Smartphone in der Schule: „Damit haben wir kein Problem“
Was passieren muss, damit das Handy nicht zum Störfaktor im Unterricht wird:
Der Umgang mit dem Smartphone in Schulen ist in Österreich nicht geregelt. Das hat schwerwiegende Konsequenzen für den Unterricht, wie uns Lehrer:innen und Schüler:innen in den bisherigen Geschichten unserer WZ-Serie „Klassenkampf ums Smartphone" erzählt haben. Auch, weil die verantwortlichen Politiker:innen, wie Österreichs Bildungsminister Martin Polaschek, nichts daran ändern wollen, wie er der WZ sagt. Und damit die Schulen allein lassen.
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Direktor:innen sind die Hände gebunden. Für die Änderung der Hausordnung brauchen sie die Zustimmung von Eltern und Schüler:innen, die sie zumeist nicht bekommen. Doch es gibt Ausnahmen: Wir haben zwei Schulen gefunden, die mit Mühe eine neue Hausordnung durchgebracht haben. Sie erzählen, was sich dadurch geändert hat:
07:45 Uhr. Die 12-jährige Amelie ist auf dem Weg in die Schule. Ein letzter Massen-Snap geht hinaus, die letzte Instagram-Story wird gelikt. Aber nur bis 08:00 Uhr, denn sie weiß: Mit Unterrichtsstart wird ihr Handy weggesperrt. Im Gymnasium Franklinstraße im 21. Bezirk herrscht nämlich seit einem Jahr Handyverbot. Das bedeutet: In der Unterstufe werden die Handys vor dem Unterricht in eine Handybox gesperrt und mit Unterrichtsschluss wieder herausgenommen. Die Schüler:innen der Oberstufe müssen die Handys während des Schultags verstaut haben. Ob das wirklich funktioniert?
Die WZ hat nachgefragt.
„Die Kinder reden wieder miteinander“
„Auf dem Weg in die Schule sind noch alle am Handy. Sobald die Smartphones in der Box verschwinden, sind sie aber kaum noch Thema“, sagt die Direktorin Katharina Zambo. „Die Kinder beschäftigen sich in den Pausen miteinander, gehen in den Hof, reden und spielen miteinander“, erzählt sie. Ihrer Meinung nach sei es die Aufgabe der Schule, gegen die Handysucht der Schüler:innen anzukämpfen. Ein Stundenplan im Lehrerzimmer, auf dem vermerkt wird, wann welche Lehrkraft die Handybox übernimmt, hilft dabei.
Es geht nur gemeinsam
Das strenge Handyverbot, das vor einem Jahr im Schulausschluss vereinbart wurde, trägt Früchte. Anfangs war es eine Hürde, die Eltern, Schüler:innen, Lehrer:innen und Schulvertretung von diesem Konzept zu überzeugen. Besonders Eltern mussten sich daran gewöhnen, dass ihre Kinder nun nicht mehr dauernd für sie erreichbar sind. „Die Unterstufen-Schüler:innen geben das Smartphone eigenständig in Handyboxen, in denen es so etwas wie Hüllen gibt, damit die Handys nicht zerkratzen“, sagt Zambo. „Wird etwas beim Wegschließen beschädigt, haften die Schüler:innen selbst. Wenn etwas aus der Box gestohlen wird, haftet die Schule.“ Beides sei aber noch nicht vorgekommen.
Die WZ will wissen, wie diese Regelung laut Schüler:innen funktioniert und spricht mit den Schulsprecher:innen Amina und Ali.
„Wir sind alle süchtig nach unseren Smartphones. Ob in der Unterstufe, der Oberstufe oder die Lehrer:innen selbst. Manchmal wird uns von den Jüngeren hinterhergerufen: ‚Schafft die Handybox ab!‘“, erzählen die Schulvertreter:innen der WZ. Trotzdem halten sich alle an die Vorgaben. Am Gang benutzt niemand das Handy. Ali und Amina sehen das als Chance. „Wir legen jetzt mehr Wert darauf, miteinander zu kommunizieren. Uns wird bewusster, dass wir unsere Freiheit und Jugend nicht für immer haben werden“, erzählt Amina der WZ.
Ein Handy-Hotel für die NMS
Auch an einer Neuen Mittelschule in Meidling wurde mit diesem Schuljahr alles anders: Die Schule hat die Notbremse gezogen und sogenannte Handy-Hotels eingeführt. „Das war eine riesige Erleichterung für uns alle“, erzählt Lehrerin Andrea I. Davor herrschte Ausnahmezustand, ein normaler Unterricht sei nicht mehr möglich gewesen. Es wurde heimlich gefilmt, fotografiert, gechattet. Die Folgen waren unter anderem permanente Ablenkung vom Unterrichtsstoff, zu wenig Zeit für den Unterricht, permanentes Sanktionieren. Damit war auch klar, dass sich etwas ändern musste, und zwar schnell - im Interesse der Lehrer:innen, Schüler:innen und der Eltern. Die neue Hausordnung wurde einstimmig beschlossen, und die Smartphones wurden aus der Schulzeit verbannt.
Die Handy-Hotels sind abschließbare Boxen mit Nummern. Die Schüler:innen stecken ihr abgeschaltetes Handy vor Unterrichtsbeginn in die ihnen zugeordnete Box. Diese wird verschlossen, und die Schlüssel werden alle auf dem Lehrertisch gesammelt. „Am Ende des Unterrichtstages holen sich alle ihre Handys wieder ab“, erzählt sie. „Das funktioniert super“, sagt Andrea I. „alle im Kollegium sind sehr happy damit, und die Schüler:innen sind mittlerweile auch daran gewöhnt.“
16:30 Uhr. Der Unterricht ist aus. Die 12-jährige Amelie nimmt ihr Handy aus der Handybox. Sie checkt ihre Nachrichten. Keine neue Mitteilung. Außer von ihrer Mama, die ihr drei TikToks geschickt hat und sie sechs Mal angerufen hat.
Wir freuen uns über Feedback von Lehrer:innen, Schüler:innen und Direktor:innen, die Lösungen gefunden haben. Was sind eure Erfahrungen mit dem Smartphone in der Schule? Schreibt uns an feedback@wienerzeitung.at.
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Infos und Quellen
Genese
Die Schulleistungen der Kinder im Umfeld der beiden WZ-Redakteur:innen Ina Weber und Bernd Vasari wurden schlechter, bis die Handys von ihren Eltern verstaut wurden. Und die 25-jährige Trainee Nora Schäffler ärgert sich noch immer, dass sie in ihrer Schulzeit so viel Zeit am Handy verbracht hat. Wie Handyverbot an Schulen klappen kann, haben sich die drei hier genauer angeschaut.
Gesprächspartner:innen
Amina und Ali, Schulsprecherin:innen am BG/BRG Franklinstraße 21
Katharina Zambo, Direktorin am BG/BRG Franklinstraße
Andrea I., Lehrerin, Neue Mittelschule Meidling
Daten und Fakten
Ganz Europa diskutiert über Handyverbot an Schulen. Schon 2017 zeigen Studien wie die “Brain-Drain”-Studie, dass die bloße Anwesenheit vom Smartphone ablenkt und Gedächtnisleistung reduziert. Eines wird immer klarer: Es ist nicht nur die Zeit, die am Handy verbracht wird. Auch das Gefühl der ständigen Erreichbarkeit stören den Lernprozess.
Frankreich ist der europäische Vorreiter. Seit 2010 herrscht in französischen Schulen Handyverbot. Zuerst war das Benutzen von Handys im Unterricht verboten, seit 2018 auch in den Pausen. Nicht nur Mobbing, Depressionen und Schlafstörungen haben sich in der Zeit verbessert, auch die Leistungen zeigen, dass der Schulalltag ohne Smartphone besser für die Schüler:innen funktioniert.
Italienische und niederländische Klassenzimmer sollen in den nächsten Jahren handy-frei werden. Die niederländische Regierung ist gerade dabei, diese Regelungen nun auch an Grund- und Sonderschulen zu verschärfen. Unterrichtsfächer wie digitale Grundbildung sind Ausnahmen.
Sogar Übersee ist man dahinter: In Tallahassee, USA wollen sie junge Erwachsene von sozialen Netzwerken loskriegen. Ab 2025 soll niemand unter 14 Jahren ein eigenes Social Media Konto haben. Kritisiert werden vor allem Pseudo-Maßnahmen, wie Altersbegrenzungen von TikTok und Co.
Quellen
Universität Augsburg: Smartphones reduzieren Aufmerksamkeit und Leistung
Das deutsche Schulportal: Immer mehr Länder verbannen das Handy aus dem Unterricht
Entfants et écrans: À la recherche du temps perdu
Das Thema in der WZ
Lehrerinnen gegen Handys: "Wir können nicht mehr" (WZ-Serie Teil 1)
"Das Handy beruhigt uns Schüler:innen" (WZ-Serie Teil 2)
Handys im Unterricht: "Die Schulen sollen es selbst regeln" (WZ-Serie Teil 3)
Smartphone in der Schule: "Damit haben wir kein Problem" (WZ-Serie Teil 4)
Das Thema in anderen Medien
Profil: „Wir haben die Kinder verloren“
Profil: Kindheitskiller Smartphone
Kleine Zeitung: Experte appelliert: Handys müssen raus aus den Schulen
Falter: Macht das Smartphone unsere Kinder krank? (Paywall)
NZZ: Florida schirmt Teenager von Tiktok, Facebook und Co. ab