Allein mit 25 Kindern, immer wieder konfrontiert mit sorgenvollen Eltern und am Ende des Arbeitstages ausgebrannt: Die Arbeit im Kindergarten hat sich zum Knochenjob entwickelt. Wer will ihn noch machen?
Voller Aufregung wuseln die Kinder durch die Garderobe ihres Kindergartens im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Heute steht ein Ausflug auf dem Programm, es geht in einen neuen Park in der Nachbarschaft. Ein Teil der Gruppe wartet bereits im bunt dekorierten Eingangsbereich, während die anderen noch ihre Wasserflaschen auffüllen und kontrollieren, ob sie alles in ihre Rucksäcke gepackt haben. „Auch solche Abläufe müssen gelernt werden. Kinder lernen in jedem Moment und so werden die Grundbausteine für ihr späteres Leben gelegt“, sagt Dominik Engel, Leiter des städtischen Kindergartens, während er einem Mädchen zeigt, wie es seine Trinkflasche zuschraubt. Die ersten Lebensjahre gehören mitunter zu den prägendsten Jahren im Leben eines Menschen, weiß der Pädagoge. Als Kindergartenpädagoge und Leiter eines Kindergartens ist Engel als Mann eine Seltenheit, in die Branche gehen üblicherweise Frauen.
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Traumjob mit hohen Anforderungen
Dass Engel später einmal Kindergartenpädagoge werden sollte, hat er einer seiner Lehrerinnen zu verdanken: „Ich komme aus einer großen Familie und habe mich oft um meine Geschwister gekümmert. Irgendwann machte meine Lehrerin den Vorschlag, ob ich nicht Kindergartenpädagoge werden wolle.“ Jahre später ist es für ihn immer noch ein Traumjob, wenn auch ein fordernder. Es ist keine Arbeit, die man am Ende des Arbeitstages einfach hinter sich lassen kann, oft wirkt das Erlebte nach.
Die Arbeit im Kindergarten hat mittlerweile den Ruf, ein Knochenjob zu sein, vor allem, nachdem die Elementarpädagogik in den vergangenen Jahren aufgewertet wurde. Es ist keine schlichte Betreuung mehr, während die Eltern in der Arbeit sind: „Wenn ich mit Freunden rede, höre ich oft ‘Respekt, Kindergärtner − das könnte ich nicht’“, erklärt Engel die Außenwahrnehmung.
Auch Eltern sind Leidtragende
Sabine hat zwei Kinder, das jüngere besucht einen Kindergarten in Wien. Sie kann ein Lied von Personalmangel wegen Krankenständen singen: „Erst gestern habe ich eine Nachricht bekommen, dass die Eltern die Kinder bitte früher abholen sollen. Ich kann das zum Glück, aber viele andere schaffen das nicht.“ Dass es zu wenig Mitarbeiter:innen gibt, führt zu Stress bei den Pädagog:innen, den diese unbewusst und unbeabsichtigt an die Kinder weitergeben. Diese werden dadurch unrund, berichtet Sabine.
Auch Burnout-Fälle bei den Kindergarten-Pädagog:innen im Bekanntenkreis sind Sabine bekannt. „Aktuell gibt es zumindest in unserem Kindergarten wenig Fluktuation aufgrund von Krankenständen oder Burnout, aber ich kann mich an eine Zeit erinnern, da gab es alle sechs Monate neues Personal. Ich glaube aber, dass das für die Eltern belastender ist als für die Kinder.“
Könnte sie an Kindergärten eines ändern, wäre es vor allem die Anzahl der Kindergarten-Pädagogen. „Immer heißt es Frauen in die Technik und nie Männer in die Bildung.“ Dabei erinnert sie sich an Zivildiener, die bei den Kindern gut angekommen sind.
Große Schere zwischen Einrichtungen
Laut AMS gab es im Jahr 2019 österreichweit 581 offene Stellen für Erzieher:innen, 2023 waren es bereits 1.992 Stellen. Österreichweit gibt es 9.717 Betreuungseinrichtungen mit 21.888 Gruppen, 67.319 Angestellte kümmern sich um 388.256 Kinder. Doch für die Kindergärten ist die Personalsuche ein Kampf. Warum ist das so?
Valerie arbeitet seit mittlerweile neun Jahren als Elementarpädagogin, angestellt war sie in verschiedenen Einrichtungen in Wien und Niederösterreich. In dieser Zeit hat sie große Diskrepanzen zwischen den einzelnen Betreuungsstätten beobachtet. „Bei meiner ersten Anstellung war ich nach drei Jahren die Dienstälteste, das Haus hatte fast jedes Jahr eine neue Leitung. Oft habe ich mir gedacht, hätte ich selbst Kinder, weiß ich nicht, ob ich sie hier in Betreuung geben würde.“ Sie erinnert sich an Situationen, wo sie einen ganzen Vormittag allein mit 15 Kindern war und nicht einmal Zeit hatte, auf die Toilette zu gehen. „Generell macht man viele Sachen gleichzeitig – während man etwa einen Bericht schreibt, kann es sein, dass eine Traube Kinder um einen herumsteht und jedes eine andere Bitte hat.“ Auch von fordernden Eltern erzählt sie, aber auch von jenen, die ihre Kinder scheinbar nicht interessieren. Valerie ist gern Pädagogin und mit ihrer aktuellen Anstellung sehr zufrieden.
Zu jung, zu viel Verantwortung
Rosa ist Mutter zweier Kinder, die einen Kindergarten in der Nähe von Wien besuchen. Sie ist eigentlich zufrieden mit dem Kindergarten. Eigentlich. Wenn da nicht die Situation wäre, dass die Leiterin des Kindergartens oft so sehr mit bürokratischen Aufgaben eingedeckt ist, dass sie ihre junge Kollegin allein mit den Kindern lässt: „Die ist zwar ausgebildete Pädagogin, aber erst 19 Jahre alt und das ist sehr viel Verantwortung für eine so junge Person. Oft weiß sie Sachen nicht und muss selbst nachfragen.“ Wegen des hohen Arbeitsaufwands soll laut der Leitung eine weitere Arbeitskraft eingestellt werden, sagt die Mutter.
Einen nicht unwesentlichen Teil der Arbeitszeit nimmt die kinderdienstfreie Zeit ein. Sie sollte für allerlei administrative Tätigkeiten sowie als Vorbereitungszeit genutzt werden. Julia Fichtl, Kindergartenpädagogin und Personalvertreterin für alle Berufsgruppen im Kindergarten, sieht sie als unerlässlich, um den Kindern ein gutes Umfeld für ihre Entwicklung zu bieten. Die kinderdienstfreie Zeit sollte etwa fünf Stunden pro Woche in Anspruch nehmen, doch fällt sie oft komplett aus, da die Pädagog:innen in der Gruppe mitarbeiten müssen.
Einen Punkt merken alle Personen, mit denen wir gesprochen haben, an: das junge Alter der Pädagog:innen. Nach dem Besuch einer Bildungsanstalt für Elementarpädagogik (BAfEP) sind die meisten beim Start in den Beruf 19 Jahre alt – „da ändern sich die Interessen einfach noch oder man entscheidet sich einfach für ein Studium in einem anderen Bereich“, betont Engel. Er erinnert sich an seine Klassenkamerad:innen, von denen ein Großteil noch in der Branche arbeitet – das sei aber eher ungewöhnlich.
Irgendwann habe ich mich gefragt: Wieso mache ich das eigentlich?Hannah
Hannah hat fünf Jahre lang eine BAfEP besucht, hat sich nach der Matura aber für einen anderen Weg entschieden. Unter anderem wegen ihres Alters: „Man ist sehr jung und wird zu den Kindern in die Praxis gesteckt, während der Druck herrscht, benotet zu werden. Man startet die Ausbildung mit 14 Jahren. Bis in die dritte Klasse habe ich mir aber vorstellen können, in einem Kindergarten zu arbeiten”, erzählt Hannah. „Irgendwann habe ich mich gefragt: ‘Wieso mache ich das eigentlich?’ Der Job hat kein Ansehen und man wird nicht wertgeschätzt, die Vorbereitungen muss man in der Freizeit erledigen und die Bezahlung ist auch schlecht. Außerdem entsprechen viele Anforderungen an eine Pädagogin nicht mehr der heutigen Zeit und sind einfach zu starr gedacht.“ Noch heute tut es ihr leid, dass sie im Lauf der Ausbildung, die sie als extreme Stresssituation empfand, die Freude an der Arbeit verloren hat.
Quereinsteiger:innen sind gefragt
Das besondere an Quereinsteiger:innen ist, dass sie einen großen Erfahrungsschatz aus ihren vorigen Ausbildungen und Berufserfahrungen in den Kindergarten mitbringen, erklärt Carina Schubert-Wachter von „Teach for Austria“ (TFA). Schubert-Wachter kommt ursprünglich aus der Kommunikationsbranche und hat über ein Programm von TFA zwei Jahre in einem öffentlichen Kindergarten im 10. Bezirk als Individualförderin gearbeitet. Später hat sie sich zur Pädagogin ausbilden lassen. Als zusätzliche Fachkraft zur gruppenführenden Pädagogin und zur Assistentin konnte sie sich täglich vor allem auf die individuelle Sprachförderung der Kinder fokussieren: „Mehrere Flüchtlingskinder in meiner Gruppe haben innerhalb von einem Jahr ausgezeichnetes Deutsch gelernt.“ Mehr Ressourcen für die Kommunikation mit nicht-deutsch-sprechenden Eltern würden die Bildungsarbeit noch mehr erleichtern, meint sie. Sie ist froh über die neue berufliche Perspektive und hat Freude an der Arbeit mit den Kindern
Vielen ist der Betreuungsschlüssel ein Dorn im Auge: In Wien kommt auf 25 Kinder eine Pädagogin und Assistentin, in Salzburg hingegen sind es nur acht, während in Kärnten daran gearbeitet wird, dass dieser Schlüssel sukzessive gesenkt wird.
Umorientierung mit 19
„Die Studienlehrgänge an der Pädagogischen Hochschule Wien sind voll. Auch Quereinsteigerinnen, gerade aus dem wirtschaftlichen Bereich, haben ein großes Interesse an der Ausbildung. Sie sind sehr wertvoll für die Kinder“, erklärt Natascha Taslimi von der Pädagogischen Hochschule Wien. Dass jene, die die BAfEP besucht haben, sich nach der Matura umorientieren, wundert sie nicht – „mit 19 ist man noch nicht gefestigt im Leben, es ist normal, dass man sich umentscheidet.“ Sie hat aber auch beobachtet, dass Eltern zunehmend Bedarf an Beratung in Sachen Kindererziehung haben und die einmal im Jahr stattfindenden Entwicklungsgespräche nicht ausreichen.
Um in Österreich Elementarpädagogin zu werden, beginnt man in der Regel im Alter von 14 Jahren mit der Ausbildung an einer BAfEP, die fünf Jahre dauert und mit der Matura abschließt. Expert:innen betonen, dass die Ausbildung zu früh beginnt und sich Interessierte erst nach der Matura für diesen Weg entscheiden sollten. Alternativ gibt es Pädagogische Hochschulen, die sich an Personen richten, die bereits ein abgeschlossenes Bachelorstudium oder eine andere gleichwertige Qualifikation haben.
Entwicklungsgespräche finden auch bei Engel statt, dessen Schützlinge sich nun in einer Traube vor der Tür versammeln, um zum Ausflug aufzubrechen. Engel ist zufrieden mit der Situation in seinem Kindergarten. Die Kinder, die nun in Zweierreihe losspazieren, sind es auch.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Natascha Taslimi, Pädagogische Hochschule Wien
Carina Schubert-Wachter, Teach for Austria
Dominik Engel, Kindergarten der Stadt Wien
Julia Hofer und Elmar Walter, St. Nikolaus Stiftung
Julia Fichtl, Personalvertretung für alle Gruppen in den Kindergärten
Sabine und Rosa, Eltern, Namen geändert
Hannah und Valerie, Pädagoginnen, Namen geändert
Daten und Fakten
Etwa 30 Prozent der unter Dreijährigen und fast 95 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen haben im Kindergartenjahr 2022/23 eine elementare Bildungseinrichtung besucht. Nur etwa die Hälfte dieser Kinder wurde in einer Einrichtung betreut, die es den Eltern ermöglicht, Vollzeit zu arbeiten.
In Österreich ist das letzte Kindergartenjahr vor dem Schuleintritt verpflichtend. Kinder, die fünf Jahre alt werden, müssen mindestens 20 Stunden pro Woche an vier Tagen die Woche eine elementare Bildungseinrichtung besuchen.
Die Gruppengrößen in österreichischen Kindergärten variieren je nach Bundesland und Einrichtung.
Quellen
Statistik Austria: 52 % der bis Fünfjährigen in Betreuung haben Platz, der mit Vollzeittätigkeit der Eltern vereinbar ist
Statistik Austria: Statistiken zur elementaren Bildung 2022/23
Statistik Austria: Statistik für die elementare Bildung und Hortwesen 2022/23