Den individuellen Porno mit dem Kopf des Lieblings-Promi oder der Ex-Freund:in kann sich bald jede:r mit künstlicher Intelligenz erschaffen. Trotzdem wird es immer echte Porno-Darsteller:innen geben.
Blonde Haare, große Brüste, draller Hintern. „Miss Jackson“ posiert auf Instagram sexy. Lasziv schaut sie in knappen Bikinis oder engen Kleidchen in die Kamera. Das Erotik-Model aus Wien mit dem internationalen Künstlernamen hat 155.000 Follower:innen. Ihr Geld verdient die Unternehmerin aber mit Onlyfans (OF). Auf der Plattform gibt es Content nur gegen Bezahlung. Und der ist viel expliziter.
Emily Pellegrini ist auch ein Model. Mit ihren kastanienbraunen Augen schaut sie verführerisch in die Kamera. Sie hat viele Follower:innen auf Fanvue, einer OF-Konkurrenzplattform. Sie gibt es allerdings gar nicht. Emily ist ein KI-Model, das sogar ein deutscher Profi-Fußballer für echt gehalten haben soll. Und sie ist nicht das einzige Fake-Profil von Tech-Experten, die versuchen, mit heißem Content Geld zu verdienen.
- Mehr für dich: Waldbrände in Kalifornien: Wie eine Familie alles verlor
Die Suche nach dem Echten
Mit künstlicher Intelligenz geht in vielen Branchen die Angst um. Welche Jobs werden künftig noch von echten Menschen erledigt? Die Erotik-Branche müsste zittern - ist aber ziemlich entspannt. „Die Angst, dass mir KI meine Arbeit wegnehmen könnte, habe ich überhaupt nicht“, sagt Miss Jackson der WZ. „Im Gegenteil. Viele Leute in der Branche finden es eher bedrohlich, dass immer mehr ,Normalos‘ pornografischen Content anbieten. Da an die Spitze zu kommen, wird immer schwieriger.“ KI-Content gehe nur so lang gut, wie die Leute nicht wissen, dass es KI sei, sagt die Content-Creatorin. „Wenn es einen Job gibt, wo man draufkommt, dass Frauen damit gut Kohle machen, kommen leider immer Typen daher, die meinen, sie müssten da mitverdienen.“
Viele Stunden schaut sich Sven Lewandowski Amateurpornos an. Der Soziologie will Sexualität verstehen. Für den Wissenschaftler ist Pornografie mehr als reine Masturbationsvorlage zur Triebbefriedigung. Sie ist ein kulturelles Phänomen in der Gesellschaft. Lewandowski ist überzeugt davon, dass Porno-Darsteller:innen nicht verschwinden werden. „Es gibt eine These in den Porn Studies, dass viele Porno-Nutzer die Filme auf unwillkürliche Äußerungen wie Lust oder Schmerz abscannen. Sie suchen nach dem Echten, dem Authentischen.“ Für sie ist es attraktiv, wenn Akteur:innen sichtbar die Körperkontrolle verlieren. Das wirke als Echtheits-Beweis, so Lewandowski. Der Forscher vermutet, dass echte Darsteller:innen künftig verstärkt versuchen werden, auf Echtheitsbeweise zu setzen, die KI nicht nachmachen kann.
Sven Lewandowski, Pornografie-Forscher,Amateur‘ ist einer der zentralen Suchbegriffe auf Porno-Seiten geworden.
In der Porno-Industrie geht es um viel mehr als Sex. Neben Authentizität gehe es um Kontakte, sagt Lewandowski. Viele User:innen wollen mit den Darsteller:innen in Kontakt treten, wie auf Onlyfans, oder sich live bei Events treffen . Im semi-professionellen Amateurbereich sind etwa User:innen-Treffs sehr beliebt. Die Nachfrage an Amateur-Content sei ungebrochen. „Amateur“ ist einer der zentralen Suchbegriffe auf Porno-Seiten überhaupt geworden“, sagt Lewandowski.
Es geht also um Beziehung. Viele Onlyfans-Kund:innen, die Miss Jackson folgen, haben das Gefühl intim mit der Darstellerin verbunden zu sein. Wenn auch einseitig und auf Distanz. Parasozial nennt man das. „Manchmal mache ich einfach nur eine Flasche Wein auf und quatsche mit meinen Leuten stundenlang live. Da passiert überhaupt nicht viel Action, aber ich rede mit meiner Community und wir kennen uns gut“, sagt die Wienerin. Diese Stammkund:innen supporten die Content-Creatorin, weil sie sie mögen und nicht, weil sie gerade dafür eine erotische Dienstleistung erbringt. „Ich sage immer, ich habe eine offene Beziehung mit allen.“
Pornografie erfüllt im privaten Amateurbereich auch eine Funktion der Selbstdokumentation. „Und die lässt sich durch KI nicht ersetzen“, sagt Lewandowski. „So, wie manche Familienfotos am Strand machen, statt Postkarten zu kaufen. Obwohl die viel besser aussehen. Oder so, wie manche Leute auf Konzerte gehen und diese in schlechter Qualität am Handy filmen. Obwohl das 50.000 andere genauso tun und man sich Videos in besserer Qualität später im Internet auch runterladen könnte.“
„Hollywood-Pornos" sind uninteressant
„Hollywood-Pornos“ mit perfekt aussehenden Darsteller:innen gibt es viele am Markt. Das entspricht aber nicht unbedingt den Sehnsüchten der Durchschnittsuser:innen, ist Lewandowski überzeugt. „Die meisten interessieren sich nicht für den perfekten Porno.“ Die meisten User:innen finden einen Porno mit „normalen" Menschen, die ihnen in ihrem Alltag begegnen könnten viel interessanter, als mit einem perfekt generierten Model, so der Soziologe.
Miss Jackson arbeitet seit zehn Jahren in der Erotik-Welt und hat als Cam-Girl begonnen. Und auch dieses Angebot, sich über Webcams und Live-Streaming im Internet zu präsentieren, hat trotz Onlyfans und Porno-Webseiten immer noch seine Kund:innen. „Ich bin ab und an auch live auf OF. Aber es ist komplett anders, da fehlt ur viel“, sagt das Erotik-Model. „Viele Frauen haben mit dem Camen aufgehört, weil es einfach richtig harte Arbeit ist. Du hockst stundenlang da und musst pausenlos entertainen. Du unterhältst dich mit 50 Leuten gleichzeitig im Chat und versuchst, dass sie dir Geld schicken und im Chat bleiben.“ Onlyfans gleiche eher einer Einbahnstraße. Und genau deshalb ersetzt es die Webcams auch nicht.
Ängste, die in Verbindung mit KI aktuell aufkeimen, sind in der Pornobranche nichts Neues. „Es wird immer Leute geben, die auf Sex-Content mit einem Bot stehen. Das gab es aber schon immer. Wie etwa bei der Kategorie Hentai, also pornografische Manga und Anime. Das ist auch nichts Reales, aber sehr gefragt“, sagt die Porno-Darstellerin. Weder Hentai noch KI-Models werden dem „normalen Markt“ etwas anhaben können, ist Miss Jackson überzeugt
Porno-Industrie ist medientechnologischer Vorreiter
Im Porno kommt also immer etwas Neues hinzu, aber nichts verschwindet vollständig, sagt Lewandowski. Das sei ist auch in anderen Bereichen so. „Es gibt nach wie vor Zeitungen und Bücher, obwohl es das Internet gibt. Und es gibt noch Kinos, obwohl es Fernseher gibt.“ Einen Verdrängungsmechanismus wird es trotzdem geben, wie immer im Kapitalismus: Wenn sich etwas billiger produzieren lässt, wird das auch gemacht. Die Darsteller:innen werden um ihre Einnahmen gebracht, wenn ein Teil der Pornos mit KI produziert wird. Sie müssen sich also andere Einnahmequellen erschließen. Erotik-Models werben über Instagram Kund:innen für Onlyfans an – und auf OF wird Pornografie wiederum genutzt, um weitere sexuelle Dienste anzubieten. Da wird Unterwäsche verkauft, Dirty Dancing, Prostitution, Escort-Service, Individual-Porno oder Webcam-Sex angeboten. „Um diese Angebote zu bewerben, bringen KI-generierte Darstellungen wenig“, stellt Lewandowski klar.
Fake-Pornografie wird mit der Weiterentwicklung von KI definitiv zunehmen. Auch Hybrid-Formen wird es vermehrt geben, sagt Lewandowski. „Die Verschmelzung von KI mit echten Menschen wird es noch schwerer machen, herkömmliche Pornografie von Fake zu unterscheiden.“ Trotzdem wird die Porno-Industrie der Sektor sein, der wohl am wenigsten Probleme haben wird, sich an KI anzupassen, ist Lewandowski überzeugt.
Für Sport und Sex wird immer gezahlt
Die Porno-Industrie war Zeit ihres Bestehens sehr gut darin, sich allen neuen technologischen Entwicklungen sehr schnell anzupassen. Viel schneller als alle anderen Medien. „Historisch gesehen war die Porno-Industrie in der Nutzung neuer Medientechnologien oftmals Vorreiter“, sagt der Soziologe. VHS hat sich als Massenmedium durchgesetzt, weil die Porno-Industrie auf dieses Format der Videokassette gesetzt hat. Videorekorder haben sich nicht zuletzt deshalb durchgesetzt, weil sie Pornografie versprochen haben. „Alle neuen Medientechnologien sind zu Beginn von Pornografie und Sex überschwemmt – und teuer.“ Das erklärt auch die vielen pornografischen Deepfakes, die aktuell im Internet in Umlauf gebracht werden. Statistisch gesehen geben nämlich vor allem junge, alleinstehende Männer viel Geld für Freizeitkonsum aus. Für Sport und Sex wird bezahlt, so Lewandowski. „Sexualität bietet sich immer gut an, um Käuferschichten für neue Technologien zu erschließen“, sagt Lewandowski. Alle Medien werden am Anfang mit sexuellen Versprechen – und mit sexueller Panik aufgeladen. In dem Zusammenhang sieht der Soziologe auch die Entwicklung mit KI. Jede Gesellschaft musste lernen, mit neuen Medien zu leben und umzugehen. „Ob Buchdruck, Postwesen, Telefon, Fotografie, Videos oder KI – Pornografie und Gesellschaft werden lernen, damit umzugehen. Erstere früher, letztere später.“
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
Nachdem eine Flut von pornografischen Deepfakes der Sängerin Taylor Swift die sozialen Medien überschwemmt hatte, fragte sich die WZ-Redakteurin Anja Stegmaier, was für Auswirkungen KI-generierte Fotos und Videos auf die Porno-Industrie haben könnten.
Gesprächspartner:innen
Miss Jackson ist ein internationales Erotik-Model aus Wien. Sie betreibt seit vier Jahren ihr Onlyfans-Profil. Vorher hat sie auf diversen Chatseiten als Live Cam-Girl gearbeitet, weil sie während ihrer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau zusätzlich Geld verdienen wollte. Auch in einem Stripclub hat sie gearbeitet, bevor sie Model und Porno-Darstellerin wurde.
Sven Lewandowski ist Soziologe und forscht über Sexualität und Pornografie. Zuletzt leitete er an der Universität Bielefeld das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Forschungsprojekt "Die Praxen der Amateurpornographie."
Daten und Fakten
Deepfakes sind Fotos, Videos oder Audiodateien, die mit Hilfe von KI verändert werden. Der Begriff setzt sich aus „deep learning“ (eine Methode, durch die eine KI lernt) und „fake“, also Fälschung zusammen.
Onlyfans ist ein Online-Portal zur kostenpflichtigen Bereitstellung von Content, wie Fotos und Videos. Der Dienst wird in erster Linie von Content Creator:innen genutzt, um erotische oder pornografische Inhalte zu produzieren und zu veröffentlichen, aber auch von anderen Produzent:innen wie Fitnesstrainer:innen oder Künstler:innen. Im Aufbau ähnelt es sehr stark werbefinanzierten sozialen Netzwerken, wie Facebook oder Instagram.