihr Blick ist interessiert und wachsam. „Ich habe schon immer eine starke Verbindung zur Natur und zum Universum gespürt. Als Kind habe ich mich sehr für Sterne, Planeten und Konstellationen interessiert“, erzählt die 30-Jährige. Dieses Gefühl der Verbundenheit und die Faszination für das Große und Ganze haben sie immer begleitet. Schon als Kind hatte Vera zwei große Träume: etwas Kreatives zu machen oder sich mit Chemie und Medizin zu beschäftigen – ähnlich der Entscheidung zwischen Hexenkessel und Reagenzglas. Sie hat später einen Weg gefunden, beide Welten zu vereinen. Mit ihrer Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten konnte sie ihre wissenschaftliche Seite ausleben und gleichzeitig ihre kreative Energie nutzen.

Was sich in der Innenpolitik so abspielt, erläutert Georg Renner in seinem wöchentlichen Newsletter.

Ein Kopf auf gelbem Hintergrund

Einfach Politik.

Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.

Jeden Donnerstag

„Ich bezeichnete mich früher als spiritueller Mensch. Später stieß ich aufgrund eines Zeitungsartikels auf die Hexenschule in Wien.“ Seit dem Besuch dieser Schule würde sie sich bewusst eine moderne Hexe nennen. Wurde sie deswegen schon angefeindet? Es gibt ab und zu skeptische Reaktionen und Schmunzler, aber insgesamt wird das, was ich mache, gut aufgenommen.“ Im Großen und Ganzen habe Vera sehr positive Erfahrungen gemacht und fühle sich in ihrer Rolle als moderne Hexe akzeptiert.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

Redakteurin Verena Franke rutschte per Zufall in die #Witchtok-Bubble auf TikTok und stellte mit Erstaunen fest, dass Hexen, wie schon in ihrer Kindheit, auch heute noch Menschen in ihren Bann ziehen. Dank Social Media, und vor allem TikTok, sind es Millionen von User:innen, die selbsternannten Hexen und Wiccas folgen. Franke wollte aus diesem Grund nicht mit einem Social-Media-Star sprechen, sondern mit einer österreichischen Hexe, die dieses Phänomen von außen sieht und verfolgt. Und aus Neugierde, um zu sehen, wie eine selbsternannte Hexe heutzutage ihren Alltag bestreitet.

Gesprächspartnerinnen

  • Vera Riepl faszinierte von Kindheit an die Geschichte der Chemie bzw. Alchemie einerseits, die Natur, das Universum und die Sterne andererseits. Spiritualität war und ist ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Im Alter von 20 Jahren schloss sie die Ausbildung zur diplomierten medizinischen Fachassistenz ab. Nebenbei besuchte und absolvierte sie die Hexenschule Wien von Birgit Jankovic-Steiner. Riepls Lebensmotto: „Du bist nie allein. Du bist in jeder Situation, an jedem Ort und in jeder Lebenslage beschützt. Das Licht ist in Dir. Strahle hell.“

  • E-Mail-Austausch mit Autorin Birgit Jankovic-Steiner. Sie absolvierte den Master in Psychosozialer Beratung an der Privaten Universität Krems, und arbeitet als Coach mit Schwerpunkt Persönlichkeitsentwicklung. 2013 gründete sie in Wien-Landstraße ihre eigene Hexenschule, die mit 24. Dezember 2023 schloss. Sie wollte kein Interview geben.

Daten und Fakten

  • Die Geschichte der Hexen ist eine faszinierende Reise durch die Zeit, geprägt von Mythen, Angst und letztlich Wiedergeburt:

  • In frühen Kulturen, wie der der Griechen und Römer, gab es sowohl positive als auch negative Vorstellungen von Hexerei. Hexen wurden oft als weise Frauen oder Seherinnen angesehen, die mit Kräutern und magischen Praktiken heilten.

  • Im Mittelalter begann die Kirche, Hexen als böse und mit dem Teufel im Bund darzustellen. Das führte zu zunehmender Angst und Misstrauen gegenüber Frauen, die heilende oder spirituelle Praktiken ausübten.

  • Die Hexenverfolgungen erreichten ihren Höhepunkt zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert. Insgesamt wurden in Europa im Zug der Hexenverfolgung geschätzt 40.000 bis 60.000 Menschen der Hexerei beschuldigt und hingerichtet. Besonders bekannt sind die Hexenprozesse in Europa und Nordamerika, wie die Hexenprozesse von Salem. Verurteilt wurden sie von weltlichen Gerichten, lebendig verbrannt wurden wenige. Die vermeintlichen Hexen und Hexer starben meist schon aufgrund der grausamen Folter, ihre Leichen wurden anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

  • Mit der Aufklärung und dem wissenschaftlichen Fortschritt begann das Ende der Hexenverfolgungen. Vor allem der Fortschritt in der Wissenschaft – wie die Beweisbarkeit der Wirkung von Kräutern etc. −führte dazu, dass Hexenprozesse seltener wurden. Aus den Hexen wurden Kräuterfrauen.

  • Der letzte Hexenprozess in Europa fand 1945 statt: Während einer Séance plauderte Helen Duncan 1944 militärische Geheimnisse aus. Aufgrund des Anti-Hexereigesetzes „witchcraft act“ aus dem Jahr 1735, das noch in Kraft war, inhaftierte man sie und stellte sie später vor Gericht. Erst 1951 wurde das Gesetz abgeschafft.

  • Im 20. Jahrhundert erlebte das Bild der Hexe eine Wandlung: Die Wicca-Bewegung und andere neopagane Strömungen (also religiöse und kulturelle Strömungen, die sich vor allem an antikem, keltischem, germanischem und slawischem Heidentum orientieren) erweckten das alte Wissen und die Praktiken zu neuem Leben. Hexen wurden nun oft als Symbole für Feminismus, Naturverbundenheit und spirituelle Selbstbestimmung gesehen. Heute sind Hexen ein fester Bestandteil der Popkultur und vieler spiritueller Praktiken weltweit. Die moderne Hexe verbindet altes Wissen mit neuen Ideen und feiert die Verbindung zur Natur und zum Universum. Die Zahl der „neuen Hexen“ wird allein in den Vereinigten Staaten auf 250.000 geschätzt. Dazu zählt etwa die Wicca-Religion, die sich heute als neue Form einer heidnischen Naturreligion der Hexen versteht, in den USA viele Anhänger:innen hat und dort als Religion anerkannt ist. Es sind auch vorrangig Wiccas, die unter #Witchtok auf TikTok zu finden sind. Die Celtic Witches berufen sich speziell auf Wurzeln in der keltischen Mythologie und Religion.

  • Tarot besteht aus einem Satz von 78 Spielkarten, der zu psychologischen Zwecken oder als Wahrsagerkarten verwendet wird. Die psychologische Erklärung sieht in einer Tarotlegung einen Spiegel innerer und äußerer Prozesse. Es gibt unterschiedliche Sätze, Vera Riepl verwendet beispielsweise jene mit Engeln, Feen und Einhörnern.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien