Der Eindruck, dass alle junge Menschen klimabewusst sind, ist falsch. Warum sie sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen.
Die Alten sind schuld. Sie haben uns eine Welt hinterlassen, die in absehbarer Zeit nicht mehr lebenswert ist. Der Schluss ist schnell gezogen. Doch bei näherer Betrachtung ergibt sich ein differenziertes Bild. Neben der jungen Klima-Aktivistin, die sich auf die Straße klebt, sitzen zwei engagierte Großmütter. Oder: Während eine Mutter ordentlich den Müll trennt, wirft ihr Nachwuchs den Biomüll gedankenlos in den Restmüll.
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Die Hedonisten bilden die größte Gruppe
Nur wenige junge Menschen handeln klimabewusst, die meisten treten kaum aktiv für eine bessere Umwelt ein. Nach dem Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus bilden bei den 16- bis 29-Jährigen die „Hedonisten“ mit 22 Prozent die größte der insgesamt sechs Bubbles. Deren Maxime: leben im Hier und Jetzt ohne Rücksicht auf die Umwelt.
Die Jugend wird anhand der Sinus-Milieus in sechs Gruppen eingeteilt. Diese Bubbles sind ein Abbild unserer Gesellschaft, gruppiert nach Lebensstil, Einstellungen und Werten. Bist du beim Thema Nachhaltigkeit derselben Meinung wie deine Freundin, dann gehört ihr bei diesem Modell höchstwahrscheinlich derselben Gruppe an.
Sie wollen nicht so sein wie ihre spießigen Eltern.Martin Mayr, Integral
Die Hedonisten fordern kein Umdenken im großen Stil, und sie sind ideologisch kaum gefestigt. Sie suchen Spaß und wollen konsumieren. Sie möchten etwas und das sofort. „Das ist allerdings nicht nur negativ gemeint“, erklärt Martin Mayr, zuständig für Jugend-Milieus bei Integral. „Diese Gruppe ist ein Milieu, dem es um die sofortige Bedürfnisbefriedigung geht. Das können Aktivitäten im kreativen oder sportlichen Bereich sein, oder auch nur Konsum. Sie wollen nicht so sein wie ihre spießigen Eltern. Sie sind aber keine Arbeitsverweigerer. Im Gegenteil: Sie gehen arbeiten, weil sie Geld brauchen, um ihren Hobbys nachgehen zu können“, sagt Mayr zur WZ.
Dass „Ich will Spaß“ und „Ich will die Umwelt retten“ nicht gut zusammengeht, versteht sich von selbst. „Bei Empfehlungen von außen, auf Dinge zugunsten des Klimas zu verzichten, zeigen sich die Hedonisten sehr irritiert“, sagt Mayr. Diese Gruppe sei beim Thema Nachhaltigkeit nur schwer zu erreichen und medial und politisch kaum präsent.
Wirklich umdenken will nur ein kleinerer Teil
Jene jungen Menschen, die sich tatsächlich fürs Klima einsetzen, gehören einer kleineren Bubble an. Sie werden als die Progressiven Realisten benannt, die nur 13 Prozent der unter 30-Jährigen ausmachen. „Jetzt umdenken“ steht bei dieser Gruppe laut Mayr an vorderster Stelle. Diese Gruppe ist medial stark im Fokus. Sie präsentiert sich in der Öffentlichkeit. „Man könnte meinen, das sind die Jungen. Doch es ist nur ein kleiner Teil der Jugend“, sagt Mayr.
Das zeigt auch eine Studie zum Thema Nachhaltigkeit am Arbeitsplatz. „Wenn es hart auf hart kommt, wird das Thema Nachhaltigkeit in der Prioritäten-Liste zurückgestuft. Für 73 Prozent der jungen Menschen hat das Thema keine Top-Priorität.“
Diese Unterschiede zwischen den Jugend-Milieus sind laut Mayr generalisierbar. Milieus, die hohe Anforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit an den/die Arbeitgeber:in stellen, wie eben die Progressiven Realisten, würden dies auch in anderen Lebensbereichen, etwa bei der Mobilität oder dem Konsum, tun. „Die Daten zeigen recht schön auf, dass junge Menschen zum Thema Nachhaltigkeit keine einheitliche Meinung haben, sondern dass es – wie auch in der Erwachsenenwelt – Lebenswelten gibt, die sich in ihren Werten und Einstellungen zum Teil deutlich unterscheiden“, sagt der Marktforscher.
Auch die Jugendlichen haben es nicht geschafft, klimakompatibel zu leben.Christoph Hofinger, Foresight
Die zweitgrößte Gruppe nach den Hedonisten sind auch wie bei den Erwachsenen die Adaptiv-Pragmatischen, die zwar bereit wären, etwas zu tun, aber nicht genau wissen wie. „Für die Jungen ist Nachhaltigkeit schon ein wichtiges Thema, nur stößt sie in der praktischen Umsetzung an ihre Grenzen. Auch die Jugendlichen haben es nicht geschafft, klimakompatibel zu leben“, sagt Sozialforscher Christoph Hofinger. Und er fügt hinzu: „Selbst der bravste Mensch schafft es nicht, denn das würde bedeuten, man sitzt im Dunkeln und im Kalten.“
Ein gegenseitiges Schuldzuweisen macht wenig Sinn. In allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten steht für viele der Klimaschutz nicht an erster Stelle. Auch sollte man sich nicht auf eine Gruppe verlassen. Wir können es ohnehin nur schaffen, wenn wir alle gemeinsam handeln.
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Infos und Quellen
Genese
Die Alten haben es verbockt. Sie haben die Umwelt überbelastet. Die Jungen gehen auf die Straße. Sie demonstrieren, kleben sich fest, setzen Zeichen. Doch der Eindruck, dass alle jungen Menschen sich mit Herz und Seele für den Klimaschutz einsetzen, täuscht. Studien und Umfragen zeigen, dass der Klimaschutz bei ihnen nicht unbedingt die größte Rolle spielt.
Gesprächspartner
Martin Mayr, Integral
Christoph Hofinger, Foresight
Katharina Gangl, IHS
Daten und Fakten
Die sechs Jugend-Milieus: Hedonisten (22 Prozent), Konservativ-Nostalgische (15 Prozent), Adaptiv-Pragmatische Mitte (21 Prozent), Performer (15 Prozent), Kosmopolitische Individualisten (14 Prozent), Progressive Realisten (13 Prozent)
Integral-Studie: junge Menschen in der Arbeitswelt: 27 Prozent (Durchschnitt) der 16- bis 29-Jährigen ist es sehr wichtig, dass das Unternehmen umweltfreundlich beziehungsweise klimaneutral arbeitet und produziert.
Quellen
Bertelsman-Studie: Die relativ hohe Engagementbereitschaft (46 Prozent) junger Leute für Nachhaltigkeit mündet bei vielen nicht in ein praktisches Engagement