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Ist es noch okay, bei Lieferdiensten zu bestellen?

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Die fetten Jahre für die Lieferdienste nach dem Boom in der Pandemie sind vorbei. Immer mehr Anbieter müssen Geschäftsflächen verkaufen und Mitarbeiter kürzen.
© Illustration: WZ

Foodora, Lieferando und Co. stehen derzeit mehrfach unter Kritik: Sie sollen ihren Mitarbeiter:innen zu wenig zahlen, und den Gastronom:innen zu viel Geld wegnehmen. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht.


Es ist gemütlich: nach einem langen Arbeitstag Essen zu bestellen, anstatt selbst in der Küche zu stehen. Einkäufe liefern lassen, anstatt sie selbst zu erledigen. Fahrradbot:innen ermöglichen uns Komfort. Doch für die Bot:innen selbst dürfte es weniger komfortabel sein, denn immer mehr protestieren. Warum machen die Mitarbeiter:innen von Foodora und anderen Services einen Aufstand?

Ausliefern an der Armutsgrenze

Die Menschen, die unser Essen liefern, leben unter der Armutsgrenze, argumentiert die Gewerkschaft. Fahrradbot:innen verdienen mit ihrem Kollektivvertrag 10 Euro brutto pro Stunde, das sind 1.730 Euro brutto bzw. 1.430 Euro netto im Monat. Wer in einem Single-Haushalt weniger als 1.572 Euro pro Monat zur Verfügung hat, gilt in Österreich als armutsgefährdet. Und das ist der Grund, warum viele Bot:innen in den vergangenen Wochen österreichweit bei organisierten Warnstreiks ihre Arbeit pausiert haben. Die Gewerkschaft fordert bei den Kollektivvertragsverhandlungen, die Löhne zumindest um 8,7 Prozent anzuheben – also dem Niveau der durchschnittlichen Teuerung. Das Angebot der Arbeitgeber soll bisher (Ende Mai) nur bei 5,8 Prozent liegen.

„Wir sind ihre Sklaven”, sagt ein Bote gegenüber der Presse über die Arbeitsbedingungen. Um die prekäre Situation der Essenszusteller:innen zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die jüngere Geschichte: dem Aufstieg der Gig Economy Anfang der 2010er-Jahre. Als Gigs werden kurzfristige Jobs auf freier Basis bezeichnet. Mit der Einführung von Diensten wie Uber, Airbnb oder DoorDash in den USA positionierten sich diese Startups als Plattform statt als Arbeitgeber. Die Unternehmen argumentierten, dass sie als Lieferdienste oder Marktplätze nur Jobs vermitteln und nicht selbst die Arbeitskraft anbieten. So entgingen sie lang ihrer Verantwortung als Arbeitgeber. Als diese Services größer wurden und auch nach Europa expandierten, kamen sie mit dieser Haltung aber immer mehr unter Druck und mussten für bessere Arbeitsbedingungen sorgen.

Nicht alle Bot:innen sind angestellt

Mittlerweile haben viele der Unternehmen in den USA, aber auch in Europa, Betriebsräte. In Österreich wurde 2020 der Kollektivvertrag für Fahrradbot:innen eingeführt – laut der Gewerkschaft war es der weltweit erste dieser Art. Nur gilt der nicht für alle: Der Gewerkschaft zufolge haben nur 2.000 der bis zu 5.000 Bot:innen den KV. Bei Foodora etwa arbeiten 3.000 Zusteller:innen auf freier Basis, Lieferando hingegen beschäftigt alle mit dem Kollektivvertrag.

Die Lieferdienstvertretung der Wirtschaftskammer argumentiert die prekären Verhältnisse damit, dass für die meisten Bot:innen das Liefern kein Vollzeitjob sei: „Die meisten Fahrradkuriere fahren, um sich etwas dazuzuverdienen. Das ist kein Vollzeitjob. 40 Stunden pro Woche zu fahren, ist schon rein körperlich nicht möglich”, sagt Horst Orthaber von der zuständigen Fachgruppe für das Güterbeförderungsgewerbe. Die Branche sieht sich außerdem unter wirtschaftlichem Druck, da die Lieferdienste nicht nur untereinander, sondern auch mit Taxis und Kleintransportern konkurrieren.

Tatsächlich sind die fetten Jahre für die Lieferdienste nach dem Boom in der Pandemie vorbei. Der deutsche Konzern Delivery Hero, der Eigentümer von Foodora, verkaufte in den vergangenen Monaten mehrere Geschäftsbereiche unter anderem an Konkurrent Uber Eats. Der türkische Lieferdienst Getir zog sich kürzlich aus Deutschland und anderen Märkten zurück. Vergangene Woche meldete Foodora selbst ein Sparprogramm in Österreich an: Das Unternehmen stellt seine eigenen Supermarktlieferungen ein, 128 Mitarbeiter:innen müssen gehen.

Gastronomie gegen „pinke Heuschrecke”

Doch nicht nur mit ihren Zusteller:innen liegen die Unternehmen im Clinch, sondern mittlerweile auch mit den Gastronom:innen. Vertreter:innen der Wiener Gastronomie forderten die Regierung in einem Schreiben im April auf, gegen die „pinke Heuschrecke” – gemeint ist Foodora – vorzugehen. Für den Vertrieb ihrer Speisen über die großen Plattformen zahlen die Betriebe demnach bis zu 35 Prozent Kommission. Das System zwinge Restaurants in eine Verlustspirale, heißt es aus der Branche. Foodora entgegnet, dass je nach Logistiklösung für den Partner höchstens 30 Prozent bei der Plattform bleiben.

Der Komfort, den die Lieferdienste uns ermöglichen, hat also Schattenseiten. Eine baldige Lösung im KV-Streit ist derzeit nicht absehbar, die Gewerkschaft wirft den Arbeitgeber:innen Gesprächsverweigerung vor. Es könnte also bald wieder gestreikt werden. Wer trotz der Kontroversen bei den Zustelldiensten nicht auf den Komfort verzichten möchte, hat zwei Möglichkeiten: Die Fahrradbot:innen mit Trinkgeld unterstützen oder das Essen direkt beim Restaurant abholen.

Elisabeth Oberndorfer schreibt jede Woche eine Kolumne zum Thema Ökonomie. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Daten und Fakten

  • In Österreich gibt es seit 2020 einen Kollektivvertrag für Fahrradbot:innen

  • Bei den großen Lieferdiensten arbeiten jedoch weiterhin viele auf freier Basis, nur 2.000 sind angestellt

  • Wegen der aktuellen KV-Verhandlungen organisiert die Gewerkschaft seit März Warnstreiks

  • Die Unternehmen stehen nach einigen Boom-Jahren unter wirtschaftlichem Druck, Foodora kündigte Ende Mai Sparmaßnahmen an

Quellen

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